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Daß mit dem Krieg in Vietnam etwas falsch gelaufen sein muß, scheint gemeinsame Überzeugung der deutschen Öffentlichkeit geworden zu sein und hat auch jene erreicht, die diesen Konflikt in Asien für notwendig und gerechtfertigt gehalten haben.
Wo allerdings die Gründe der offenkundigen Fehlentwicklung zu suchen sind, darüber gibt es in der Bundesrepublik noch keine kritische, selbstkritische Diskussion. Wichtige Denkanstöße sind aus Amerika gekommen; die Bücher des Senators aus Arkansas, J. William Fulbright, die einige der wichtigsten Fragen nach den Kausalzusammenhängen dieser amerikanischen Katastrophe zu beantworten versuchen, könnten die überfällige öffentliche Auseinandersetzung um die deutsche Haltung gegenüber dem Vietnamkrieg endlich in Gang bringen.
Schon vor vier Jahren hatte Senator Fulbright in seiner Studie über 'Die Arroganz der Macht' eine Erklärung dafür zu finden gesucht, warum die verfassungsmäßigen Kontrollinstanzen der amerikanischen Demokratie der Eskalationspolitik der Exekutive, die Amerika in einen Landkrieg in Asien verstrickte, keinen wirksamen Widerstand haben entgegensetzen können. Seine These vom Machtverfall des Parlaments ist durch die weiteren Ereignisse noch bekräftigt worden und hat einen Sachverhalt ins öffentliche Bewußtsein gerückt, der nicht auf die Vereinigten Staaten und nicht auf die besondern Umstände einiger Kriegsjahre beschränkt ist. Fulbright hatte damals geschrieben:
"In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren hat die amerikanische Außenpolitik ein gerüttelt Maß an Krisen erlebt, und unausbleiblich oder fast unausbleiblich ist es das Bestreben der Exekutive gewesen, mit ihnen fertig zu werden, während der Kongreß - von Patriotismus angefeuert, von den Präsidenten bedrängt und durch Mangel an Informationen abgehalten - dazu neigte, sich hinter die Exekutive zu stellen. Das Ergebnis war, daß die traditionellen verfassungsmäßigen Beziehungen der beiden Seiten aus den Fugen gerieten . Die konstitutionelle Machtbefugnis des Senats, Rat und Zustimmung zu erteilen, ist zu einer Pflicht verkümmert, bei einem Minimum an Rat umgehend zuzustimmen."[1]
Wie immer die von der New York Times in Auszügen veröffentlichte Pentagon-Studie über die Etappen der Eskalation in Vietnam auch interpretiert werden mögen: sie erlauben keinen Zweifel, daß die Exekutive weder das Parlament noch die Öffentlichkeit über die Realitäten ihrer Politik informiert hat, daß Präsident Lyndon B. Johnson sich Vollmachten zu beschaffen wußte, die das konstitutionelle System der checks and balances vollends außer Kraft setzten.[2]
Das vorliegende Buch von Senator Fulbright liefert Beweise dafür, daß umgekehrt proportional zum Machtverlust des Parlaments der Einfluß des militärischen Establishments auf die Formulierung und Exekution der amerikanischen Außenpolitik gewachsen ist; daß die sogenannte Informations- und Public-Relations-Arbeit des Pentagon "die nationale Wohlfahrt und die nationalen Interessen und die Sicherheit direkt beeinflussen".
Dieses Buch erläutert im Detail den Umfang und die Methodik der militärischen Öffentlichkeitsarbeit; es macht die Mittel sichtbar, die der Führung der Streitkräfte zur Verfügung stehen, die Bevölkerung direkt oder indirekt für die ureigenen Interessen des military industrial complex zu mobilisieren und die Öffentlichkeit glauben zu machen, die vom Pentagon empfohlene Sicherheitspolitik sei allein mit der Würde und Freiheit der westlichen Führungsmacht zu vereinbaren. Fulbright läßt die Intentionen und die Techniken des militärischen Informationsapparates erkennen, ohne aber zugleich eine Erklärung dafür zu liefern, warum die beschriebene Öffentlichkeitsarbeit auch jene Wirkung erzielt, die von der Führung des Pentagon beabsichtigt und in der Vergangenheit auch häufig erzielt worden ist.
Den Effekt zu begründen, bedarf es einer radikalen Institutionenkritik, einer Analyse der zum Teil subkutanen und in ihrer Funktion unerkannten Verbindungslinien zwischen der Exekutive und der mit ihrer Kontrolle beauftragten Organe. Eine solche Institutionenkritik dürfte sich dann freilich nicht auf das Parlament beschränken, sondern müßte auch die Presse einbeziehen, jene Macht, von der Thomas Barnes, Chefredakteur der Londoner Times in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, gesagt hat, daß mit ihrer Hilfe das Volk die Regierung, nicht aber die Regierung das Volk beeinflussen könne.
Am Beispiel Vietnam kann demonstriert werden, daß die Exekutive den demokratischen Kontrollinstanzen entglitten ist, daß die Parlament und Presse in Amerika kennzeichnenden Schwächesymptome in ähnlicher Form auch in anderen Ländern der westlichen Allianz zu beobachten sind. So wie in den Vereinigten Staaten gibt es auch in der Bundesrepublik Veranlassung, die Rolle des Parlaments und der Presse kritisch zu durchleuchten, um eine Erklärung dafür zu finden, warum so wenige haben erkennen können oder wollen, welchen ideologischen, strategischen und politischen Irrtümern die Vereinigten Staaten in Vietnam erlegen sind, und wie unzulässig es war, Amerikas Interventionspolitik in Indochina mit den Sicherheitsinteressen der westlichen Welt überhaupt zu identifizieren.
Im Deutschen Bundestag hat bis auf den heutigen Tag keine Diskussion über den Krieg in Vietnam stattgefunden. Washingtons Kriegsphilosophie ist in Bonn vertrauensvoll übernommen und als Glaubensbekenntnis vertreten worden. Als Verteidigungsminister Robert S. McNamara Anfang Mai 1964 zu einem Besuch in die Bundesrepublik kam, vereinbarte er mit seinem deutschen Kollegen Kai-Uwe von Hassel folgende Formulierungen des Kommuniqués zum Abschluß der dreitägigen Besprechungen in Bonn:
"Die Minister führten einen Gedankenaustausch über die Verteidigungspolitik der freien Welt. Dabei drückte Verteidigungsminister McNamara die Hoffnung der USA aus, bei ihrer Politik gegen die kommunistische Bedrohung in anderen Teilen der Welt - wie zum Beispiel in Südvietnam - die Unterstützung der anderen NATO-Partner zu finden. Beide Minister waren sich darin einig, daß die Verteidigung der freien Welt unteilbar sei und daß ihre Sicherheit erhalten werden müsse, wo immer sie gefährdet sei."[3]
Am Bonner Einverständnis mit der von Washington gelieferten Begründung für die Eskalation in Vietnam hat sich auch durch die Bildung der Großen Koalition wenig geändert. Wo eine Relativierung der deutschen Position gelegentlich wünschbar erschien, unterblieb sie aus Sorge um die Reaktion in Washington. Bundeskanzler Kiesinger rechtfertigte dies mit dem Hinweis: "Wir sind nicht die Schulmeister Amerikas."
Willy Brandt hat als Außenminister und als Bundeskanzler immerhin den zugegebenermaßen schwierigen Versuch gemacht, seine Bedenken und Vorbehalte gegen den Krieg in Vietnam öffentlich zu erörtern, sie aber so zu formulieren, daß sie von einem amerikanischen Partner nicht als Dolchstoß in den Rücken empfunden werden konnten. Im Falle My Lai hielt Brandt es beispielsweise für unangemessen, als Bundeskanzler zu den Ereignissen Stellung zu nehmen. Als Privatmann und als ehemaliger Journalist wüßte er allerdings, so deutete er an, was er zu sagen hätte.
Die Bundesregierung hat der amerikanischen Indochina-Politik moralische und materielle Hilfe gewährt, ohne die Argumente dafür in öffentlicher Diskussion darzulegen, gegen abweichende Meinungen zu verteidigen und der Öffentlichkeit verständlich zu machen. Auch wer glaubt, daß es vernünftige Gründe für den Sukkurs des amerikanischen Partners gab, daß es jedenfalls den deutschen Interessen nicht dienlich sein konnte, sich von der atlantischen Führungsmacht in einer für Washington schwerwiegenden Sache zu distanzieren, auch wer den Krieg in Vietnam für vernünftig und gerechtfertigt hielt, auch der darf Regierung und Parlament den Vorwurf nicht ersparen, in verschämter Heimlichkeit gehandelt zu haben, die Bevölkerung, die junge Intelligenz vor allem, über die Prinzipien ihrer Bündnispolitik im unklaren gelassen zu haben und aus ängstlicher Sorge um eine öffentliche Debatte in den Verdacht einer schlimmen Art von Komplicenschaft mit dem Pentagon geraten zu sein.
Der Vorwurf gegen Parlament und Regierung bezieht sich also nicht auf die Substanz der Politik; er richtet sich zunächst gegen ein institutionelles Fehlverhalten, gegen eine Politik unter Ausschluß der Öffentlichkeit, die den Buchstaben der Verfassung und dem Geist der parlamentarischen Demokratie widerspricht.
Wo die Regierung sich versagte, Amerikas Argumente für den Krieg in Vietnam öffentlich und kritisch zu überprüfen, fiel es einer freien Presse zu, unbelastet von diplomatischen Rücksichten die Kriegsphilosophie des Westens kritisch zu durchleuchten und die Prämissen zu überprüfen, die den Indochina-Konflikt in den Erklärungen der politischen Führung gerechtfertigt und notwendig erscheinen ließ. Diese Funktion der Presse muß deutlich ins Bild gerückt werden; und die folgende Dokumentation der journalistischen Informationsarbeit in den fünfziger und sechziger Jahren soll eine Antwort darauf liefern, warum nur eine Minderheit der deutschen Bevölkerung sich aus dem Einverständnis mit Amerikas Indochina-Politik hat lösen mögen und für ihren demonstrativen Protest zudem mit ehrenrührigen Verdächtigungen, mit Spott, Haß und bestenfalls Mitleid bedacht worden ist.
Die Presse ist freilich nicht gewohnt, den eigenen Bekenntnissen über den Tag hinaus Bedeutung beizumessen und historische Verantwortung zu schultern. Sie...
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