Schweitzer Fachinformationen
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DIE FAHRT WAR FAST VORBEI; sie näherten sich ihrem Ziel. Vor ihnen lag eine Kreuzung, doch weit und breit war nichts zu sehen, nur ein Baum, eine Wiese voller Schafe und die flirrende Hitze über dem Asphalt. Eigentlich hätte Adam anhalten müssen, aber er trat nur kurz auf die Bremse und beschleunigte dann wieder. Es war sonst niemand unterwegs, und er brachte weder sich noch andere in Gefahr.
Plötzlich trat wie aus dem Nichts ein Polizist hinter dem Baum hervor. In seiner Uniform wirkte er makellos, aufrecht und energisch, wie ein Ausrufezeichen. Er hob die Hand, und Adam hielt am Straßenrand. Sie musterten einander durch das offene Fenster.
»Ich bitte Sie. Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst«, sagte
Adam.
Der Polizist war ein junger Mann mit dunkler Sonnenbrille. Trotz der staubigen Hitze wirkte er unfassbar kühl und gelassen. »Da steht ein Stoppschild«, erklärte er Adam. »Sie haben nicht angehalten. Das macht tausend Rand Strafe.«
»Was? So viel?«
Der Polizist zuckte lächelnd die Achseln. »Den Führerschein, bitte.«
»Können Sie es denn nicht mit einer Verwarnung oder so bewenden lassen?« Adam suchte nach den Augen des Mannes, fand aber nur dunkles Glas.
»Ich muss mich an die Vorschriften halten, Sir. Sie wollen doch nicht, dass ich gegen die Vorschriften verstoße?«
»Also, äh, es wäre nett, wenn Sie sie etwas großzügiger auslegen würden.«
Wieder lächelte der Mann. »Dafür könnte ich in Teufels Küche kommen, Sir.« Nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »Das müsste sich für mich schon lohnen.«
»Wie bitte?«
»Wenn ich gegen die Vorschriften verstoßen soll, müsste sich das für mich schon lohnen.«
Es war so beiläufig, so nonchalant dahingesagt, dass Adam im ersten Moment glaubte, sich verhört zu haben. Aber nein: Er hatte richtig verstanden. Er war wie vor den Kopf geschlagen. Zwar hatte er von derlei Praktiken gehört, aber nie damit zu tun gehabt. Er saß stocksteif hinterm Steuer und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, sein Zeitgefühl erstarrt im grell gleißenden Licht, während der Polizist einmal um den Wagen stakste und Reifen, Scheinwerfer und Kennzeichen überprüfte. Als er zum Beifahrerfenster zurückkam, sagte er: »Wie ich sehe, ist Ihre Zulassung abgelaufen. Das macht noch einmal tausend. Also, was meinen Sie? Sagen wir . zweihundert, und wir vergessen die ganze Geschichte.«
Da packte Adam die Wut. »Nein«, sagte er.
»Nein?«
»Kommt nicht in Frage. Von mir kriegen Sie keinen Cent.«
Wieder zuckte der Mann die Achseln. Das Lächeln war noch immer da. Schwach spielte es um seinen feisten kleinen Mund. »Den Führerschein, bitte«, sagte er.
*
Als er weiterfuhr, konnte Adam gerade noch die Nummer des Streifenwagens lesen, der halb versteckt hinter dem Baum stand, und sprach sie auf den nächsten Kilometern immer wieder vor sich hin. Leider hatte er weder Stift noch Papier zur Hand, und als sie an der nächsten Tankstelle hielten, war er sich schon nicht mehr sicher, ob die Reihenfolge der Ziffern stimmte. Trotzdem notierte er sie auf einem Zettel, um den er die Bedienung im Café neben der Tankstelle gebeten hatte. Er las sie ein paarmal und versuchte, sie mit seiner Erinnerung in Einklang zu bringen, als Gavin und Charmaine zur Tür hereinkamen. Auch sie hatten vorhin angehalten und die Szene im Rückspiegel verfolgt. »Was war denn da los?«, fragte Gavin.
»Der Typ wollte Geld. Er hat ganz offen danach gefragt, einfach so.«
Gavin schnaubte. »Wie viel hast du ihm gegeben?«
»Gar nichts.« Adam sah seinen Bruder besorgt an. »Was hättest du denn getan?«
»Na ja .«, sagte Gavin, und sein Oberlippenbärtchen zuckte. »Immer noch billiger als ein Bußgeld.«
»Darum geht's nicht.«
»Schon gut, schon gut.« Gavin blickte sich um. »Ich habe ein ganz anderes Problem. Ich frage mich, ob wir überhaupt auf der richtigen Straße sind. Bis zur letzten Kreuzung war ich mir eigentlich ziemlich sicher. Aber auf den ganzen Straßenschildern steht ein Ortsname, den ich noch nie gehört habe.«
»Ja, der Ort ist noch derselbe«, sagte die Bedienung im Vorbeigehen. »Nur der Name hat sich geändert. Der neue Bürgermeister hat ihn vor einem Jahr umbenannt. Damit hat er viele Leute vor den Kopf gestoßen.«
»Kein Wunder«, meinte Gavin. »Das machen sie neuerdings überall. Eine Riesengeldverschwendung. Jetzt müssen sämtliche Karten neu gedruckt werden.«
Adam hörte nur mit halbem Ohr hin. In Gedanken war er noch immer bei dem Polizisten. Obwohl der Mann ihm nicht gedroht hatte, ging etwas Bedrohliches von ihm aus. Wie ein dunkler Wächter stand er am Tor zu Adams neuem Leben und verstellte ihm den Weg, mit gierig ausgestreckter Hand.
Bis in den Ort waren es nur noch ein, zwei Kilometer. Die Straße hatte sich ziellos durch die Ebene geschlängelt, auf eine Gebirgskette in der Ferne zu, als müsse sie sich ihren Weg erst suchen. Doch unweit der Tankstelle überwand sie eine Anhöhe, und dahinter lag die Stadt, in einem Talkessel verborgen: eine verstreute Ansammlung einstöckiger Gebäude, die allein der Kirchturm wie ein mahnend erhobener Zeigefinger überragte. Am anderen Flussufer in der Talmitte, mit dem Ort nur durch eine Betonbrücke verbunden, lag das Township. Am Hang eines nahe gelegenen Hügels buchstabierten weiße Steine den alten Ortsnamen. Irgendjemand hatte damit begonnen, aus den Steinen den neuen Namen zu bilden, aber nach der Hälfte aufgegeben.
Sie bogen von der Landstraße in die Hauptstraße ein. Vor der Kirche hielten sie das erste und einzige Mal. Das diffuse Unbehagen, das Adam seit seiner Begegnung mit dem Verkehrspolizisten begleitete, schien sich hier zu bündeln wie unter einem Brennglas. Beim Anblick der Straße - ein Supermarkt, eine Bank, eine Metzgerei, ein Postamt, ein Schönheitssalon, ein Hotel und ein Schnapsladen - zog sich sein Herz zusammen. Obwohl es auf Ende August zuging, baumelte die Weihnachtsbeleuchtung vom letzten Jahr schlaff von den Laternenmasten. Die Straße, der sie so lange gefolgt waren, verengte sich an ihrem Ende zu einem mit verdorrtem Gestrüpp bewachsenen Aussichtspunkt, wo ein Betrunkener der Länge nach hinschlug, sich hochrappelte und ein paar Meter weiterwankte, nur um dann von Neuem hinzuschlagen.
Gavin stieg aus und kam zu Adams Wagen. »Das macht Laune, was?«
»Na ja«, sagte Adam. »Heute ist Sonntag.«
Gavin schnaubte kopfschüttelnd in seinen Bart. »Sehen wir uns das Haus an.«
Das Haus war ein Schock. Es lag am Rand der weißen Stadt, wo die Straßen unbefestigt waren und das Gelände steil zum felsigen Kamm eines Bergrückens anstieg. Es war schlicht und schmucklos, mit abgeschrägtem Blechdach. Die Fenster starrten blind und ausdruckslos. Die Farbe war verblichen, der Anstrich abgeblättert. Kletterpflanzen hatten den Zaun verschlungen und sich einen Weg durchs Gartentor gebahnt.
Gavin riss die Ranken fort und legte den Durchgang frei. Er schimpfte leise vor sich hin und verstummte erst, als sie schließlich durch das Tor traten. Ein alter Weg aus Schieferplatten führte durch einen kleinen Obstgarten zur Haustür. Die Äste der wild wuchernden Bäume waren knorrig und verwachsen. Eine dicke Schicht aus verfaulendem Obst bedeckte den Schiefer, und darüber hing eine Wolke aus Gärgeruch und Fliegen. Schlitternd tasteten sie sich Schritt für Schritt durch den berauschenden Gestank. Gavin zog einen großen Eisenschlüssel aus der Tasche, der aussah, als gehörte er zum Portal eines mittelalterlichen Klosters. Aber er fügte sich mühelos ins Schloss und ließ sich drehen.
Adam ließ Gavin und Charmaine den Vortritt, als wären sie hier zu Hause und er nur zu Gast. Doch kaum war er über die Schwelle getreten, fühlte er, wie das Haus an ihm zerrte, ihn anzog, in Besitz nahm. Es war fast körperlich zu spüren.
Die Luft im Innern war schwer und verbraucht, als sei sie schon einmal geatmet worden, das Mobiliar eine deprimierende Mischung aus klobigem altem Plunder und einigen geschmacklosen modernen Stücken. Die vier Zimmer waren einfach und zweckmäßig eingerichtet. Kein Teppich auf dem nackten Estrich, keine Bilder an den Wänden, nichts Behagliches, nirgends. Alles war mit einem dicken braunen Staubpelz überzogen. Es schien, als hätte die Zeit vor diesen Mauern haltgemacht und strömte erst jetzt wieder herein, durch die Tür, die sie aufgestoßen hatten.
Gavin war stinkwütend. Stumm stampfte er durch die Zimmer und hinterließ deutliche Fußspuren im Staub. Ein Vogel war durch den Kamin ins Haus gelangt und hier verendet, und Gavin trat wütend mit der Schuhspitze gegen den kleinen Kadaver.
»Ich habe dich gewarnt«, sagte er schließlich.
»Ich weiß.«
»Aber ich muss sagen, es ist noch schlimmer, als ich erwartet hatte. Ziemlich übel.«
»Halb so wild«, sagte Adam tapfer. »Das kriege ich schon wieder hin.«
Charmaine hatte sich zu einem Erkundungsgang aufgemacht, Türen geöffnet, in Schränke gespäht. Jetzt kam sie aufgeregt zurück, ihre Stimme hohl und atemlos.
»Hier gibt es Geister«, sagte sie.
»Was?«
»Ich habe übersinnliche Fähigkeiten«, erklärte sie Adam. »Ich spüre die Geister der Vergangenheit. Dieses Haus ist voll davon. Es muss schon sehr alt sein.«
Gavin seufzte. »Ich habe keine Ahnung, wie alt es ist«,...
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