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Wie haben Sie das gemacht? Wie sind Sie an all diese Informationen gelangt und haben damit eine Grenze überschritten?
Es geht einfach nur darum, schlauer als der Gegner zu sein.
Der in diesem Fall ja bloß die NSA ist.
Ha, stimmt. Ein Schritt nach dem anderen führt auf den Gipfel des Berges. Irgendwann können Sie diese Geschichte mal erzählen.
> Online-Chat des Autors mit Edward Snowden, 9. Juni 2013[1]
Dieses Buch stellt sich der Herausforderung, mit der mich Edward Snowden an jenem Tag konfrontierte - demselben Tag, an dem er vor der Welt seine Maske fallen ließ. Kurz nach diesem Gedankenaustausch floh er vor dem Auslieferungsersuchen der USA aus seinem Hongkonger Hotelzimmer. Seine Abschiedsworte waren kein Versprechen, sondern eine Provokation. Er hatte nicht vor, mir seine Geschichte auf dem Silbertablett zu servieren. Nicht die ganze. Die vorliegende Schilderung der Ereignisse beruht auf meinen eigenen Erkenntnissen und Recherchen.
Der dunkle Spiegel ist kein Buch über Snowden, oder nicht nur über ihn. Es ist eine Erkundungsfahrt durch den Überwachungsstaat, der nach dem 11. September 2001 ins Leben gerufen wurde, als die US-Regierung zu der Überzeugung gelangte, ihre Feinde ließen sich nur wirkungsvoll ausspionieren, indem man auch die Amerikaner selbst ins Visier nahm. Neue Verfahren der elektronischen Überwachung drangen in die von fast allen Menschen genutzte, allgemein zugängliche digitale Welt ein und stempelten uns alle als potenzielle Gefährder ab. Aus dieser Denkweise folgte, dass die Öffentlichkeit nicht wissen durfte, was der Staat in ihrem Namen tat. Überwachung und Geheimhaltung entwickelten sich im Gleichschritt.
Die Geheimdienste warfen alte Bedenken über Bord und verbargen sich gewissermaßen hinter Einwegspiegeln. Auf ihrer Seite war das Glas transparent. Wir waren deutlich zu sehen. Durch die uns zugewandte undurchlässige Seite konnten wir unsere Beobachter nicht ausmachen. Der Titel Der dunkle Spiegel spielt auf diese Konstruktion an, die ganz real am Gebäude der National Security Agency in Fort George C. Meade, Maryland, zu sehen ist. Eine reflektierende Hülle aus blauschwarzem Glas umschließt die elf Stockwerke des Hauptquartiers mit einem elektromagnetischen Käfig, um die Geheimnisse der Beobachter im Innern vor jedem Zugriff zu schützen.[2]
Es war Snowden, der uns in die Lage versetzte, sie gleichfalls zu beobachten. In einem spektakulären Akt des Ungehorsams gegenüber seinem Arbeitgeber offenbarte er die Maschinerie eines weltumspannenden Überwachungsgiganten. Snowden ermöglichte die Dokumentation der Ursprünge des »goldenen Zeitalters der SIGINT«, der Signals Intelligence, wie die NSA diese Epoche in ihren Strategiedokumenten nannte.[3] Menschliche Interaktion hatte sich zu großen Teilen in die digitale Welt verlagert. Die NSA traf die nötigen Vorkehrungen, um aus den Hauptschlagadern der globalen Kommunikationsnetze massenhaft und unterschiedslos Informationen abzuschöpfen. Es wäre zu einfach, das, was die NSA tat, als Massenüberwachung zu bezeichnen; diesen Begriff werde ich im Verlauf des Buches sorgfältig analysieren. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass die Behörde begann, Hunderte Millionen Unbeteiligte in ihren Netzen zu fangen. Die traditionelle Unterscheidung zwischen Auslands- und Inlandsspionage, ein Grundpfeiler des amerikanischen Datenschutzgesetzes, bekam immer mehr Risse. Selbst nach mehreren Jahren lebhafter öffentlicher Debatten, die von Snowdens Enthüllungen angestoßen wurden, lässt die grundlegende Anpassung von US-Recht und Gesellschaft an diese Offenbarungen noch auf sich warten.
Darüber hinaus erzähle ich hier eine weitere, persönlichere Geschichte, an deren Veröffentlichung ich zunächst gar nicht gedacht habe. Es ist die Geschichte meiner eigenen Reise als einer von drei Journalisten, die zu Empfängern des folgenschwersten öffentlichen Leaks in der Geschichte der US-Geheimdienste wurden. Entgegen meinen Neigungen und allem, worauf ich als Erzähler von Geschichten anderer Leute gedrillt war, wuchs in mir die Überzeugung, dass ich die Antworten auf einige Fragen geben sollte, denen ich jahrelang ausgewichen bin.
Warum hat Snowden mich ausgewählt? Was ließ mich glauben, dass ich ihm trauen durfte? Wie kommunizierten wir direkt vor der Nase der US-amerikanischen Spionageabwehrbehörden? Wo trafen wir uns in Moskau? Warum erschien mein Name in einer NSA-Datei, bevor Snowden seine Informationen preisgab? Versuchte die Regierung, meinen Reportagen einen Riegel vorzuschieben? Was bewog mich, manche Geheimnisse öffentlich zu machen und andere zurückzuhalten? Wer zur Hölle hat mich auserkoren, diese Entscheidungen zu treffen?
In meinem Berufsstand war niemals zuvor jemand in den Besitz von Zehntausenden aktuellen, mit Codewörtern verschlüsselten Geheimdokumenten gelangt. Es gab keine journalistischen Spielregeln, wie mit einer solchen Art von Lawine umzugehen sei. Ausländische Geheimdienste versuchten, meine Accounts und Geräte zu hacken. Wie ich erfuhr, forderte der Direktor der NSA eine Razzia, um meine Notizen und Dateien zu beschlagnahmen. Ich war der Meinung, dass einige der Snowden-Dokumente niemals ans Tageslicht gelangen sollten. Andere führten zu Spuren, deren Verfolgung meine Quellen leicht in Gefahr bringen konnten. Um alles noch schlimmer zu machen, hatte ich keine journalistische Heimat, als Snowden seine Aufwartung in meiner Mailbox machte. Drei Jahre zuvor hatte ich die Washington Post verlassen. Bevor ich eine vorübergehende Rückkehr aushandelte, musste ich allein riskante Entscheidungen treffen. Ich improvisierte. Ich machte Fehler - einige davon so peinlich, dass ich sie am liebsten verschweigen würde. Herausgekommen ist, so hoffe ich, ein unverstellter Blick hinter die Kulissen des Enthüllungsjournalismus.
Snowden ist eine komplizierte Figur, weit entfernt vom gängigen Klischee eines »Helden« oder »Verräters«. Der Umgang mit ihm kann sehr angenehm sein - er ist witzig und unverblümt, ein Autodidakt mit rascher Auffassungsgabe und vielseitigen Interessen. Er kann auch stur, wichtigtuerisch und zänkisch sein. Unsere Beziehung war nervenaufreibend. Er wusste, ich würde mich seinem Kreuzzug nicht anschließen, und er verließ sich nie darauf, dass ich für ihn Partei ergreifen würde, wie er es bei Laura Poitras und Glenn Greenwald tat. Wir rangen um die Grenzen, die zu überschreiten und zu verteidigen waren - meine als Journalist, der mehr wissen wollte, und seine als Advokat einer Sache, die er mit jedem falschen Wort zu gefährden fürchtete. Kurzzeitig brach er die Verbindung zu mir ab, als ich seine Bedingungen für meinen ersten Bericht nicht akzeptieren wollte. Als er sich zum zweiten Mal zurückzog, weil er glaubte, ich hätte ihm Schaden zugefügt, herrschte monatelang Funkstille zwischen uns. »Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich Ihnen jemals guten Gewissens den Rücken zukehren kann, aber darum geht es mir nicht«, sagte er zu mir, als wir im Herbst 2013 wieder Kontakt aufgenommen hatten. »Ich glaube, dass Sie ein guter Reporter sind.«[4]
Danach reiste ich zweimal nach Moskau, um endlose Gespräche mit ihm zu führen, gestärkt von dem Abklatsch amerikanischen Fast Foods, das uns der Zimmerservice servierte. Snowden isst mit der Logik eines Ingenieurs: zuerst das Eis, weil Hamburger nicht schmelzen. In New York und Princeton schaltete er sich in der Gestalt eines ferngesteuerten Roboters zu, der sieht, hört, spricht und durch den Raum rollt. Gelegentlich trafen wir uns via Video-Chat über einen abhörsicheren Kanal, den technisch versierte vertrauenswürdige Freunde für uns eingerichtet hatten. Meistens besuchten wir einander in den sichersten Gefilden seines angestammten Habitats, indem wir über verschlüsselte anonyme Links per Tastatur Live-Chats abhielten. Wenn man alles richtig macht, sind diese am schwierigsten abzufangen.
Persönliche Fragen, so relevant sie auch waren, waren gewöhnlich tabu. Als ich das erste Mal nach Moskau reiste, um ihn zu treffen, versuchte ich, ihm etwas über seine Beziehung zur russischen Regierung zu entlocken. Er lebe hier, sagte ich. Nehme er Geld vom Staat an? Werde er über seine Arbeit für den amerikanischen Geheimdienst befragt? Snowden warf mir vor, seinen Kritikern nachzuplappern. Er sprach darüber, was ein Mensch in seiner Lage theoretisch tun könne.
»Sie wissen, dass ich keine Beziehung zur russischen Regierung unterhalte«, brach es schließlich aus ihm heraus. »Sie sollten mir nicht solche Fragen stellen.«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es erst, wenn ich Sie frage.«
»Das lässt sich nicht wissen. Sie fordern mich auf, zu beweisen, dass es keinen Gott gibt.«
»Nein, ich bitte Sie, mir einfach zu sagen, dass Sie keinen brennenden Dornbusch gesehen haben.«
»Und das tue ich. Das tue ich. Hypothetisch gesprochen.«
Hypothetisch, weil das ganze Thema nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Das änderte sich erst später. Selbst dann verweigerte er weiter konkrete Antworten. Wir führten Dutzende Gespräche dieser Art, immer im Kreis, über Dutzende Themen. Nur um dies klarzustellen: Ich hatte keinen Grund zu der Annahme, dass Snowden ein russischer Agent sei, und kein amerikanischer Regierungsbeamter behauptete, über Beweise für das...
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