Schweitzer Fachinformationen
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Erstes Kapitel
Joseph Langrieger hatte gewartet, bis es so dunkel war, daß ihn keiner der Nachbarn mehr mit bloßem Auge erkennen konnte. Es war kurz nach acht. Bestimmt saßen jetzt alle vor den Abendnachrichten. Er selbst hätte auch lieber ferngesehen, aber dem bestialischen Gestank, der seit einigen Tagen von der Sickergrube aus seinen Hof verpestete, mußte endlich ein Ende gemacht werden. Vorsorglich hatte er alle Lichter gelöscht, sogar die Glühbirne aus dem Bewegungsmelder herausgedreht, und war dann mit seiner Saugpumpe im Schlepptau zur Grubenöffnung geschlichen. Einen Anschlußschlauch, der direkt in den städtischen Gully führte, hatte er bereits am Nachmittag installiert, jetzt ging es nur noch darum, das eine Ende in die Kanalisation zu führen und das andere direkt an den Grubenrand zu legen.
Er hatte das immer so gemacht und vor ihm sein Vater, auch wenn es damals noch keine elektrischen Saugpumpen gegeben hatte und der Abwasserschacht mit großen Schöpfkellen in bereitstehende Güllewagen geleert worden war. Kruzifix, was war das jedesmal für eine Sauerei gewesen! Doch anschließend wurde der Badeofen eingeheizt, und dann roch die ganze Familie wie an hohen Feiertagen. Das war schön gewesen. Im Herbst hatte die Großmutter Apfelpfannkuchen mit Zimt gebacken.
Er lächelte und spürte, wie ihm bei der Erinnerung das Wasser im Mund zusammenlief. Jetzt hatten die von der Stadt ein Rundschreiben an alle Haushalte verschickt, daß sie extra einen »Fäkalienmeister« eingestellt hätten, der zweimal jährlich kommen würde, um die Grube zu leeren. Mit einem Mal war es verboten, die Jauche selbst abzupumpen und in die kleinen örtlichen Wassergräben einzuleiten. Dabei hatten sie das früher immer so gemacht. Josephs Sohn hatte wohl auch schon einen Termin vereinbart. Aber Langrieger konnte nicht länger warten. Der Gestank war einfach zu bestialisch.
Er schaute sich nach allen Seiten um, vergewisserte sich, ob auch wirklich kein Spaziergänger oder - noch schlimmer - ein Nachbar vorbeiging, nahm die hölzerne Abdeckung ab, versenkte seine Nase in seinen vorsorglich mit Aftershave durchtränkten linken Jackenärmel und hielt dann die Luft an.
Beim Hinabsenken der Saugpumpe spürte er einen Widerstand.
»Ja Bluatsakrament«, fluchte er. »Himmel Herrgott.« Er beugte sich vor. Wahrscheinlich waren das wieder einmal seine Enkel gewesen. Der zwölfjährige Sebastian und der zehnjährige Frank pflegten ihn gern zu erschrecken, und was da in der Grube vor sich hindümpelte, sah im fahlen Mondlicht aus wie eine Vogelscheuche, eine weißgekleidete Vogelscheuche. Der alte Mann fluchte erneut. Wenn die Jungen da gewesen wären, hätte er sie eigenhändig an ihren Ohren in den Hof geschleppt und zur Grube gezogen.
Wer machte denn hier die Drecksarbeit? Wer sorgte dafür, daß es nicht dauernd stank? Immer er! Während sich die junge Familie auf Mallorca eine schöne Zeit machte. Wie sollte er dieses Ding jetzt da herauskriegen? Es sah aus, als hätte es sich verkeilt. Und er hatte wieder einmal keine Arbeitshandschuhe an.
Und wie würde es auf dem Hof erst stinken, wenn er das Geraffel mit den schlierenüberzogenen Stoffen auf den Beton zerrte! Da hatten sie ihm eine schöne Sauerei eingebrockt, die Hundsbuben, die miserabligen!
Er ging in seine Scheune, wo in einer Ecke die Arbeitsgeräte ordentlich nebeneinander aufgereiht standen, und griff beherzt nach einer großen Mistgabel, die er anschließend mit Wucht unter das Jackett der Vogelscheuche hakte, um sie irgendwie aus der Grube herauszuhieven. Das Ding fühlte sich nun völlig anders an, nämlich schwerer und wesentlich kompakter, als er zunächst vermutet hatte. Die Sache strengte ihn dermaßen an, daß ihm der kalte Schweiß ausbrach und er den bestialischen Gestank schon gar nicht mehr wahrnahm.
Es wunderte ihn, wie schnell sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Noch während er beschloß, seiner Frau davon zu erzählen, da diese ihn permanent mit der Behauptung ärgerte, er brauche eine Brille, drehte sich das Ding in der Grube plötzlich um. Ein Mensch starrte ihn mit großen Augen und offenem Mund an. Die Vorderseite seines weißen Anzugs war schwarz, der Kopf des Mannes hing in einem eigenartigen Winkel vom Rumpf, und seine Kehle war durchgeschnitten. »Wie bei einem Giggerl«, sollte er später seinem Sohn erklären und nie wieder ein Huhn schlachten.
»Ja, Bluatverreck«, murmelte er und schnappte nach Luft. Im selben Augenblick wurde ihm so schlecht, daß er sich übergeben mußte.
Um ein Haar wäre er selbst in die Grube gefallen. Das Würgen ließ nicht nach. Auf allen vieren kroch er über den Hof und lehnte sich keuchend an die Hauswand. Sein Herz klopfte wie wild. So etwas Entsetzliches hatte er noch nie gesehen - und er wollte es auch nie wieder sehen. Möglicherweise hatte ihm auch seine Phantasie einen bösen Streich gespielt. Seine Frau hatte recht. Er mußte damit aufhören, schon zu Mittag eine Halbe zu trinken und am Abend dauernd Krimis zu gucken. Gerade das sollte er sich abgewöhnen. So etwas ließ ihn nur Gespenster sehen.
Aber allein, nein, allein würde er nicht noch einmal zurück zur Sickergrube gehen. Nicht um Tod und Teufel. Da mußte jemand mitkommen - selbst auf die Gefahr hin, daß er sich lächerlich machen würde. Es war ihm egal. Er hoffte sogar, daß dieses schreckliche Erlebnis mit einem Lachen in Wohlgefallen aufgelöst werden konnte, auch wenn es ihm unwahrscheinlich erschien. Sollte doch ganz Kleinöd über ihn lachen. Hauptsache, er mußte das Ding nicht wieder sehen.
Eduard Daxhuber hatte sich gerade eine Flasche Bier geöffnet, als es an der Tür klingelte. »Otti, gehst du?« rief er, aber seine Frau gab keine Antwort. Er stellte das Bier zur Seite, strich sich übers Haar und überprüfte den Sitz seines blaugrün gestreiften Jogginganzuges. Er hatte wieder einmal vergessen, die Papiertaschentücher aus den Hosentaschen zu nehmen. Schnell griff er danach und warf sie in den Schirmständer. Diese Dinger beulten die Hosen wirklich äußerst unvorteilhaft aus, und es könnte ja sein, daß ein Wunder geschah und Perdita Bachmeier, die attraktivste Frau, die das Dorf je gesehen hatte, vor seiner Tür stand und nach einem Ei oder etwas Milch fragte - da war es nur klug, einigermaßen interessant und gepflegt auszusehen, man konnte ja nie wissen!
Er öffnete die Tür und hielt sich augenblicklich die Nase zu. »Au weh, der Sepp! Was willst denn du um die Zeit? Ja Herrschaftszeiten, hast du grad deinen Misthaufen umg'schaufelt, oder was? Du stinkst ja wie der Teufel!«
»Das mußt du dir anschaun, das glaubst du ned. Ja Bluatsakrament. Schick dich, geh weiter.«
Joseph Langrieger würgte und übergab sich erneut - direkt auf die Terrakottastufen seines Nachbarn.
Eduard Daxhuber wurde wütend. »Ja spinnst denn du komplett, was speibst mir denn da her?«
»Mir ist so schlecht. Komm, schau's dir selber an. Bittschön.«
»Ja, was denn nachad?«
»Das Trumm.« Joseph Langrieger beschrieb mit einer weit ausholenden Armbewegung einen riesigen Gegenstand.
»Ein Trumm also. Von mir aus, wenn es denn unbedingt sein muß um die Zeit. Aber danach machst deinen Dreck da weg. Was meinst, was mir meine Alte sonst erzählt!«
»Freilich.« Der alte Mann nickte. Er zitterte.
»Wart, ich nehm grad noch eine Taschenlampen mit. Bei dir drüben ist es ja stockfinster. Stromausfall, ha, und jetzt siehst auch noch G'spenster. Wird höchste Zeit, daß deine Alte wieder heimkommt vom Krankenhaus.«
Joseph Langrieger schwieg und ging gebeugt hinter Eduard Daxhuber her. Sie überquerten die Straße. Erster Herbstnebel stieg aus den umliegenden Feldern auf.
»Also, wo genau soll das Trumm denn sein?« Der Frührentner in seinem Jogginganzug schritt schnell voran. Er wollte diese Aktion und den stinkenden Nachbarn so schnell wie möglich hinter sich bringen, um endlich wieder an sein Bier zu kommen.
»I . in d. d. der Odelgruben.«
»Geh weiter, Sepp, deswegen brauchst doch ned gleich auch noch zum Stottern anfangen. So wild wird's schon ned sein. Hat dir dein Bub denn noch ned oft genug g'sagt, daß du die Gruben ned heimlich selber ausleeren sollst? Mir im Dorf ham uns doch auch darauf verständigt, daß das keiner mehr so macht. Das hast jetzt davon. Da treten nämlich Dämpfe aus, und die gehn dir ins Hirn. Ehrlich. Glaub mir was, direkt ins Hirn!« Demonstrativ tippte er sich gegen die Stirn. »Stinken tust eh, als wenn's dich selber einig'haut hätt.« Eduard Daxhuber lachte, verschluckte sich an seinem Lachen und richtete den Lichtkegel der Taschenlampe ins Grubeninnere.
Dann blieb er wie angewurzelt stehen und starrte in das stinkende Loch. »Kreuzteufel«, murmelte er. »Das gibt's doch ned. Ja, wie kommt denn jetzt nachad der da eini?«
»Siehst denn du den jetzt womöglich auch?«
»Jawohl, und mir wär's grad lieber, du hättst mich gar ned erst da dazu herg'holt.«
»Und jetzt? Was sollen mir denn jetzt machen?«
»Polizei holen.« Er unterbrach sich kurz. »Du warst's ned, oder?«
»Was?«
»Du hast den ned umbracht und da einigschubst?«
»Bist narrisch?« Joseph Langriegers Stimme klang schwach. Er zitterte immer noch und flüsterte dann: »Du, da kommt deine Alte.«
»Geh hin, sei so gut. Die soll ja ned herkommen.«
»Wo bist denn allerweil? Mir wollten uns doch miteinander den Musikantenstadl anschaun. Die Live-Übertragung aus Shanghai. Du hast die Sendung doch extra noch ang'strichen in der Fernsehzeitung.« Ottilie Daxhuber hatte sich einen Mantel über ihre Hauskleidung geworfen, die seit Jahr und Tag aus Leggins und überlangen Blusen bestand. An den Füßen trug sie...
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