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München, im Januar 2017
Der Winter hatte sich in diesem Jahr ungewöhnlich viel Zeit gelassen, doch in den vergangenen Tagen war endlich Schnee gefallen. Als ich die Haustür öffnete, blickte ich auf ein Märchenland. Die Thujenhecke war wie mit Zuckerguss überzogen, der Himmel eisblau. Das verkehrsberuhigte Sträßchen unweit der Isar, in dem meine Frau, meine Kinder und ich damals lebten, lag still und friedlich da.
Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter mir ins Schloss. Ich griff nach den beiden Koffern, in die ich in Windeseile ein paar Habseligkeiten gepackt hatte. Wie in Trance setzte ich einen Fuß vor den anderen. War gezwungen, unsere Trutzburg der Liebe zu verlassen.
Das Knarzen des Schnees unter meinen Schuhen an jenem Morgen werde ich nie vergessen. Das Knarzen und die Verlorenheit.
Eine halbe Stunde später stand ich vor dem Mietshaus, in dem ich in meiner Jugend gelebt hatte. Bis heute weiß ich nicht, wie ich dorthin gekommen bin. Mein Blick ging die Fassade hoch, die mich an eine überdimensionale Bienenwabe erinnerte. Wie von einem unsichtbaren Kommando aufgeschreckt, flatterten einige Tauben auf und flogen gen Himmel. Ich sah ihnen hinterher, während ich dastand, in meiner Schockstarre gefangen. Irgendwann fanden meine Finger den Klingelknopf.
Meine Mutter öffnete die Tür. Ihre Augen musterten mich sanft, ein Blick auf mich und die beiden Koffer erzählte ihr die ganze Geschichte.
»Komm erst mal rein«, sagte sie schlicht. Und da konnte ich nicht mehr an mich halten. Mit fünfzig Jahren stand ich plötzlich wieder bei meiner Mutter auf der Matte, die Trümmer meines Lebens in zwei Koffern und ein Sack voller Ratlosigkeit auf den Schultern. Ich sank in die Arme meiner Mutter und begann bitterlich zu weinen. Ich weinte um meine Ehe, die Kinder, um meine eigene Kindheit und wohl auch um mich selbst, wenngleich ich in diesem Moment nicht mehr wusste, wer ich überhaupt war.
Später zeigte meine Mutter mir den einfachen Raum, in dem ich unterkommen konnte. Mein Kinderzimmer gab es schon längst nicht mehr, meine Mutter und mein Stiefvater hatten vor Jahrzehnten alles umgebaut. Der Chlorgeruch vom benachbarten Schwimmbecken zog durch die Türritzen. Mein Blick streifte den ausgemusterten Schrank und das schmale Bett mit der durchgelegenen Matratze.
»Es ist zwar nicht besonders groß und etwas feucht hier, aber fürs Erste .« Sie stockte. Ich spürte, wie auch sie mit den Tränen kämpfte. Ich nahm sie in den Arm und sagte leichthin: »Hübsch hässlich hamses hier.« Wir mussten beide lachen, und meine Mutter knuffte mich.
»Das hat doch der Rühmann immer gesagt! Wie hieß der Film noch mal?«
»Das schwarze Schaf«, grinste ich und brach erneut in Tränen aus. Dann wurde ich ernst. »Danke, dass ihr mir vorübergehend Asyl gewährt, Mami.« Sie strich mir über die Wange und sagte damit mehr als tausend Worte.
In der ersten Nacht saß ich lange auf dem Bett mit der viel zu weichen Matratze und lauschte in die Dunkelheit. Das Wasser im Pool nebenan gluckste vor sich hin; darunter lag eine Stille, die schwer war vor Einsamkeit. Die Realität hätte kaum weiter von meiner Rolle als »Dr. Kleist« entfernt sein können.
Noch wehrte ich mich dagegen, die Dimension meines Scheiterns anzuerkennen. Heile Welt, das war immer mein Wunschtraum gewesen. Vor allem hatte ich meinen Töchtern ersparen wollen, Scheidungskinder zu werden.
Bestimmt ist das nur vorübergehend, das renkt sich schon wieder ein, sagte ich mir und hielt mich krampfhaft daran fest. Doch wem wollte ich eigentlich etwas vormachen? Meine Ehe war krachend gescheitert.
Neben mir auf dem Tisch lockte eine Flasche Whiskey, ich war hin- und hergerissen zwischen dunklem, zähflüssigem Selbstmitleid, Hoffnung und Fassungslosigkeit. Was sollte ich bloß tun? Paradoxerweise fiel mir ein Spruch ein: Als Gott mich schuf, fing er an zu grinsen und dachte: »Ob das wohl gut geht .?« Dann setzte er die Sonnenbrille auf, lächelte breit und sagte sich: »Aber es wird bestimmt lustig.«
Ich weiß offen gestanden nicht, wer diesen Spruch erdacht hat, aber heute liebe ich ihn und denke mir mit einem Augenzwinkern, so oder so ähnlich könnte es sich zugetragen haben.
Damals aber war mir viel eher danach, Gott und mich selbst zu verfluchen. Der Boden unter meinen Füßen schien zu schwanken, als ich aufstand, und das lag nicht allein am Whiskey. Durch das Fenster konnte ich die blinkenden Farben der Großstadt ausmachen. Dort draußen pulsierte das Leben. Verzweiflung packte mich, dann eine unheilige Wut auf mich selbst. Im Geiste zertrümmerte ich alles, was ich je erschaffen hatte.
Scheitern als Chance, redeten nicht alle davon? Würde ich irgendwann an den Punkt kommen, das auch so betrachten zu können? Das, was geschehen war, zu akzeptieren und zu einem längst überfälligen Neuanfang aufbrechen? Aber wohin überhaupt?
Ich versuchte mich zu erinnern, wo ich vom Weg abgekommen war. Pläne hatte ich viele gehabt, große Pläne sogar. Ich bin Einzelkind, Scheidungskind, Internatskind. In meinem Leben habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als eine eigene Familie zu haben, Ehemann und Vater zu sein, Beschützer, Vorbild, Inspiration . Vor allem aber einfach da zu sein für diejenigen, die mich brauchen. Als Fels in der Brandung, auch dann noch, als die Wellen daheim heftiger schlugen. All dies hatte nun ein abruptes und für mich hochemotionales Ende gefunden. Ich behaupte tatsächlich bis heute, ein hoffnungsloser Romantiker zu sein. Wenn ich mein Herz verschenke, wenn ich liebe, dann bedingungslos, bis zur Selbstaufgabe.
Selbst ist man allerdings merkwürdigerweise immer irgendwie betriebsblind. Man merkt nicht, wo und wann man den Partner verloren hat. Und weshalb Dinge scheinbar »plötzlich« passieren. Das tun sie aber nicht. Nichts geschieht einfach so. Wir leben in einem physikalischen Universum; Ursache und Wirkung hängen untrennbar zusammen und bedingen sich gegenseitig.
In den darauffolgenden Wochen erlebte ich einen tiefen Fall ins Nichts. Das totale Nichts. Wenn das Leben in tausend Splitter zerbirst, kommt irgendwann der Punkt, an dem man es nicht mehr schafft, alle Teile zusammenzuhalten. Dann setzt der Selbsterhaltungstrieb ein. Ich lernte das Loslassen auf die harte Tour. Rappelte mich auf. Spürte, dass ich es noch einmal wissen wollte. Wissen musste! Das hier konnte nicht das Ende sein, nicht so .
Doch wir Menschen neigen dazu, all jene Situationen, in denen das Leben uns Wunden schlägt, mit unfassbarer Präzision zu wiederholen. Und so geschah es auch mir. Ich verliebte mich aufs Neue, verlor mich abermals und musste schmerzlich erkennen, dass ich noch tiefer fallen konnte als je zuvor.
Heute glaube ich, dass das Leben mit uns auf mindestens zweierlei Ebenen kommuniziert. Zum einen haben wir die wirkliche Chance, es in seiner absoluten Schönheit, Vielfalt und Brillanz zu erleben. Zum anderen aber nimmt uns das Universum von Zeit zu Zeit brutal aus dem Rennen, und zwar in Gestalt von Prüfungen, Problemen, Krankheiten, die uns zum Schreien und Weinen bringen, uns aber auch zum Innehalten zwingen. Und während wir gar nicht anders können, als unser Sein zu überdenken, bringt uns das schließlich auch zum Durchatmen, zur Erneuerung. Dieser Prozess ist alles andere als einfach, denn wir Menschen sind es gewohnt, nach den Erwartungen anderer zu leben. Viel zu oft kommen wir dabei vom Weg ab und bleiben auf der Strecke. Errichten Mauern um uns herum und wundern uns, dass keiner da ist, der uns nahekommt. Allzu häufig umschließen diese Mauern unseren innersten Kern, sodass wir uns nicht einmal mehr selbst begegnen können, uns fremd geworden sind, uns verlassen haben.
NOTIZ AN MICH:
Alles Leiden entsteht durch zwanghaftes egozentrisches Denken.
Ablenkung, Flucht, Trotz, Bestrafung, Hoffnung, Aufbäumen, Wut, Hass, Verzweiflung und erneute Selbstaufgabe: Wer kennt das nicht? Ich habe in meiner Transformation nur wenig ausgelassen. In langen Gesprächen mit anderen Menschen, die ähnlich betroffen sind, erkannte ich jedoch, dass ich nicht allein bin. Dass das, was mir geschehen war, offenbar ein universelles Phänomen ist.
Als ich dreieinhalb Jahre nach dem Ende meiner Ehe erneut vor dem Scherbenhaufen des Lebens stand, begriff ich jedenfalls, dass ich so nicht weitermachen konnte. Ich hatte aufs Schmerzlichste erkennen müssen, dass ich mich viel zu lange in meiner eigenen Komfortzone aufgehalten hatte und mich bereitwillig einlullen ließ. Jetzt galt es, die Ausflüchte sein zu lassen und zu reflektieren. Mich zu fragen: Wo ist denn wirklich der Francis in mir selbst? Wie weit bin ich gekommen? Was kann ich in meinem Leben verbessern? Was will ich noch erreichen?
Die Antworten auf all diese Fragen sucht man im Außen vergebens. Sie tun sich auf, wenn wir uns auf den Weg zu uns selbst begeben. Und so habe ich mithilfe von spirituellen Lehrern, Coaches und Weggefährten die Reise zum Mittelpunkt der Seele angetreten. Um wieder in meine Kraft zu kommen. Um eine neue Vision meiner selbst zu kreieren.
Und von dieser Reise handelt das vorliegende Buch:
Von meiner geborgenen Kindheit und dem Fall aus dem Paradies, frühen Prägungen, die wie Brandzeichen an mir hafteten. Von der Zeit im Internat, an deren Ende ich so einsam war, so herabgewürdigt, dass ich am liebsten die ganze Welt in Trümmer gerissen hätte. Von der Schauspielschulzeit, in der ich ein Ventil...
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