Schweitzer Fachinformationen
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Hausmeisterin Elizabeth stützte sich gerade auf dem Schneeschieber ab. Ihre dicke Wollmütze saß ihr tief in der Stirn, von der der Schweiß rann. Sie hasste die sogenannte weiße Pracht. Sah nur in dem Moment beschaulich aus, wenn sie vom Himmel herabschwebte. Aber sobald alles auf dem Boden lag, entwickelte es sich binnen kürzester Zeit zu dreckigem, schmierigem Matsch. Vor allem hier in der Stadt. Außerdem war es die pure Sisyphusarbeit. Kaum war sie fertig, konnte sie von vorn beginnen, weil ein Schneeschauer auf den nächsten folgte.
Elizabeth mit z, wie Elizabeth II, die britische Königin, zog die Nase hoch. Es war ihr zu kalt und zu umständlich, die Handschuhe auszuziehen und ein Taschentuch herauszuholen. Immerhin war das Hochziehen deutlich eleganter als die Variante von Edgar, der in solchen Fällen die Finger an die Nase legte und den Rotz auf die Straße schleuderte, egal von wo der Wind kam. Als waschechte Charlottenburger hatte er das in solchen Fällen stets grinsend bezeichnet. Ihr war es völlig egal, wie er das benannte. Sie fand es nur ausgesprochen eklig. Zum Glück blieb ihr auch das seit geraumer Zeit erspart.
Warum sie ihn einst geheiratet hatte, das wusste sie nicht mehr. Es mochte der Name gewesen sein. Vorneweg schon selbst königlich und dann im Anschluss König. Allerdings brachte ihnen das als Hausmeisterehepaar auch keine Pluspunkte ein. Seit unzähligen Jahren gingen sie und die vielen Mieter durch diese inzwischen marode Eingangstür, wohnten unter einem Dach. Das vereint, sollte man meinen, aber weit gefehlt. Und nun stand auch noch Weihnachten vor der Tür.
Elizabeth griff zornig erneut an den Stiel ihres Schneeschiebers und erzeugte eine freie Spur von der Haustür zum Abstellbereich für die Mülltonnen. Zwischendurch schaufelte sie das Zusammengeschobene auf die Berge am Rande. Wenn das so weiterging, waren hier andere Maßnahmen nötig, dann musste der städtische Entsorger sich auch mal darum kümmern und die Schneemengen per Lkw an den Rand der Stadt schaffen.
Während des Schiebens legte sie mehrere gefrorene Hundehaufen frei und ärgerte sich sofort darüber. Das war doch bestimmt dieser Köter aus dem Haus. Peggy, wenn sie sich recht entsann. Wie konnte man einen Vierbeiner bloß so eigenartig benennen, war das nicht mal der Vorname einer Schlagersängerin .? Dabei hatte sie überall die Schilder angeklebt mit einem hockenden Hund, der sein Geschäft verrichtete und das in einem roten Kreis mit schräg verlaufendem Balken. Das war ja wohl mehr als verständlich und kam völlig ohne Worte aus. Aber nein, die lieben Hundebesitzer dachten mal wieder keinen Schritt weiter. Nur schnell ausscheißen lassen und dann so tun, als wäre es der kleine Liebling nicht gewesen. Man sollte sowieso alle Tierhaltung in einem Mietshaus verbieten. Brachte nichts als Ärger. Jede Menge Gestank und Krawall. Und vielleicht sogar noch Ungeziefer. Hatten die Viecher nicht auch Flöhe und Zecken? Elizabeth schüttelte sich bei diesen Überlegungen.
Ihr Blick fiel auf einen Passanten. War das nicht Sybilla, die sich da langsam dem Eingang näherte? Konnte ja eigentlich nicht sein. Neulich erst hatte die Hausmeisterin das Stichwort Urlaub auf irgendeiner Ostseeinsel im Flur aufgeschnappt. Nur deren Namen hatte sie vergessen. Aber von einem gemeinsamen Ausflug der Schwestern war die Rede. Welcher Idiot fuhr denn im Dezember auf so eine einsame Insel? Im Sommer ja, da konnte man sich dort in der Sonne aalen und in den Sonnenuntergang starren sowie am Imbiss leckere Fischbrötchen verzehren. Elizabeth rieb sich mit dem Fäustling in den Augen. Ach nein, die Schwester Swenja. Die beiden glichen einander ja dermaßen, obwohl sie keine Zwillinge waren. Hatte man eigentlich eher selten. Zumal die in ihrer Kindheit total unterschiedlich aussahen, erinnerte sich Elizabeth an ein Foto, das sie bei einem Handwerkereinsatz in der Wohnung entdeckt hatte.
"Nanu", eröffnete Elizabeth das Gespräch, als Swenja auf ihrer Höhe angelangt war, "ganz allein? Ich denke, Sie wollten mit Ihrer Schwester zusammen die frische Seeluft genießen!"
Auch so ein Schwachsinn, frische Seeluft um diese Zeit! Und dann im Zusammenhang mit Genuss. Da blieb man doch lieber mit seinem Arsch daheim, galoppierten Elizabeths Gedanken weiter.
"Guten Abend", kam es zögerlich von Swenja und dann erklärend: "Ja, wir waren auf der Insel. Aber ich musste zurück. Die Pflicht ruft, wissen Sie. Ich konnte mir nicht länger freinehmen. Und Sybilla wollte noch ein wenig im Urlaub bleiben, die Auszeit quasi allein verlängern ."
"Hm?!"
"Eigentlich will ich nur fix nach der Post schauen. War nett, mit Ihnen zu plaudern, aber jetzt muss ich los. Bin auch gleich wieder verschwunden. Ihnen noch eine schöne Adventszeit!"
Swenja schaute nervös auf ihre Armbanduhr. Und im selben Augenblick war sie, ohne ein weiteres Echo abzuwarten, im Haus verschwunden.
Schöne Adventszeit, auch so ein frommer Spruch, entrüstete sich Elizabeth innerlich. Was ist denn daran schön, wenn ich in der Kälte hier draußen stehe und mir der Frost durch die Knochen kraucht?
Swenja leerte in Windeseile den Briefkasten und sauste ins Treppenhaus, dort nahm sie bis zur ersten Etage immer zwei Stufen auf einmal. Dass am Fahrstuhl das übliche Schild "Außer Betrieb" hing, nahm sie nicht wahr. Für den kurzen Weg hatte sie sowieso noch nie auf diese Transporthilfe gebaut, selbst nicht mit reichlich Gepäck. Es roch in diesem engen Kasten immer nach irgendwas. Es reichte ihr schon völlig aus, wenn sie den Mief wahrnahm, während andere Bewohner ein- oder ausstiegen.
Swenja verlangsamte ihr Tempo nur etwas, stieg mit raschen Schritten die weiteren Stufen nach oben. Ihre feine Nase witterte weiter. Es roch muffig im Flur, nach alten Leuten, die ihrer Körperhygiene nicht mehr so viel Zeit widmeten, vielleicht auch nach Inkontinenz. Sie rümpfte die Nase und hatte schon die Etage hinter sich gelassen. Von den Mietern dort wusste sie nicht viel. Ein älteres Ehepaar, das sie bislang kaum zu Gesicht bekommen hatte.
Augenblicke später befand sich Swenja vor der Wohnungstür ihrer Schwester und atmete tief durch, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte. Die Tür zog sie gewissenhaft hinter sich zu und ließ sich im Wohnzimmer in einen Sessel fallen. Dort schloss sie die Augen und tauchte in ihre Erinnerungen ab .
. Eintönig dröhnte das Nebelhorn. Sein Klang schien sich in den Feuchtigkeitsfetzen zu verfangen, die in der Luft hingen. Swenja zog die Kordel ihrer Kapuze fester und band mit klammen Fingern zum wiederholten Mal eine Schleife, die sich immer wieder nach einer Weile löste und dabei den Wetterschutz vom Kopf rutschen ließ. Doch zu einem Knoten konnte sie sich nicht durchringen, das hätte sie zu sehr am Hals beengt, ihr wieder diese panikartigen Zustände verschafft, bei denen sie nur hechelnd atmete, weswegen sie schon in psychologischer Behandlung war. Aber nichts half.
Ihr schmerzten die Ohren von dem durchdringenden Warnton, der in regelmäßigen Abständen erneut Anlauf nahm und machtvoll anschwoll. Am liebsten hätte sie sie mit den Händen zugehalten, aber das hätte nichts gebracht. Das Brummen des Signals ließ ihren gesamten Körper vibrieren.
Swenja stapfte durch den nassen, schweren Sand. Das Leder der Sportschuhe war am unteren Rand schon dunkler geworden, und sie spürte fröstelnd, dass die Feuchtigkeit bereits bis auf die Socken durchgedrungen war. Sie hätte sich besser für gefütterte Gummistiefel entscheiden sollen, aber bei Reiseantritt schien noch die Sonne. Deshalb hatte sie die auch gar nicht in Erwägung gezogen.
Es roch intensiv nach dem Schlick, in dem sich graue Schaumkrönchen tummelten. Jetzt blieb sie stehen, wischte sich die Nässe aus dem Gesicht und blickte Sybilla hinterher, die forschen Schrittes fast fünfzig Meter vor ihr lief. In dem Moment verhielt auch die Schwester und drehte sich um. Sie winkte lebhaft und rief lautstark: "Jetzt komm aber mal in die Hufe, alte Trödelliese!"
Bekannte Worte, die nach Kindheit klangen. "Alte Trödelliese!" Wie oft hatte die Mutter das mit einer Zornesfalte auf der Stirn von sich gegeben, und die kleine Schwester griff es dann jedes Mal auf, um es wie eine Schallplatte mit einem Sprung zu wiederholen, bis die Mutter sie lächelnd stoppte, sie in die Arme schloss und ihr zärtlich über die blonden Locken strich. Und sie? Sie stand daneben, konnte sich nicht rühren, war wie gelähmt.
Swenja beschleunigte ihre Schritte, um Sybilla einzuholen, die ihren Weg schon wieder fortgesetzt hatte. Es dauerte nicht lange, dann waren die beiden Frauen auf gleicher Höhe.
"Na, aufgewacht, Schwesterlein?", erkundigte sich Sybilla mit einem Grinsen im Gesicht und stieß sie freundschaftlich in die Seite.
"Wir sind schließlich auch hier, um die Schönheit der Natur zu genießen", lenkte Swenja ein und ärgerte sich im selben Augenblick über ihre Antwort. Da war sie wieder, diese ewige Rücksichtnahme, dieses laufende Sich-entschuldigen-Müssen.
Sybilla lachte auf.
"Na, du bist gut. Es ist ein Scheißwetter, und du willst hier irgendwelche Schönheiten genießen. Dass ich nicht lache. Hast ja einen wunderbaren Termin für unseren Ausflug ausgesucht. Wie immer. Da höre ich einmal auf dich und gleich geht alles in die Binsen. Wir hätten doch die Malediven für einen ordentlichen Trip zu dieser Jahreszeit nehmen sollen. Ich hätte das auch notfalls gesponsert, immerhin liegt mein Gehalt geringfügig höher als das deinige. Da könnten wir jetzt gemütlich unter einem Sonnenschirm relaxen und einen exotischen Drink nach dem...
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