ARTÜBERGREIFENDE FREUNDSCHAFT UND SPIEL
Viele Hundehalter betrachten ihren Hund als einen Gefährten, mit dem sie sich freundschaftlich verbunden fühlen. Für sie ist das gemeinsame Spiel ein Ausdruck dieser Freundschaft und Verbundenheit (Hart 1995, Siegel 2012). Sie werden dafür nicht nur von Nichthundehaltern, sondern auch von dem Teil der Hundetrainer und -halter belächelt, die Hunde als reine Opportunisten betrachten. Diese behaupten, dass Hunde zu Freundschaft und Spiel nicht fähig sind, weil sie nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und/oder mit dem Menschen in einem ständigen Kampf um den eigenen Status wetteifern. Spiel ist aus dieser Perspektive eine Selbstdarstellung der eigenen Fähigkeiten, eine Art weichgespülter Echtkampf oder ein Training für diesen Echtkampf. Ist die Vorstellung, dass Freundschaft und Spiel zwischen Mensch und Hund - also zwischen zwei Arten - möglich ist, eine durch die rosarote Hundehalterbrille verklärte Vermenschlichung? Können Hunde und Menschen tatsächlich Freundschaften bilden und wenn ja, welche Rolle spielt in solch einer artübergreifenden Freundschaft das gemeinsame Spiel?
Damit das gemeinsame Spiel gelingt, müssen Mensch und Hund einander vertrauen, sie müssen miteinander kommunizieren können und der Mensch muss den Hund - ganz ohne die bei Training und Beschäftigung verfügbaren Hilfsmittel - von seinen Qualitäten als Spielpartner überzeugen. Damit das gelingt, muss der Mensch sich nicht nur selbst als Person einbringen, er muss auch - anders als bei Training oder Beschäftigung - mit seinem Hund auf Augenhöhe interagieren, kommunizieren und kooperieren. Das unterscheidet Mensch-Hund-Spiel von Pseudospielen und allen anderen Aktivitäten, macht Spiel zu etwas ganz Besonderem oder wie Alexandra Horowitz und Julia Hecht es formulieren: zu einer "einzigartigen, artübergreifenden Interaktion" (Horowitz & Hecht 2016, S. 1).
TIERISCHE FREUNDSCHAFTEN
Tierische Freundschaften - hier definiert als enge soziale Beziehungen, mit einer Präferenz für einen bestimmten Partner, zu dem eine besondere Bindung besteht - erhöhen den eigenen Fortpflanzungserfolg und die Überlebenschancen des Nachwuchses. Freundschaften senken den Stress und sind deshalb gut für das psychische und physische Wohlbefinden. So gut, dass Freunde sogar die eigene Lebenserwartung steigern können (Seyfarth & Cheney 2012). Damit eine Beziehung das Etikett "Freundschaft" erhält, muss sie allerdings besondere Kriterien erfüllen: Sie muss länger andauern, von positiven Emotionen geprägt sein und auf Gegenseitigkeit beruhen (Goode 2015). Die Beziehungspartner verbringen, über lebenswichtige Tätigkeiten hinaus, Zeit miteinander, etwa mit gegenseitiger Fellpflege, freundlichem Kontaktverhalten oder eben Spiel. Die Tiere kooperieren, helfen und vertrauen einander (Kusma 2016). Wenn Sie befreundete Tiere beobachten, wird Ihnen auffallen, dass sie ihr Verhalten und ihre Kommunikation aneinander anpassen oder aufeinander abstimmen, was besonders im Spiel sichtbar wird und bereits wichtige Hinweise darauf liefert, was vom menschlichen Part einer Mensch-Hund-Freundschaft erwartet wird. Legt man die aufgeführten Kriterien zugrunde, wurden Freundschaften z.B. für so unterschiedliche Arten wie Paviane, Wildpferde, Kühe, Schimpansen, Elefanten, Hyänen, Löwen und Delfine nachgewiesen. Darüber hinaus bilden Tiere nicht nur Freundschaften, sie erkennen solche freundschaftlichen Beziehungen auch bei anderen Tieren (Goode 2015, Kusma 2016, Seyfarth & Cheney 2012). Die Fähigkeit der Haushunde, gewissermaßen eine doppelte Artidentität in kommunikativer Hinsicht zu erreichen, vergleicht John Bradshaw (2012) mit einem Menschen, der wirklich zweisprachig aufgewachsen ist. Dieser hat sozusagen zwei Repräsentationsräume für beide Sprachen, zwischen denen er beliebig hin- und herspazieren kann. Eine weitere Besonderheit vieler Kanidenarten ist die Fähigkeit, zwischenartliche Kooperationen mit anderen Arten zu bilden. Bloch (2010) beschreibt dies besonders deutlich am Beispiel Wolf und Rabe, aber auch Jagdgemeinschaften von Polarfuchs und Eisbär, Amerikanischem Dachs und Kojote oder Symbiosen von Äthiopischem Wolf und Dschelada-Affen wurden beschrieben.
HUNDEFREUNDSCHAFTEN UND SPIEL
Auch Hunde bilden Freundschaften zu Artgenossen. In ihrer Langzeitstudie in einer Hundetagesstätte und bei zusammenlebenden Hunden stellte Rebecca Trisko fest, dass die Hunde sehr unterschiedliche Beziehungsformen bildeten, die über Dominanzbeziehungen weit hinausgehen (Trisko 2011, 2016). Es gab bei den beobachteten Hunden sowohl Dominanzbeziehungen, Beziehungen, in denen die Hunde einander ignorierten, Beziehungen, in denen die Hunde unfreundlich miteinander umgingen, aber auch freundschaftliche Beziehungen. Am einfachsten wurden Hunde Freunde, wenn sie verschiedenen Geschlechtern angehörten, oder wenn sie egalitäre - also ausgewogene - Beziehungen pflegten. Erwartungsgemäß spielten Hunde, die freundschaftliche Beziehungen pflegten, auch am häufigsten miteinander.
Wenn es also nicht vermenschlichend ist, Hunden die Fähigkeit zuzuschreiben, Freundschaften zu bilden und Spiel als Ausdruck dieser Freundschaft zu betrachten, gilt das dann auch für die Beziehung zwischen Hund und Mensch? Skeptiker werden einwenden, dass die Fähigkeit zu innerartlichen Freundschaften nicht so ohne Weiteres auf die Mensch-Hund-Beziehung übertragen werden kann, denn Mensch und Hund gehören bekanntermaßen verschiedenen Arten an. Wie sieht es also mit artübergreifenden Freundschaften und Spiel bei Tieren, speziell bei Hunden aus? Tiere unterschiedlicher Arten, besonders domestizierte Arten, pflegen mitunter einen freundlichen Umgang, bilden Freundschaften und spielen miteinander. Selbst zwischen Beutetieren und Beutegreifern, die gemeinsam aufwachsen, entstehen Freundschaften und ihr gemeinsames Spiel ist nach den beschriebenen Kriterien tatsächlich echtes Sozialspiel und nicht Beutefangverhalten, wie bei der gesättigten Katze, die mit der Maus "spielt".
Viele Videos zeigen Hunde, die mit Katzen, Affen, Elefanten, Rehen, Elstern, Papageien, Schildkröten, Löwen, Geparden, Pferden, Schweinen oder Ziegen spielen. Artübergreifende Freundschaften und das gemeinsame Spiel als Ausdruck dieser Freundschaft sind nicht nur möglich, sondern - unter entsprechenden Umständen - gar nicht so selten. Hunde scheinen für das Lernen und Lehren von tierischen "Fremdsprachen" und das artübergreifende Spiel sogar besonders begabt zu sein. Hundewelpen sind besonders in der Sozialisierungsphase, also der Zeit zwischen der dritten und zwölften Lebenswoche, auch gegenüber Individuen anderer Arten, mit denen sie zusammen aufwachsen, offen. Das geht so weit, dass allgemein Menschen für Hunde, aber z.B. auch Schafe für Herdenschutzhunde, zu Pseudo-Artgenossen werden können (Gansloßer 2014, Coppinger & Coppinger 2003).
© Anna Auerbach/Kosmos
Befreundete Hunde wie Telly und Grace, lösen Probleme und bewältigen Aufgaben im Spiel, indem sie kooperieren.
Das Kuschelhormon Oxytocin
Es gibt ein berühmtes Beispiel von der Freundschaft zwischen einem Ziegenbock und einem Terriermix in einem Tierheim in Arkansas, das das Interesse des Wissenschaftlers Paul Zak von der Claremont Graduate University in California geweckt hat, der u. a. über Oxytocin forscht. Oxytocin wird auch das Kuschelhormon genannt, weil es bei positiven Interaktionen von Individuen ausgeschüttet wird, die einander zugetan sind. Ganz besonders trifft das auf Interaktionen wie Blickkontakt, Berührungen und Spiel zu. Das gemeinsame Spiel (Verfolgungsspiele und Spielkämpfe) von Terrier und Ziegenbock führte beim Hund zu einem 48%igen Anstieg, beim Ziegenbock sogar zu einem 210%igen Anstieg des Oxytocins, ein Anstieg, der sonst nur bei verliebten Menschen gemessen wird (Zak 2014).
Ein weiteres Beispiel für die Rolle des Spiels in artübergreifenden Hundefreundschaften ist im San Diego Zoo and Safari Park zu finden. Dort werden seit 1981 Hunde eingesetzt, um Geparden so zu sozialisieren, dass sie die Betreuer auf ihren Vorträgen begleiten können. Die Geparden- und Hundewelpen werden früh zusammengebracht, und diese höchst unterschiedlichen Tiere erarbeiten sich bei der gegenseitigen Fellpflege eine Vertrauensbasis. Das Einfühlen in den Spielpartner Gepard ging so weit, dass ein Hund eine verletzte Gazelle imitierte, nur um den Geparden zu dessen Lieblingsjagdspiel zu animieren. Die Tierpfleger und Trainer, die diese Teams zusammenstellen und betreuen, beschreiben die Rolle der Hunde, wegen ihrer Sozialisierungseffekte auf die Geparde, als die eines "Sozialpsychologen" in den artübergreifenden Freundschaften (Goode 2015, Holland 2011). Hunde, darauf weisen inzwischen zahlreiche Studien hin, sind nicht nur besonders gute Beobachter, sie entschlüsseln auch die Kommunikation anderer Arten (nicht nur des Menschen), können die Intention anderer Individuen nachvollziehen und ihr eigenes Verhalten entsprechend anpassen.
SPIEL ALS ARTÜBERGREIFENDER AUSDRUCK VON VERTRAUEN
Eines der wichtigsten Ziele des Spielverhaltens ist eine Verringerung der sozialen Distanz zwischen den Akteuren (Bekoff 1972), während Aggressionsverhalten genau das Gegenteil erzielen will. Spiel, so könnte man sagen, bringt Individuen im tatsächlichen wie übertragenen Sinn zusammen und macht aus ihnen Freunde.
Die Anthropologin Barbara Smuts, die das Sozialverhalten von Pavianen erforschte, indem sie sich zum Teil der Paviangruppe machte, und die sich auch mit Spielverhalten von Hunden beschäftigt, beschreibt in einem Artikel, wie ihre Schäferhündin...