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Ich sollte mich fürchten. Ich sollte nachts von Angstträumen schweißgebadet aus dem Schlaf schrecken. Ich sollte Herzklopfen bekommen, den Appetit verlieren und ständig Durchfall haben.
Ich habe mich gefürchtet. Ganz am Anfang, als ich auf die Gerichtsverhandlung wartete und mir keine Freilassung gegen Kaution gewährt wurde, teilte ich mir die Zelle mit Mavis Munongwa, der einzigen anderen Frau, die hier wegen Mordes einsitzt. Das war, bevor ich in eine Einzelzelle kam.
Ich hielt mir die Ohren zu, wenn Mavis die Namen der Kinder herausbrüllte, die sie umgebracht hatte. Manchmal fürchtete ich mich davor, die Augen zu schließen und einzuschlafen. Aber sogar dann ergriff die Furcht nicht vollständig von mir Besitz. Mich schützte der Eindruck, dass all dies unwirklich war. Dass es nicht wahr sein konnte. Dass es zu absurd war, um wahr zu sein.
Auch jetzt fürchte ich mich noch ab und zu, aber die Furcht sucht mich meistens in meinen Träumen heim, wenn ich so lange ertrinke, bis ich aus dem Schlaf hochfahre. Von diesen Träumen abgesehen schlafe ich gut - so gut ich eben auf der Pritsche schlafen kann, die das Gefängnis stellt, in einer Zelle, deren Maße die vorgeschriebene Größe in den internationalen Abkommen zur menschenwürdigen Behandlung von Strafgefangenen unterschreiten. Ich esse ordentlich - so ordentlich ich eben kann, wenn das Essen so mies ist wie hier.
Meistens langweile ich mich nur. Alles, was man über einen längeren Zeitraum macht, wird irgendwann zur Routine, sogar das Warten auf den eigenen Tod.
Das schreibe ich in meiner Zelle, weil Loveness mir erlaubt hat, die Notizbücher und Stifte mitzunehmen. Es ist drei Wochen her, dass Sie mir die Bücher gegeben haben und ich zu schreiben anfing. Sie waren mein erster Besuch von außerhalb. Und Sie waren für uns alle hier drin sicher der erste Besuch aus dem Ausland. Selbst hier in Chikurubi schätzen wir vor allem das, was von außerhalb unserer Heimat kommt, wie überall in Simbabwe. Ausgenommen vielleicht Synodia, unsere Chefwärterin.
Synodia und Loveness haben hinterher über Sie gesprochen. Die beiden konnten kaum glauben, dass ein weißes Journalistenweib, wie Loveness Sie nannte, den weiten Weg von Amerika hierher auf sich nimmt, nur um mit einer Mörderin wie mir zu sprechen. Synodia entriss mir die Visitenkarte, die Sie hinterlassen hatten, und las Ihren Namen und Ihre Adresse vor, als wären es Lügen, die ich mir ausgedacht hatte, um sie zu ärgern. »Linda Carter«, las sie vor, mit dem Daumen auf der Karte. »Wer ist diese Linda Carter?«
»Sie heißt Melinda Carter«, sagte ich. »Eine Journalistin, die in Washington lebt, in Amerika.«
Synodia verzog ungläubig das Gesicht. »Bählinda, Schmählinda«, sagte sie und schleuderte mir die Karte entgegen. »Pahschington, Schmarrschington. Kann man Amerika vielleicht essen? Na? Wenn du das kannst, sollst du dich an Amerika vollfressen. Bahmerika, Buhmerika.«
Was sie so von sich gibt, nenne ich Synodiaden. Ich bin sicher, dass sie beim Formulieren genau weiß, was sie damit meint. Doch sobald sie den Mund aufmacht, geht irgendwie jeder Sinn verloren.
Sie waren mein erster Besuch, abgesehen von Vernah Sithole, meiner Anwältin. Mein erster Besuch von außerhalb in den zwei Jahren, drei Monaten, sieben Tagen und dreizehn Stunden, die ich schon hier bin. Bevor Vernah sich für meinen Fall zu interessieren begann, war die einzige Außenstehende, die ich zu sehen bekam, die Frau von der Goodwill-Organisation.
Es war Vernahs Idee, dass ich Ihnen meine Geschichte erzählen sollte. Bevor sie das Interview mit Ihnen in die Wege leitete, forderte sie mich auf, jedes Detail aufzuschreiben, an das ich mich erinnerte, alles zu notieren, was mir Sympathiepunkte eintragen könnte. »Für die Berufung spielt das eine große Rolle«, sagte sie. »In Mordfällen ist die Todesstrafe nämlich vorgeschrieben, also müssen wir mildernde Umstände geltend machen. Das ist die einzige Möglichkeit, das Urteil abzuändern.«
Hierzulande gibt es nicht diesen endlosen Reigen von Berufungsverfahren wie in Amerika. Und es gibt keinen Gouverneur, der einen in letzter Minute filmreif begnadigt. Ich kann nur ein einziges Mal in Berufung gehen, beim Obersten Gericht. Vernah hat sowohl gegen das Strafmaß als auch gegen den Schuldspruch Berufung eingelegt. Die Richter haben drei Möglichkeiten: Sie können den Schuldspruch bestätigen und am Strafmaß festhalten, sie können den Schuldspruch bestätigen, das Strafmaß jedoch aufheben und im besten Fall sowohl den Schuldspruch als auch das Strafmaß aufheben.
Ja, den Juristenjargon beherrsche ich jetzt fließend, ich bin Expertin geworden in meinem eigenen Fall. Vielleicht wäre ich gar nicht hier, wenn Vernah mir schon bei meiner Verhaftung beigestanden oder wenn sie mich während der Verhandlung verteidigt hätte. Ich hatte überhaupt keinen Anwalt. Als ich den Mord an Lloyd gestand, hatte ich tagelang weder geschlafen noch gegessen. Noch ein Grund, warum Vernah überzeugt ist, dass meine Berufung Erfolg haben wird.
Sie hat ja auch angeregt, dass ich Ihnen schreibe. »Erzählen Sie es Melinda Carter«, sagte sie. »Erzählen Sie ihr alles, auch das, was sie Ihrer Meinung nach schon weiß.«
Sie können sich nicht vorstellen, wie merkwürdig es ist, ausgerechnet Ihnen das alles zu schreiben. Wie alle Leser Ihrer Zeitschrift bin ich mit Ihren Texten vertraut. In jeder Ausgabe, die ich mir kaufte, habe ich die großen Interviews mit Prominenten übersprungen, die Berichte über den Krieg im Irak und die Finanzskandale, um allmonatlich als Erstes Ihre Kolumne zu lesen.
Daher weiß ich, dass Sie sich auf die Aufdeckung von Justizirrtümern spezialisiert haben. Vernah hat mir gesagt, dass Sie ein Jahr hier bleiben wollen, um für eine Artikelserie über unser aberwitziges Rechtssystem zu recherchieren.
Verity Gutu, tatsächlich eine veritable, nie versiegende Quelle oft belangloser Informationen, hat mir gesagt, bei Vernah Sithole sei ich in guten Händen. Sie hat wortwörtlich gesagt: »Bei diesem Anwaltsweib Sithole bist du in guten Händen.«
Loveness hat mir erzählt, wie sie in Gweru eine Frau verteidigte, die ihr Baby in eine Latrinengrube geworfen hatte. Das kleine Mädchen hatte nicht überlebt, es war in einem Meer von Fäkalien, Urin und saurem Schweiß ertrunken. Loveness sagte, dank Vernah sei die Frau mit einem Jahr auf Bewährung davongekommen. Der Richter meinte, es sei eine Schande, dass die Anwältin mehr Reue gezeigt habe als ihre Mandantin.
Bis die Begnadigung, für die Vernah kämpft, erfolgt, wenn sie denn erfolgt, schreibe ich im Schatten des Galgens. Wenn es nach der Staatsanwaltschaft und der Gefängnisbehörde geht, werde ich an einem Strick baumeln, bis mir das Genick bricht, mein Darm sich entleert und mein Leben erlischt, und ich werde ein Armenbegräbnis bekommen und ein anonymes Grab.
Heute habe ich über die Frage nachgedacht, die Sie mir bei unserem zweiten Treffen gestellt haben: Warum hat sich keiner der hiesigen Journalisten für meine Geschichte interessiert? An meinen weniger zynischen Tagen würde ich antworten, dass es Wichtigeres gibt: Wer wird die Wahlen gewinnen? Wer wird als Nächster regieren? Welcher Mann hat seine Frau getötet und womit? Wer wird bei Big Brother Africa gewinnen? Fußball- und Cricket-Ergebnisse. Geheimnisvolle Vorkommnisse, in denen es um Zauberei geht, Grabraub, Kobolde und böse Flüche.
In vielerlei Hinsicht bin ich froh, dass niemand meine Geschichte erzählen wollte. Als die Zeitungen die ersten Meldungen über Lloyds Tod brachten, konzentrierten sie sich voll und ganz auf mein Leiden, genau wie früher in der Township, in der ich aufgewachsen bin, bevor Lloyd mich gekauft hat. Die Kinder begegneten allen Andersartigen mit brutaler Ehrlichkeit. Wenn sie jemanden erblickten, dem beispielsweise die Beine fehlten, war das für sie keine Person, die ohne Beine - oder ohne Augenlicht - zurechtkommen musste. Sie brüllten: Hona chirema, hona bofu, komm, sieh dir den Krüppel an, komm, sieh dir den Blinden an, und stellten jede Behinderung heraus.
Dabei wurzelte ihre Haltung gewissermaßen in der Sprache. Bofu gehört zur Nominalklasse fünf, die Dinge bezeichnet, genau wie benzi, das Wort für eine verrückte Person. Chirema gehört zur Nominalklasse sieben, wie chimumumu, die ebenfalls unbelebte Dinge bezeichnet oder unvollständige, behinderte Wesen. Als murungudunhu oder musope befinde ich mich wie normale Menschen in der Nominalklasse eins. Murungudunhu hat aber eine tiefere Bedeutung. Als murungudunhu bin ich eine schwarze Frau, deren weiße Haut nicht als murungu gilt, also nicht als Privileg, sondern als dunhu, als lächerlich und vorgetäuscht - ein grässliches Weiß.
Ich glaubte zunächst, dass es mir schwerfallen würde, all das für Sie aufzuschreiben, aber die Erinnerungen strömen mir nur so zu, schneller, als ich sie festhalten kann. Mobhis Füße, die Sohlen mit Erde der Mharapara Street beschmiert, ragen aus dem tödlichen Eimer heraus. Donner und scharfe Blitze über den Hügeln von Umwinsidale. Das Lachen von Lloyd und Zenzo geht in die Stimme des Baptisten über, der mir befiehlt, dem Satan zu entsagen. Die Wellen des Mukuvisi, sie schlagen über meinem Kopf zusammen und ich schreie vor Entsetzen.
Seit ich hier bin, kehren die Erinnerungen zurück. Lange bevor Vernah Sithole mich gebeten hat, alles für Sie aufzuschreiben, war ich mit einer gähnenden Leere konfrontiert, in der es nichts anderes zu tun gab, als zu grübeln und nachzusinnen. In den zwölf toten Stunden zwischen nachmittags um halb fünf - wenn wir für die Nacht...
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