Schweitzer Fachinformationen
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Die Ankunft
Eine überaus unspektakuläre Anreise von Köln über Istanbul nach Kigali endet morgens um halb drei auf dem Flughafen der ruandischen Hauptstadt. Die Maschine von Turkish Airlines - eine Flugverbindung, die aufgrund von standardmäßigem vierzig Kilo Reisegepäck für einen sechswöchigen Aufenthalt sehr zu empfehlen ist - scheint um diese Uhrzeit das einzige ankommende Flugzeug. Entsprechend schnell gehen Einreisekontrolle und Gepäckausgabe vonstatten, denn auch die in einigen Reiseführern angedrohte Kofferkontrolle wegen des generellen Plastiktütenverbots im Land findet um diese Uhrzeit nicht statt.
Meine Unterkunft hatte sich bei der Buchung als im Zentrum von Kigali liegend beschrieben und unzählige Photos hochgeladen, die allesamt eine sehr einladende und angenehme Anmutung vermittelten. Dieser Eindruck findet sich bei dem nachts vorgefundenen tatsächlichen Zimmer leider so nicht wieder. Meine Enttäuschung zu diskutieren, macht allerdings angesichts der Uhrzeit und des kaum englisch sprechenden jungen Mannes, dessen Aufgabe einzig darin bestanden hatte, das Tor zum Grundstück zu öffnen und mir die Zimmerschlüssel zu geben, überhaupt keinen Sinn. Ich habe mich also ins Unausweichliche gefügt, mich aber zumindest per E-Mail um vier Uhr morgens noch bei demjenigen klar geäußert, der meine Reservierung ursprünglich bestätigt hatte. Diese nächtliche Intervention zeigt im Laufe des folgenden Vormittags Erfolg. Das Zimmer wird gewechselt und ich lebe ab da in einem sehr großen Raum, welcher - hurra! - sogar über einen Ventilator verfügt, aber dafür auch nur über eine einzige Steckdose. Und wie häufig im außereuropäischen Ausland wird das Zimmer mit einer einzigen Deckenlampe in geringer bis mittlerer Luxstärke beleuchtet. Ich musste aufgrund dieser Umstände den vormittags auftauchenden Inhaber des Inns über den Zimmerwechsel hinaus also noch einen Moment auf Trab halten und schaue nun auf eine abenteuerliche Mehrfachsteckerverlängerung, die an der lose aus der Wand hängenden einzigen Steckdose ihren energe-tischen Ausgangspunkt hat. Auch mein Wunsch nach einer Nachtischlampe wurde erfüllt. Seitdem beleuchtet abends eine Reklamebarlampe für Heineken-Bier von einem improvisierten Nachtisch, bestehend aus zwei marokkanischen Sitzkissen und einem mausetoten Videorekorder, die linke Seite meines Bettes. Die in dem Reklameobjekt verbauten LED-Leuchten funktionieren wunderbar und das Lesen im Bett ist nun kein Problem mehr. Den toten Videorekorder zwischen Sitzkissen und Bier-Reklame zu schieben, bedeutet zudem nicht den geringsten Verlust beim Abendprogramm. Zwar ist prominent ein Flachbildfernseher mit allerlei zusätzlichem Technikschnickschnack (wie beispielsweise dem besagten Videorekorder) im Zimmer aufgebaut, aber das Ganze dient ausschließlich der Dekoration für die im Internet veröffentlichten Hotelfotos. In der Realität ist selbst mit einer Verlängerungsschnur auf dieser Seite des Raumes keine Elektrifizierung möglich und ein hässliches, metallisches Scheppern beim Bewegen des Rekorders lässt zudem vermuten, dass ein paar Schrauben darin herumfliegen, die irgendwo in der Konstruktion fehlen und damit jede Funktion unmöglich machen.
Das nach Außen vermittelte Bild der Unterkunft muss insgesamt als vielteiliges Puzzlespiel verstanden werden. Während in einem Zimmer eine komplette Küchenzeile angeboten wird, steht in einem anderen ein Kühlschrank. Auch die im Netz hochgeladenen Photos von einigermaßen schicken Badzimmern geben nur eine Teilrealität wieder. Mit meinem Zimmertausch habe ich beispielsweise den Durchlauferhitzer für die Dusche eingebüßt und dusche nun kalt. Das ist nicht weiter schlimm, denn klimabedingt verlangt der europäische, alte und verweichlichte Körper hier nicht unbedingt nach heißem Wasser. Aber der insinuierte Eindruck eines grundsätzlichen Standards ist nur dann korrekt, wenn mal alle Gästezimmer zusammennimmt und sich der Illusion hingibt, es handele sich um ein und denselben Raum.
Der aktuelle Betreiber ist, wie so oft in diesem Hotelsegment, kein Profi. Vielmehr hatte er in Eritrea eine Lehrerausbildung absolviert und danach - und das bereits vor siebzehn Jahren - das Land verlassen. Nicht weil er besonderen Repressalien ausgesetzt gewesen wäre, sondern weil er sich - wie so viele eritreische Flüchtlinge dieser Generation - um seine Jugend und eventuelle Möglichkeiten betrogen fühlte. Sein Weg führte ihn nach Europa, erst nach Deutschland und dann für zehn Jahre nach Norwegen. (Warum? Cherchez la femme!) Als die Beziehung zerbrach, trat er den Rückweg nach Afrika an und landete mit einem Dolmetscher-Zeitvertrag bei einer UN-Organisation in Kigali. Weil dieser Vertrag wiederum in einem knappen Jahr enden wird, hatte er vor einigen Monaten die Herberge angemietet, in der ich jetzt wohne und versucht seitdem, mit allerlei Aktivitäten das Geschäft anzukurbeln. Dazu gehört eben auch, auf den internationalen Buchungsportalen alle möglichen Ausstattungsmerkmale anzubieten, die zwar alle irgendwo auf dem Gelände vorhanden sind, sich aber, wie oben bereits wortreich beschrieben, für einen einzelnen Gast nie alle zusammen und gleichzeitig erleben lassen. Wenn ich Migrationsgeschichten wie seine höre, werde ich in der Regel butterweich und lasse schnell alle Primzahlen gerade sein. Hinter solchen Biographien stecken so viele Neuanfänge, so viel Anstrengung und so viel Entwurzelung, ich mag mich dann einfach nicht wegen ein paar Komfortdetails zanken, die den meisten Menschen nicht als fehlend auffallen, weil sie sie in ihrem persönlichen Leben zumeist auch nicht erleben. Oder anders ausgedrückt: Wenn in deiner eigenen Unterkunft die Elektrifizierung aus einer einzigen Improvisation mit losen Kabeln, Steckern und unsauber zusammengefügten Kontakten besteht, wie sollst du dann auf die Idee kommen, dass ein Auswärtiger so etwas in seinem Hotelzimmer als mangelhaft wahrnimmt? Immerhin ist meine hiesige Situation mit den hinzu organisierten Hilfsmitteln für den Moment gut gelöst und was die nächsten Wochen noch bringen, wird sich eh weisen.
Spannend ist auch die unmittelbare Umgebung der Unterkunft. Sie liegt in einem prosperierenden Stadtviertel namens Kamutwa, welches sich zum Zeitpunkt meiner Reise mitten im Übergang zu befinden scheint. Moderne Wohnkomplexe sind im Bau befindlich oder vor nicht allzu langer Zeit fertiggestellt. Daneben stehen hügel-abwärts viele ältere Unterkünfte mit Wellblechdächern, die von einer ärmeren und einfacheren jüngeren Vergangenheit und Gegenwart zeugen. Direkt neben der Herberge liegt die Ausbildungsstätte eines privaten Sicherheitsdienstes. Abgesehen von zwei großen, weißen Unterrichtszelten verfügt dieses Areal über einen Trainingsplatz, auf welchem ab halb acht Uhr morgens Dutzende junger Menschen, viele Männer, einige Frauen, körperlich ertüchtigt werden. Alle tragen dabei eine schwarze Uniform, bestehend aus kurzärmeligem Hemd und langer Hose mit dem Abzeichen ihrer Firma. Das Training beginnt jeden Morgen mit einem Lauf über das Grundstück, bei welchem die jungen Leute etwas singen, was an die Ausbildung amerikanischer GIs gemahnt. Danach prasseln für die nächsten Stunden die Anforderungen etlicher Kraft- und Schnelligkeitsübungen auf die Auszubildenden nieder, denen beileibe nicht alle gleichermaßen gut gewachsen sind. Ihr Ausbilder verfügt über einen Stock, der manchmal auf dem Rücken eines Schülers niedergeht. Keine schweren Schläge, aber doch als Zeichen heftiger Missbilligung deutlich erkennbar.
Das Training findet unabhängig von den tagesaktuellen Wetterverhältnissen statt. Ich bin während der kleinen Regenzeit im Land, eine Phase, in der immer wieder kurze heftige Schauer den Alltag unterbrechen. Das tut der Ausbildung der zukünftigen Sicherheitsleute ebenso wenig Abbruch wie die ansonsten heftig herunterbrennende Sonne. Trainiert wird an fünf Tagen in der Woche mit je einer Einheit am Vor- und Nachmittag. Dazwischen kann man die Auszubildenden in den beiden großen weißen Zelten sitzen sehen, in welchen wohl ein theoretischer Unterricht stattfindet. Im Laufe meines Aufenthaltes habe ich Gelegenheit, mit dem einen oder anderen der jungen Leute zu plaudern. So erfahre ich unter anderem, dass ihre Ausbildung insgesamt drei Monate dauert. Danach werden sie von der Firma als Wachleute übernommen und an einem der zahlreichen Eingänge von öffentlichen Gebäuden, Firmenniederlassungen oder wohlhabenden Privathäusern eingesetzt, wo sie sich dann sterbensgelangweilt den ganzen Tag auf billigen Plastikstühlen lümmeln und bestenfalls dann und wann einen Besucher in Empfang nehmen.
Was allerdings nicht so ganz zu dieser rein privatwirtschaftlichen Sicherheitsfirma passen will, ist der Umstand, dass in einem anderen Bereich des Areals auch militärische Exerzierübungen stattfinden. Immer und immer wieder werden hierfür von einem Ausbilder Befehle in Kinyarwanda gebrüllt. Die Aspiranten marschieren dann entsprechend fünf Schritte auf der Stelle,...
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