Schweitzer Fachinformationen
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"Bist du endlich da? Du bist fast die Letzte. Die anderen haben schon ihre Zimmer belegt. Fünfzehn sind wir, dich eingerechnet. Begrüße schnell Mutti. Die ist noch im Wohnmobil", wurde Milda von ihrem Vater empfangen. Sie zuckte zusammen. Ziemlich rau der Ton. Sie fühlte sich gemaßregelt, wie so oft, wenn sie gegen Vaters Willen verstoßen hatte. Er war seit seiner Kindheit ein strenges Regime gewohnt und hasste nichts mehr als Unpünktlichkeit. Sie küsste ihn, worauf er lächelte. Obwohl er manchmal unberechenbar war, liebte sie ihn.
Milda klopfte ans Wohnmobil. Ihre Mutter, die kurzen grauen Haare ganz zerzaust, guckte durchs Fenster. Als sie sah, dass die Klopfende Milda gewesen war, öffnete sie in Unterwäsche die Tür. Milda trat ein.
"Guten Tag, meine Große, ich bin noch nicht so weit, hatte gerade gelegen. Kopfschmerzen. Ich bin dann zur Begrüßung heute Nachmittag auch im Saal. Geh erst mal zu Hanne aufs Zimmer." Sie drückte ihre Tochter und schob sie aus dem Wohnmobil.
Im Hotelzimmer machte sich Mildas vier Jahre ältere Cousine Hanne frisch. Beide hatten gemeinsam ein Doppelzimmer genommen.
"Milda, lange nicht gesehen. Ich freue mich."
Hanne war eine schöne Frau, ein Marina-Vlady-Typ, nur mit halblangen, hellblonden Haaren. Milda schämte sich ein bisschen, weil Wieland wieder nicht zum Verwandtentreffen mitgekommen war, dachte dann aber, besser so, als seine schlechte Laune ertragen zu müssen. Die vielen Verwandten gingen ihm auf die Nerven, zumal sie sich oft gegenseitig überschrien, um gehört zu werden. Außerdem störte ihn die lange Fahrt von Lotheim in Mecklenburg-Vorpommern, dem Wohnort der Familie Balow, bis nach Redichberg im Süden Brandenburgs. Sie brauchte Hanne nichts zu erklären oder vorzuschwindeln. Ihre Cousine wusste Bescheid und hatte mal gesagt, lieber Probleme mit dem Mann, als allein zu sein.
"Wie machst du das bloß, dass man dir dein Alter nicht ansieht? Wanderst du nach wie vor mit deiner Gruppe?", fragte Milda.
"Bewegung, gute Laune, Magnesium und dann habe ich ja immer noch mein Ehrenamt. Du weißt schon, die Betreuung der Alten. Das hält jung. Du und ich, wir haben die guten Gene der Familie Röder geerbt. Schau deinen Vater an, sieht der wie vierundachtzig aus? Wir beide werden sehr alt, aktiv wie wir sind", sagte Hanne.
An ihr nahm sich Milda ein Beispiel: rackern, Spaß haben und das Leben genießen. Miesepeter nicht nahe an sich rankommen zu lassen, das war Hannes Motto. Das Glas war für sie stets halbvoll, selbst das Schlimmste war nur halb so schlimm. Sie einigten sich auf die jeweilige Betthälfte, wobei Milda dachte: "Hoffentlich kann ich schlafen."
Die Frauen zogen flache Schuhe an, weil sie vor dem Kaffee noch spazieren gehen wollten. Obwohl Milda elegant gekleidet war und sich gleich den anderen präsentieren wollte, schlüpfte sie in sportliche Sandalen. Das sah nicht perfekt aus, war aber bequem. Ihre Beine waren nicht sehr lang und besonders groß war sie auch nicht, aber mit den Hochhackigen konnte sie manches kaschieren. Die würde sie abends anziehen. Inzwischen war sie in einem Alter, in dem man auf die Gesundheit achten musste. Deshalb hatte sie den flachen Schuh gewählt. Nach dem Spaziergang würde sie schnell ins Hotelzimmer huschen und die Pumps anziehen.
Im Foyer stießen die zwei auf Mildas Cousine Melanie und deren Mann Gundolf. Die beiden hatten Melanies Eltern mitgebracht, Tante Ingrid und Onkel Fritz. Fröhliche Leute, von denen Hanne und Milda lachend empfangen wurden. Mitgehen wollten die vier nicht. Es war zu warm. Das Bierchen lockte. Vielleicht würden sie sich auch einen Kurzen genehmigen, meinte Onkel Fritz.
Milda und Hanne schritten zügig voran, sie waren sich einig. Es würde viel zu essen geben, sie müssten mit Energieverbrauch vorsorgen.
Das Hotel lag unmittelbar am Redichberger See. Hinterm Gebäude räkelte man sich in Badeanzügen oder weißen Bademänteln auf Sonnenliegen.
Milda sagte: "Den Badeanzug habe ich daheim gelassen. Ich war seit ewigen Zeiten nicht mehr schwimmen. Meinen Luxuskörper kann ich niemandem zumuten. Vor Jahren war ich mit meiner Jüngsten im Freibad. Wir hatten einen wunderbaren Bikini für Ava gekauft. Als wir uns in den Kabinen umzogen, ergriff uns eine seltsame Scham. Wir wickelten uns in die Badetücher, saßen vorm Bassin und überlegten, wann und ob wir überhaupt ins Wasser gehen sollten. Schließlich fuhren wir unverrichteter Dinge wieder heim."
"Ihr seid zwei Püppis! Das kann mir nicht passieren. Im Sommer schwimme ich jeden Morgen in meinem Gartenpool, egal, wer zuschaut. Ins Meer gehe ich auch."
Die Wege am Redichberger See waren gesäumt von hohen, blühenden Hecken, deren Namen die beiden Cousinen nicht kannten, obwohl sie verschiedene Büsche in ihren heimatlichen Gärten angepflanzt hatten. Milda hob sich meistens die Kärtchen der Stauden und Hecken auf, konnte aber später nicht mehr nachsehen, weil ihr entfallen war, wo sie die Anhänger aufbewahrt hatte.
Im Schatten unter den hohen Linden, deren Duft betörte, saßen schicke ältere Herrschaften auf hellen Parkbänken. Milda dachte: "Mutter müsste mehr laufen, aber die entschuldigt ihre Bequemlichkeit regelmäßig mit dem Hinweis auf Osteoporose. Vater ist agil."
Vor Hanne kam ein kleiner Blondschopf mit seinem Mountainbike gerade noch zum Stehen. Es staubte. Die Eltern riefen ihn zurück, man hörte sie schimpfen. Rechts von ihnen zog ein monumentaler Spielplatz den Blick der Frauen auf sich. Ein Turm wie im Märchen, Hängebrücken vor einer Holzburg mit bunten Fähnchen voll phantastischer Symbole. Kleine Jungen verfolgten einander auf einer schwankenden Brücke, Säbel schwingend. Die Mütter und Väter saßen auf Decken und alberten mit ihren Babies herum.
Hanne und Milda wurde wehmütig zumute. Ihre Töchter hätten durchaus mit zum Verwandtentreffen kommen können. Aber sie arbeiteten die ganze Woche und wollten ihre kurz bemessene Zeit am Wochenende nicht auf der Autobahn verbringen, wie sie sagten. Vielleicht waren den 30-Jährigen die alten Verwandten auch zu anstrengend.
Milda und Hanne kehrten um, es gab gleich Kaffee. Die beiden frischten ihr Make-up auf. Milda zog ihre Pumps an und Hanne auch.
Das Foyer weitete sich zur Seeseite hin in einen kleinen Saal aus, den Erwin Röder reserviert hatte. Er organisierte seit Jahren regelmäßig diese Familientreffen, meistens am Redichberger See. Dorthin fuhren Mildas Eltern jeden Sommer. Mit dem Wohnmobil waren sie "mobil".
Erwin Röder plante zeit seines Lebens alle Ausflüge der Familie. Als Milda klein war, packten Vater und Mutter sie und Liane jedes Wochenende in den blauen Trabant. Auf ins Museum, hoch zur Burg, rein in die Gedenkstätte der Arbeiterbewegung! In einem kleinen Heftchen sammelte der Vater Stempel, zum Nachweis, dass er dort gewesen war. Bei einer gewissen Anzahl von Stempeln erhielt man freien Eintritt. Milda hatte sich stets auf die Wochenenden gefreut. Schwester und Mutter konnten sich selten für die Ausflugsziele begeistern. Geschichte war nicht ihr Ding.
Kaffeezeit. Nun stand der Vater in der Mitte des Saales am Fenster und hielt eine kleine Begrüßungsrede. Dabei sprach er alle einzeln an und gab ihnen zu verstehen, dass er sich über deren Anwesenheit freue. Währenddessen betrachtete Milda ihre Verwandten, die sie ein Jahr nicht gesehen hatte. Mutters Schwester, Tante Ida, war dünn geworden. Dick angezogen fror sie vielleicht. Alt wirkend, aber nicht teilnahmslos, brachte sie mit kurzen Zwischenbemerkungen ihre Verwandten zum Lachen. Vater schüttelte den Kopf. Das mochte er nicht, wenn man seine Rede unterbrach. Mildas Onkel Herbert, der Mann der dünnen Tante, trug unter dem Anzug ein langärmeliges Hemd und darüber eine Weste. Er war rot im Gesicht.
Milda sagte leise zu ihm: "Zieh was aus, es ist warm."
Er schüttelte den Kopf. Vater war beim Bruder der Mutter und dessen Frau angelangt, Onkel Fritz und Tante Ingrid. Beide erschienen gern zu Familienfeiern, genossen das Essen und schwelgten in alten Erinnerungen. Mildas Cousinen hatten ihre Partner mitgebracht, nur Hanne und Milda waren solo unterwegs.
Da öffnete sich mit Schwung die gläserne Tür und Mildas jüngere Schwester Liane rauschte mit ihrem Mann Reinhardt herein. Den Auftritt genossen sie sichtlich. Ein Raunen ging durch den Saal. Das Ehepaar Kurz war fein gestylt, es trug Designer-Kleidung.
"Entschuldigt, wir hatten noch zu tun. Wir kamen nicht rechtzeitig los. Überall Stau. Wir müssen gleich wieder raus. Unser BMW steht vorm Eingang."
Milda blickte zu Hanne. Die verdrehte die Augen. Kurzens eilten hinaus.
Vater sagte zu allen Anwesenden: "Die zwei sind überarbeitet. Ich bin froh, dass sie es überhaupt möglich gemacht haben herzukommen. In ihrem Reiseunternehmen klingelt Tag und Nacht das Telefon. Was da alles dranhängt - die ganze Verantwortung! Die zwei können einem leidtun."
Milda dachte: "Ich habe auch Tag und Nacht zu tun. Chorauftritte, Vorbereitungen, Versammlungen, Eltern- und Schülergespräche. Alles ist aufregend, ich werde von schlaflosen Nächten gequält. Habe ich keine Verantwortung? Die Frau Geschäftsführerin und der Herr Prokurist leben auf großem Fuß, das sieht man ja, währenddessen mir die Erziehung der Hoffnung unseres Volkes obliegt."
Ihr gegenüber sackte Onkel Herbert plötzlich zusammen und rührte sich nicht mehr. Alle sprangen auf und schrien. Herberts Tochter Berit schlug ihm ins Gesicht, immerzu seinen Namen rufend, und riss Jackett, Weste und Hemd auf. Als Einziger...
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