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In dem Moment, als ich den positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt, gingen mir viele Dinge durch den Kopf. Ich war glücklich, konnte es kaum glauben und war einfach nur überwältigt. Gleichzeitig machte sich Angst vor dem Ungewissen in mir breit. Wie würde sich mein Leben verändern? Würde ich eine gute Mutter werden? Und wie sollte ich nur die Geburt überstehen? Übers Stillen machte ich mir keine Gedanken. Hätte mich damals jemand gefragt, hätte ich wohl so was gesagt wie: "Na klar werde ich stillen." Und damit wäre das Thema durch. Ich rechnete nicht mit Widerstand bei einer Sache, die doch das Beste für mein Baby sein sollte.
Trotz meiner Unerfahrenheit kannte ich die Erzählungen von der absoluten Natürlichkeit des Stillens, den intuitiven Schaltern, die sich in meinem Kopf nach der Geburt umlegen würden, und vom Mutterinstinkt, der mich schon leiten würde, wenn es mal schwieriger wird. Und ich glaubte sie alle.
Natürlich hatte ich Angst, keine "gute Mutter" zu werden, aber das Stillen - das würde doch ein guter Weg dahin sein, oder?
Dass ich stillen wollte, stand für mich außer Frage. Mit all den Vorteilen, die mir von allen Seiten zugerufen wurden, wäre es doch total unklug, nicht zu stillen. Warum sollte ich Fläschchen zubereiten, wenn ich die Milch immer bei mir haben konnte? Dieses flüssige Gold, das ich sogar kostenlos bekam. So dachte ich damals zumindest. Und mal ehrlich: Sah das Stillen nicht auch immer unfassbar kuschelig aus? Das wollte ich auch! Nur Vorteile, ein absoluter No-Brainer. Außerdem konnte ich zur Not, falls ich noch ein paar Tipps fürs Stillen brauchte, auch meine Hebamme fragen. Ja, ich wusste, dass ich Glück hatte, eine gefunden zu haben, aber im Großen und Ganzen verließ ich mich schon auf das Gesundheitssystem. Heißt es nicht überall, Kinder sind unsere Zukunft?
Mit Männern kam das Thema Stillen übrigens kaum auf. Mir war es unangenehm, mit ihnen über meine Brüste zu sprechen - und den Männern anscheinend auch, denn mich sprach keiner von ihnen auf meine Stillpläne an. Und ich war froh darüber. Ich wollte nicht, dass auch nur einer von ihnen sich während unseres Gesprächs meine Brüste vorstellt. Mir war klar, dass das Stillen außerhalb der "Mama-Bubble" nicht gerade großes Ansehen genoss, so als "Frauenthema". Als Kind der 90er-Jahre hatte ich genug Popkultur erlebt, um zu wissen, dass öffentlich zur Schau gestellte Brüste (freiwillig oder unfreiwillig) skandalös waren, manchmal zur Belustigung anderer, oftmals Männer, dienten. Der Skandal um Janet Jacksons Brust bei ihrer Performance mit Justin Timberlake in der Halbzeitshow des Super Bowl Anfang der 2000er-Jahre hatte mich gelehrt, nicht zu freizügig zu sein. Auch, wenn ich eigentlich nur mein Baby füttern wollte. Der Gedanke ans Stillen in der Öffentlichkeit bereitete mir Unbehagen. Das machte ich doch lieber allein zu Hause.
Nach der Geburt holte mich die Realität sehr schnell ein. Während ich noch verarbeiten musste, gerade Mutter geworden zu sein, plagte ich mich mit schmerzenden Brüsten und kurzen Nächten. Ich hatte Angst, zu versagen: als Stillende, als Mutter und als Frau. Machte ich etwas falsch? Ich wollte doch so gern stillen. Es sollte doch unkompliziert sein, einfach und intuitiv. Das hier war nichts davon. Meine Hebamme war mein Rettungsanker, und mit ihrer Hilfe und viel Übung schaffte ich es letztendlich doch noch zu stillen.
Was ich auch nicht erwartet hatte: Stillen war ab sofort omnipräsent in meinem Leben. Es nahm so viel Raum ein - zeitlich, physisch und psychisch -, dass ich ihm gar nicht mehr entkam. Warum fiel mir erst jetzt auf, wie groß dieses Thema eigentlich war? Ich lernte die Codes für den Ort des Stillens (in vorgesehenen Räumen oder zu Hause), die Dauer (mindestens sechs Monate, aber nicht länger als ein Jahr), die Sichtbarkeit (wenn überhaupt, dann nur aus der Ferne und bedeckt) und die Art und Weise (direkt an der Brust). Doch immer wieder traf ich auf Widersprüche. Mein Baby sollte satt werden, aber nicht zu oft an die Brust. Ich wurde dafür gelobt, dass ich stillte, durfte aber trotzdem nicht überall meine Brüste rausholen. Außerdem sollte ich möglichst lange stillen, doch nach einigen Monaten wurde ich schon gefragt, wann das Baby denn mal was "Richtiges" isst. Nie konnte ich es allen recht machen.
Ich versuchte es trotzdem.
Doch dieses Bild der Mutter, das ich von mir hatte, sah in der Realität irgendwie nicht mehr toll aus. Die Blase war geplatzt. Ich konnte mich nicht einfinden in diese Mütterlichkeit, die mir von außen immer wieder gespiegelt wurde, dieses fast schon heilige Wesen, der Ursprung des Lebens. Das war ich nicht. Und fühlte mich auch nicht so. Weder von der Gesellschaft verehrt, noch dazu in der Lage, immer instinktiv zu wissen, was ich tun sollte. Meine Zeit war vordergründig gefüllt mit Windeln wechseln, Hausarbeit, Pläne machen und Stillen, so viel Stillen. In den Krabbelgruppen, die ich besuchte, hörte ich nun von furchtbaren Geburtsgeschichten anderer Gebärender, nach denen das Stillen zum Luxusproblem wurde. Von Müttern, die nicht mehr zurück in ihren Beruf konnten, weil der Vertrag ausgelaufen war, oder die darum kämpfen mussten, nicht degradiert zu werden, weil sie zu lang aus dem Job ausgeschieden waren. Ich bekam mit, wie sie fürs Stillen in der Öffentlichkeit beschämt wurden, erst recht, wenn ihr Kind kein Säugling mehr war.
Was war da eigentlich los? Wie schon oft in meinem Leben suchte ich in Büchern, in den sozialen Medien und im Internet nach einer Erklärung für diese scheinbar gesamtgesellschaftliche Unwissenheit. Dabei stellte ich fest, dass Stillen in den feministischen Diskursen - selbst im Rahmen der Mutterschaft - kaum auftaucht. Ich sammelte mir Häppchen zusammen, las über Stillen & Gleichberechtigung, Stillen & Beruf, Stillen & Diskriminierung, Stillen & Queerness. Es war erhellend und deprimierend zugleich. Stillen ist wirklich ein Paradebeispiel für viele Dinge, die in unserer Gesellschaft für Eltern verkehrt laufen. Die unerwartete Erkenntnis dabei? Wir können gar nicht selbst bestimmen, ob wir stillen wollen.
Warum das so ist? Darum geht's in diesem Buch.
Los geht's!
Stillen ist mehr als ein biologischer Prozess, bei dem ein Baby an der Brust trinkt. Und selbst diese Annahme blendet viele Lebenswelten aus, denn Stillen ist nicht nur der direkte Kontakt von Kind und Brust. Manche Babys bekommen sowohl die Brust als auch die Flasche, in der manchmal Milchnahrung, manchmal abgepumpte Milch steckt. Viele Neugeborene, die zu schwach zum Saugen sind, werden mit abgepumpter Milch in Spritzen gefüttert. Frühgeborene erhalten ihre Milch manchmal über eine Magensonde.
Das alles ist Stillen.
Darüber hinaus hat das Stillen etliche soziale Komponenten. Nachdem ich mich mit meinem Baby eingespielt hatte, wurde "die stillende Mutter" ein Teil meiner Identität. Trotz der Fremdbestimmung mochte ich das Stillen grundsätzlich sehr, und es war ein Thema, über das ich mich mit anderen Müttern verbinden konnte. Außerdem stärkte es mein Selbstbewusstsein, schließlich ernährte mein Körper allein komplett einen anderen Menschen. Es führte allerdings auch dazu, dass ich mich die meiste Zeit für das Baby zuständig fühlte - und das zerrte an mir. Nicht zu stillen war jedoch keine Option.
In unserer Gesellschaft haben wir ein bestimmtes Bild vom Stillen. Wir assoziieren es mit Nähe, Geborgenheit und Schutz. Wir glauben, dass es nur Vorteile hat, weil die Milch so einzigartig und gesund ist. Wir denken: Wenn selbst Firmen von Milchersatznahrung "Stillen ist das Beste für Ihr Kind" schreiben, muss doch etwas dran sein.
Gleichzeitig weiß ich, dass viele Menschen ohne Kinder Angst vor dem Stillen und den damit verbundenen Schmerzen haben. Eine Freundin erzählte mir, dass sie zudem befürchtet, das Stillen könnte sie einschränken und dass sie eine schlechte Mutter wäre, wenn es ihr lästig würde.
Ich kenne Mütter, die viele Nächte in einem Sessel neben dem Babybett damit verbracht haben, die Milch durch Stillen am Nachproduzieren zu halten und am nächsten Morgen völlig übermüdet in den ohnehin schon anstrengenden Babyalltag gestartet sind. Andere verbrachten Stunden um Stunden mit Abpumpen. Sie sind auch deshalb über ihre Grenzen gegangen, weil sie ein Bild von Mutterschaft erfüllen wollten, das sie unbewusst verinnerlicht hatten und das unter anderem vorsieht, die Bedürfnisse des Babys immer über die eigenen zu stellen.
Ob Stillen tatsächlich das Beste für Kind und stillende Person ist, hängt aber von der individuellen Situation der beiden ab.
Zu stillen, obwohl es - aus welchen Gründen auch immer - mehr Stress, mehr Zeit und mehr psychische Belastung für die Familie bedeutet, kann dazu führen, dass es, statt Erleichterung zu schaffen, zur Bürde wird. Schlimmstenfalls leidet die psychische und körperliche Gesundheit der Stillenden und ihrer Familien unter dem Stress, dem Druck und/oder dem Schlafmangel. Dann gilt es...
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