Schweitzer Fachinformationen
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Ich bin auf der First Street, Augen nach oben, aber tief im Sitz, mein Wagen parkt gegenüber den Sozialwohnungen des Rancho San Pedro Projects am absoluten Ende von Los Angeles. Nicht zum ersten Mal heute überlege ich mir: Wenn ich diesen Safe aufkriege und wenn sie mich dabei allein lassen, dann nehme ich mir das Geld.
Natürlich nicht alles. Ich bin ja nicht blöd. Nur einen Teil.
Sie haben 9:00 gesagt. Jetzt ist es zehn nach. Ich bin seit 8:50 hier, aber sie sind noch nicht da. Das kommt vor bei der Drug Enforcement Administration. Die kommen erst, wenn sie wirklich so weit sind. Hat keinen Zweck, sich zu beschweren.
Der Plan: Weil heute Sonntag ist, kommen sie zur Gottesdienstzeit. Darum weiß ich auch, dass es um spanischsprachige Kundschaft geht. Das verringert die Anzahl, wenn ein paar von ihnen in der Kirche sind, mit Freundinnen oder Müttern; in dieser Gegend ist das wahrscheinlich die Mary Star of the Sea an der Seventh Street. War ich schon mal. Auch wegen eines Mädchens.
Die DEA steht total auf Sonntage. Ich bin freiberuflich im Sicherheitsgewerbe, darum ist es mir egal. Schlösser knacken bleibt Schlösser knacken. Wenn sie den Tipp kriegen, dass ein Safe im Haus steht, der geöffnet werden muss, dann holen sie mich dazu, und ich mache ihn auf. Ich habe einen Plastikausweis unterm Hemd auf der Brust baumeln. JUSTIZANGESTELLTER steht drauf. An meinem Jeep habe ich geschwärzte Nummernschilder. Niemand darf wissen, dass ich für die DEA oder das FBI oder die Sheriffs arbeite. Sie dürfen nicht mitkriegen, dass ich ihre Schatzkiste geknackt habe, und mich dann wegfahren sehen und rauskriegen, wer ich bin und wo ich wohne, weil sie mein Kennzeichen gesehen haben. So bin ich sicher.
Für alle anderen bin ich ein Geist, wenn ich so einen Job mache.
Das habe ich mal zu Frank gesagt, als er mir das Handwerk beibrachte. Er hat gelacht, und es hat ihm gefallen, also hat er mir den Namen angehängt. Hat mich von da an Ghost genannt. Wenn er mich irgendwem vorgestellt hat, hieß ich immer Ghost Mendoza. Nicht Ricky. Und es hat gut funktioniert, weil ich so helle Haut habe, dass die Leute gar nicht damit rechnen, dass ich Spanisch spreche - tue ich aber. Das gehört jetzt einfach zu meinem Straßenarsenal - eine von mehreren Arten, unterschätzt zu werden. Aber der Spitzname war sowieso cool, weil Ricky Mendoza Junior gar nicht mein richtiger Name war, bloß einer, den ich mir offiziell zugelegt hatte, als es angeraten schien. Mein wahres Ich ist sozusagen gestorben, als ich den Namen annahm, und was von mir übrig ist, schwebt so herum.
Ich parke zwei Kreuzungen vom Einsatzort entfernt. Wenn sie die Tür aufgebrochen haben, rolle ich dichter heran. Die Kühlerhaube meines Jeeps zeigt bergab, Richtung Kreuzfahrtterminal, an dem ein großes weißes Schiff liegt. Dahinter ragen große Kräne auf, die vielleicht mal türkis gestrichen waren, bloß dass die Sonne jeden Tag draufknallt. Und dahinter ist so ein grauer Morgen, der sicher bald zu einem heißen Tag werden wird, und dann verdampfen alle Wolken, aber im Moment hängen sie noch dicht an dicht.
Ich will doch stark hoffen, dass Geld in dem Safe ist. Und keine Drogen. Mit Drogen kann ich überhaupt nichts anfangen. Früher, klar, da wusste ich viel zu gut, was ich damit anfangen sollte, aber jetzt nicht mehr.
Wenn ihr wissen wollt, wo in Los Angeles Gangs abhängen, müsst ihr nur nach alten weißen Schildern an den verputzten Mietshäusern suchen, auf denen BETRETEN VERBOTEN, L.A.M.C., Abs. 41.23, steht. Das ist der entsprechende Absatz der Stadtverordnung zum Landfriedensbruch. Manchmal gibt es auch neuere Schilder, auf denen steht, dass ein Grundstück für die Öffentlichkeit gesperrt ist und dass jede Zuwiderhandlung bestraft wird. So bekämpft man Gangs, wenn man als Stadt nicht viele andere Möglichkeiten hat. Man erklärt es für illegal, draußen abzuhängen.
An jeder Seite dieser Gebäude hängt so ein Schild. Die Häuser gehören alle der Wohnungsbaubehörde, sind von oben bis unten mit Gips verputzt und alle Fenster und Türen vergittert. Sicherheitstüren bringen gar nichts. Wenn aufs Klopfen keiner aufmacht, komme ich ins Spiel. Wenn es ein Schloss von Medeco oder ein Schlage Primus ist, dann habt ihr noch etwa eine Minute extra, euren Arsch hinten aus einem Fenster zu schwingen und direkt einem Beamten mit gezückter Waffe in die Arme zu laufen, der bloß darauf wartet, dass ihr was Dummes anstellt. Oder vielleicht habt ihr auch einen Zusatzriegel innen an der Tür. Aber die DEA hat Rammen dabei. Riegel halten nicht lange.
Öffentlicher Wohnraum wird in Los Angeles immer spottbillig gebaut, und die Gangs lassen nicht extra Sicherheitstüren am Eingang einbauen, denn dann könnten sie auch gleich eine Lichtreklame anbringen: HIER WERDEN DROGEN VERKAUFT! Für normale Türen habe ich also Schlagschlüssel in der Tasche, und davon brauche ich immer nur zwei. Einen für das Schloss der Sicherheitstür. Einen für die Haustür. Das sind meine kleinen Beißer. Ich schleife ihre Zähne auf eine ganz bestimmte Art, sodass sie jeden normalen Zylinder knacken, wenn ich sie hineinzwänge und ein paarmal mit dem Schraubenziehergriff draufklopfe. Ganz leicht.
Ein Blick auf diese Türen sagt mir, dass nichts daran mich aufhalten wird.
Eine Frau kommt aus ihrer Wohnung auf der anderen Straßenseite. Sie zieht eine Kinderkarre hinter sich her auf den Bürgersteig, bevor sie die Tür mit großer Geste schwungvoll schließt. In der Karre sitzt aber kein Kind. Sieht aus wie Töpfe und Pfannen, vielleicht was zum Verkaufen. Keine Ahnung. Will ich gar nicht wissen.
Wenn ich in solchen Vierteln bin, krieg ich so ein vertrautes Gefühl im Magen. So wie beim Runterkommen auf dem Trampolin, wenn du dich fragst, ob du jemals wieder hochspringen wirst. Für mich war das Hochkommen nicht selbstverständlich. Nie. In diesem Leben steht nichts felsenfest. Es gibt keine Garantie, dass du wieder hochkommst, wenn du unten bist.
Ich hab so eine Redensart: Gestern ist weg, und Morgen kommt nie. Es gibt nur das Hier und Jetzt. Diesen Moment.
Ich kenne jede dieser traurigen kleinen Scheißwohnungen von innen, ohne dass ich je drin gewesen wäre. Mit den kaputten Wandschranktüren, die sich nie richtig schieben lassen, egal, wie oft man sie ausrichtet. Mit den rostigen Wasserhähnen, die vielleicht falsch angeschlossen sind, wenn man den kalten aufdreht, kommt warmes Wasser, aber nie heißes, und wenn man den heißen aufdreht, kommt kaltes, aber das Tropfen hört jedenfalls nie auf. Und außerdem gibt es Ratten oder Kakerlaken oder Bettwanzen oder Termiten, aber hoffentlich nur eines davon. Darauf kann man sich einrichten. Man kann sich dran gewöhnen, nachts den Fallen auszuweichen, aber um Gottes willen bitte nicht auch noch chinches de la chingada cama. Nicht sauteure Bezüge für die Matratzen kaufen müssen, die man ein Jahr drauflassen muss, oder die Beine des Bettgestells in kleine Plastikschalen stellen, in die man ein Pulver streut, das man aber nicht einatmen darf, weil es sonst die Lungen zerstört. Mit einer Sorte Ungeziefer kannst du leben, aber nicht mit zweien.
Zwei treiben dich in den Wahnsinn. So schlimm, dass du nie wieder dorthin zurückwillst. Ein großer Kasten von einem Mercedes-SUV, der in dieser Gegend nichts zu suchen hat, biegt vom Harbor Boulevard und kommt auf der anderen Straßenseite in meine Richtung. Er bremst ab, was er auf keinen Fall tun sollte, und ich schüttele den Kopf. Lass es sein, du Idiot. Ich kann das braungebrannte Bleichgesicht des Fahrers von hier sehen. Er sucht den Bürgersteig gegenüber ab, sucht nach seinem Kontaktmann, aber er hat wohl nicht vorher angerufen, es kommt nämlich niemand raus, um ihn zu treffen. Also fährt er weiter. Denn selbst dieser reiche weiße Scheißer vom Hügel oben ist vernünftig genug, sich nicht mit einem Kaffee hinzusetzen und auf den Verkäufer zu warten, bevor er sich abschießt.
Er ist mir total egal. Aber das bedeutet, dass gerade niemand hier was vertickt. Und wenn weniger Leute Geschäfte machen, gibt es vielleicht auch keine Schießerei. Vielleicht hat die DEA doch recht damit, sonntags zuzuschlagen. Jedenfalls hier.
Am Ende der Straße sehe ich das Kreuzfahrtschiff ablegen. Ein schwimmender Wolkenkratzer, der auf der Seite liegt, so sieht das Ding aus. Das Himmelsgrau hat sich nicht verändert.
Überall in L.A. ist es jetzt schlimm, Leute verlieren ihre Arbeit und so, aber hier ist es schlimm, ohne dass es jemand laut sagt. Von außen betrachtet, sieht in Pedro alles gut aus, aber wenn man die Ohren aufsperrt, hört man was. Dass es keine Gelegenheitsjobs mehr für Schauerleute gibt. Schon seit Monaten nicht. Den Gewerkschaften geht es schlecht, weil der Handel schlecht läuft und weil es im Hafen viel weniger Umschlag gibt als früher. Und so was kann man mit Kroaten und Mexikanern nicht machen, Mann. Die kann man nicht einfach ohne Arbeit rumsitzen lassen. Wenn die nicht arbeiten, wenn die kein Essen auf den Tisch bringen, dann verschwinden Lastwagen. Dann geht eine Fracht leichter raus oder kommt leichter rein, als in den Papieren steht. Da wird abgezweigt. Das kriegt man nie zu sehen, weil man dafür Licht bräuchte, und so was wird immer im Dunkeln erledigt.
Ich lese Zeitung, weil Frank Zeitung liest. Ich sollte es lassen, weil mir davon speiübel wird, aber ich tue es trotzdem. Irgendwelche Lehman-Brüder stecken...
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