Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
In der Questura fühlte sich alles nach einem Umbruch an. Seit Roberto Morandi, der Vice Questore, aus Krankheitsgründen einen längeren, unbefristeten Genesungsurlaub (so nannte man sein Fortbleiben unter der Hand) genommen hatte, wehte ein neuer Wind.
Patrizia Bertuzzi, klein, kräftig, aber mit einem gesunden Selbstbewusstsein gesegnet, füllte ihre neue Stelle mit viel Elan und fast überbordender Motivation aus. Meist trug sie Hosenanzüge, ihre halblangen schwarzen Haare waren immer kunstvoll hochgesteckt. Brassoni schätzte sie auf Ende dreißig, was ihm ein komisches Gefühl gab, denn er hatte noch nie einen Vorgesetzten gehabt, der jünger war als er. Aber er musste zugeben, dass Bertuzzi dafür gesorgt hatte, dass auch die lethargischsten Mitarbeiter inzwischen diensteifrig bei der Sache waren. Man musste immer damit rechnen, dass die neue Chefin eine Runde durchs Haus machte und nach dem neuesten Stand der Dinge fragte.
Mit Maria Grazia Malafante, der kapriziösen Chefsekretärin, die vor längerer Zeit auch einmal Luca Brassonis Geliebte gewesen war, verstand Bertuzzi sich zur Überraschung aller prächtig. Der neuen Dienststellenleiterin schien es nichts auszumachen, dass die Chefsekretärin hin und wieder den Ton angab, und sie teilte augenscheinlich sogar deren Affinität zu Mode. Außerdem hatte sie schnell bemerkt, wie intelligent ihre Mitarbeiterin war, und verließ sich voll und ganz auf ihre Fähigkeiten. Maria Grazia teilte sich ihre Stelle zurzeit noch mit einer anderen Kollegin, da sie eine kleine Tochter hatte und deshalb weniger arbeiten wollte. Jetzt, am späten Nachmittag, war das Sekretariat nicht mehr besetzt. Brassoni betrachtete den leeren Schreibtisch mit Wehmut, denn Maria Grazia hatte ein Händchen für Recherchen, also würden sie bis morgen früh warten müssen, um ihre Hilfe in Anspruch nehmen zu können.
»Luca, hier hinein!«, hörte er Maurizio Goldini rufen. Der Kollege winkte ihn in den Besprechungsraum, wo Nunzio Sposato, der Leiter der Kriminaltechnik, bereits auf die beiden wartete.
»Ciao Luca, hat die Neue dich aus dem Urlaub geholt?«, frotzelte der smarte Tatortexperte und schüttelte dem Commissario die Hand.
»Tja, sie hat eben erkannt, dass ich unentbehrlich bin«, gab Brassoni mit leicht sarkastischem Unterton zurück.
»Mach dir nichts draus.« Sposato rückte seine Brille zurecht. »Ich wollte morgen eigentlich auch freihaben, weil mein Neffe Geburtstag feiert, aber Bertuzzi hat mir den Tag gleich gestrichen. Die laufenden Ermittlungen gehen vor. Sie legt viel Wert darauf, Venedig zur sichersten und saubersten Stadt in ganz Italien zu machen. Am liebsten hätte sie jeden Fall innerhalb von vierundzwanzig Stunden gelöst, denke ich.«
Brassoni zuckte mit den Schultern und nahm vor dem Laptop Platz, auf dem die Überwachungsszenen aus dem Museum abgespeichert waren. Sposato drückte auf die Starttaste, und sogleich ging es los. Ganz ruhig verfolgten die drei Männer die Szenen, die sich vor dem Gemälde Tintorettos abspielten.
Zum Glück war die Kamera in einer Ecke seitlich neben dem Bild angebracht worden, sodass man Grande sehr gut erkennen konnte.
»Das ist doch ganz eindeutig unser späteres Mordopfer«, rief der Commissario erschüttert aus, nachdem sie sich das Ganze angeschaut hatten. »Welchen Grund könnte der junge Mann gehabt haben, das Porträt Jacopo Soranzos zu zerstören?«
»Vielleicht war er psychisch krank?«, mutmaßte Goldini. »Wir wissen noch zu wenig über diesen Studenten. Normal ist so eine Attacke sicher nicht, zumal er als studierter Künstler um den Wert eines solchen Bildes wusste. Was er getan hat, hat er mit voller Absicht gemacht. Wenn du mich fragst, steckt eine Menge Zorn hinter dem Angriff!«
Brassoni nickte zustimmend.
»Könnte jemand aus dem Museum ihn verfolgt und aus Rache umgebracht haben?«, warf Sposato ein.
»Dio mio, das wäre das erste Mal, dass ein Wachmann oder ein Museumsangestellter einen flüchtigen Täter in seiner Wohnung ermordet. Was für eine Tragödie!« Brassoni hob die Hände zum Himmel. »Nein, nein, das wäre zu weit hergeholt. Das Gemälde wird doch versichert sein, und soweit ich weiß, hat sich die Spur Grandes nach seiner Attacke verloren. Auf dem Messer werden sich seine Fingerabdrücke befinden. Habt ihr auch bemerkt, dass er bei den Messerstichen auf das Porträt immer das gleiche Wort mit den Lippen formuliert hat. Das war eindeutig, auch wenn kein Ton dabei ist. Nunzio, kannst du den Film noch mal in Zeitlupe laufen lassen?«
Sposato spulte zurück zum Anfang und ließ die Bilder in Zeitlupe ablaufen.
»Da!«
Brassoni wies mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. Sposato spulte noch einmal zurück, und alle drei starrten gebannt auf Grandes Lippen.
»Das heißt doch Mörder, wenn du mich fragst«, meinte Goldini und sah seinen Kollegen an.
»Genau. Das denke ich auch. Doch warum nennt er diesen Mann, der schon mehrere Jahrhunderte nicht mehr lebt, einen Mörder?«
»Eine Übertragung? Soranzo wird kaum als Geist in Venedig sein Unwesen treiben.«
»Oder er hat in einer seiner Vorlesungen das Gemälde besprochen, darüber eine Klausur geschrieben und ein Ungenügend von seinem Professor erhalten. Wenn er sich ungerecht behandelt gefühlt hat . Vielleicht fühlte er sich nicht genug anerkannt. Dazu der Tod seiner Mutter . Für manche Menschen reichen solche Dinge, um eines Tages auszurasten.«
»Was auch immer der Grund war, wir werden es herausfinden. Der Fall scheint sehr facettenreich und tiefgründig zu sein. Ich hoffe die paar Tage bis zu meinem Urlaub reichen für die wichtigsten Ermittlungen aus!«
Brassoni stand auf und trat ans Fenster. Nach dem ersten Ärger über seinen überraschenden Einsatz war er jetzt Feuer und Flamme. Seine Stimmung wechselte gerade zwischen Schuldgefühl und Euphorie. Er wusste, wie sehr Carla sich auf den Urlaub freute, und er hoffte, sie würde ihm sein Engagement nicht übelnehmen. Wenn er sich richtig reinhängte, könnte er den Fall vielleicht bis zum Ende der Woche klären.
Der Commissario drehte auf dem Absatz um, verabschiedete sich wortlos von den beiden Kollegen, ging zu seinem Büro und setzte seine neue Espressomaschine in Gang. Ein Schlückchen Kaffee würde ihm dabei helfen, seine grauen Zellen in Schwung zu bringen. Die Urlaubstage, die er jetzt verlor, konnte er schließlich hinten wieder anhängen. Mit einem zischenden Geräusch floss die heiße schwarze Flüssigkeit in seine Tasse. Brassoni strich sich über seine blank polierte Glatze und trank den Espresso in einem Zug aus. Fast hätte er sich die Zunge dabei verbrannt.
Er seufzte und griff zum Telefon. Er musste unbedingt mehr Informationen über Paolo Grande haben. Vielleicht konnte sein Cousin Stefan Mayer, genannt Caruso, ein Journalist, der mittlerweile auch in Venedig lebte, ihn bei den Nachforschungen unterstützen. Caruso war gut vernetzt in der Lagunenstadt, er kannte jeden, der halbwegs wichtig war, und er würde bestimmt etwas über das Mordopfer herausfinden, wozu die Polizei meist viel länger brauchte.
»Ciao, Caruso, come stai, wie geht es dir?«, eröffnete Brassoni das Telefongespräch.
»Danke, bestens, mein Lieber! Womit kann ich dir helfen? Brauchst du Unterstützung bei einem neuen Fall?« Der Commissario bekam prompt ein schlechtes Gewissen, weil er sich von seinem Cousin ertappt fühlte.
»Wie kommst du darauf? Warum muss ich immer etwas von dir wollen, wenn ich mich mal bei dir melde?«, fragte er zerknirscht.
»Na hör mal. Du hast Urlaub, rufst mich aber aus der Questura an, und du bist ansonsten nicht gerade Weltmeister im Telefonieren. Da muss doch was im Busch sein, oder täusche ich mich?«
Der Commissario zögerte einen Moment, bevor er antwortete.
»Ja gut, meinetwegen, du hast recht. Wir haben einen Mordfall, der sehr ungewöhnlich ist, denn er scheint mit der Attacke auf das Gemälde im Museum heute Nachmittag zusammenzuhängen. Der junge Mann, der den Anschlag begangen hat, wurde kurz darauf in seiner Wohnung ermordet. Er war selber ein halbwegs bekannter Künstler, Paolo Grande war sein Name. Vielleicht hast du schon mal von ihm gehört und kannst mir ein paar Hinweise auf Auffälligkeiten in seinem Lebenslauf geben. Hin und wieder gab es Artikel über ihn in der Presse. Wir stehen noch ganz am Anfang der Ermittlungen.«
Stefan Mayer alias Caruso murmelte unschlüssig in den Hörer.
»Hm, Luca, ich weiß nicht recht, seit Patrizia Bertuzzi bei euch am Start ist, hat sich vieles geändert. Du musst auf jeden Fall ihre Erlaubnis einholen, wenn ich dir helfen soll. Ich will nicht, dass sie uns beide am Ende die Ohren langzieht und dich suspendiert. Du weißt, dass sie den Datenschutz und die Verschwiegenheitspflicht, denen ihr unterliegt, sehr ernst nimmt. Da, wo Roberto Morandi mal ein Auge zugedrückt hat, steht sie mit dem Gesetzbuch.«
Der Journalist machte eine Pause. Brassoni fing an zu schwitzen. Ohne Carusos Hilfe würde er viel länger für die Recherchen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.