Schweitzer Fachinformationen
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»Signora Florinda, gleich sind wir dran.«
»Nennen Sie mich doch bitte Flò!«
»Aber natürlich, das sagten Sie ja bereits. Das muss eine Berufskrankheit sein, Vertraulichkeiten dieser Art liegen mir nicht besonders.«
»Kein Problem, Avvocato. Ist denn mein Mann mittlerweile eingetroffen?«
»Leider nein.«
»Tja, dann fehlt wohl ein entscheidender Teil der Veranstaltung.«
»Er wird schon noch kommen, da bin ich ganz optimistisch.«
Was soll daran optimistisch sein?, schießt es mir durch den Kopf.
Nach außen beschränke ich mich auf ein höfliches Lächeln. Vielleicht ist dies ja das letzte Puzzleteilchen für unser Vertrauensverhältnis, und mein lieber Avvocato Vieri Salimbeni, einer der renommiertesten Anwälte am Florentiner Gericht, schafft es endlich, mich Flò zu nennen.
Wir stehen im dritten Stockwerk des großen, modernen Gebäudes. Einen Tick zu modern, für meinen Geschmack fast schon steril.
Eine paar dunkelblaue, vielleicht schwarze Stühle. Ein langer Flur mit Türen rechts und links zu den Gerichtssälen. Farblich dominant ein helles Grau mit Tendenz zu Schmuddeligweiß, fast erkenne ich darin das Elfenbeinweiß meines Hochzeitskleides wieder. Was mir einmal mehr bestätigt, wie hinterhältig und gemein die Farbe Weiß ist: Vordergründig gaukelt sie dir den Anfang vor und läutet hintenrum schon das Ende ein.
Der Wartebereich ist denkbar trist, er dünstet förmlich die vielen qualvollen Stunden aus, die hier verbracht wurden. Bisher dachte ich ja, gesenkte Blicke und feuchte Hände seien das Privileg von Frauenarztpraxen. Nichts da, heute, an diesem siebten Dezember und auf dieser Etage des Familiengerichts stelle ich fest: Es gibt echt Schlimmeres, als vor einem Fremden in weißem Kittel die Beine spreizen zu müssen. Da ziehe ich doch lieber wirklich meinen Slip aus, als mir einen Stahlmantel ums Herz legen zu lassen.
Vor einigen Jahren ist der Florentiner Justizpalast aus der Innenstadt in den Nordwesten der Stadt verlegt worden. Eine absolute Fehlentscheidung! Sonst könnte ich nämlich meinem Schmerz wenigstens vorübergehend so etwas wie Trost spenden. In Tränen aufgelöst würde ich das Gerichtsgebäude verlassen und halb blind durch die Via dei Magazzini und die Via del Corno irren. Dort würde mir dann einfallen, dass diese Gegend früher die Heimat von Pratolini und seinen Schriftstellerkollegen war. Dann ginge ich weiter bis zur Piazza della Signoria und würde dort den Schönsten der Schönen bewundern - ja ja, ich weiß natürlich, dass das Original der David-Statue im Museum steht. Aber irgendwie hätte meine Scheidung so trotzdem unter den Blicken von Michelangelos Meisterwerk stattgefunden.
Oder ich könnte durch das alte Griechenviertel laufen, um plötzlich vor der prachtvollen Basilika Santa Croce herauszukommen. Vielleicht würde ich mich auch auf die Piazza delle Pallottole flüchten, wo die Florentiner sich früher traditionell den ersten Kuss gaben. Dort hätte ich mich hingesetzt und stillschweigend in der Erinnerung an meine eigenen Küsse geschwelgt.
Bei einigen dieser Gedanken wird mir ganz warm. Deshalb ziehe ich den anthrazitgrauen Mantel aus und packe die wollene Baskenmütze in meinen kleinen schwarzen Nietenrucksack. Zufrieden fahre ich mir durch die Haare: Die Frisur sitzt, und das trotz der wirklich feuchten Winter in Florenz! Nicht umsonst habe ich am Vortag zwei Stunden beim Friseur gesessen, der meine sonst dicken schwarzen Locken zuverlässig und unter gnadenlosem Einsatz des Glätteisens gezähmt hat.
Beim Anblick meiner Bikkembergs merke ich, dass die letzten sieben Jahre auch an ihnen nicht spurlos vorübergegangen sind: Die Spitzen sind abgewetzt und das ehemals glänzende Schwarz ist ganz stumpf. Die Stiefel waren eine der ersten Trophäen unserer verliebten Shoppingtouren, als Filippo und ich noch nachmittags händchenhaltend durch die Einkaufsstraßen flanierten. Aber mal ehrlich: In Kombination mit meiner bordeauxroten 40-Den-Strumpfhose und dem Plissé-Kleid aus Crêpe Georgette sind sie immer noch ein echter Hingucker.
Salimbeni wird immer nervöser. Vielleicht packt ihn die Angst, dass sein Optimismus verfrüht war. Oder wie er es formulieren würde: dass den Erwartungen des Herrn Superanwalts zum ersten Mal in seinem Leben nicht entsprochen wird. Tatsächlich zieht er nun sein Handy aus der Anzugtasche. Ein schöner, gedeckter Anzug, dessen granatfarbene Krawatte - die übrigens super zu meinen Nylons passt, als wären wir das Gerichtsdreamteam par excellence - gelungen seinen grau melierten Bart hervorhebt. Dies zusammen mit der dunkel gerahmten Designerbrille verleiht ihm diesen untadeligen Anstrich, der aus ihm einen der gefürchtetsten Anwälte der ganzen Toskana macht.
Er muss meine Blicke bemerkt haben und lächelt mir demonstrativ gelassen zu: »Ich versuche mal, die Gegenseite zu erreichen.«
Komisch klingt das, wenn er Filippo so nennt. In den sieben Jahren unserer Liebe hatte ich oft Gelegenheit, auf ihn zu warten: Mittags in irgendwelchen Restaurants, wo wir in aller Eile eine halbe Stunde Mittagspause miteinander verbrachten. Oder am Hochzeitstag auf der Piazza Michelangelo, wo wir ein paar Fotos machen wollten und er sich endlos mit seinen Uralt-Kumpels in den Armen lag (sie konnten nämlich einfach nicht glauben, dass der notorische Latin Lover schließlich doch vor dem Traualtar gelandet war). Oder abends im Bett, wenn er im Wohnzimmer noch seine Lieblingssendung zu Ende schauen musste. Oder auch beim Immobilienmakler, wo wir den Kaufvertrag für unsere Traumwohnung unterschreiben wollten.
Tja, und bei diesen Gelegenheiten habe ich so einige Bezeichnungen für ihn gehört: Mann, Bräutigam, Freund, meine bessere Hälfte - und ich frage mich immer noch, wie aus meiner großen Liebe plötzlich mein Gegner werden konnte.
Im Rucksack vibriert es. Zum Glück, denn diese Grübeleien ziehen mich ehrlich gesagt ganz schön runter.
Ich schaue aufs Handy, wo eine WhatsApp in der Gruppe meiner Freundinnen eingegangen ist. Die mir damit einmal mehr beweisen, was echte Freundschaft ist: nämlich wenn dir jemand beisteht, ohne dass du lange fragen musst.
In der WhatsApp-Gruppe sind wir zu dritt, und entstanden ist sie auf einem unserer Wochenendtrips nach Rom. Wir versuchen regelmäßig, uns eine Auszeit zu nehmen, nur für uns. Na ja, regelmäßig ist vielleicht zu viel gesagt. Aber eben so oft es geht. Das bedeutet, immer wenn wir uns von Ehemännern, Kindern, Hunden, Katzen, Arbeit, Hobbys und allen möglichen Festivitäten frei machen können. Dann fliehen wir nach Rom, das uns fast zur zweiten Heimat geworden ist. Und was tun wir da den lieben langen Tag? Gar nichts. Wir laufen einfach nur herum. Von Geschäft zu Geschäft, von Piazza zu Piazza. Und genießen in vollen Zügen, was das Leben uns so bringt.
Mit meinen beiden Freundinnen wechsle ich schon um sieben Uhr morgens Sprachnachrichten, so fängt der Tag gut an. Ihnen schenke ich die intimsten Einblicke in mein Leben, weil ich weiß, dass sie mein Vertrauen niemals missbrauchen würden. Bei ihnen könnte ich um drei Uhr nachts anrufen, wenn ich nicht weiß, wo ich schlafen soll, und sie hätten sofort eine warme Decke und ein Kissen für mich. Sie stärken mir den Rücken und stehen mir bei. Auch wenn ich Fehler mache, klar. Und selbst wenn sie mich zusammenstauchen, wenn wir unter uns sind, stehen sie vor anderen doch immer bedingungslos hinter mir.
Gestärkt von diesen Gedanken öffne ich den Chat und lese gespannt, was meine Freundinnen mir sagen wollen.
Hey, Flò, wie läuft's? L.
Warten auf Filippo.
Hallöchen, schon was Neues? P.
Nein, wie gesagt, wir warten noch auf Filippo. Aber das ist ja nichts Neues, Pünktlichkeit war noch nie seine Stärke.
Genauso wenig wie Treue! L.
Kopfschüttelnd stecke ich das Telefon zurück.
Keine Ahnung, ob ich lachen oder weinen soll, aber so ist Lucilla nun mal. Ich kenne sie seit Ewigkeiten, und ihre Art, die Dinge beim Namen zu nennen, macht sie ebenso einzigartig wie unerträglich. Höchstwahrscheinlich schreibt Penelope ihr gerade eine SMS und wirft ihr mangelnde Sensibilität vor. Den Tränen nahe wird Lucilla sich entschuldigen, sie habe das nicht gewollt, was ja auch stimmt. Das wissen Penelope und ich genau, denn dass wir uns schon so lange mögen, liegt unter anderem daran, dass wir uns so nehmen, wie wir sind.
Lucilla und ich sind von der Mittelstufe an in dieselbe Klasse gegangen. Penelope ist ein wenig älter. Sie haben wir vor knapp zwanzig Jahren in einem Fitnessstudio kennengelernt, dem Beauty Center, wo wir gefühlt schon immer hingehen (wenn auch mehr wegen der netten Gesellschaft als aufgrund der tollen Kursangebote).
Wir müssen ungefähr sechzehn gewesen sein, als Lucilla wegen einem der vielen Jungs weinte, in die sie sich immer verknallte. Ich war damals noch Jungfrau und hatte für das Liebesleid meiner Freundin nur begrenztes Verständnis. Unter der Dusche, nach einem intensiven BOP-Training, hatte Lucilla einen ihrer exzentrischen Anfälle: »Ich halt's nicht mehr aus, Flò! Die wahre Liebe gibt es einfach nicht!«
»Oh doch«, erklang eine sanfte Stimme aus der Nebendusche. Dort stand Penelope mit blonder Kurzhaarfrisur und rundem Bäuchlein. »Es gibt sie wohl, meine Lieben. Entweder bin ich die große Ausnahme oder es gibt sie wirklich«, fügte sie selbstsicher hinzu. Wir mussten alle drei lachen. Und...
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