2. Kapitel
In der Polizeistation in Oberherzholz packte Hauptkommissar Burghard Meier seine Tasche und verabschiedete sich von seinem Kollegen Dietmar Frisch.
»Das du ausgerechnet jetzt in Urlaub fährst, wo es hier an allen Ecken und Enden brennt, ist nun wirklich der Hammer«, schimpfte Kommissar Frisch. »Zwei Fälle von Betrug, und ich weiß nicht, wo ich mit den Ermittlungen anfangen soll.«
»Nun mach mal halblang mit deinem Gejammer«, brummte Meier. »Ich war letztes Jahr auch vier Wochen alleine hier, und du lagst auf den Kanaren am Strand. Die zwei Wochen auf Langeoog wirst du mir doch wohl gönnen.«
»Die gönn ich dir doch, Burghard«, wandte Frisch ein. »Aber muss das denn jetzt sein, wo hier so viel zu tun ist?«
»Hier ist immer viel zu tun«, sagte Meier. »Wenn du gar nicht klarkommst, ruf die Kollegen in Münster zur Unterstützung hinzu.«
»Und was mach ich, wenn diese falschen Polizisten wieder auftauchen?«
»Festnehmen, Dietmar! Einfach festnehmen!« Meier lachte, schnappte sich seine Sachen und war schon draußen.
Von ein paar Pappnasen, die alte Leute um ihr Geld brachten, würde er sich nicht seinen lang ersehnten Urlaub kaputt machen lassen. Seine Frau Gerda hatte schon gepackt, und sobald er die Koffer im Auto verstaut hatte, ging es los. Schließlich mussten sie pünktlich die Fähre nach Langeoog erreichen.
Während er das Auto langsam heimsteuerte, waren seine Gedanken bei den Betrugsfällen. Zweimal war es in den letzten Wochen vorgekommen, dass Fremde bei betagten Mitbürgern angerufen und sie gebeten hatten, alles Geld von der Bank zu holen und zwei Polizisten zu übergeben, weil angeblich die Bank überfallen werden sollte. Leider waren die Angehörigen erst in der Polizeistation gewesen, als das Geld schon weg war. Achttausend Euro hatten so den Besitzer gewechselt. Nicht gerade viel, aber für die betroffenen Personen eine Katastrophe. Die falschen Polizisten waren schon über alle Berge. Ähnliche Fälle waren aus den benachbarten Ortschaften gemeldet worden. Insgesamt hatte die so agierende Bande innerhalb von zwei Wochen im gesamten Münsterland über fünfhunderttausend Euro erbeutet, wahrscheinlich sogar noch mehr. Von der Zentrale in Münster aus war eine großen Kampagne in den Zeitungen gestartet worden, um die Leute zu warnen. Trotzdem konnten die Täter noch vor zwei Tagen in Warendorf Beute machen. Es war ärgerlich, aber kein Grund für Meier, seinen Urlaub fallen zu lassen. Er wischte energisch alle Gedanken an Gesetzesbrecher beiseite und fuhr vor seine Garage.
Zwei Stunden später waren die Meiers auf dem Weg zur Küste. Nach der halben Strecke machten sie eine kurze Pause, und dann überließ Meier seiner Frau für den Rest der Fahrt das Steuer.
»Hast du gesehen, dass die Leute von gegenüber schon wieder ein neues Auto haben?«, sagte Gerda, während der Wagen auf der Autobahn dahinfuhr.
»Meinst du den Herrn Bergmüller, der die Doppelgarage hat?«
»Ja, klar, wer hat denn sonst so einen Schlitten bei uns in der Straße«, entgegnete Gerda. »Der neue ist ein BMW Cabrio, den fährt die Frau. Bergmüller scheint Geld im Überfluss zu haben.«
»Na und, ich bin mit unserem Auto zufrieden«, brummte Meier. »Ich muss nicht damit angeben.«
»Du nicht, aber Bergmüllers Frau, dieses aufgedonnerte Püppchen, das da dauernd rein- und rausstolziert und nicht einmal einen Gruß für die Nachbarn hat«, schnaubte seine Frau. »Außerdem ist sie so jung, dass sie locker seine Tochter sein könnte.«
»Nur kein Neid, Gerda«, sagte Meier. »Lass den Leuten doch die Freude.«
»Das sagst du so leicht, du bist ja auch den ganzen Tag nicht da«, antwortete sie. »Dieses Pärchen passt einfach nicht in unsere Straße.«
»Gerda, wir sind im Urlaub«, sagte Meier, dem das Lamentieren seiner Frau langsam auf die Nerven ging. »Denk an die See und an die frische Luft, das ist besser, als sich über Leute zu ärgern, die man kaum kennt.«
Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Sag mir, wenn wir da sind. Ich schlaf noch eine Runde.« Das hatte Wirkung. Meier hörte, wie die Geschwindigkeit erhöht wurde, und konnte sich ein leichtes Blinzeln nicht verkneifen. Seine Frau hatte beide Hände am Steuer und blickte stur auf die Straße. Zufrieden schloss er die Augen wieder. Endlich hatte er seine Ruhe.
Pünktlich bestiegen sie am späten Nachmittag die Fähre. Meier blickte über das Wasser und spürte das Vibrieren des Schiffes unter seinen Füßen.
»Ist das nicht schön«, sagte er und legte seiner Frau den Arm um die Schultern. »Die Sonne scheint, und für zwei Wochen können wir tun und lassen, was wir wollen.«
Gerda lächelte. »Du hast recht, wenn man zu Hause ist, macht man sich viel zu viele Gedanken. Hier ist alles ganz leicht.«
Nach zwei Stunden hatten sie ihre Ferienwohnung bezogen und machten gleich nach dem Abendessen einen Spaziergang am Strand. Langsam gingen sie am Wasser entlang und sahen der untergehenden Sonne zu, die das Meer in goldenes Licht tauchte.
Etwas entfernt stand eine Gruppe von mehreren Männern zusammen. Gerda blickte hinüber, und Meier spürte, wie sie ihn plötzlich anstieß. »Sieh mal, die Männer da drüben. Ob das ein Kegelclub ist?«
»Kann sein.« Meier zuckte gleichmütig die Schultern. Ihn interessierte das nicht, er hatte gerade sein Smartphone gezückt, um den Sonnenuntergang einzufangen.
»Einen davon hab ich schon mal gesehen«, sagte seine Frau. »Sie scheinen Streit zu haben.«
»Streit? Nee, nee, sie diskutieren miteinander.« Meier lachte. »Wahrscheinlich sind sie sich noch nicht einig, welche Kneipe sie heute Abend ansteuern sollen.«
»Das kann's auch sein.« Gerda lachte nun auch, hockte sich hin und zog ihre Schuhe aus. Gleich darauf watete sie durch das flache Strandwasser und strahlte. »Es ist wunderbar, aber ziemlich kalt.« Nach wenigen Minuten lief Gerda zu den Dünen setzte sich in den Sand und ließ ihre Füße trocknen.
Meier steckte sein Smartphone in die Innentasche seiner Jacke und folgte ihr gemächlich.
»Hast du die beiden Frauen gesehen, die mit ihrem Hund drüben in den Dünen verschwunden sind?«, fragte Gerda, als er bei ihr ankam.
»Flüchtig. Wieso?«
»Waren das nicht die beiden Lehrerinnen, die in der Wiesenstraße wohnen?«, fragte Gerda, während sie mit einem Papiertaschentuch ihre Füße abrieb.
»Meinst du Steif und Kantig?«
»Ja, genau die!« Gerda nickte.
»Keine Ahnung.« Meier zuckte die Schultern und sagte: »Bist du fertig? Es wird gleich dunkel, wir müssen zurück.«
Gerda schlüpfte in ihre Schuhe und stand auf. »Hoffentlich habe ich mich geirrt, die beiden Lehrerinnen müssen nicht im ganzen Ort erzählen, dass wir hier Urlaub gemacht haben.«
»Lass sie doch«, sagte Meier gemütlich. »Es kann ruhig jeder wissen, dass wir hier waren. Mich stört das nicht.«
»Aber mich«, sagte Gerda. »Ich habe dieser aufgedonnerten Ziege von nebenan erzählt, dass wir nach Sylt fahren!«
Meier schüttelte den Kopf. »Warum das denn?«
»Weil Sylt irgendwie schicker klingt«, sagte sie.
»Warum hast du der Frau Bergmüller überhaupt erzählt, dass wir wegfahren?«, regte sich jetzt Meier auf. »Jetzt weiß jeder, dass unser Haus zwei Wochen leer steht.«
»Bei uns ist doch nichts zu holen; wenn jemand einbricht, dann höchstens bei den Bergmüllers«, sagte Gerda. »Die protzen ja so mit ihrem Vermögen, dass man es schon von außen sieht.«
»Diebe gehen immer dahin, wo die Bewohner nicht da sind, und das ist bei uns«, antwortete Meier besorgt. »Ich ruf morgen sofort Dietmar an, dass er bei uns in der Straße mal hin und wieder durchfahren soll.«
Schweigend betraten sie nun ihre Wohnung. Gerda war müde von der Anreise und ging gleich ins Bett, während Meier es sich vor dem Fernseher bequem machte.
Er zappte sich durchs Programm und stellte nach einer halben Stunde die Flimmerkiste aus. Der Gedanke, dass sein Haus von Dieben heimgesucht wurde, geisterte in seinem Kopf herum.
Ganz so mittellos, wie seine Frau gesagt hatte, waren sie nicht, wenn er da an seine hochwertige Münzsammlung dachte, die im Tresor lag. Auch die nagelneue Stereoanlage und sein Laptop, auf dem sich zudem dienstliche Notizen befanden, konnten durchaus einen Dieb anlocken.
Meier warf einen Blick ins Schlafzimmer, wo seine Frau fest schlief, schnappte sich seinen Friesennerz und verschwand leise aus der Wohnung. Ein frischer Wind blies ihm entgegen, und er wanderte die Straße entlang bis zu der Gaststätte, die er schon bei der Ankunft gesehen hatte, weil er dort ganz in der Nähe einen Strandkorb gemietet hatte.
Drinnen war noch richtig viel los, schließlich war es erst kurz nach Mitternacht. Das Lokal war wesentlich größer, als es von außen schien. Die Theke erstreckte sich...