Schweitzer Fachinformationen
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Der Präparator saß hinter einem schlichten Empfangstresen im Flur der Rechtsmedizin. Als an der Tür ein Geräusch zu hören war, schaute der Mann hoch. Er erkannte Steenhoff hinter der Scheibe und lächelte. Mit wenigen Schritten war er bei der Tür.
«Du bist ja häufiger bei uns als in deinem eigenen Verein. Ist dir wohl zu langweilig im Präsidium?»
«Über mangelnde Beschäftigung kann ich nicht klagen», entgegnete Steenhoff knapp und zog sich seine Lederjacke aus. «Hat die Obduktion schon begonnen?»
Michael Franzen schüttelte den Kopf. «Brückner wird erst in einer Viertelstunde hier sein. Du hast noch Zeit für einen Kaffee und ein Stück Kuchen. Ich habe heute Geburtstag.»
Überrascht schaute Steenhoff den Assistenten an. «Du schneidest an so einem Tag Leichen auf?»
«Klar. Warum nicht? Zugegeben, die Geburtstagsgäste sind etwas einsilbig, und manchmal müffeln sie auch ein klein wenig. Aber wenn ich mich um sie kümmere, scheinen sie mich immer wohlwollend zu ermahnen und mir zuzuflüstern, dass .»
Der schrille Klingelton am Haupteingang unterbrach das Gespräch jäh. Hans Jakobeit vom 1. Kommissariat stand vor der Tür. Statt wie Steenhoff mit Franzen zu flachsen, nickte er ihm zur Begrüßung nur kurz zu. Ohne eine Miene zu verziehen, steuerte er sofort auf Steenhoff zu.
«Ich dachte, du wärst zur Feuerwehr gefahren.»
«Damit bin ich schon durch. Was ist mit Ewerts? Wollte er nicht zur Obduktion kommen?»
«Ewerts hat sich für heute krankgemeldet. Er hat sich im Park unterkühlt.»
Steenhoff unterdrückte eine Bemerkung. Joachim Ewerts gehörte in seinen Augen schon lange nicht mehr ins 1. Kommissariat. Bereits die leiseste Erkältung haute ihn um. Sobald ein Tatort im Freien lag, war es eine Frage von Stunden, bis der hünenhafte Mann über erste Beschwerden klagte. Steenhoff beobachtete Hans Jakobeit verstohlen. Er schien es Ewerts nicht übelzunehmen, dass er mal wieder für ihn einspringen musste. Dabei gehörte Ewerts zu den Kollegen im Kommissariat, die sich gerne über den schweigsamen und ernsten Jakobeit lustig machten. Tatsächlich schien der Kollege jede überflüssige Bemerkung zu vermeiden. Auch jetzt stand er nur kerzengerade im Flur und wartete darauf, dass es losgehen würde. Sein Blick schien nach innen gerichtet.
Er sieht aus wie ein Trauergast auf einer Beerdigung, dachte Steenhoff. Es würde schwer werden, wieder an die lockere Atmosphäre mit dem Präparator anzuknüpfen, um seine eigene innere Anspannung einen Moment lang zu vergessen. Jakobeits Anwesenheit ließ keinen Raum für Scherze.
Steenhoff hätte von seinem Kollegen gern erfahren, was die Tatortarbeit in den vergangenen zwei Stunden ergeben hatte. Aber vor dem Präparator wollte er keine Details austauschen. Dankbar ging er auf das Angebot Michael Franzens ein und ließ sich zu einem Stück Butterkuchen und einer Tasse Kaffee einladen. Jakobeit lehnte höflich ab, gratulierte aber förmlich.
Sie mussten länger auf Bernd Brückner warten als angekündigt. Doch statt seine Verspätung zu entschuldigen, blieb er kurz angebunden und erklärte: «In fünf Minuten geht's los.» Dann verschwand er in seinem Büro.
Franzen warf Steenhoff einen verwunderten Blick zu. Doch Steenhoff zuckte nur mit den Achseln. Er hatte es schon lange aufgegeben, alle Launen und Stimmungen des Rechtsmediziners zu interpretieren. Brückner galt als schwierig. Letztlich bekam Steenhoff aber immer die Informationen von ihm, die er brauchte.
Als sie fünf Minuten später zu viert in den Obduktionssaal gingen, wusste Steenhoff wieder, was er Michael Franzen noch fragen wollte.
«Was flüstern dir deine Geburtstagsgäste zu?»
Der Präparator, der sich gerade eine weiße Schürze überzog, stutzte. Dann lehnte er sich vor und sagte mit so leiser Stimme, dass es nur Steenhoff verstehen konnte: «Carpe diem.»
Auf dem Weg ins Präsidium erreichte Steenhoff ein Anruf von Navideh Petersen. Sie klang zerknirscht. Frederike Balzer hatte recht gehabt. Tatsächlich hatte Petersen das Klingeln ihres Handys nicht gehört, da es ihr beim Auspacken einer Bücherkiste in einen Karton mit Wäsche gerutscht war.
«Ich habe mein Handy erst heute Vormittag wiedergefunden», sagte Petersen entschuldigend. «Als ich die Nummer vom Dauerdienst gesehen habe, schwante mir Böses.»
«Wo bist du jetzt?»
«In der Moselstraße in der Neustadt. Ich versuche, drei junge Radfahrer ausfindig zu machen. Sie hatten sich kurz vor der Explosion bei einem Polizisten erkundigt, warum der Park gesperrt sei. Er hat sie weggeschickt. Aber vielleicht haben sie etwas beobachtet. Angeblich soll einer von ihnen hier in einer Studenten-WG wohnen.»
Sie verabredeten, dass Petersen zur ersten Besprechung am Nachmittag ins Präsidium kommen sollte.
Vorher wollte Steenhoff unbedingt noch eine erste, kurze Zusammenfassung von der Tatortgruppe erhalten. Da er wusste, dass der Bericht noch nicht fertig sein konnte und sich der Leiter der Gruppe am Telefon immer sehr bedeckt hielt, entschloss er sich, ihn persönlich in seinem Büro aufzusuchen.
Steenhoff war froh, dass die Tatortgruppe im selben Gebäude wie das 1. Kommissariat lag. Auf der Treppe wurde ihm flau im Magen. Erst jetzt fiel ihm ein, dass er bis auf das Stück Butterkuchen den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte.
Der Blick aus dem Fenster verhieß nichts Gutes. Draußen hatte ein leiser Nieselregen eingesetzt.
Steenhoff überlegte einen Moment lang, ob er sich seine Jacke aus dem Büro holen sollte, entschied sich aber dagegen. Mit großen Schritten rannte er über den Parkplatz bis zum Eingang der Kantine. Das Mittagessen und das Salatbüfett waren längst weggeräumt. Nur ein paar Süßigkeiten und zwei Brötchenhälften lagen in der Auslage. Welke Salatblätter klebten auf den Wurstscheiben.
Steenhoff zögerte, dann griff er resigniert zu den Brötchen und nahm sich vor, am Abend etwas Ordentliches für sich zu kochen. Vielleicht etwas Orientalisches. Ihm fiel das türkische Kochbuch ein, das ihm eine Bekannte überraschend zum Geburtstag geschickt hatte. Doch im gleichen Moment verwarf er den Gedanken wieder. Heute Nacht würde er höchstens ein paar Stunden Schlaf bekommen. Vermutlich lief also wieder alles auf eine Pizza mit durchweichtem Boden vom Bringservice eines Italieners hinaus.
Fünf Minuten später stand er in dem unaufgeräumten Büro von Gerhard Marlowski. Der Leiter der Tatortgruppe reagierte schon allein bei Steenhoffs Anblick gereizt.
«Was willst du hier, Frank? Wir sind gerade erst reingekommen. Bis du schriftliche Ergebnisse kriegst, musst du dich noch eine Weile gedulden.»
Marlowski drehte ihm den Rücken zu, ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen und zog sich stöhnend die dreckigen Gummistiefel aus.
«Das weiß ich, aber kannst du mir eventuell .»
«Und kannst du mich erst einmal bitte schön ankommen lassen?», unterbrach ihn Marlowski böse.
Steenhoff war zu überrascht, um ärgerlich zu werden. Marlowski galt als brummiger, eckiger Mensch. Dennoch unterstützte er die Ermittler stets, so gut er konnte. Was er sagte, hatte immer Hand und Fuß.
«Was ist los mit dir, Gerhard?»
«Was mit mir los ist?» Marlowski schnaubte verächtlich. «Ich bin es gewohnt, mit meinen Leuten im Dreck und Blut anderer Leute rumzuwühlen. Ich sage auch nichts, wenn ich Leichen in Kanalschächten abkleben oder Blutspuren an irgendeiner zugespritzten Schrankwand dokumentieren muss. Den Ekel haben wir uns alle längst abgewöhnt. Aber heute war es anders. Heute hatte ich Angst. Hörst du: ganz beschissene Angst, wenn du's genau wissen willst.»
Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und sah seinen Besucher angriffslustig an. Steenhoff wollte etwas erwidern, aber Marlowski war noch nicht fertig.
«Ihr vom 1. K. seid ja schön hinter den Flatterbändern geblieben. Aber meine Leute und ich konnten bei jedem Schritt nur hoffen, dass die Delaborierer tatsächlich alle Sprengsätze gefunden hatten.» Er schob seinen alten Bürostuhl so heftig unter den Tisch, dass die Lehne laut gegen die Kante knallte.
Steenhoff seufzte. Sonst konnten die Männer von der Tatortgruppe die Ermittler nicht schnell genug hinter die Absperrungen verweisen. Ständig hatten sie Angst, dass ihre Kollegen vorhandene Spuren zerstörten. Jetzt waren die Mitarbeiter des 1. K. mal hinter den Absperrungen geblieben, und es war den Spurensuchern wieder nicht recht.
Marlowski rieb sich müde die Augen. Als er erneut hochschaute, wirkte er grau und eingefallen. Er hatte eine beginnende Glatze, die er zu kaschieren versuchte, indem er seine Haarsträhnen sorgsam darüberkämmte. Doch jetzt hingen die Haare schlaff zur Seite.
Der Einsatz hat ihn geschafft, dachte Steenhoff. «Ehrlich gesagt war ich froh, nicht in eurer Haut zu stecken», schlug er einen versöhnlichen Ton an.
Marlowski schnaubte nur verächtlich.
«Ich hätte mich nicht gern auf die Delaborierer verlassen mögen. Danke, dass ihr da trotzdem über den Rasen gekrochen seid.»
Steenhoff drehte sich um und wollte gerade zur Tür hinausgehen, als Marlowski zu reden begann.
«Wir haben keinen weiteren Sprengsatz gefunden .»
Steenhoff blieb stehen und kehrte zum Schreibtisch zurück.
Zum ersten Mal sah ihn Marlowski direkt an. «Die Entschärfer meinen, dass es vermutlich eine USBV war, also eine unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung. Sie war vermutlich in dem Hohlraum eines Holzpfostens versteckt. Die Gärtner müssen beim Manövrieren dagegengefahren sein. Auf dem Pfosten war eine Tafel montiert....
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