Schweitzer Fachinformationen
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Ich öffne die Augen und sehe meine besorgte Mutter, die ich kaum zwischen den Rändern eines offensichtlich dicken Verbandes über meinem Gesicht erkennen kann. Sie steht zitternd und blass mitten im Zimmer neben meiner Freundin Elena.
»Du bist gekommen .«, flüstere ich erleichtert und mit einer so schwachen Stimme, dass ich sie erst gar nicht als meine erkenne.
»Natürlich bin ich gekommen, meine Kleine .«
Der Schmerz ist unerträglich.
»Was ist mit Tamara passiert?«, frage ich.
»Ihr geht es gut, sie ist nicht ins Krankenhaus gekommen. Sie hat nur ein paar kleine Wunden«, antwortet mir Elena. »Mach dir um sie keine Sorgen und bleib ruhig. Sie haben dich gerade operiert.«
Ich kann meinen eigenen Körper kaum wahrnehmen. Als wäre ich zu einer Fleischmasse geworden, an der unentwegt gierige Hände reißen, bis sie zu den Knochen kommen. Mein Gesicht ist völlig taub.
»Mama, habe ich noch eine Nase?«, lalle ich, benommen von der Narkose. »Und was ist mit meinen Lippen?«
»Ja, meine Süße. Du hast auch noch Wimpern!«
Auf einmal nimmt sie die Hand an den Mund und eilt aus dem Raum. Sie ist gegangen, damit ich ihre Tränen und ihre Verzweiflung nicht sehe. Womöglich geht es mir doch nicht so gut. Womöglich glaubt sie, dass ich sterbe. Sterbe ich? Ich weiß nicht, wie stark verletzt ich bin, doch die Schmerzen an der rechten Hand, am Rücken und an der linken Schulter sind unerträglich. Ich schwanke zwischen Schlaf und Erwachen. Das Mädchen im Bett neben mir weint so kläglich . Es zerreißt mir das Herz. Ihr ganzer Körper ist verbunden und ihre Tränen befeuchten den Mull unter ihren Augen.
»Wie konnte uns so etwas passieren? Ich verstehe das nicht. Mein Gott, es tut so weh!«
Ich würde sie gern trösten, doch bevor ich etwas sagen kann, verliere ich das Bewusstsein. Nach einer Weile wache ich auf und bemerke, dass jemand das Licht in unserem Zimmer gelöscht hat. Durch den Türspalt dringt etwas Neonlicht vom Flur herein und mildert die Dunkelheit zusammen mit dem Flimmern der Lichter an den Geräten, die uns überwachen.
Ich höre ein langes Stöhnen, das mit einem Schluchzen endet.
»Ich halte das nicht mehr aus . Es tut so weh, ich kann nicht mehr .«, klagt das Mädchen.
Ich will ihr helfen, doch ich kann nicht einmal den Kopf in ihre Richtung drehen. Schließlich schaffe ich es, sie zu fragen:
»Haben sie dir nichts gegen die Schmerzen gegeben?«
»Ich rufe die ganze Zeit, aber sie kommen nicht.«
»Lass uns zusammen rufen«, schlage ich ihr vor, doch ihre Stimme ist zu schwach. Ich fülle meine Lungen mit Luft, so gut ich kann, und rufe:
»Schwester! Schwester!«
Eine Weile geschieht nichts, dann kommt jemand in den Raum geschossen. Die Frau ist wütend und aufgebracht.
»Warum schreist du so? Was ist passiert?«
Mir gefällt ihr aggressiver Tonfall nicht, doch ich gebe nicht auf.
»Das Mädchen neben mir hat große Schmerzen. Sie weint die ganze Zeit. Helfen Sie ihr bitte!«
Die Krankenschwester spricht etwas milder:
»Was soll ich dir noch geben, Mädchen? Ich habe nichts mehr, was ich dir geben kann!«
»Aber es tut so weh, ich bitte Sie!«, jammert sie und bricht in Tränen aus.
»Mal sehen, was ich noch finden kann«, sagt die Schwester und verschwindet durch die Tür.
Das Mädchen schluchzt und betet, sagt Dinge, die ich schon vorher gehört habe.
»Bitte, lieber Gott, das kann nicht wahr sein . Bitte, lieber Gott, lass mich aufwachen .«
Ihre Worte bringen die schmerzende Erinnerung an den Mann neben mir im Container zurück. Er hatte ebenfalls den Himmel angefleht, alles aufhören zu lassen, wie einen Albtraum, der zu Ende geht. Wie er gehofft hatte, dass er die Augen öffnen und auf das verschwitzte Laken in seinem Bett zu Hause sehen würde, weit weg von allem Bösen, sein Herz gerettet, sein Körper unversehrt. Ich frage mich, ob er noch lebt, ob er hier bei uns ist und in einem der Krankenbetten leidet. Oder womöglich ist er nicht mehr nach draußen gekommen und Asche ist das Einzige, was von seinen Gebeten geblieben ist. Ich habe starke Schmerzen. Ich würde auch weinen, doch ich halte mich wegen des Mädchens zurück, das schon genug leidet. Ich will nicht mehr an den Tod denken, an den dichten Rauch, an das zerstörerische Feuer, an unsere verbrannten Körper, die wie Lumpen von den Flammen verschlungen wurden, an den chemischen Geruch, der mich mit seinem scharfen, stechenden Gestank durchdrungen hat.
»Alles wird gut, warte nur. Morgen wird alles schon viel besser sein«, flüstere ich zu ihr und versuche sie zu trösten, doch sie weint immer weiter und ich werde wieder ohnmächtig.
Für sie hat es den Morgen nicht mehr gegeben. Sie ist neben mir gestorben, während ich ohnmächtig in meinem Bett lag. Nichts hat mich gewarnt, wachgerüttelt, aufgeweckt. Ich konnte nicht um Hilfe rufen, jemanden holen. Das zerbrechliche Leben, das ihr noch geblieben war, nachdem sie dem Inferno die Stirn geboten hatte, wurde von dem Schmerz überwältigt, den ihr Herz nicht mehr ertragen konnte. Ich wache am nächsten Tag mit ihrer Stimme im Kopf auf und drehe unbeholfen den Kopf, um nach ihr zu sehen, doch das Bett ist leer. Meine Mutter kommt ins Zimmer und erzählt mir, was ihr die Ärzte über mich gesagt haben. Ich kann mich nicht konzentrieren.
»Wo ist das Mädchen aus dem Nebenbett?«
Sie zögert, dann sagt sie mir, dass ein paar Brandopfer in der Nacht auf die Intensivstation gebracht wurden.
»Sie auch?«, frage ich.
»Ja, sie auch.«
Tiefe Stille folgt ihrer Antwort. Ich merke, dass sie lügt.
»Sie ist gestorben, oder?«
Schließlich erfahre ich die Wahrheit. Als ihre Schwester mit ein paar Sachen für sie ins Krankenhaus kam, war das Mädchen bereits nicht mehr auf dieser Welt. Ich versuche, zu verstehen, was ich höre, doch es gelingt mir nicht. Mein Verstand wiederholt die Neuigkeit immer wieder. Sie hat die ganze Nacht geweint. Sie hat um Hilfe gebeten. Sie ist hier allein gestorben, neben mir, während ich bewusstlos war. Ihr Verschwinden erschüttert mich zutiefst. Eine Seele, mit der ich ein paar herzzerreißende Momente geteilt habe, ist neben mir in den Himmel aufgefahren, und ich stand ihr in keiner Weise bei. Ich habe ihr nicht helfen können. Wir waren Leidensgefährtinnen, doch sie ist jetzt fort und ich bin noch da. Warum? Wenn mich der Schleier des Schocks bisher vor dem Ausmaß der entsetzlichen Wahrheit dessen, was uns widerfahren ist, geschützt hat, während des Kampfes der Flucht und des Entkommens, so sehe ich es jetzt in seiner ganzen Abscheulichkeit, und das Böse lähmt mich. Ich starre in die Dunkelheit dieses Abgrunds, der sich vor mir geöffnet hat, stumm und reglos. Mama redet immer weiter und hofft, mit ihren Worten den Geist zu vertreiben. Sie sagt mir, dass ich keiner der leichten Fälle bin. Dr. Petrescu, der Leiter der Intensivabteilung, hat ihr gesagt, dass es mir schlecht geht. Ich habe tiefe Verbrennungen auf dem Rücken, meinen Händen und dem Kopf. Die Verbrennungen im Gesicht sind zwar relativ oberflächlich, beeinträchtigen aber meine Prognose, weil sie ernsthaft anschwellen werden. Der einzige Grund, weshalb sie mich nicht auf die Intensivstation verlegt haben, liegt darin, dass ich offenbar keine Schäden an den Atemwegen habe.
Sie spricht immer weiter mit mir, doch ich bin wie betäubt. Der Schmerz durchfährt mich glühend, versengt mich von innen, als hätte sich das Feuer irgendwo im Inneren eingenistet und brennt immer weiter, unlöschbar. Mir ist schlecht und schwindlig, doch vor allem habe ich Angst. Ich bitte darum, mich in einem Taschenspiegel ansehen zu können. Ich erkenne mich nicht. Mein Kopf und mein Körper sind in dicke Verbände gewickelt, mit kleinen Schlitzen für Augen, Nase und Mund.
»Du siehst wie eine kleine Mumie aus«, sagt Mama und versucht, mich aufzumuntern.
Sie versucht, mich zum Lachen zu bringen.
Ich verstehe nicht richtig, was mit mir geschieht. Der restliche Tag vergeht wie im Nebel. Ich bewege mich zwischen einem seltsamen, traumartigen Zustand, und Momenten der Klarheit, die durch die unerträglichen Schmerzen noch realer wirken. Das Einzige, woran ich mich deutlich erinnere, ist die Verlegung in ein größeres Zimmer, wo drei weitere Mädchen und ein Junge liegen. Ich erkenne Flavia, die aufrecht auf ihrem Bett sitzt und stöhnt. Ihr ganzer Oberkörper ist mit blutigen Verbänden bedeckt.
»Alex!«, ruft sie, als sie mich sieht. »Meine Güte, ich habe gar nicht gemerkt, dass du es bist! Wie schön, dass du hier bist!«
Das rothaarige Mädchen, das bei der Aufnahme so sehr geweint hat, ist ebenfalls bei uns. Ihre Tränen hatten Streifen ihrer verletzten rosigen Haut freigelegt, als sie ihr über die von der Asche geschwärzten Wangen liefen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir einander vorgestellt wurden, doch ich weiß, dass sie Iris heißt. Sie erbricht schwarzen Teer in eine Brechschale, dabei schluchzt und weint sie. Als wollte sie das Dunkle aus sich vertreiben, sich von dem Bösen befreien, das ihren Körper durchdrungen hat, als sie brannte. Sie erbricht das ganze Entsetzen der Nacht. Neben mir sitzt Sandra, ein weiteres Opfer, und auch wenn ich sie nicht kenne, sage ich ihr, wie hübsch sie ist. Alle drei haben wir den Kopf, den Rücken, die Schultern und Arme mit dicken Kompressen bedeckt. Keine von uns weiß, welche Wunden sich darunter...
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