Schweitzer Fachinformationen
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6. Dezember 1993, 21:18 Uhr
Ich stehe an der Ecke Josephine Street und Long Beach Boulevard und sag mir, dass ich sterben werde, wenn ich nicht noch acht Häuser durchhalte. Und genau da geht dieses Erdbeben in meinem Inneren los. Ich knicke in der Mitte ein. Fühlt sich an, als würden meine Knochen von innen herausbrechen. Ich brauche den Gehweg, um mich festzuhalten. Ich muss zwei Hände auf Beton legen, und er ist kalt, und ich sehe aus, als würde ich versuchen, ein Tier auf allen vieren zu sein.
Diese Erdbeben, die über mich kommen, sind groß. Jedes von ihnen ist wie ein Maul, das in die Mitte meines Körpers beißt und das zu essen versucht, was von mir übrig ist. Und dieses hier schluckt mich jetzt einfach.
Es lässt mich wieder los, und ich weiß, dass ich mich bewegen muss, bevor das nächste kommt. Als ich etwas Nasses über meine Lippe laufen spüre, wisch ich mir die Nase an der Schulter und bin echt froh, dass es kein Blut ist.
Ein Auto rollt langsam heran. Scheinwerfer treffen meine Augen, und ich zucke zurück. Die Fenster werden heruntergekurbelt, und aus Lautsprechern erklingt irgendeine Sängerin. Ich höre es. Aber ich kann nicht verstehen, was sie singt.
«Was stimmt verdammt noch mal mit diesem Typ nicht? Hat er die Malias, oder was?»
Das sagt wohl der Fahrer. Und dann ist er weg. Und die Lichter auch.
Er weiß und ich weiß, dass man sich in diesem Viertel nicht mit den ersten Symptomen eines Entzugs erwischen lassen sollte. In so einem Zustand südlich des neuen Century Freeway? In so einem Zustand jenseits von Long Beach? Das ist Gangtown-Scheiß. Nach Einbruch der Dunkelheit? Da bettelst du nur darum, dass du ein paar üble Sachen auf dich ziehst.
Und ich wäre todsicher nicht hier, wenn ich ein paar andere Optionen hätte.
Aber genau das passiert, wenn man eineinhalb Tage schläft und aufwacht und sich dringender als je zuvor unbedingt einen Schuss setzen muss.
Ich spüre, wie das nächste Erdbeben anrollt, zunächst nur ein Wackeln. Wie ein kleines Nachbeben. Also lehne ich mich an eine Mauer und stehe es durch, als wäre ich in einem Sturm. Jetzt hab ich nur noch fünf Häuser. Bin fast da. Halt mich an der Mauer fest und versuche so auszusehen, als könnte mich der nächste Hurrikan nicht davontragen.
Dann überfällt mich der Geruch nach Fleisch. Rindfleisch. Oder Tamales. Oder Tacos Mexico. Und mein Magen tut so, als würde er danach grabschen, nur um mir Ärger zu machen. Das folgende Erdbeben ist das allerschlimmste überhaupt. So schlimm, dass ich auf der Stelle anfangen will zu schreien.
Würde ich. Aber die Schmerzen würden davon nicht besser werden. Und das Verlangen in mir nicht befriedigen. Dieses Verlangen ist krasser als krass.
Es ist wichtiger als der Schmerz. Hüllt ihn ein.
Das Verlangen treibt meine Schritte, und ich kämpfe mich gerade mit ein paar Spastischritten vorwärts, bei denen meine Beine zur Seite ausbrechen wollen, aber schaffe es irgendwie, weiterzugehen. Ich bin diese Schmerzen gewöhnt. Ich hasse sie. Aber ich kenne sie. Und das Verlangen hat mich immer im Griff. Es ist eine Notwendigkeit. So wie Atmen.
Ich habe nachts im Hafen gearbeitet. Bis zu meinem Unfall. Ich kenne die nächtlichen Geräusche auf den Booten. Und diese Gefühle sind wie der Schalltrichter eines Nebelhorns. Sie gehen nach oben. Nicht nach unten. Nicht biiiiep-ummmmm. Einfach nur ein biiiiiep, das allmählich leiser wird. So ruft mich die Droge. Ruft mich wieder und wieder. Sie ist dort in der Nacht und sagt, dass ich zu ihr kommen soll. Wenn ich zu ihr kommen kann, sagt sie, dann kann ich danach weiter dahinsegeln.
Und das treibt mich jetzt zu dieser Tür. Ich weiß, dass ich das nachts besser nicht tun sollte. Aber ich muss. Ich muss oder ich sterbe. Ich muss mit Scrappy reden oder sterben. Das sagt mir mein Bauch. Das sagt mein Gehirn. Beide sind sich einig, dass ich keine weiteren Optionen mehr habe.
Also klopfe ich an die Fliegengittertür, und sie scheppert, und dann lehne ich an das ganze Haus und sag ihm, es soll mich halten.
Ein kleiner Junge kommt an die Tür. Ein Junge ohne Hemd. Ich sehe ihn hinter dem Fliegengitter mit einem Eis am Stiel im Mund, und er blinzelt mich an. Dann höre ich jemanden «Nein!» schreien und aus dem Wohnzimmer kommen.
Und er und ich wissen, dass er Ärger kriegen wird, weil er nachts die Tür geöffnet hat. Der kleine Junge dreht sich gerade rechtzeitig, um von Scrappy einen Klaps auf den Hintern zu bekommen.
Auch Scrappy sieht sauer aus. Trägt nur ein T-Shirt und Shorts. Keinen BH. Hat aber ein Pokerface aufgesetzt. Durch die Löcher im Fliegengitter kommt mir all der Zorn entgegen.
«Hau ab, Scheißkerl», sagt sie. «Ich hab nichts für deinen Junkie-Arsch.»
Sie knallt mir die Tür vor der Nase zu. Ich spüre den Luftzug und weiß, so fühlt es sich wohl an, wenn man ertrinkt und jemand steuert mit einem Motorboot auf einen zu und schaut zu, wie man versinkt, und dreht dann ab.
Das ist verdammt erniedrigend. Das ist traurig. Das ist peinlich. Das ist alles auf einmal.
Aber dann trifft mich ein weiteres Erdbeben, und alles andere ist unwichtig.
Zum Teufel mit Scrappy. Das beschließe ich auf der Stelle. Hier bin ich. Ich werde was auch immer machen, bis sie herauskommt. Es ist mir sogar egal. Sie bringt mich um? Toll. Sie befreit mich von meinem Elend.
Ich gehe zum Fenster und ziehe an den hölzernen Läden. Zerre ruckartig daran. Hänge mich mit meinem Gewicht daran. Das gibt ein verflucht schreckliches Geräusch. Es klingt wie knirschende Zähne, als eines der Scharniere sich entschließt, aus dem Putz zu brechen.
Das tut mir leid. Wirklich. Aber ich mache weiter.
Durch die weißen Vorhänge sehe ich mehrere Menschen, und dann öffnen sich die Vorhänge. Das muss Scrappys Mutter sein oder was weiß ich. Und hinter ihr Scrappy, die mich entsetzt ansieht und mir mit den Augen befiehlt, verdammt noch mal zu verschwinden, aber weiß, dass ich das nicht tue. Weiß, dass ich bis zum Anschlag drauf bin und sie sich besser mit mir abgibt, bevor ich alles nur noch schlimmer für sie mache.
Und dann tue ich so, als würde ich gleich überall hinkotzen. So als würde ich gleich Scrappys großes Problem sein, wenn sie mich hier draußen lässt. Sie sieht meinem Gesicht an, dass ich die ganze Nacht hier auf dem Rasen liegen werde. Die Büsche ihrer Mutter als Bett benutze. Und vielleicht bin ich am Morgen immer noch da, und sie muss sich um mich kümmern. Dann bin ich entweder tot, oder sie muss einen Krankenwagen rufen und hat Beamte hier herumrennen und muss deren Fragen beantworten, oder sie sieht zu, dass sie mich hier jetzt loswird.
Und das alles, direkt nachdem mich ein weiteres Erdbeben trifft, und ich muss auf ihren Rasen starren, der seit Wochen kein Wasser gesehen hat. Der größtenteils aus nacktem Boden besteht. Und dann schaue ich auf, und wir starren einander an, und wir beide wissen, wie sehr wir einander hassen, aber wir wissen, wie es läuft.
Das Spiel läuft so. Ich brauche dringend etwas. So dringend, dass ich alles dafür tue, es zu bekommen. Das weiß sie und sie weiß, dass sie hat, was ich brauche, um wieder auf den Damm zu kommen. Und sie weiß, dass sie mir besser etwas gibt, denn ich habe absolut nichts zu verlieren. Ich werde ihr ganzes Haus von außen demolieren. Was kann sie schon machen? Die Sheriffs rufen?
Sie zeigt auf die andere Straßenseite, als solle ich dort rübergehen, und dann zieht sie die Vorhänge mit einem Ruck zu, und ich weiche ein paar Schritte zurück.
Ich lehne mich an den Briefkasten. Ich spüre einen Stich in der Seite, von der Hüfte bis zu den Rippen. Hier draußen ist es echt ruhig. Und ich spüre Blicke auf mir, aber scheiß drauf. Ich schaue nach links. Ich schaue nach rechts.
Ich sehe, wie ein Auto die Straße hinab die Scheinwerfer ausschaltet, aber ich weiß nicht, ob es der Wagen von eben ist oder ein anderer oder ein Nachbar oder was. Ist mir auch egal.
Wann schaue ich wieder auf? Scrappy kommt von der Seite des Hauses auf mich zu. Sie trägt jetzt ein Hoodie. Und Jeans. Und sie sieht wütend aus.
Sie schreit flüsternd: «Was zum Teufel bildest du dir ein, so bei mir aufzutauchen?»
WUMMS. Ich seh nicht mal, wie sie ausholt, aber ihre Faust landet direkt in meinem Magen, und ich falle dahin, wo Rasen sein sollte, aber kein Rasen ist. Und das Lustige ist, dass es sich fast gut anfühlt. Dass es nicht so übel ist wie die Erdbeben. Es lenkt mich davon ab. Und ich lache.
Sie hasst so was. Sie tritt nach mir und trifft mich voll in die Rippen, da, wo ich den Stich gespürt habe. Darüber lache ich nicht. Meine Lunge ist plötzlich leer, und...
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