Schweitzer Fachinformationen
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"Da, da ."
Ninas ausgestreckter Zeigefinger wies in die Richtung, aus der der Geräuschpegel allmählich anschwoll. Von einem Wirbel direkt oberhalb der Stirn standen ihr ein paar Haare widerspenstig in die Höhe.
"Ja, mein Liebes. Von da kommt der Aufmarsch."
Simone strich ihrer Tochter liebevoll über den Kopf, in dem vergeblichen Versuch, die freche Strähne zu bändigen, beugte sich über sie und zog ihr mit den Händen das pinkfarbene Shirt zurecht.
Die beiden hatten einen guten Platz mit bester Sicht ausgewählt, immerhin waren sie rechtzeitig eingetroffen, sodass sich jetzt niemand vor ihnen befand. Dicht gedrängt standen die Menschen am Straßenrand, erwartungsvoll immer wieder in die eine Richtung schauend und angeregt miteinander plaudernd.
"Als die Reiter jetzt in der Stadt Probe geritten sind, haben sie gleich ihre Spuren auf dem neuen Pflaster hinterlassen", sagte ein korpulenter Mann mittleren Alters mit vorwurfsvollem Unterton und schüttelte dabei energisch den Kopf.
"Tja, da haben wir endlich mal einen frischen Belag, und schon wird alles wieder ramponiert", entgegnete sein um einiges jüngerer, sehr schlanker Nachbar.
"Wobei ich gar nicht glaube, dass die Pferde schuld sind. Wenn man mal sieht, wie hier be- und entladen wird, dann stehen einem die Haare zu Berge", warf ein dritter, grau melierter Mann ein.
Der zweite, hagere Herr meldete sich noch einmal zu Wort: "Egal, wer der Verursacher ist, es kommt sicher der Steuerzahler für auf. Also wir!"
"Wobei ich diese helle Farbe sowieso für völlig daneben halte. Ist doch viel zu empfindlich. So ein schönes dunkles Grau in Grau wäre ideal gewesen. Dabei war ja wohl mal die Bevölkerung bei der Auswahl befragt worden. Mich hat jedenfalls keiner um eine Antwort dazu gebeten, noch nie in solchen Sachen! Bin sowieso sehr skeptisch, ob es bei Umfragen mit rechten Dingen zugeht. Was die da immer im Fernsehen und in der Zeitung behaupten .", brauste der Korpulente auf.
"Das wäre ja schon wieder ein anderes Thema", entgegnete der Jüngere grinsend, zündete sich eine Zigarette an und warf das Streichholz auf die Straße.
"Genau", meinte der Erste.
"Da könnte ich mich glatt in Rage reden und höllisch drüber aufregen. Das Pflaster jedenfalls sieht an manchen Stellen schon so aus, als würden die Steine ewig liegen und bräuchten mal dringend einen frischen Schliff!"
"Kommt von den Kaugummis", fiel dem Schlanken spontan ein, während er an der Zigarette sog und die Spitze dabei aufglomm.
"Na, die müsste man besser auch verbieten. Beziehungsweise das Spucken auf die Straße. Soll es ja in anderen Ländern geben, solche Verbote!", schlug der ältere Herr vor.
Jetzt lachten die drei.
Simone hatte nur mit halbem Ohr zugehört. Die Straßenverhältnisse in Minden und irgendwelche Beläge waren ihr ziemlich gleichgültig. Ihr gefiel das Pflaster, vor allem weil es sich leichter passieren ließ als die Kopfsteinausführung an manch anderen Ecken. Sie hatte ihre eigenen Probleme.
Jetzt bog die Bürgerkompanie um die Ecke, und ein Jubel stieg beim Publikum auf. Pferdehufe schlugen aufs Pflaster, die Reifen der Wagen knirschten, ab und an ein Wiehern. Dazu Marschschritte und die passende kraftvolle Musik. Ein farbenfrohes Spektakel, bei dem sich ein ziemlich einhelliges Strahlen auf die Gesichter der Leute im Spalier legte. Abtauchen in eine andere Welt. Weg von den Sorgen des Alltags.
Handküsschen wurden geworfen, Blümchen gereicht, auch mal ein kleines Fläschchen zur Stärkung angeboten . Zylinder pur oder mit Eicheln und Laub, schwarze Fliegen, Epauletten in verschiedensten Ausführungen, diverse Orden auf den vor Stolz geschwellten Uniformbrüsten, lange, bis fast über die Augen reichende schwarze, rote oder auch weiße Schweife auf den Helmen, Blüten am Revers, rot-weiß gestreifte Schärpen .
Nina wurde jetzt lauter und stieß undefinierbare Laute aus. Dabei warf sie sich aufgeregt hin und her. Beruhigend strich Simone ihrer Tochter über den Kopf. Wieder und wieder.
"Es ist alles gut, Ninchen. Schau nur die fröhlichen Farben überall und die hübschen Pferde. Klatsch doch bei der Musik einfach mit", schlug sie vor, hockte sich hin und machte es mit beiden Händen deutlich. Nina grummelte daraufhin friedlicher in sich hinein.
Eine Dame in den Vierzigern, frisch vom Friseur und in edlem Outfit, eine recht großformatige Gucci-Tasche im angewinkelten Ellbogen hängend und leicht an den Körper gepresst, stand in unmittelbarer Nähe der beiden und hatte sie schon länger beobachtet. Erst mit einem mitleidigen Lächeln, dann mit abfällig heruntergezogenen Mundwinkeln.
Simone hatte diesen Blick und den Wechsel im Gesichtsausdruck durchaus bemerkt. Seit ihr Kind die Behinderung sichtbar werden ließ, musste sie damit umgehen, wie die Umgebung reagierte. Und das war nicht unbedingt einfühlsam.
Ein einziges Mal nur hatte sie im Gespräch mit einer Freundin zugegeben, dass ihr schon in der Schwangerschaft ein Arzt gesagt hatte, es könnten später Behinderungen auftreten. Darüber müsse sie sich im Klaren sein. Das war natürlich ein großer Schock. Aber eine Abtreibung wäre für sie nie infrage gekommen. Das war eine Sache des Glaubens und ihrer generellen Lebenseinstellung. Außerdem war das Mädchen ein Wunschkind, auf das sie und Peer lange hingearbeitet hatten. Da würden sie doch alle Probleme der Welt gemeinsam bewältigen können. Voller Glück waren ihre ersten Monate zu dritt gewesen, als dieser kleine Wonneproppen an ihrer Brust lag und sich zunächst sehr gut entwickelte.
Dann der schwere Autounfall von Peer auf der A2. Er hatte mit seinem Transporter in der Höhe von Bad Eilsen am Ende eines Staus gestanden, und hinter ihm war ein übermüdeter Lkw-Fahrer aus Polen ungebremst in ihn hineingerauscht. Die Einsatzkräfte konnten beide nur mühselig aus den zusammengequetschten Teilen herausschneiden und befreien, während auf der gegenüberliegenden Fahrbahn der Verkehr aus der anderen Richtung fast zum Erliegen kam, weil die Masse schauen wollte, was da geschah. Da und dort mit gezückten Handys der Insassen für spektakuläre Aufnahmen. Als er auf dem Asphalt lag, hatte Peer sein Leben schon ausgehaucht.
Aber alles, was geschieht, hat auch seine guten Seiten. Den Spruch kannte Simone von ihrer Mutter, und er half ihr sogar in diesem Fall. Immerhin musste der Vater die Hilflosigkeit seines Kindes nicht miterleben, vielsagende Blicke und dumme Sprüche nicht ertragen. Außerdem gab es im späteren Bekanntenkreis mehrere Beispiele, wo die Ehen eine solche Herausforderung nicht überstanden. Und Simone - sie steckte all ihre Liebe in dieses gemeinsame Geschöpf von Peer und ihr. Die schönen Augen und die dunkelbraune Haarfarbe hatte die Kleine von ihm, selbst den drolligen Wirbel oberhalb der Stirn, und wenn sie ihr Kind ansah, so vermeinte sie ihren geliebten Mann zu erblicken.
Daheim hingen und standen überall Fotos von dem frühen Familienglück. Ihr damals noch dunkelblondes Haar war nach und nach einem vorherrschenden Grau gewichen. Färben wurde ihr auf die Dauer zu teuer, und so beschloss Simone eines Tages einfach zu dieser Farbe zu stehen, schnitt sich auch selbst die Spitzen auf Schulterlänge, um das Geld für Friseurbesuche zu sparen. Inzwischen hatte sie dabei eine ziemliche Geschicklichkeit erreicht.
Die Freundin aber, der sie dieses Geheimnis um ihr Töchterchen anvertraute, hatte nur, während sie ein nächstes Stück Cremetorte geschickt auf ihrer Gabel zum Mund transportierte, gemeint: "Also, wenn du mich fragst, ich hätte so was wegmachen lassen ."
Dann ließ sie den Bissen genüsslich in ihrem Mund zergehen und gab entsprechende Töne von sich.
"Hm, ist das wieder lecker. Diese Konditoren hier im Café sind echte Künstler! Ach, übrigens: Bei einem der nächsten Kuchenwettbewerbe in der Stadt will ich auch dabei sein! Ich habe ja so tolle Rezepte von meinen Vorfahren geerbt. Du glaubst gar nicht, wie die Ergebnisse aus meinem Backofen bei all unseren Aktivitäten im Verein immer ankommen. Meine Torten sind stets zuerst für die guten Zwecke ausverkauft, während so manch andere die Reste mit nach Hause nehmen muss ."
Damit ging sie mit einem leichten Rümpfen der Nase zur Tagesordnung über, nachdem sie alles hinuntergeschluckt und mit etwas Kaffee nachgespült hatte. Das war das letzte Treffen der beiden gewesen.
Simone hätte sich ein dickes Fell zulegen sollen. Aber das entsprach nicht ihrem Naturell. Ignoriere diese Dummköpfe doch einfach, sagte sie sich. Aber ihre Augen bekamen jetzt einen leichten Schleier, und ein paar Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Das ließ sich einfach nicht verhindern. Sie nestelte ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche und tupfte leicht darüber hinweg. So als wären es nur ein paar Schweißperlen, wie sie die Gesichter der Aufmarschierenden zierten. Ihre Fußspitzen bildeten mit der Bordsteinkante eine Linie, auch der Wagen des Kindes stand exakt daneben.
In dem Moment tauchte unter den Reitern ihr Chef auf. Hoch zu Ross, in feinster Uniform, gut gebaut und insgesamt eine blendende Erscheinung auf dem edlen und schick zurechtgemachten Tier.
Simone legte eine Hand ganz sanft auf die Schulter von Nina. "Schau mal, da reitet der Boss von der Mama."
Dabei wies sie mit einer Hand auf Bertram Nagel, der gerade seine Blicke hoheitsvoll schweifen ließ. Aber es schien so, als ob er ihr daraufhin folgendes, heftiges Winken nicht wahrnahm, denn er drehte den Kopf schlagartig in Richtung der anderen Straßenseite, zum dort lautstark...
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