Schweitzer Fachinformationen
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Am nächsten Morgen kümmere ich mich in der Werkstatt um das Problem mit der Löwenmähne. Nacheinander rufe ich meine Lieferanten an. Den ersten, die mich fragen, warum ich nicht die Mähne des Löwen benutze, den ich ausstopfen muss, erkläre ich, dass es nicht für einen Löwen, sondern für einen Dsungarischen Hamster sei, aber ich merke bald, dass es nicht ratsam ist, diese Wahrheit auszusprechen. Bei den nächsten erfinde ich diverse Geschichten, Beschädigung des Fells, Hautkrankheit, Schnitzer bei der Bearbeitung, frühzeitige Kahlheit, Wettereinflüsse infolge der Klimaerwärmung - sie stoßen auf weniger Sarkasmus, mehr Skepsis und ebenso wenig Mähne. Ich verschiebe das Problem auf immer später und mache mich erst mal an die Ausarbeitung des Grundkörpers.
Unter Ernestos aufmerksamem Blick schnitze ich den Polyurethanschaum in der Größe des Tieres zurecht. Ich stelle es auf allen vieren mit angespannten Beinen, vorgereckter Brust und erhobenem Maul dar. Dass der Körper so klein ist, macht die Arbeit schwierig, aber allmählich nimmt das Tier Gestalt an, und als der Grundkörper fertig ist, bin ich zufrieden. Er ist wirklich stattlich. Für einen Hamster meine ich.
Ich beschließe, eine Pause zu machen, ein bisschen rauszugehen. Aber kaum habe ich die Werkstatt verlassen, fällt mein Blick auf einen Mann, der im Hof auf der Bank sitzt. Es ist das erste Mal, das ich jemanden hier sitzen sehe.
Der Mann sitzt mit den Pobacken ganz vorn auf der Kante, als hätte er Angst, die Bank würde unter seinem Gewicht nachgeben. Er lässt den Kopf hängen und starrt auf den Bio-Coop-Beutel auf seinen Knien. Zwischen seinen Händen lässt sich durch den Stoff eine Tiergestalt wahrnehmen.
Ich kenne diesen Mann. Ich sehe zwar sein Gesicht nicht, aber seine ganze Erscheinung erinnert mich an irgendjemanden. Die Marke auf dem Beutel gibt mir den entscheidenden Tipp: Das ist doch der, der bei mir im ersten Stock wohnt.
Auf den ersten Blick gleicht der Nachbar einem typischen Pariser Mittdreißiger, Kategorie Bobo Standard: angegraute Schläfen, gepflegter Dreitagebart, feste, aber nicht übertrieben große Muskeln, T-Shirt mit V-Ausschnitt oder Hemd mit Mao-Kragen. Ein Mann mit friedfertiger Ausstrahlung. Normalerweise zumindest. Jetzt ist es anders: Er trieft vor Traurigkeit.
Er hat mich nicht kommen hören, ich habe also noch Zeit, festzulegen, wie ich das Gespräch eröffne. Ich zähle in Gedanken die Möglichkeiten auf und finde, dass es viel zu viele gibt. »Schönes Wetter, was?« Nein, es nieselt, das funktioniert nicht. »Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Katze haben.« Ich bin nicht sicher, dass es eine Katze ist. »Was bringen Sie mir Schönes?« Irgendwie weiß ich, dass das unangebracht sein könnte. Mein Gehirn ist überhitzt. Panik bläht sich in mir auf. Nach diversen Volten entscheide ich mich für die traditionelle Formel: »Guten Tag«, gefolgt von seinem Vornamen. Aber als ich schon den Mund geöffnet habe und bereit zum Handeln bin, stelle ich fest, dass ich nicht mehr weiß, wie er heißt. Habe ich es überhaupt je gewusst?
Meine Neuronen schicken ein Notsignal an die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen, die aber ignorieren es ungeniert.
»Vincent? . Pardon, Julien? Nein, Laurent?«
Er hebt überrascht den Kopf.
»Rémi? Jordan? Ramsès? Pierre-Henri?«
»Hallo, Éva«, antwortet er.
Die Scham durchflutet meine Adern. Aber ich kann meine Stimmbänder nicht mehr kontrollieren, die weiter beliebige Vornamen produzieren.
»Guten Tag . Roger? Abdel? Diego?«
»Ich komme wegen meines Katers«, erklärt er.
»Hans? Bruce? Bernard?«
»Nein, er heißt Whymper. Das war ein britischer Bergsteiger.«
»Zusätzlich zum Kater-Sein?«
Er lächelt. Monsieur Mein-Name-ist-Nobody ist empfänglich für meinen unkontrollierten Humor.
»Gute Frage. Er war tatsächlich ein bemerkenswerter Kletterer. Abgesehen von seiner legendären Trägheit.«
Er spricht mit sanfter Stimme, die nicht zu seinem betretenen Verhalten passt.
»Wollen Sie reinkommen?«
Er folgt mir in die Werkstatt, darauf bedacht, seinen Beutel horizontal zu halten. Nachdem er das eher platte Etwas auf den Arbeitstisch gelegt hat, wendet er sich Ernesto zu und schaut ihn an. Ohne Erstaunen oder Abscheu. Auf jeden Fall ist er der Erste, der meinen Hirsch so anschaut. Geradezu komplizenhaft.
Ich habe immer schon gedacht, dass irgendetwas bei dem Mann nicht rundläuft. Irgendwas an ihm passt nicht zu dem Bild, das er abgeben will. Diese umweltbewussten Prinzipien, das Angepasste, das ist nur Fassade. Innerlich ist er so verrückt wie nur irgendwas.
Dem Anschein nach ist mein Nachbar der Inbegriff des modernen Vaters. Beamter, alleinstehender Vater eines Kindes, das er einen Großteil der Zeit betreut, gleichzeitig erledigt er die Hausarbeiten und die Wurmkompostierung. Roller für das Kind, E-Bike für sich, Gemüsekiste, unverpackter Hafer, zweimal wöchentlich Jogging. Aber irgendwas stimmt nicht. Ich glaube, er spielt der Welt etwas vor. Er ist nicht der, der er gern wäre. Oder er ist es und versteckt in seinen Einkaufsbeuteln einen kompostierbaren Umhang, den er in Vollmondnächten hervorholt, um die Straßen des Val-de-Marne von boshaften Seelen zu befreien, die im Schatten der Hochhäuser konspirieren.
Hier ist eine jüngst erlebte Geschichte, um meine These zu untermauern. Es war einer der unzähligen Morgen, an denen mein Kühlschrank vor Hunger schrie und ich mich wohl oder übel durchgerungen hatte, mich bis zu Nathalies Laden zu schleppen. Unterwegs hatte ich in der Bäckerei zwei Pains au chocolat gekauft - guten Tag, schönes Wetter, nicht wahr, ich sage Ihnen, hallo, ihr Schwalben, und so weiter - und mich ans Ufer gesetzt, um sie zu essen. Ich bedauerte gerade, dass ich keine Brioche gekauft hatte, als ich oben genannten Nachbarn sah, der wütend Richtung Charenton-le-Pont stürmte. Eigentlich kann ich nicht sicher sagen, dass er wütend war, weil er ungefähr dreißig Meter entfernt mit dem Rücken zu mir lief. Aber sein Rücken kam mir wütend vor.
Ich folgte ihm. Ich weiß nicht, warum ich das getan habe. Ich habe, besser gesagt, nicht die geringste Absicht, mir die Frage zu stellen. Ich hatte gerade Lust dazu und fertig. Ohnehin verlängert die voyeuristische Neigung, die ich an jenem Tag an mir entdeckt habe, nur die Liste meiner Schwächen, von denen ich andere für entschieden problematischer halte.
Er bog in die Rue Charles-de-Gaulle ein, lief an der Marne entlang und überquerte die riesige Brücke nach Charenton. Dort verirrte er sich ein bisschen und lief durch verschiedene Straßen, bis er vor einem vegetarischen Pub stehen blieb. Nachdem er auf sein Telefon, das Schild des Pubs, sein Telefon, das Schild des Pubs geschaut hatte, ging er nickend hinein.
An diesem Punkt zögerte ich. Es war riskant. Aber am Ende eines mühsamen Dialogs mit mir selbst konnte ich mich überzeugen, dass ich unter allen Umständen einen Sojaburger brauchte, jetzt, auf der Stelle, trotz des halben Pfunds Fett, das ich gerade verzehrt hatte. Ich ging also rein und setzte mich in die Nähe von Nachbar (der Name fällt mir wirklich nicht ein), achtete aber darauf, dass er mich nicht bemerkte. Er saß bei einem Mann, der ihm relativ ähnlich war - Ende dreißig, gut gekleidet -, allerdings war sein Teint ein wenig zu leichenartig für die Jahreszeit. Nachdem ich meinen Feng-Shui-Kräutertee bestellt hatte, spitzte ich die Ohren.
»Ich habe mir etwas gekauft«, sagte der Freund stolz. »Eine Waschmaschine.«
»Das ist sehr nützlich«, lobte Nachbar. »Seid ihr vorher in den Waschsalon gegangen?«
Der Kumpel erkannte Ironie genauso wenig wie Mimile.
»Natürlich nicht«, sagte er. »Meine Maschine war alt. Die neue ist bewusst.«
»Wessen ist sie sich bewusst?«
»Ich meine bewusst, umweltbewusst.«
»Du meinst, sie weigert sich, Unterhosen Made in Bangladesh zu waschen?«, fragte Nachbar mit skeptischer Miene.
»Das nicht, aber sie ist connected. Mein Telefon programmiert sie, und dann legt sie los, wenn der Wasser- und Stromverbrauch am geringsten ist. Großartig, oder? Das reduziert die Umweltbelastung, und ich spare eine Unmenge Zeit im Haushalt.«
Nachbar nickte, wirkte aber nachdenklich. Schließlich fragte er:
»Hat Clara kein Problem damit?«
»Was hat das mit Clara zu tun?«
»Die Wäsche ist deine Aufgabe, oder? Du sparst also Zeit, Clara aber nicht. Im Hinblick auf die Gleichberechtigung ist das problematisch.«
Der Freund runzelte die Stirn.
»Der Planet ist natürlich superwichtig«, fuhr Nachbar fort. »Aber in unserer zurückgebliebenen Gesellschaft ist die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ebenso wichtig.«
»Ja, also .«
»Ganz zu schweigen von den kleinen Kongolesen.«
»Wie bitte?«
»Diese Maschinen sind wie unsere Smartphones: vollgestopft mit Elektronik, die aus einem Haufen Mineralien hergestellt wird, die wiederum Umweltschäden, Gewalt und Kinderarbeit verursachen. Deswegen die kleinen Kongolesen. Ist ihr Leben weniger wert als das unserer Kinder?«
Der Freund dachte intensiv nach. Nachbar wartete einen Moment. Dann, als er spürte, dass der Gegenangriff bevorstand, legte er wieder los:
»Du findest, dass ich zu viel nachdenke, ja? Kann schon sein. Aber ich...
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