Schweitzer Fachinformationen
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Es war jetzt August, und die Arktis zeigte sich von ihrer freundlichsten Seite. Die Sonne schien, die Eisberge glänzten wie Marmor, das Wasser in der Bucht leuchtete blau und eine warme Brise machte das Leben im Freien zu einer wahren Freude. Mr. Peary, der auf Krücken recht schnell einigermaßen mobil geworden war, saß in der Sonne vor dem Haus und genoss die belebende frische Luft. Von Zeit zu Zeit nahm er sein Notizbuch und versuchte, den Ausblick in poetische Worte zu fassen.
«Alles war Wärme und Licht und überbordendes Leben. Ein, zwei Rentiere grasten entspannt auf den mit Moos und Blumen bewachsenen Hängen, die sich die ganze Südküste entlang zwischen der Wasserkante und den rotbraunen Felsen ziehen, die den Fjord einrahmen und das Inlandeis zurückhalten. Tief in den Tälern, die das Wasser in den Sandstein und die Basaltschichten rund um die Bucht gegraben hat, plätscherten Bäche, die aus der Ferne wie silberne Bänder aussahen. Scharen von Schnee-Ammern zwitscherten und zirpten, und Millionen kleiner Alke erfüllten die Luft mit quengeligen Rufen und dem schnellen Schlagen ihrer schwirrenden Flügel. Das Eis füllte noch einen Großteil der Bucht. Ein breiter Fluss verlief in der Nähe der Küste. Die glitzernden Eisberge trieben auf einem offenen See, in dem sich Robben, Narwale und Schulen von weißen Walen tummelten.»[14]
Jo konnte die brodelnde Ungeduld in ihrem Mann spüren. Immer wieder hatte er betont, wie entscheidend diese wenigen Wochen vor Beginn des Winters für das Gelingen der Expedition wären. Jetzt galt es, Fleisch in ausreichenden Mengen zu besorgen, also auf die Jagd zu gehen und Vorräte anzulegen. Auch hatten sie berechtigte Hoffnung, hier in der Gegend Inuit anzutreffen - sie hatten schon Reste verlassener Siedlungen gesehen -, und den Kontakt zu diesen Menschen nahm man besser jetzt auf, solange die Tage noch hell waren und Reisen vergleichsweise einfach.
Solange die Bucht eisfrei war, konnten sie ihre Boote benutzen. Sie hatten zwei schlanke, stabile Walfängerboote, die sie mit der Kite hergebracht hatten: Die Faith. Und die Mary Peary, benannt nach der Mutter des Expeditionsleiters, die nach dem frühen Tod des Vaters ihren Robert allein groß gezogen hatte und diesen über alles liebte.
Mr. Peary bestellte die Jungs ein. Sie sollten die Faith nehmen und ohne ihn losfahren: Robben jagen, Vögel schießen und herausfinden, wo die eingeborenen Nachbarn lebten. Für jeden Einzelnen seiner Männer hatte er die Aufgaben im Vorhinein festgelegt. Schriftlich. In bester Marine-Manier.
«Dr. Cook. Sir. Sie werden Nummer zwei sein bei der Expedition nach Herbert, Northumberland und Hakluyt Island. Und im Falle eines schweren Unfalls von Mr. Gibson werden Sie sein Kommando übernehmen. Während der Expedition werden Sie sorgfältig die Positionen aller Eskimo-Behausungen und der Dörfer notieren, die Sie entlang der Küste besuchen, und Sie werden sie ausführlich beschreiben - die Bauweise, die Größe, das Material und so weiter. Sollten Sie Eingeborene antreffen, werden Sie sich bemühen, von ihnen Rentier-, Bären- und Polarfuchsfelle zu bekommen, vor allem aber Kamiks (Robbenleder-Stiefel, Anmerkung der Übersetzerin). Sie werden sich bemühen, den Eingeboren zu erklären, wo sich unser Haus befindet und dass sie hier bei uns begehrenswerte Gegenstände im Tausch für ihre Felle und ihre Werkzeuge bekommen können. Wenn machbar, werden Sie einen Mann und eine Frau (Besitzer von einem Kajak und Ausrüstung) davon überzeugen, mit Ihnen zurückzukehren und den Winter in der Nähe des Hauses zu verbringen. Sollte dies nicht gelingen, könnten Sie es vielleicht schaffen, zumindest einen Mann mit seinem Kajak mit zurückzubringen. Als Ansporn könnten Sie ihm vielleicht die Idee übermitteln, dass er ein Gewehr zur Verfügung gestellt bekäme.»
Gibson, als der erfahrenste, bekam den Befehl, beim Segeln stets Ausguck zu gehen, um nicht mit Eisbergen zu kollidieren, und ordentlich Logbuch zu führen. Verhoeff sollte das Wetter im Blick behalten und Astrup Skizzen und Pläne der Inuit-Siedlungen anfertigen.
Am 12. August luden die Männer Proviant und Ausrüstung in die Faith, ein schmales, stabiles Walfängerboot mit Spritsegel und langen Riemen, und legten ab. Diesmal sollte Jo nicht mit Mr. Peary allein bleiben. Auch Matt blieb zurück, sie würden sich zu dritt darum kümmern, das Haus fertig zu bauen.
Jo besah ihre Schätze. Da war nicht viel, das dazu taugte, es sich gemütlich zu machen. An allen Ecken und Enden war zu spüren, dass dies eine Expedition war und kein Umzug. Und das hieß auch, dass sie sich in die Umstände fügen musste. Anklänge an die bürgerliche Gemütlichkeit, die sie von zu Hause kannte, fehlten hier gänzlich. Als Vorhänge zum Beispiel mussten zwei große Fahnen herhalten: das Banner der National Geographic Society in Washington D. C. sowie das Banner der Philadelphia Academy of Natural Sciences. Jo besah den weichen seidigen Stoff, hängte ihn vors Bett und band ihn zur Seite. So würden sie morgens als Erstes und abends als Letztes wissen, in wessen Auftrag sie reisten, und der Schwung erinnerte ein wenig an die Gardinen vor den hohen Fenstern in ihrem Elternhaus. Sie hatte sich ein kleines Stück Privatraum geschaffen, in dem sie von den Blicken der Jungs abgeschirmt war, und das sie mit Bildern ihrer Lieben dekorierte.
Die Wände wurden - wie in dem anderen Zimmer auch - erst mit dickem Packpapier und dann mit wollenen Decken ausgeschlagen. Dies schenkte den Räumen ein wenig Wärme und verlieh ihnen gleichzeitig einen Hauch von Orient. Auf dem Boden lagen Teppiche, eine Schiffskiste diente als Nachttisch und Sitzgelegenheit. Aus Kisten baute Peary eine kleine Bibliothek. Die wichtigsten Werke der Polarliteratur waren hier zu finden, aber auch ein paar Romane, zur Ablenkung. Ein Gönner hatte ihnen ein italienisches Wörterbuch mitgegeben - allerdings kein einziges Buch auf Italienisch, um den Wortschatz zu nutzen.[15]
Nicht, dass der Raum der Jungs wesentlich opulenter gewesen wäre. Hier stand der Ofen, der die ganze Hütte heizte, entlang der Wände befanden sich Kojen. Anfangs war die Einrichtung recht spärlich, sie schoben einfach Proviantkisten zusammen, später würden sie dann grobe Möbel zimmern.
Jo genoss, dass die Jungs unterwegs waren, so hatte sie Mr. Peary fast für sich allein. Es war so warm, dass sie ohne Mantel über die Hügel wandern konnte, und es war so hell, dass sie sich nach einem Sonnenhut sehnte - nach einem dieser guten alten Stücke aus buntem Baumwollstoff, mit Pappstreifen versteift, die verhindern, dass die Sonne das Gesicht und den Nacken verbrennt. Mr. Peary versuchte, mit Hilfe der Krücken die Nachbarschaft zu erkunden, aber der aufgetaute Boden war so weich, dass seine Stöcke darin versanken und er sie bei jedem Schritt wieder aus dem Sumpf ziehen musste. So beschäftigte er sich damit, die geographische Länge und Breite ihrer Position genau zu bestimmen. Von Zeit zu Zeit rief er Jo zu sich und bat sie, ihm ein paar Blumen zu pflücken, die er dann presste, trocknete und archivierte, wie es Generationen von Entdeckungsreisenden vor ihm getan hatten. Gelber Mohn. Glockenblume. Fingerkraut.
Es war am sechsten Tag dieser beschaulichen Dreisamkeit, dass Matt früh um halb vier aufgeregt bei Jo und Mr. Peary im Zimmer stand und rief: «Sie kommen, Sir!» Einen Moment später landeten die Jungs am Strand vor dem Haus an. Jo sah, dass nicht nur Verhoeff, Cook, Astrup und Gibson an Bord waren, sondern auch ein recht kleingewachsener, ganz in Felle gekleideter Mann. Nur einen Moment später tauchte hinter der Bordwand eine Frau auf, die fast vollständig nackt war. Die Jungs standen daneben und sahen erst hin und dann weg, um dann doch auf den blanken Busen zu starren. Die Frau war völlig ungeniert. In aller Ruhe hob sie ein Baby aus dem Boot, nahm es auf den Rücken und zog einen Anorak über sich und das Kind.
Dann luden die Jungs aus: 130 Dickschnabel-Lummen hatten sie erlegt und mitgebracht, dazu, wie gewünscht, eine Inuit-Familie mit einem Kajak und einer Harpune, einem Schlitten und einem kräftigen, pelzigen Hund. Sie hatten unterwegs auch ein Walross erlegt, aber das war so schwer gewesen, dass sie es nicht hatten aufladen können. Stattdessen hatten sie es draußen am Cape Cleveland festgebunden, um später zurückzufahren und es vor Ort zu zerlegen.[16]
Die Inuit näherten sich dem Haus. Sie waren neugierig. Die Männer hatten ihnen mit Händen und Füßen die weiße Frau beschrieben, die dort mit ihrem Mann lebte. Sie wollten die beiden sehen, wollten wissen, was es auf sich hatte mit diesem seltsamen Paar. Aufmerksam musterten sie Mr. Peary und Jo, sie umkreisten sie ganz langsam, um sie ganz genau zu untersuchen. Vor allem Jo weckte ihr Interesse: Ihr akkurat geflochtenes und hochgestecktes Haar, die modisch aufgebauschten Keulenärmel, ihre geschnürte Taille und das ausstaffierte Hinterteil.
«Soonah koonah?», fragte der Mann.
Jo sah ihn ratlos an.
«Was meint er?», wollte sie von Dr. Cook wissen, der nicht nur als Arzt, sondern auch als Ethnologe angeheuert hatte. Der Kontakt zu den Eingeborenen fiel in seinen Bereich. Doch sein Vorsprung, was die Sprache der Inuit anbelangte, betrug gerade einmal 24 Stunden. Erst einen Tag zuvor war er an dem einfachsten aller Sätze gescheitert, als eine Inuit-Frau ihn fragte: «Ahtingah?» Sie hatte nicht lockergelassen,...
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