Schweitzer Fachinformationen
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Eines Tages ging's wieder einmal im Laufschritt zur Schule, nachdem ich hastig meinen Tee getrunken und meine Bücher unter den Arm genommen hatte. Unterwegs traf ich Timka Schtukin, einen kleinen, flinken Jungen aus meiner Klasse.
Dieser Timka Schtukin war ein schüchternes Kerlchen, der niemandem etwas zuleide tat. Ungestraft konnte man ihm eine runterhauen, er schlug nicht zurück. Er aß immer gern die Butterbrote auf, die seine Schulkameraden liegenließen, und holte ihnen dafür im Laden nebenan frische Brötchen. Kam aber unser Klassenlehrer, brachte Timka vor Schreck kein Wort heraus, obwohl er sich keiner Schuld bewusst war.
Timka hatte eine ganz große Leidenschaft - die Vögel. Die Stube seines Vaters, des Küsters der Friedhofskirche, war ganz mit Käfigen vollgestellt, in denen lauter Vögel saßen. Timka kaufte und verkaufte Vögel, tauschte sie gegen andere ein oder fing sie mit Schlingen oder Fallen auf dem Friedhof.
Eines Tages aber bekam er es mit seinem Vater zu tun. Als der Kaufmann Sinjugin das Grab seiner Großmutter besuchte, sah er, dass dort jemand Hanfsamen ausgestreut hatte, um Vögel anzulocken. Auf der steinernen Grabplatte war eine Falle aufgestellt, ein Klappbügel mit einem Netz daran. Sinjugin beschwerte sich, und Timka bekam von seinem Vater eine gehörige Tracht Prügel. Vater Gennadi aber, unser Religionslehrer, erklärte in der Religionsstunde entrüstet: »Die Grabsteine sind zum Andenken an unsere lieben Entschlafenen da, nicht aber zu anderen Zwecken; und so gehört es sich nicht, auf diesen Steinen Fallen und andere unpassende Dinge aufzubauen. So etwas ist eine Sünde, ist eine Lästerung Gottes.«
Und dann erzählte er uns von einigen Fällen aus der Geschichte, da die himmlischen Mächte solche Übeltaten hart bestraft hatten.
Man musste es Vater Gennadi lassen: Von solchen Beispielen wusste er stets eine große Menge. Mir scheint, hätte er gewusst, dass ich eine Woche vorher ohne Erlaubnis im Kino war, ihm wäre gewiss eine Begebenheit eingefallen, da jemand für das gleiche Vergehen noch in diesem Leben die verdiente Strafe Gottes erhalten hatte. Also, Timka kam die Straße entlang und pfiff dabei wie eine Drossel. Als er mich sah, blinzelte er mir freundlich zu, schaute mich dennoch etwas misstrauisch an, als wolle er feststellen, ob ich nicht irgendetwas im Schilde führte.
»Du, Timka, es ist höchste Zeit«, rief ich ihm zu, »wir kommen zu spät zur Andacht - vielleicht gerade noch zum Unterricht.«
»Ob die das merken?«, fragte er erschrocken, und die Angst stand ihm im Gesicht.
»Klar merken die das! Na ja, Mittagessen kriegen wir keins, aber das ist auch alles .« Ich sagte das absichtlich, weil ich wusste, dass er große Angst vor jedem Tadel hatte.
Furchtsam zuckte er zusammen und rannte noch schneller.
»Was kann ich denn dafür? Mein Vater war weg und hat die Kirche aufgeschlossen. Ich sollte einen Augenblick zu Hause bleiben, hat er gesagt. Und dann ist er weggeblieben, ganz lange. Und alles wegen dem Gebet. Die Mutter von Walka Spagin war gekommen, die wollte für ihn beten.«
»Für Walka?« Ich riss vor Staunen den Mund auf. »Wieso? Ist der denn gestorben?«
»Nein, aber den suchen sie doch.«
»Wie? Suchen?« Meine Stimme zitterte. »Das ist doch Unsinn, Timka. Du, ich hau dir eine . Ich weiß von gar nichts, war doch gestern nicht in der Schule, weil ich Fieber .« Timka pfiff wie eine Meise. Er war richtig froh, dass ich die Geschichte noch nicht wusste, und hüpfte auf einem Bein herum. »Stimmt ja, du warst ja gestern nicht da. Junge, Junge, da war was los, gestern .«
»Was war denn los?«
»Ja, das war so. Wir hatten zuerst Französisch. Die alte Hexe hatte uns die Verben mit >être< aufgegeben . aller, arriver, entrer, rester, tomber usw. Der Rajewski musste an die Tafel kommen und fing gerade an zu schreiben: >rester, tomber< ., da ging auf einmal die Tür auf, und der Inspektor kam rein.« Timka kniff die Augen zusammen, schaute mich vielsagend an und fuhr fort: ». und der Direktor und auch noch unser Klassenlehrer. Als wir uns wieder hingesetzt hatten, da sagte der Direktor: >Meine Herren, ein Unglück ist geschehen. Ein Schüler Ihrer Klasse, der Spagin, ist von zu Hause weggelaufen. Er hat einen Zettel hinterlassen. Darauf steht, er wäre zur deutschen Front unterwegs. Ich glaube nicht, meine Herren; dass er das getan hat, ohne seine Klassenkameraden einzuweihen. Bestimmt wussten viele von Ihnen schon vorher davon, aber Sie haben es nicht für notwendig gehalten, es mir zu melden. Meine Herren, ich werde .< Und so ging das immer weiter, eine halbe Stunde lang.«
Mir stockte der Atem. Das war ja eine tolle Neuigkeit, und ausgerechnet ich hatte zu Hause gesessen, als ob ich krank wäre, und von nichts gewusst. Und niemand war gekommen und hatte es mir erzählt, der Jaschka Zuckerstein nicht und auch nicht Fedka Baschmakow. Schöne Kameraden .! Wenn er aber Korken für seine Pistole haben wollte, der Fedka, dann kam er zu mir . Und jetzt - da kam er nicht .! Na schön, gut, dass ich wusste. Die halbe Schule lief weg, ging an die Front, und ich saß wie ein Idiot zu Hause!
Ich raste zur Schule, warf im Laufen meinen Mantel ab und konnte mich gerade noch unter die Schüler mischen, die nach der Morgenandacht die Aula verließen. Der aufsichtführende Lehrer hatte mich nicht bemerkt.
In den nächsten Tagen gab es nur ein Thema: die kühne Flucht Walka Spagins.
Doch der Direktor irrte sich, wenn er annahm, viele von uns wären in Spagins Fluchtpläne eingeweiht gewesen. Tatsächlich hatte niemand etwas gewusst. Es war auch keiner auf den Gedanken gekommen, Walka Spagin könne weglaufen. Er war so ein Stiller, prügelte sich nie mit den anderen, war nie dabei, wenn wir in fremden Gärten Apfel gestohlen hatten. Ständig rutschte ihm die Hose, mit einem Wort, ein Waschlappen, wie er im Buche stand. Und nun auf einmal solche Geschichten!
Wir fragten uns, ob nicht jemand irgendwelche Vorbereitungen bemerkt hätte. Es konnte doch nicht einer von uns so mir nichts, dir nichts die Mütze aufsetzen und an die Front abhauen.
Fedka Baschmakow erinnerte sich, bei Walka eine Eisenbahnkarte gesehen zu haben; Dubilow, der schon das zweite Jahr in unserer Klasse saß, erzählte, Walka habe sich in einem Laden eine Batterie für seine Taschenlampe gekauft.
Doch so viel wir auch darüber nachdachten, keiner von uns hatte irgendetwas bemerkt, das auf Vorbereitungen zur Flucht hätte schließen lassen.
Wir alle waren sehr erregt und in gehobener Stimmung, gaben im Unterricht falsche Antworten, und die Zahl derer, die zur Strafe kein Mittagessen bekamen, war doppelt so groß wie sonst. Einige Tage verstrichen, und schon gab es wieder eine große Neuigkeit: Diesmal war Mitka Tupikow aus der ersten Klasse abgerückt.
Die Schulleitung war ernsthaft beunruhigt.
Fedka teilte mir im Vertrauen mit: »Heute soll in der Religionsstunde darüber geredet werden. Ich hab die Hefte ins Lehrerzimmer getragen, und da hab ich gehört, wie sie darüber sprachen.«
Unser Religionslehrer, Vater Gennadi, war an die siebzig Jahre alt. Er hatte einen so großen Bart und so dichte Augenbrauen, dass von seinem Gesicht kaum etwas zu sehen war. Wollte er den Kopf nach hinten wenden, musste er den ganzen Körper mitdrehen, so dick war er. Sein Hals war überhaupt nicht zu sehen.
Wir mochten ihn alle gern. In seinem Unterricht konnte man machen, was man wollte: Karten spielen, zeichnen, man konnte anstatt des Alten Testaments ein verbotenes Buch von Pinkerton oder eins über Sherlock Holmes vor sich liegen haben, weil Vater Gennadi so kurzsichtig war.
Vater Gennadi kam zur Klasse herein, segnete mit erhobener Hand alle Anwesenden, und sofort brüllte unser Klassenältester los: »Himmlischer Herrscher, du unser Trost, du bist die Wahrheit .«
Vater Gennadi hörte sehr schwer und wollte daher, dass wir das Gebet laut und deutlich vorlasen. Doch diesmal schien es sogar ihm, als habe der Sprecher zuviel des Guten getan. Er hob die Hand und sagte ärgerlich: »Aber, aber . Was soll denn das heißen? Anständig lesen sollst du, aber du brüllst ja wie ein Stier!«
Vater Gennadi holte sehr weit aus. Zuerst erzählte er uns das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Soviel ich verstanden hatte, ging dieser Sohn aus dem Hause seines Vaters und irrte in der Welt umher, als er aber dabei auf den Hund gekommen war, kehrte er nach Hause zurück.
Dann erzählte er uns das Gleichnis von den Talenten: wie ein reicher Mann seinen Sklaven Geld gab, das damals Talente hieß, und wie einige Sklaven mit diesem Geld Handel trieben und viel dabei verdienten. Die anderen aber versteckten ihr Geld und...
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