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Heute sind fast alle Wirtschaftsteile der Zeitungen, Wirtschaftsmagazine des Fernsehens und Wirtschaftswissenschaftler Komplizen der Dompteure geworden: Warum hat keiner die Finanzkrise vorausgesehen? Voraussehen wollen? Fast so schlimm wie die Finanzkrise ist die Krise der Wirtschaftswissenschaften, deren Vertreter mit wenigen Ausnahmen jede Autorität verloren haben. Diejenigen Wissenschaftler und Journalisten, die das jetzige Wirtschaftssystem seit Jahren öffentlichkeitswirksam gepriesen haben, entpuppen sich heute als ahnungslose, aber nützliche Werkzeuge der Finanzindustrie. Sie sind die kaltblütigen Angler des Kapitalismus, die das kritische öffentliche Bewusstsein so trübten, dass Millionen Menschen betrogen werden konnten.
Der Schaden, den die Wirtschaftswissenschaftler - von Milton Friedman oder Friedrich von Hayek bis zu Herbert Giersch und anderen Hochschullehrern - in den letzten Jahrzehnten angerichtet haben, ist enorm und wird uns noch lange verfolgen. Der Sozialstaat: ein Monster! Sozialer Wohnungsbau, Mindestlohn, gesetzliche Rente: absurd! Für den Staat nur noch die Polizei. Alles andere regelt der Markt, wie die Wochenzeitung »Die Zeit« einmal Friedmans Vision zusammenfasste.11 Selbst die Gefängnisse sollen privatisiert werden. Ungeachtet der Absurdität dieser Thesen hat ihr Erfinder, der Nobelpreisträger Friedman, über drei Jahrzehnte die Wirtschaftspolitik der westlichen Staaten bestimmt. Doch der von ihm propagierte Neoliberalismus konnte keine Arbeitsplätze schaffen, sondern bescherte uns wachsende Massenarbeitslosigkeit. Auch die Zerstörung der Industrielandschaft Ostdeutschlands durch die Treuhand haben wir dieser Ideologie zu verdanken. Die Nachfolgeorganisation der SED ist deswegen heute noch eine Volkspartei. Doch die Anhänger des Neoliberalismus halten weiterhin ihre »durch falsch dichtende Einbildungskraft selbstgemachte(n) Vorstellungen für Wahrnehmungen«. So hat Kant den Wahnsinn definiert.12
Aber diese Verrücktheit hatte Methode. Die Mächtigen, allen voran die englische Premierministerin Margaret Thatcher, haben gnadenlos dereguliert, haben Bildungs-, Verkehrs- und Gesundheitswesen, Energieunternehmen, Telekom und Post privatisiert und den Sozialstaat radikal beschnitten, alles angeblich in unser aller Interesse zur Mehrung des allgemeinen Wohlstands. Tatsächlich hat dieser Neoliberalismus vor allem die Reichen noch reicher gemacht. Der Mittelstand muss heute härter denn je um den Erhalt seines Status kämpfen.
Jetzt herrscht die Finanzkrise, und die Guthaben der Kleinanleger wurden in großem Maßstab vernichtet. Aber die Spekulationsgewinner werden nicht in die Pflicht genommen, um die Folgen abzufedern, und die Verursacher für die Schäden, die sie angerichtet haben, nicht haftbar gemacht. Vielmehr wurden die Verluste kollektiviert und mussten von der Gemeinschaft aller Steuerzahler in Rettungspaketen aufgefangen werden. Statt sich der wahrhaft Bedürftigen anzunehmen, subventioniert die Gesellschaft so auf Umwegen die Superreichen.
Warum sagt denn keiner laut genug, dass die Finanzmärkte und Wirtschaftsinteressen die Welt buchstäblich von den Füßen auf den Kopf stellen? Wie ist es möglich, dass eine kleine Automobilfirma wie Porsche durch Spekulation an der Börse so viel Geld - das Vierfache ihrer Sportwagenverkaufserlöse - verdienen konnte, dass sie glaubte, den größten Autokonzern der Welt, nämlich VW, aufkaufen zu können?
Warum haben die Profitinteressen der Unternehmen immer wieder Vorrang vor der Sicherheit und Gesundheit der Menschen und dem Erhalt einer sauberen, lebenswerten Umwelt? Warum konnten Erdölplattformen gegen alle Sicherheitsvorschriften gebaut werden, warum mussten in Chile 33 Bergleute 69 Tage lang 700 Meter unter der Erde um ihr Leben zittern in einem Bergwerk, das aus Sicherheitsgründen längst hätte geschlossen werden müssen? Wieso gab es in Fukushima zu geringe Sicherheitsstandards?
Wissen die Menschen, welche Interessen dem Bau des Großflughafens Berlin-Schönefeld zugrunde liegen? Wer verdient am Schifffahrtsausbau der Donau zwischen Kehlheim und Passau, mit dem die Zerstörung einmaliger Uferlandschaften und Naturschutzgebiete einhergeht? Die Reeder in Amsterdam oder die niederbayerische Bevölkerung? Warum werden bei notwendigen neuen Stromtrassen in den Planfeststellungsverfahren keine Alternativen diskutiert? Welche Idee lag der gigantomanischen, mit brutalen Eingriffen in das Erdreich verbundenen Quer- und Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs zugrunde?
Goethe ginge heute auf die Barrikaden, meinte der Schriftsteller John le Carré in einer Rede, die in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« zu lesen war.13 Im »Faust II« schildert Goethe - in vorausschauend kritischer Analyse - den Unternehmer, dessen höchstes Ziel es ist, mit neuer Technologie einen riesigen Kanal zu bauen, um die Herrschaft über die Natur zu erringen: »Menschenopfer mussten bluten, nachts erscholl des Jammers Qual, meerab flossen Feuergluten, morgens war es ein Kanal.«
Das Zuhause und die Umgebung der dort wohnenden Menschen, dargestellt in den griechischen Gestalten Philemon und Baucis, fallen der mörderischen Technik zum Opfer: »Funkenblicke seh' ich sprühen, durch der Linden Doppelnacht, immer stärker wühlt' ein Glühen, von der Zugluft angefacht. Ach! Die inn're Hütte lodert, die bemoost und feucht gestanden; schnelle Hilfe wird gefordert, keine Rettung ist vorhanden. (.) aus der wild entbrannten Hölle züngelnd lichte Blitze steigen (.).«
Faust ergötzt sich am »Geklirr der Spaten«, aus Freude über die Macht der Technik, die den Wellen ihre Grenzen gesetzt und das Meer mit strengem Band umzogen hat. Aber das Klirren, das der blinde Faust auf dem Höhepunkt seiner Allmachtsphantasie hört, stammt von den Spaten, mit denen die Arbeiter bereits sein Grab schaufeln. Und Mephisto kommentiert die Katastrophe: »Die Elemente sind mit uns (den Teufeln) verschworen, und auf Vernichtung läuft's hinaus.«
Inzwischen ist die wissenschaftliche, technische, politische und ökonomische Elite der Menschheit diesem faustischen Machbarkeitswahn in vielfacher Hinsicht erlegen, und selbst dort, wo das Machbare sinnvoll hätte sein können, wurde es durch die Gier nach Geld zum Verhängnis für Millionen von Menschen. Erdöltransporte in gigantischen Rostlauben, schlecht gesicherte Kernkraftwerke, das Überfischen der Meere, tausend Tonnen Treibhausgase pro Sekunde, das Abholzen der Tropenwälder: eine höchst unvollständige Liste der vermeidbaren Sünden des Kapitalismus. Die mangelnde medizinische Ausstattung vieler Krankenhäuser, fehlende Sicherheitsstandards im Flugverkehr, auf den Straßen, beim Automobilbau und auf der Schiene, denen Hunderte und Tausende von Menschen zum Opfer fallen können, haben ebenfalls ihre Ursache in dem kompromisslosen Streben der Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Finanzindustrie, auf Kosten der Menschen Geld zu akkumulieren.
Zur Schreckensbilanz des Kapitalismus gehört auch die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen auf diesem Planeten. Luft, Land und Wasser sind bedroht. Man schätzt, dass bereits die Hälfte der Regenwälder - die grüne Lunge der Erde und der Hort der größten Artenvielfalt - abgeholzt wurde. Ebenso dramatisch ist die gnadenlose Überfischung der Meere. Ein Drittel aller fruchtbaren Ackerflächen ist von Degradierung (durch Überbauung oder Erosion, Versalzung und Verdichtung) betroffen14 - laut der Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen (FAO) verschwinden jährlich zwischen 5 und 10 Millionen Hektar Boden, die 25 Millionen Menschen ernähren könnten15. Die weltweite Belastung des Grundwassers nimmt zu, und weil in den bevölkerungsreichen, ariden Ländern meist große Konzerne die Hand auf den Süßwasserquellen haben und eine entsprechende Preispolitik betreiben, wird die Trinkwasserversorgung der armen Menschen dort zunehmend problematisch. Und auch unter den Folgen des Klimawandels, der durch die CO2-Emissionen vor allem der Industrieländer verursacht wird, leiden in erster Linie die Menschen in den Entwicklungsländern.
Nun könnte man ja annehmen, dass sich in den letzten eineinhalb Jahrhunderten die wirtschaftliche Vernunft, wie sie die ökonomischen Aufklärer Karl Marx und Friedrich Engels im »Kommunistischen Manifest« gefordert und die Arbeiterbewegung und ihre politischen Vertreter verwirklicht hatten, in der Arbeitswelt für immer durchgesetzt hätte. Aber die alte soziale Frage, die Arbeiterfrage, ist mittlerweile mit Zeit- und Leiharbeit, Lohndumping, 1-Euro- und Minijobs sowie befristeten Arbeitsverträgen als Neue Soziale Frage aus den Grüften des Frühkapitalismus auferstanden.
Marx und Engels beschrieben die Situation 1848 im »Manifest der Kommunistischen Partei« wie folgt: »Das Kapital hat die Bevölkerung agglomeriert, die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenigen Händen konzentriert. Die Arbeiter, die sich stückweise verkaufen müssen, sind eine Ware wie jeder andere Handelsartikel und daher gleichmäßig allen Wechselfällen der Konkurrenz, allen Schwankungen des Marktes ausgesetzt.«16
164 Jahre später warten in Deutschland -...
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