Schweitzer Fachinformationen
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»Und jetzt: Bühne frei für Daaaaana Diaz!«
Ein paar Leute klatschten, während ich die hölzerne Bühne bestieg und dabei den Lautsprechern auswich. Im Scheinwerferlicht zupfte ich ein letztes Mal den T-Shirt-Saum vom Bund meiner Jeans, strich mir eine dunkelbraune Strähne vom Lipgloss-Lächeln, umfasste das Mikrofon mit einer Hand und löste sorgsam das Kabel vom Ständer. Es war Quatsch, zwei Minuten mit dem Runterschrauben auf meine Körpergröße zu verlieren: 1,65 m auf Zehn-Zentimeter-Absätzen, ohne die ich mich so gut wie nie auf die Bretter stelle.
»Hallo zusammen«, sagte ich. »Ich bin Dana und heute Abend eure Quoten-Latina.«
Ich wartete auf das betretene Gekicher, doch alles, was kam, war die dumpfe, beleidigte Schweigepause eines Kneipenpublikums, dem die Musik abgedreht worden war, gefolgt von einem bellenden Husten. Weiter im Text.
»Und sag mir ja keiner, ich soll dahin zurückgehen, wo ich herkomme. Amarillo liegt am Arsch der Welt.« Wieder Schweigen. Ich nestelte am Mikroständer herum. »Irgendwer aus Amarillo im Publikum? Nein?« Kein Gejohle. »Schon okay, ich würd's auch nicht zugeben, wenn es nicht mein Job wäre. Na ja, Hobby.«
Ich war seit etwas über einem Jahr wieder in Austin, absolvierte so viele Open Mics, Gastauftritte und Newcomer-Sets wie möglich und hatte mir meinen Slot auf der Third-Thursday-Bühne im Nomad redlich verdient. Aber in letzter Zeit wollte der Funke einfach nicht überspringen, und ich wusste nicht, woran es lag.
Ich fuhr fort. »In Amarillo ist wenig los. Na ja, der zweitgrößte Arbeitgeber ist ein Heliumwerk. Als ich zur Highschool ging, hingen wir immer hinter dem Seven-Eleven rum .«, ich tat so, als saugte ich an einem Heliumballon, und sagte mit hoher Piepsstimme: »Hey, Alter, reich Mickymaus mal weiter.«
Ausdruckslose Mienen. Mein Schnüffler-Gag klang wenig überzeugend, weil meine Wochenenden in der Highschool-Zeit tatsächlich eher clean gewesen waren. Jason und ich hatten gesehen, was Drogen mit seinem großen Bruder angerichtet hatten, und wollten nichts damit zu tun haben. Ich nahm mir fest vor, an meiner komischen Stimme zu arbeiten, und preschte voran. »Als ich klein war, hat meine Mom in der Heliumfabrik gearbeitet. Ich dachte immer, sie wär Kindergeburtstagsclown.« Kurze Pause. »Der Tag, an dem sie mich mal mit zur Arbeit nahm, war eine herbe Enttäuschung für mich.«
Ich suchte auf den bühnennächsten Plätzen nach einem freundlichen Gesicht, sah aber nur dumpfäugige Trinker und verkorkste Tinder-Dates. In Gedanken driftete ich in die grellen Untiefen der Scheinwerfer ab. Jason, mein Co-Autor und bester Freund, seit wir vierzehn waren, hatte mir vor vielen Jahren den Tipp gegeben, mir das freundlichste Gesicht in der Menge auszugucken, wenn ich floppte, und mir vorzustellen, dass ich nur diesem Menschen alle meine Witze erzählte. Zwar hatte ich mit Jasons Trick nur selten das Publikum zurückgewonnen, war mittlerweile aber oft genug gefloppt, um zu wissen, dass es gar nicht so sehr darauf ankam. Sondern darauf, dem Publikum zu zeigen, dass es einem da oben bestens ging, danke der Nachfrage. Es gibt kein schlimmeres Fremdschämen als zuzusehen, wie jemand auf der Bühne hilflos herumzappelt. Ich hatte dieser Regel einen geheimen Namen gegeben: Kein Blut im Wasser.
Ich merkte, dass ich fahrig herumfuchtelte, mit angespannter Stimme, um mich größer zu machen. Nach vier Jahren in Los Angeles fiel es mir schwer, mich in dieser etwas zu lockeren Stadt zu entspannen. Mir fehlte die Plackerei. Das Publikum in L. A. war hart gewesen, hatte mich aber abgehärtet; hier in Austin hingegen setzte einem die Gleichgültigkeit zu. Als ich aus L.A. abgehauen war, hatte Jason kaum noch mit mir geredet, und da hatte ich es mir geschenkt, ihm die gleiche Leier zu erzählen wie allen anderen: Ich würde eine Auszeit brauchen, nur kurz, und dann wiederkommen. Doch das war leichter gesagt als getan. Beim letzten Umzug war ich fünf Jahre jünger gewesen, und nicht allein. Mit Jason war mir alles leichter gefallen. Er wusste, wo wir herkamen und wie wichtig es war, sich nicht den Wind aus den Segeln nehmen zu lassen, nie zurückzufallen.
So viel dazu. Nach vier Jahren Abwesenheit kam es mir vor, als würde ich in Austin wieder von vorne anfangen, nur dass die Konkurrenz mittlerweile größer und das Bier teurer geworden waren. In ein paar Monaten, wenn mein alter Mietvertrag auslief, würde ich für meine schäbige Wohnung astronomische Summen zahlen müssen, mein Anteil an der Trinkgeldkasse reichte kaum für ein Bier nach dem Auftritt, und ich rackerte mich immer noch mit angstschweißgebadeten Auftritten in Kellerbars und Coffeeshops ab. Achtundzwanzig war vielleicht nicht alt, aber doch zu alt dafür.
»Ich danke meiner Mom für meine passenden Initialen: Doppel-D«, mit einem vielsagenden Blick auf meinen Busen, was mir immerhin etwas Gekicher einbrachte. Ah, Tittenwitze. Comedy-Krönung. »Damit war ich der Hit in der Mittelstufe.«
»Geile Möpse!«, rief einer aus den hinteren Reihen.
»Bobby Micklethwaite, bist du das?«, schoss ich zurück, während ich mit einer Hand die Augen abschirmte, als wollte ich an den Scheinwerfern vorbeispähen. »Du hast dich ja seit der Siebten überhaupt nicht verändert. Bis auf - was bloß? Ach ja, du bist noch viel hässlicher geworden.«
Unbeeindruckt rief dieselbe Stimme: »Ausziehen!«
»Dafür immer noch die gleiche geschliffene Ausdrucksweise«, murmelte ich und wollte weitermachen.
»Zeig uns deine Titten!«
Ein paar Buhrufe ertönten. Jemand rief: »Halt's Maul!« Ich spürte das Prickeln des hochkochenden Ärgers im Publikum, wusste aber, wenn mir die Situation jetzt entglitt, hätte es der Zwischenrufer endgültig geschafft. Ich kämpfte gegen die aufsteigende leichte Panik an. Kein Blut im Wasser, sagte ich mir. Zeig ihnen, dass du damit klarkommst.
Mit zuckersüßer Stimme fragte ich: »Hat dich etwa jemand verletzt?«, dann, in normalem Tonfall: »Vor- und Nachnamen, bitte. Ich will wissen, wen ich dafür bezahlen kann, dass es wieder passiert.« Unsicheres Gelächter im Publikum bei der Erwähnung von Gewalt. »Und immer und immer wieder.«
Der Zwischenrufer lenkte bloß noch mit betrunkenem Gemurmel ein, doch kaum jemand im Publikum lachte. »War bloß 'n Witz, Leute!«, rief ich mit weit ausgebreiteten Armen. »Dafür verdien ich nicht genug. Vielleicht sollten wir ein Crowdfunding für mich starten?«
Eine Mischung aus Lachen und Buhrufen, unklar, ob sie mir oder dem Zwischenrufer galten. Der Türsteher näherte sich endlich dem Störenfried, also nahm ich den Faden meiner Nummer wieder auf und ging zu Witzen über meinen Brotberuf über. Mein Adrenalinspiegel war zeitgleich mit dem der Menge angestiegen, aber es war kein gutes Gefühl. Die Zuschauer waren schon vorher nicht mitgegangen, und der Zwischenrufer hatte nur das Gift im Raum so aufgesogen und verdichtet, dass es fast greifbar wurde. Nicht die Augen schließen, sagte ich mir, nicht blinzeln, bis du sie zurück hast. Doch in meinem Blickfeld tanzten immer mehr schwarze Punkte.
Zuerst hörte ich ihr wild bellendes Lachen, dann sah ich sie: das freundliche Gesicht. Die Frau saß an einem Tisch in Wandnähe, den strubbeligen blonden Haarschopf von grüner Neon-Bierwerbung beleuchtet. Ich erhaschte einen Blick auf große, weit auseinanderstehende Augen in tief liegenden Höhlen, hohe Wangenknochen, weiße Zähne in einem zum Grinsen verzogenen Mund. Ich fragte mich, warum sie mir zuvor nicht aufgefallen war; entweder hatte sie noch nicht unter dem Licht gesessen oder nicht gelacht. Jetzt nickte sie wie eine Löwenzahnblüte im Wind, ein sicherer Hafen hingerissener Zustimmung, und ich spürte, wie ich mich entspannte. Ich merkte mir ihr Gesicht und blickte den restlichen Auftritt über zwar wie immer ins Publikum, erzählte meine Witze aber ausschließlich der Löwenzahnfrau, die immer mal wieder schallend loslachte. Die zehn Minuten vergingen zum Glück wie im Flug, und schon trat ich vom teppichbespannten Podest, aus dem Scheinwerferkegel und ins übliche Dämmerlicht einer schmuddeligen Kneipe.
»Noch mal einen Riesenapplaus für Dana Diaz!«, rief der Moderator Fash ins verhaltene Klatschen, während ich über die Lautsprecherkabel stakste und mich an der Wand entlang zur Theke vorschob. »Als Nächstes .«
Als Nächstes kam Toby, ein Hipster aus Minneapolis, kurz vor dem Ortswechsel nach L. A. - »geben wir ihm also einen fetten Applaus mit auf den Weg!« (Vereinzeltes Klatschen.) Nach ihm war Kim dran, alias das Andere Girl, mit buschigem blondem Pony und Slip Dress à la Courtney Love; dann James, mit Hosenträgern und Ukulele. Als Letzter Fash Banner, der Moderator und Organisator, der voriges Jahr im »Funniest Person in Austin«-Wettbewerb Platz drei belegt hatte. Ich konnte mich nicht dazu durchringen, mir anzusehen, wie sie einer nach dem anderen toppten oder floppten, sondern wollte meinen Drink im Nebenraum genießen, und heute Abend musste es etwas Stärkeres sein. »Whiskey Soda«, sagte ich zu Nick, dem Donnerstags-Barkeeper, während Toby mit seinem Programm loslegte.
»Der geht auf mich«, hörte ich eine Stimme in Ellenbogennähe, dann knallte jemand eine Kreditkarte auf den Tresen und schob sie rüber. Ich drehte mich um und sah die Frau mit dem freundlichen Gesicht.
»Danke«, sagte ich. Ich würde mir ja wohl kaum einen Gratisdrink entgehen lassen, und dieser Fremden fühlte ich mich noch verbunden, weil sie mir geholfen hatte, den verkorksten Auftritt durchzustehen. Ich musterte die Blonde, die neben mir stand, oder besser über mir aufragte - dazu gehört ja nicht viel -, und erkannte aus nächster Nähe, dass ihr...
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