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Zwei Tage vorher
Hannah hatte keine Ahnung, was sie in Wildbrunn erwarten würde. Im Netz hatte sie über den Ort selbst nicht viel erfahren können, nahezu alle Einträge bezogen sich auf das »Burning Valley Festival« - »Das Treffen der letzten Hippies, Tramper und Landfahrer«, wie das alljährliche Fest zur Mittsommernacht angekündigt wurde. Mit entsprechender Musik aus den sechziger und siebziger Jahren, mit Nacktbaden im Fluss und freier Liebe unterm Sternenhimmel, vor allem aber mit genügend bewusstseinserweiternden Substanzen, um die Berge des Voralpenlandes unversehens auf Himalaya-Höhe anwachsen zu lassen. Und als Höhepunkt schließlich das große Feuerspektakel auf dem langgezogenen Bergkamm zum Gipfel des Katzenkopfs hinauf, des Hausbergs von Wildbrunn. Eine Vielzahl lodernder Feuer, aufgereiht wie an einer Perlenschnur, die zusammen mit den Feuern auf der Festivalwiese das ganze Tal in ein einziges Flammenmeer zu verwandeln schienen.
Das große Feuerspektakel, bei dem wieder jemand »brennen« würde, wie es in dem anonymen Schreiben hieß, das bei der Polizei eingegangen und zeitgleich auch auf den verschiedenen Festival-Accounts bei Facebook, Instagram und X aufgetaucht war:
ES WIRD WIEDER JEMAND BRENNEN.
Die Kombination aus der eindeutigen Morddrohung und dem spirituellen Hintergrund des Hippie-Treffens hatte Hannahs Abteilung ins Spiel gebracht, die Sondereinheit für Sekten, Psycho-Organisationen und okkulte Gruppierungen, auch kurz SPOG genannt.
Laut der Informationen, die Hannah bekommen hatte, waren der Ort und das Festival aufgrund der »Feuertoten« zu einiger Berühmtheit gelangt, es gab da in der Vergangenheit eine auffällige Häufung von Selbstmorden und Unglücksfällen, immer zur Zeit der Sommersonnenwende bei den traditionellen Feiern in der Mittsommernacht. Tatsächlich hatte es auch schon mal einen möglichen Mordfall gegeben, zwei Jahre zuvor war eine junge Frau während des Hippie-Treffens zu Tode gekommen, der Fall war mit dem Verdacht auf ein Tötungsdelikt untersucht, dann aber als ungeklärt zu den Akten gelegt worden. Der Kommissar aus der nahegelegenen Kreisstadt, der damals die Ermittlungen geleitet hatte, war kurz darauf verstorben, die jetzige Hauptkommissarin war seine Nachfolgerin.
In Wildbrunn selbst gab es nur eine kleine Polizeistation, die für die Zeit des Festivals immerhin auf drei Beamte aufgestockt wurde - von denen sich allerdings einer gerade krankgemeldet hatte, wie die neue Hauptkommissarin Hannah mitteilte. Hannah hatte die Kollegin, mit der sie zusammenarbeiten sollte, am Vormittag kennengelernt, gleich nachdem sie in der Stadt angekommen war und im Hotel eingecheckt hatte.
Antonia Martin war ein paar Jahre jünger als Hannah, Hannah schätzte sie auf Anfang bis Mitte dreißig. Groß gewachsen, sportlich, durchtrainiert, ein Twiggy-Typ mit hochstehenden Wangenknochen und leicht schrägen, fast grünen Augen. Zusammen mit den halblangen und fast schwarzen Haaren erinnerte sie Hannah an die irische Schauspielerin in einem Film, dessen Titel sie ebenso wie den Namen der Irin längst wieder vergessen hatte.
Auf jeden Fall gefiel Hannah die Frau, sie fand Antonia Martin auf Anhieb sympathisch. Die Sympathie schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen, »nenn mich Toni«, sagte die Kollegin, als sie mit Hannah über den Parkplatz zu ihrem Auto gingen. Einem feuerwehrroten Alfa Cabrio, »war nicht so teuer, wie er aussieht«, erklärte Toni, als sie den Motor startete. »Ist auch schon fast zwanzig Jahre alt, aber ich stehe nun mal auf Autos, die auch noch aussehen wie Autos und ein bisschen was hermachen, vor allem an der Ampel, wenn die Typen in ihren Möchtegern-Panzern links und rechts von mir ordentlich nervös werden.«
Spätestens jetzt hatte Toni alle Dämme gebrochen und Hannah vollständig für sich eingenommen. Was sich auch nicht änderte, als sie Hannah über die Situation ins Bild setzte, die die besagte Morddrohung so durchaus realistisch erscheinen ließ: »Meinen ersten Toten hier hatte ich letztes Jahr, ebenfalls während des Festivals, quasi als Einstieg in den Job, da war ich gerade erst ein paar Monate in der Stadt. Aber ich glaube, wir sollten uns auf die Tote im Jahr davor konzentrieren, das Hippie-Mädchen! Der Fall ist nie aufgeklärt worden, ich bin mir aber sicher, dass es ein Mord war, anders als der Tote im letzten Jahr.«
Natürlich wusste Hannah auch von dem Toten im vorigen Sommer, da war es eindeutig ein Unfall gewesen, nach dem kurzen Vermerk in den Akten war der Mann zum Opfer der Flammen geworden, als er heillos betrunken in eins der Feuer am Berg gestolpert war.
»Okay«, sagte Hannah, »erzähl mir mehr von dem Hippie-Mädchen vor zwei Jahren. Die Frau ist ebenfalls im Feuer umgekommen, stimmt das?«
»Als Puppe verkleidet ins Feuer geworfen und verbrannt«, bestätigte Toni, während sie unter gleichzeitigem Einsatz von Hupe und Gaspedal einen Lieferwagen überholte, um dann gerade noch vor dem Gegenverkehr wieder auf die rechte Fahrbahn zu wechseln. »Eine Hexenverbrennung, nichts anderes«, setzte sie mit zusammengekniffenen Lippen hinzu. »Eine Frau, die ihnen aus irgendeinem Grund nicht gefiel. Vielleicht weil sie sich nicht an die Regeln gehalten hatte, was auch immer für Regeln das sein mögen. Oder sie war . auserwählt, als Opfergabe! Um die Welt zur retten, Love and Peace!«
Tonis Stimme triefte nur so vor Hohn, gleich darauf schüttelte sie den Kopf, als wollte sie sagen, dass selbst das Unmögliche durchaus vorstellbar war. »Nach dem wenigen, was die Spusi noch von ihr gefunden hat, war sie als Peterl-Puppe verkleidet, so wie sie das hier seit Ewigkeiten machen. Nur dass es da tatsächlich Puppen sind und keine Menschen. - Was weißt du über Hippies?«, fragte sie so unvermittelt, dass Hannah einen Moment brauchte, um die passende Antwort zu finden.
»Mein Vater war einer - und ist dann trotzdem Bulle geworden.«
Sie ließ den Satz ohne weitere Erklärung in der Luft hängen, als wollte sie sehen, was Toni damit anfangen würde.
Toni reagierte, ohne zu zögern, als wäre die Schlussfolgerung vollkommen logisch: »Du willst sagen: Nicht einschätzbar? Es können ganz normale Typen sein genauso wie . echte Spinner?«
»Nicht einschätzbar«, bestätigte Hannah. »Passen nicht unbedingt in irgendeine Schublade. Mein Vater selbst hat es mal so formuliert: >Nicht jeder, der lange Haare hat und wie ein Hippie aussieht, ist deshalb gleich ein netter oder friedliebender Mensch.< - Oder in meinen Worten: Der größte Hippie kann sich als der größte Spießer entpuppen, ist nun mal leider so. Trau nie dem ersten Eindruck.«
Unwillkürlich musste Hannah an die Reiterferien in Irland denken, als sie auf dem Markt in Bantry zum ersten Mal eine Gruppe von Convoy-Hippies gesehen hatte. Lkw-Hippies. New Age Travellers. Oder auch einfach »Crusties«, wie einer der Iren an den Marktständen sie nach der angeblichen Dreckkruste unter den bunten Klamotten nannte. Sie waren bei den Leuten im Ort nicht beliebt, so viel wurde schnell klar, es hieß, sie würden in kleineren Dörfern auch ohne Skrupel den Laden plündern und alles mitgehen lassen, was nicht niet- und nagelfest war. Jedenfalls sah man sie lieber wieder fahren als kommen.
Hannah wollte die Schauermärchen nicht glauben, sie dachte bei Hippies an Woodstock, an kiffende Typen, die zu lauter Musik in ekstatischen Verrenkungen tanzten. So wie ihr Vater auf den Fotos aus seiner Jugend. Bis sie dann dort in Bantry mit ansehen musste, wie einer der Rastazopf-Typen seine vier kleinen Kinder der Reihe nach mit Stiefeltritten bedachte und sie unflätigst beschimpfte, bevor dann auch noch der jaulende Hütehund eine Tracht Prügel abbekam .
Tonis Stimme riss sie aus ihrer wenig schönen Erinnerung.
»Das mit deinem Vater habe ich nicht ganz verstanden. Er war echt ein Hippie?«
»Haare bis zum Arsch, Wohngemeinschaft und immer genug Dope, um glücklich zu sein, so ganz nach dem Motto: Hast du Haschisch in den Taschen, hast du immer was zu naschen!« Hannah lachte kurz auf. Wie um die Idiotie des Reims zu unterstreichen.
»Und dann?«, fragte Toni. »Ich meine, wieso .«
»Wieso er zur Polizei gegangen ist? Er behauptet, weil er etwas dazu beitragen wollte, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, ein >guter Bulle< zu sein, tatsächlich ein Freund und Helfer. Ich glaube ihm! Und im tiefsten Inneren ist er immer noch der alte Hippie, der einen Streit lieber mit Worten als mit der Waffe löst und überzeugt davon ist, dass Kriminelle nur das Resultat einer kapitalistischen Gesellschaft sind.«
Toni zog die Augenbrauen zusammen. »Klingt schräg, überzeugt mich auch nicht. Und du, was sagst du dazu?«
»Ich mag weder Jimi Hendrix noch den Geruch von Patschuli«, wich Hannah einer konkreten Antwort aus. Sie mochte diese Toni, dennoch hatte sie plötzlich das Gefühl, viel zu viel Persönliches von sich zu erzählen. Sie kannten sich ja gerade erst seit einer knappen Stunde, und umgekehrt wusste sie von der Kollegin noch gar nichts. Im Übrigen war sie hier, um zu klären, was es mit dieser anonymen Morddrohung auf sich hatte. Nicht mehr und nicht weniger.
Das Ortsschild von Wildbrunn war mit schwarzer Farbe übersprüht, statt »Wildbrunn« stand da jetzt »Burning Valley«. Weder Hannah noch Toni kommentierte das Graffito.
Toni bog in...
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