Schweitzer Fachinformationen
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»Geh mir aus den Augen, schamlose Metze!«, donnerte Seine Erzbischöfliche Gnaden, Aguiar y Seijas, in dessen blauen Augen das blanke Entsetzen loderte. Er schleuderte seine Tasse nach der Magd, die mit einem Krug Schokolade in der Tür erschienen war. Erschrocken ließ das Mädchen den Porzellankrug fallen. Er zerschellte auf dem nackten Steinboden der Bibliothek, und Don Manuel Fernández de Santa Cruz, Bischof von Puebla, hielt sich die Ohren zu.
Der Erzbischof erhob sich. »Eine Schande ist das! Wie oft muss ich Euch noch sagen, dass kein Weib mich bedienen darf, Padre Antonio? Nicht eine Minute länger verweile ich hier.«
Padre Antonio erhob sich ebenfalls, doch Don Manuel blieb sitzen und säuberte sich mit einer Gabel die Fingernägel. »Vergebt mir, Ilustrísima«, sagte Padre Antonio. »Ich vergaß, nach dem Diener zu klingeln, statt nach der Magd. Der Fehler eines alten Mannes. Es ist kein Schaden angerichtet worden.«
»Ihr habt es zugelassen, dass das Zimmer durch die Anwesenheit eines Weibes besudelt wurde. Ihr wisst, dass das meiner Leber irreparablen Schaden zufügt.«
»Vergebt mir, Erzbischöfliche Gnaden«, wiederholte Padre Antonio. »Es wird nie wieder vorkommen. Ich werde das Mädchen auspeitschen lassen, weil es diesen Raum betreten hat, aber ich bitte Euch, bleibt noch. Wir müssen die Angelegenheit mit dem Sündenbekenntnis besprechen, das Sor Juanas Mutter Oberin vorgeschlagen hat. Madre Andrea wartet seit der Fastenzeit auf Antwort, und jetzt haben wir bereits Pfingsten. Es bereitet mir Unbehagen, Ilustrísima, meinen Verpflichtungen im Kloster San Jerónimo nachzukommen, ohne das Thema ihr gegenüber anzuschneiden.«
»Nichts kann mich veranlassen, in diesem Zimmer zu verweilen«, beharrte der Erzbischof.
»Warum begeben wir uns nicht in Euren Innenhof, Antonio?«, schlug der Bischof vor. »Ich weiß, dass Ihr keinem Dienstboten den Zugang zu jenem privaten Sanktuarium gestattet. Und vielleicht könnten wir nach dem hier« - er wies auf die Platte mit Aprikosenempanadas, von denen er die Hälfte verspeist hatte - »etwas Salziges bekommen. All dieses süße Zeug verursacht mir Zahnweh.«
In den langen Wochen seiner Krankheit war der Rosengarten im Innenhof das einzige gewesen, für das Padre Antonio Interesse aufgebracht hatte. Für den Gottesdienst erhob er sich, wie es seine Pflicht war, zog sich aber weder Schuhe an noch kämmte er sich das spärliche Haar; er geißelte sich dreimal täglich und verfasste sogar Vorträge für die wöchentlichen Treffen der Marien-Kongregation, auch wenn Sigüenza y Góngora sie an seiner Stelle hielt. Doch er führte keine Messen durch, nahm keine Beichten ab, hielt keine Predigten, erteilte seinen Schülern keinen Unterricht und widmete sich keiner seiner wohltätigen Aufgaben, sondern zog es stattdessen vor, im Haus zu bleiben und in den Viten der Heiligen zu lesen oder die Kirche oder das Mönchskloster zu fegen. Er wusste, dass die Stadt ihn nach den verheerenden Verwüstungen des vergangenen Sommers brauchte, aber er hatte die Kraft verloren, sich um irgendetwas zu kümmern. Einzig der Gedanke an seine Rosen, die nach all den Jahren der Hege und Pflege, des Zwiegespräches, das er durch sie mit Gott führte, des Experimentierens mit verschiedenen Züchtungen aus Valencia und Kastilien in der Dürre einzugehen drohten, ließ ihn pflichtbewusst zu Gartenschere und Wassereimer greifen und bewahrte ihn davor, sich der Krankheit vollständig hinzugeben.
Es war der einzige Luxus, dem er frönte, und dafür geißelte er sich fast so entschlossen wie für seinen Stolz. Hier im Rosengarten saß er gern morgens mit dem Rosenkranz, hier nahm er bevorzugt sein Mittagsmahl ein, hier saß er mit seinen engsten Freunden und Schülern am liebsten. Er wand sich bei dem Gedanken, sein privates Sanktuarium mit dem Erzbischof zu teilen, und erwartete, für seine Liebe zu den Rosen getadelt zu werden. Doch zu seiner Überraschung entpuppte sich der Erzbischof als großer Bewunderer wohlgestalter Blüten und nannte selbst einige Rosensträucher sein eigen.
»Sor Juanas Anerbieten, ein neuerliches Sündenbekenntnis zu verfassen, überrascht mich«, rief Don Manuel von der Bank aus herüber, auf der er es sich mit einer Platte Brot und Würstchen bequem machte, die der Koch als ihr Mittagsmahl angerichtet hatte. »Sie muss doch wissen, dass eine solche Chronik gegen sie verwendet werden wird. Wie wäre es auch anders möglich, nach dem Athenagorischen Brief?« Er bot den anderen die Platte an. »Möchtet Ihr, Ilustrísima?«
Der Erzbischof verzog beim Geruch der Würstchen unwillig das Gesicht und schüttelte den Kopf. Er nahm auf einer Bank dem Bischof gegenüber im Schatten eines Feigenbaumes Platz. Padre Antonio ließ sich zwischen den beiden auf dem Rand des Brunnens nieder und ließ die Hand durch das Wasser gleiten.
»Seht Ihr nicht, Padre Antonio, wie das Weib uns mit dem Vorschlag, dieses Bekenntnis zu verfassen, zu bewegen versucht, ihr das Schreiben wieder zu gestatten?«
»Das ist zweifelsohne ihr Hintergedanke, Ilustrísima. Doch ich vertraue Madre Andrea und weiß, sie würde gewährleisten, dass Sor Juana nicht vom Wege abschweift. Außerdem denke ich, dass Juana mit jenem Dokument ihr Schicksal besiegeln würde. Ich sehe nicht, was es der Kirche schaden könnte, wenn sie ihre Sünden zu Papier brächte.«
»Brauchen wir ein weiteres Dokument?«, fragte der Bischof. »Haben wir nicht bereits genügend Belege von ihren Mitschwestern bekommen, die wir dem Tribunal zur Begutachtung vorlegen können? Zusammen mit ihren Büchern und Briefen haben wir hinreichend Beweise für Sor Juanas Sünden, Antonio.«
»Irre ich mich«, sagte Padre Antonio, »oder seid Ihr früher mit Sor Juana befreundet gewesen, Don Manuel?«
»Ein intellektuelles Einvernehmen vielleicht, aber kein freundschaftliches«, antwortete der Bischof und tunkte eine Brotkruste in das Öl. »Sie zählte einst zu meinen Günstlingen, das ist wahr, und noch immer bewundere ich einige ihrer frühen Werke, aber ich fühle mich von ihrer Anmaßung im Umgang mit dem geschriebenen Wort zunehmend abgestoßen. Und ich wage zu behaupten, dass sie das männliche Geschlecht hasst. Ich selbst geriet durch ihre logische Argumentation meinesgleichen gegenüber ins Wanken. Die Rhetorik dieser Frau ist gefährlich, Padre Antonio. Sie könnte den Papst höchstpersönlich auf ihre Seite ziehen.«
»Und wovon könnte sie uns noch überzeugen, wenn sie das Sündenbekenntnis zu Papier bringt? Wir wissen bereits, dass sie eine Sünderin ist.«
»Als Adressat eines früheren Bekenntnisses«, sagte der Bischof, »kann ich Euch versichern, dass sie Logik und Geschichte auf das Geschickteste zu ihren Gunsten einzusetzen weiß. Sie verfügt über die Gabe der Eloquenz und ist eine meisterhafte Rhetorikerin. Sie könnte vielleicht sogar die Inquisition für sich einnehmen. Ganz zu schweigen davon, dass sie einen Verleger in Spanien hat.«
»Seit wann ist die Inquisition so leicht beeinflussbar? Meisterhafte Rhetorikerin hin oder her - letztlich ist sie bloß eine Frau und Nonne. Nur jemand mit einem schwachen Willen lässt sich von ihren Worten überzeugen.«
»Wollt Ihr damit sagen, dass der Wille eines Spaniers wie mir schwächer ist als der eines Kreolen?«
»Ich habe mich nicht als Nonne ausgegeben, um sie zu maßregeln«, gab Padre Antonio zurück.
»Ihr seid derjenige, der sie wieder angenommen hat, nachdem sie Euch über ein Jahrzehnt zuvor als Beichtvater zurückgewiesen hat. Wenn sie mir diese Bittschrift gesandt hätte, ich hätte sie unverzüglich zurückgeschickt, ohne auch nur das Siegel zu brechen.«
»Don Manuel, bitte - wir alle wissen, dass Ihr ihr Freund gewesen seid, und Ihr selbst habt Euch gerade als ihr Bewunderer bezeichnet. Ihr könnt schwerlich ein objektives Publikum abgegeben haben.«
»Ich gestatte mir zu widersprechen. Letztlich war ich derjenige, der die Wahrheit aus ihr herausgelockt hat.«
»Ihr habt Spielchen mit ihr getrieben, indem Ihr Euch als Sor Filotea ausgegeben und sie durch diese verschleierte Identität getäuscht habt, nur um Eure Worte gedruckt zu sehen. Ihr hattet nicht die Absicht, die Wahrheit ans Licht zu bringen.«
»Brüder, bitte!«, protestierte der Erzbischof. »Lasst uns nicht in die unmännliche Gepflogenheit des Gezänks verfallen. Die Frage ist, Padre Antonio, was Ihr tun werdet, um uns zu helfen, die verrufene Sor Juana Inés de la Cruz zurechtzustutzen.«
»Ihr könnt mir voll und ganz vertrauen, dass ich sie auf den Pfad der Tugend zurückleiten werde, Ilustrísima.«
»Seid kein Dummkopf! Ich will nicht, dass Ihr sie rettet. Ihr sollt sie zerbrechen. Warum wollt Ihr Eure Zeit mit dieser Ungläubigen vergeuden? Sobald sie von den Sakramenten ausgeschlossen ist, obliegt sie nicht mehr Eurer Fürsorge.«
»Verzeiht mir, Señores«, sagte Padre Antonio, »aber versuchen wir hier, Maria Magdalena zu kreuzigen oder zu retten? Nachdem ich die Angelegenheit ausführlich mit meinen Kollegen im Heiligen Offizium erörtert habe, war ich der Ansicht, dass diese eine Widerrufung verlangen, nicht eine Exkommunikation. Aus dem Grund habe ich die Mühe auf mich genommen, Sor Juana auf die Namensliste für die Bußprozession zu Fronleichnam setzen zu lassen ...«
Der Bischof kicherte hinter seiner Serviette. »Maria Magdalena kreuzigen? Ihr werft Eure Metaphern durcheinander, Antonio!«
Padre Antonio unterdrückte den Drang, den Bischof zu packen und mit dem Kopf unter Wasser zu drücken; stattdessen ballte er die Hand, die er noch immer durch das Wasser gleiten ließ, zur Faust. Wie kann er es wagen, sich...
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