Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
In einer Arbeit von einigen Tagen, in der Lektüre von ein paar Stunden, sind sechs Jahrhunderte hingerollt und die Zeit eines Lebens oder einer Regierung wird zu einem flüchtigen Augenblick. Das Grab ist stets neben dem Thron, dem Siege eines Verbrechers folgt fast augenblicklich der Verlust der Beute und unsere unsterbliche Vernunft überlebt und verachtet die sechzig Phantome der Kaiser, die an unseren Augen vorübergezogen sind und sich nur schwach dem Gedächtnis einprägen.
Edward Gibbon
Verfall und Untergang des römischen Imperiums
Von all den Tieren, die in der langen Geschichte der Erde aufgestiegen und wieder untergegangen sind, haben die Dinosaurier die Fantasie der Allgemeinheit am stärksten gefesselt. Sie bevölkern unsere Kinos und Comics. Ihre Bilder grinsen uns von T-Shirts und Frühstücksdosen entgegen. Sie machen sich sogar dort breit, wo sie nichts zu suchen haben. Das Wort «Dinosaurier» hat ein solches Prestige - eine solche Anziehungskraft -, dass sich damit selbst Dinge verkaufen lassen, die nicht viel mit Dinosauriern zu tun haben: In Dawn of the Dinosaurs, einem wunderbaren Buch[1] über die zu Unrecht vernachlässigte triassische Periode - der Periode vor dem durchs Kino berühmt gewordenen Jura (auch wenn viele der dort dargestellten Dinosaurier aus der noch späteren Kreidezeit stammen) - geht es um einen rund 50 Millionen Jahre langen Zeitabschnitt (250-200 Millionen Jahre vor heute). In dieser Periode entwickelte sich eine Fülle außergewöhnlicher Lebewesen, die zwar sehr interessant sind, den meisten Leuten aber unbekannt sein dürften - die Dinosaurier kommen hingegen erst gegen Ende dieses Zeitabschnitts vor und spielen daher im Buch eine Nebenrolle. Dennoch prangen sie auffällig auf dem Titelbild. Und mit dieser paläokulturellen Aneignung ist es noch nicht getan. Populäre Sachbücher über die prähistorische Fauna sind oft mit «Dinosaurier» betitelt, und dann, in kleinerer Schrift, folgt quasi entschuldigend «und andere prähistorische Tiere». In Spielfigurensets, die unter der Bezeichnung «Dinosaurier» vermarktet werden, finden sich häufig Tiere, die Zeitgenossen der Dinosaurier waren, selbst aber nicht zu den Dinosauriern gehörten (man denke nur an die fliegenden Pterosaurier oder an die schwimmenden Plesiosaurier). Auch Dimetrodon ist regelmäßig dabei, ein zähnefletschendes Geschöpf mit einem Rückensegel, das zig Millionen Jahre vor den Dinosauriern lebte und tatsächlich näher mit uns verwandt ist als mit ihnen. Und als wollten die Hersteller solcher Sets uns schon beim leisesten Vorwurf von Anachronismus die Zunge rausstrecken, geben sie nur zu oft noch ein Wollmammut dazu, ein Tier, das mehr als 50 Millionen Jahre nach dem Verschwinden der Dinosaurier über die Erde streifte. «Dinosaurier» ist inzwischen derart synonym mit einem Clickbait, dass ich versucht war, dieses Buch Dinosaurier (in Großbuchstaben) zu nennen, mit dem Untertitel (in kleinerer Schrift) und ihre Rolle in der Evolution und beim Aussterben der Menschheit.
Allerdings kann man auch nicht behaupten, dass es keinerlei Verbindung zwischen Dinosauriern und Menschen gibt. Ganz gleich, was man sonst alles über Dinosaurier sagen kann, sie sind zweifellos und definitiv ausgestorben.[2] Die Faszination, die sie auf die Öffentlichkeit ausüben, beruht zum großen Teil auf diesem einen, einfachen Fakt. Offenbar ging's den Dinosauriern bis zum Ende der Kreidezeit vor rund 66 Millionen Jahren prächtig. Dann verschwanden sie plötzlich von der Bildfläche, gemeinsam mit den fliegenden Pterosauriern (die keine Dinosaurier waren), den schwimmenden Plesiosauriern (auch keine Dinosaurier), den kultigen lastwagengroßen Ammoniten (schalentragenden Verwandten der Kalmare, definitiv keine Dinosaurier) und vielen anderen Tiergruppen.
Viele Jahre oder gar Jahrzehnte war die Frage nach dem Grund für das Aussterben der Dinosaurier eine Un-Frage, auf die es eine Fülle möglicher Antworten gab. Dutzende davon haben Einzug in die wissenschaftliche Literatur gefunden, auch wenn die Theorien oft eher Geschwätz auf einer Cocktailparty glichen.[3] Die Dinosaurier starben aus, weil ihre Eierschalen so dünn und zerbrechlich wurden, dass die Embryonen nicht mehr ausgebrütet werden konnten. Die Dinosaurier starben aus, weil ihre Eierschalen so dick wurden, dass die Jungen nicht mehr schlüpfen konnten. Die Dinosaurier starben aus, weil die gerade erst aufgekommenen Säuger ihre Eier fraßen (ganz gleich, wie dick die Schalen waren). Die Dinosaurier starben aus, weil der Genuss der gerade erst aufgekommenen Blütenpflanzen bei ihnen zu Bauchweh führte. Die Dinosaurier starben aus, weil die gerade erst aufgekommenen Blütenpflanzen bei ihnen Heuschnupfen auslösten und sie sich zu Tode niesten. Die Dinosaurier starben aus, weil sie sich an diesem oder jenem ansteckten. Die Dinosaurier starben aus, weil sie zu groß und zu schwer wurden. Die Dinosaurier starben aus, weil sie keinen Sex mehr hatten. Die Dinosaurier starben aus, weil sie nach 160 Millionen Jahren als unangefochtene Herrscher der Schöpfung einfach nicht mehr wussten, was sie tun oder welche neuen Welten sie erobern sollten, und sich zu Tode langweilten (ein Gemütszustand, für den es einen eigenen Fachbegriff gibt, Paläoweltschmerz) - es war schierer ennui, der sie dahinraffte.
Die hanebüchenste Erklärung für das Aussterben der Dinosaurier war die Hypothese, die Erde sei von einem enormen Asteroiden getroffen worden, dessen Aufprall zu einer globalen Katastrophe führte. Ausgerechnet diese Idee sollte sich als richtig erweisen.
Viele der (inzwischen verworfenen) Ideen waren von der Vorstellung getragen, die Dinosaurier seien nach einer Verweildauer von hundert Millionen Jahren und mehr auf Erden altmodisch, müde und verbraucht gewesen - ihre Zeit sei einfach abgelaufen. Darum war die Frage nach dem Grund des Aussterbens eine Art Un-Frage, denn früher nahm man an, dass Dynastien von Tiergruppen selbstverständlich kamen und gingen und ihr Abtreten unvermeidlich war, sobald ihnen die Puste ausging. Das nannte man im angelsächsischen Sprachraum «racial senescence» (was man mit «phylogenetischem Altern» übersetzen könnte), im gewissen Sinne ein Spezialfall aus dem Komplex der «Orthogenese»-Hypothesen. Daher wurde das Devon als «Zeitalter der Fische» bezeichnet, auf das im Karbon das «Zeitalter der Amphibien» folgte, wobei jede tierische Dynastie von etwas Neuerem, Fortschrittlicherem und Höherentwickeltem abgelöst wurde, jede an der ihr zugewiesenen Stelle und jede für die ihr zugewiesene Zeitspanne. Die Dinosaurier waren Apotheose und Höhepunkt des «Zeitalters der Reptilien»; darauf folgte das «Zeitalter der Säuger», das im Menschen gipfelte. Tierische Dynastien entstanden, ersetzten weitgehend die bestehenden und wurden ihrerseits zu gegebener Zeit entthront. Die Dinosaurier betraten die Bühne des Lebens, stolzierten eine Weile darauf umher, und als ihre Zeit um war, verschwanden sie wieder. «Dinosaurier» wurde zu einem Synonym für etwas Riesiges, Veraltetes und Ungeeignetes für die moderne Welt, wie ein Ford-Edsel-Straßenkreuzer oder eine mechanische Schreibmaschine.
Erst in den 1970er-Jahren wurden Dinosaurier als warmblütige, intelligente Geschöpfe neu erfunden - das verdanken wir weitgehend dem inzwischen verstorbenen Paläontologen John H. Ostrom und seinem Schüler Robert Bakker. Ein wenig später gewann die Vorstellung, dass der Aufprall eines Asteroiden das Zeitalter der Dinosaurier abrupt beendet hatte, an Glaubwürdigkeit, und es stellte sich heraus, dass die Dinosaurier nicht aufgrund irgendeines natürlichen Zyklus ausstarben, sondern in ihrer Blütezeit ausgelöscht wurden. Hätte der Asteroid die Erde verfehlt, würden sie vielleicht noch heute die Erde beherrschen.
Danach wurde die Orthogenese im «Überholt!»-Ordner untergegangener evolutionärer Ideen abgelegt. Diese Idee hatte ihre Zeit gehabt - so wie die Dinosaurier auch. Die Evolution arbeitet einfach nicht so. Motor der Evolution ist die natürliche Selektion, ein praktischer Ausdruck für das, was geschieht, wenn ererbte Variation und ein großer Überschuss an Nachkommen mit Umweltveränderungen konfrontiert werden. Wenn sich dies über einen längeren Zeitraum abspielt, resultiert daraus evolutionäre Veränderung. Aber die natürliche Selektion hat keinerlei Erinnerungen an die Vergangenheit, ebenso wenig eine Vision für die Zukunft oder irgendein Ziel vor Augen. Dieser allein auf den Moment gerichtete Blick wurde von dem Paläontologen Leigh Van Valen in der «Rote-Königin-Hypothese» auf den Punkt gebracht: Lebewesen befinden sich ständig im Wettstreit miteinander. Prädatoren entwickeln bessere Waffen und schärfere Sinne, um Beute zu machen, die ihrerseits im Lauf der Evolution aufmerksamer und vorsichtiger wird. Wie die Rote Königin in Lewis Carrolls Buch Alice hinter den Spiegeln der kleinen Alice erklärt, muss man im Spiegelland so schnell rennen, wie man kann, nur um auf demselben Fleck zu bleiben. Daraus schlussfolgerte Van Valen, dass es keine Beziehung geben müsse zwischen der Zeitspanne, die eine Art (oder eine Gruppe von Arten) auf der Bühne des Lebens verweilt, und dem Zeitpunkt oder der Weise, wie sie abtritt. Orthogenese - racial senescence - war eine Illusion.
Nur, dass dem nicht so war.
Immer wieder stellten Paläontologen fest, dass Arten (oder häufiger...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.