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Kapitel 1
Ich begegnete dem ersten Terroristen, den ich kannte, als er sich gerade entschloss, einer zu werden. K und seine Familie wohnten bei uns in der Straße in einem Dorf, das zur tamilischen Stadt Jaffna auf Sri Lanka gehört. Die Jaffna-Halbinsel ist der nördlichste Teil des Landes. Viele Menschen sind hier gestorben: getötet von der sri-lankischen Armee und der Regierung oder von der indischen Friedenstruppe oder von den verschiedenen tamilischen Separatistengruppen, die du als Terroristen kennst. Natürlich haben auch viele Menschen überlebt.
Anfang 1981 war ich fast sechzehn. Ich wollte Ärztin werden wie mein Großvater und besuchte seit Kurzem die Schule meiner Brüder, die in der Oberstufe auch Mädchen aufnahm. Damals kreisten all meine Gedanken um die Zulassungsprüfungen zur Universität. Auch K wollte Medizin studieren. Und das war etwas, das uns verband, lange bevor er sich der Bewegung anschloss, lange bevor ich in der Notaufnahme eines New Yorker Krankenhauses Patienten behandelte. Lange bevor wir so unterschiedlich wurden.
K hatte von Anfang an einen Vorsprung, nicht weil er ein Jahr älter war und ein Junge, sondern weil ich seine erste Patientin war. Unsere Begegnung war schmerzhaft, aber auch ein Glück für mich. An jenem Tag hatte ich Teewasser gekocht. Wie immer benutzte ich ein Stück Stoff, um den heißen Topfgriff anzufassen. Doch an diesem Morgen rutschte mir erst der Lappen, dann der Griff und schließlich der Topf aus der Hand, sodass mir ein Schwall kochendes Wasser entgegenschwappte. Ich schrie wie am Spieß nach meiner Mutter - Amma! - und mein Schrei gellte über die Straße, wo K gerade an unserem Tor vorbeikam. Er warf sein Fahrrad in den Staub und stürzte herein.
Als er die Küche im hinteren Teil des Hauses erreichte, war Amma schon bei mir. Meine Haut schlug Blasen, und ich kniff die Augen zu, während Amma schluchzte und Töpfe und Pfannen scheppernd zu Boden fielen. Jedes Geräusch löste sengende Hitzeblitze auf und in mir aus, als würde unter meiner Haut eine weitere Haut brennen. Weinend rief ich die Götter an: Murugan, Pillaiyar und Shiva.
»Sashi!«, sagte K, und ich schlug die Augen auf, ohne ihn zu erkennen. »Setz dich!« Er zeigte auf einen Küchenstuhl. Als ich weiterschrie, mich aber nicht bewegte, nahm er meine Hände und führte mich zu dem Stuhl, dann zog er meine Bluse hoch, um sich meinen verbrühten Bauch anzusehen. Amma stand neben mir und rief: Aiyo!, und ich hörte sie wie aus weiter Ferne. Schnell nahm K eine Schale mit Eiern vom Tisch und begann, eins nach dem anderen über den Brandblasen aufzuschlagen.
»Ich muss Wasser holen .«, sagte Amma. Sie griff nach einem Topf und wollte an ihm vorbeigehen.
K stellte sich ihr in den Weg. »Das hier wird die Verbrennung kühlen«, erklärte er.
Meine Mutter stand hilflos da. Ich starrte K an, versuchte, etwas anderes wahrzunehmen als den Schmerz, und konzentrierte mich darauf, wie er mit den Daumen die Eierschalen aufbrach und mit den Fingerspitzen das glibberige Eiweiß auf meine blasigen Wunden strich. Er war sehr geschickt, als hätte er viel Übung und als wäre jeder Tropfen Eiweiß kostbar. Meine Haut war so heiß, dass ich selbst heute bei der Erinnerung an seine schnellen, geschickten Handbewegungen und die kühle, glitschige Linderung überrascht bin, dass die Eier auf meinem Fleisch nicht brieten.
Als das letzte Ei aufgeschlagen war und auf meiner glühenden Haut dampfte, sah er Amma an. »Habt ihr noch mehr?« Sie stand immer noch unter Schock. »Mehr Eier?«, wiederholte er. Sie blinzelte, dann nickte sie. »Gut - sorg dafür, dass die Wunden immer mit frischem Eiweiß bedeckt sind. Ich gehe den Arzt holen.«
Als er eine halbe Stunde später mit dem Arzt zurückkam, begutachtete der ältere Mann Ks provisorische Wundversorgung anerkennend. »Das sollte gut heilen«, sagte er. »Vielleicht bleibt nicht einmal eine Narbe. Meine Mutter hat Brandwunden auch mit rohen Eiern behandelt. Das bringen sie einem nicht im Studium bei. Wer hatte die Idee?«
K sah mich an, ohne etwas zu sagen. Innerlich knisterte ich noch.
»Ich wusste nicht, was ich tun soll«, gestand Amma leise.
»Es war seine Idee«, sagte ich.
So begann ich als Ks Patientin, doch am Ende war er mein Patient.
So viele Nahrungsmittel erinnern mich an K.
Ein paar Tage nach dem Unfall kam er mit seiner Tante Neelo vorbei, um nach mir zu sehen, und brachte mir mein Lieblingsobst mit: Maampazham - Mangos - und Vaazhaipazham - die kleinen süßen Bananen, die bei ihm im Garten wuchsen. Wahrscheinlich hatte ihm meine Mutter von meiner Vorliebe erzählt. Ich freute mich über das Obst, aber ausnahmsweise interessierte ich mich noch mehr für den Jungen, der bisher mehr meinen Brüdern gehört hatte als mir. Ich betrachtete ihn heimlich. Sein Hemd war nachlässig in die Hose gesteckt, und die Hose war ihm zu groß. K war sehnig, nicht dünn, und er hatte einen Schatten über der Oberlippe, der noch kein Schnurrbart war. In seinem braungebrannten Gesicht sah man den Flaum kaum. Eine dicke, schwarze Brille beherrschte seine schmalen, empfindsamen Züge. Er nahm sie ab und putzte sie sorgfältig mit einem Stofftaschentuch, das so alt war, dass man fast durchsehen konnte. Damals wusste ich noch nicht, dass das Taschentuch seiner verstorbenen Mutter gehört hatte.
Dann setzte er sich die Brille wieder auf, und als ich merkte, dass er mich genauso aufmerksam betrachtete, sah ich weg. Alle redeten darüber, wie begabt K war, und was für ein großartiger Arzt er einmal werden würde, aber die Leute konnten nur spekulieren. Ich dagegen wusste es aus Erfahrung, mit einer Überzeugung, die mein ganzes Sein erfüllte, und ich empfand sowohl Neid auf seine Fähigkeiten als auch ein anderes Gefühl, das mich verwirrte. Die dicken Brillengläser verzerrten seine Augen, aber es war zu spät - ich wusste, dass sie wunderschön und tief waren und eine Gewissheit verströmten, die mich berührte. Nach dieser Gewissheit strebte ich auch; ich wollte auch ein Mensch sein, der Brandwunden ansehen und berühren konnte.
K sah zu meiner Mutter und seiner Tante, die in ein Gespräch vertieft waren, und dann wieder zu mir.
»Wie geht es dir?«, fragte er.
»Besser. Aber es juckt«, sagte ich und zog an meiner Bluse. Meine Mutter hatte mir ihr ältestes, weitestes Kleid geliehen, aber es tat trotzdem weh, wenn der Stoff meine Haut berührte. »Ich will auch Medizin studieren. Woher hast du gewusst, was zu tun war?«
Er zuckte die Achseln. »Ich fand es logisch, auch wenn es keine moderne Behandlung ist. Protein und Fett beruhigen die Verbrennung.«
Aus Gewohnheit strich ich über meine Wunde. »Hast du das je .«
K beugte sich vor und griff nach meiner Hand. »Nicht kratzen, sonst bleiben da Narben.« Nach einem Moment ließ er meine Hand wieder los. Ich sah zu meiner Mutter und seiner Tante, die immer noch redeten. Dann nahm ich die Hand von meinem Bauch, und wir saßen schweigend da.
»Sind deine Brüder zu Hause?«, fragte er schließlich.
Sie waren nicht da, und so schwiegen wir weiter, bis Neelo Aunty herüberkam und ihn holte. Beim Abschied machte er ein förmliches Gesicht. »Viel Glück beim Lernen«, sagte er höflich, als hätten seine Hände mich nie berührt.
Zu Beginn waren wir also keine Freunde, obwohl er mir näher gekommen war als irgendein anderer Junge.
Als ich mich so weit erholt hatte, dass ich wieder zur Schule gehen konnte, bewegte ich mich steif über den Schulhof und hielt nach ihm Ausschau. Mein Bauch war verbunden und ich trug meine Schuluniform darüber, sodass die Stelle wieder anständig bedeckt war. Beim Gehen legte ich schützend die Hand auf den Schmerz, als wollte ich sichergehen, dass er noch da war. Die Wunde pochte immer noch mit meinem Puls, aber sie verheilte. Außer K hatte niemand die Verletzung gesehen - nicht einmal meine Brüder -, und ich hatte das Gefühl, dass wir ein intimes, wichtiges Geheimnis miteinander teilten, dessen ich mich vergewissern musste. Aber ich suchte im Meer der Gesichter vergeblich nach seinem.
Als wir uns ein paar Wochen später im Tempel unseres Dorfs wiedersahen, war sein Schnurrbart etwas kräftiger geworden. Er sah zu meinem Bauch, wo eine alte Sari-Bluse meiner Mutter mehrere kleinere Pflaster bedeckte. Unwillkürlich hielt ich mir den Arm vor den Körper und wandte mich ab. Als er dort neben meinen Brüdern auf der Seite der Männer stand, die auf den Segen warteten, fiel K nicht weiter auf. Du hättest ihn für einen von vielen jungen Männern mit dunkler Haut und einem weißen Lächeln gehalten. Aber du hättest dich geirrt.
Ich will dir von den dunklen Männern mit dem weißen Lächeln erzählen, von den tamilischen Männern, die ich liebte und die zu mir gehörten. Bei uns gab es vier von ihnen. Jeder meiner Brüder ähnelte meinem Vater auf seine eigene Art. Sie hatten »Jaffna-Augen«, wie manche die dunklen, durchdringenden Augen aus unserer Gegend nennen. Wenn du sie einmal gesehen hast, erkennst du sie.
Niranjan, mein zuverlässiger, standhafter ältester Bruder, hatte Appas klares, offenes Lächeln, seine Hakennase und sein dickes Haar. Periannai, wie ich ihn als ältesten Bruder nannte, wurde in diesem Jahr fünfundzwanzig. Er studierte Medizin an der Peradeniya-Universität im Zentrum von Sri Lanka, viele Stunden Zugfahrt entfernt, und stand kurz vor dem Examen. Der Zweitälteste war der stille, freundliche Dayalan, mit neunzehn Jahren der größte meiner Geschwister. Dayalan arbeitete in der Jaffna Library und nahm Unterricht, solange er auf seinen Studienplatz in...
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