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Vor einigen Wochen war ich bei einer Taufe aus der Verwandtschaft eingeladen. Der Diakon war sehr freundlich und zuvorkommend, er hatte mit den Eltern vorher gesprochen und passte in der Feier vieles dem an, was Mutter und Vater gerne in der Zeremonie haben wollten. Das war alles gut so! Es war die Rede von Heil und Rettung, von Glaube und Erlösung. Doch auf einmal kam der Satz, übrigens mit dem gleichen Lächeln formuliert, wie das andere gesagt wurde: "Nur wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet werden!" (nach Mk 16,16). Das war also das Vorzeichen vor dem ganzen freundlichen Schauspiel: wenn es nicht stattfindet, ist das zu taufende Kind verloren. In meiner unmittelbaren Nähe reagierten einige sofort mit der Frage halblaut: "Und die anderen?" Etliche der Anwesenden waren wohl kirchenfern oder dachten an ihre Söhne und Töchter, an befreundete Menschen, die schon ausgetreten sind. Irgendwie lag Widerstand in der Luft, aber es kam natürlich nicht zum Tumult. Zumal der Diakon freundlich weitermachte.
Was soll nun dieses hinterhältige Liebesversprechen, wenn es derartig drohend auf Kosten der Freiheit geht? Bisher haben viele Menschen, waren sie nicht fundamentalistisch eingestellt, diese Zwiespältigkeit überhört oder nicht allzu wichtig genommen, hier habe ich gemerkt: Das scheint sich geändert zu haben! Befremdlich war auch: Am Ende ließ der Diakon ausgerechnet und ausdrücklich das "Vater unser" wegfallen, weil das Ganze dann zu lange dauern würde, begründete er. Hier hätten wohl alle unbedroht mitbeten können.
Was steht hier auf dem Spiel? Es geht um zwei Probleme, die hier aber innigst zusammenhängen. Zuerst geht es darum, dass Menschen auch gegenüber Religionen frei sein können, ohne bedroht, missachtet oder, in ganz bestimmten autokratischen Kontexten, benachteiligt, am Ende getötet zu werden. Von der Bedrohung durch ewige Verdammnis ganz zu schweigen! Aus dieser Perspektive haben Katholizismus und Protestantismus eine schlimme Geschichte aufzuweisen, indem sie die Zugehörigkeit zur Kirche bzw. die Zugehörigkeit zum Glauben als exklusive Heilsbereiche verkündigt haben und immer noch in weiten Kreisen so verkündigen, mit entsprechenden degradierenden Wirkungen nach außen. Luther durchbricht zwar den katholischen Kollektivismus und stärkt im Glauben das Individuum, etwa nach dem Motto, bediene dich deines eigenen Glaubens!, aber das exklusive System bleibt erhalten, wenn Menschen die Freiheit außerhalb dieses Glaubens beanspruchen. Es geht nur um die Freiheit des Christenmenschen! Insofern tritt Luther zwar in diese Richtung eine historische Dynamik los, erreicht aber mitnichten die Weite der Aufklärung, in der sich die Menschen der eigenen Vernunft bedienen und dies auch gegenüber einem religiösen Glauben beanspruchen dürfen. Nur eine Freiheit, die auch gegen den Glauben realisiert werden darf, und zwar völlig unbedroht, theologisch also im Heil bleibend und niemals herausfallend, kann mit der universalen Liebe Gottes zusammengedacht werden.
Die soziale Form eines solchen Glaubens, und das ist das zweite Problem, sind nichtidentitäre Gemeinschaften, die genau dies in der Art ihrer Kommunikation zwischen innen und nach außen darstellen und bezeugen. Oder umgekehrt: Wo ein solches Zeugnis gelebt wird, wird auch der Glaube an die universale Liebe Gottes sozial ermöglicht. Nur die religiöse Entdrohung ermöglicht sanktionsfreie Freiheit. Und nur postkoloniales Verhalten und von daher postkoloniale Hermeneutiken vergangener Texte und gegenwärtiger Herausforderungen führen zu einem religiösen Glauben, der offen ist für die Unendlichkeit von Liebe und Freiheit Gottes selbst. Nicht zu übersehen ist, dass sich gerade darin Gerechtigkeit ereignet bzw. dass darin der Wille zur Gerechtigkeit stark ist, weil nichts ohne die anderen geht, und weil auch die anderen immer mitgedacht und miteinbezogen sind.
Es ist die Grundfrage aller Religionen: Denken sie die Unendlichkeit des Geheimnisses Gottes inhaltlich in die Unendlichkeit von Liebe und Freiheit, oder müssen die Menschen an einem Willkür-Gott verzweifeln, dessen letzte Identität darin besteht, sich an der Unterdrückung der Gläubigen und am ewigen Leid der Ungläubigen zu erfreuen (siehe unten Kap. 2.1.7)?
Schon immer gab es in der Seelsorge, die Trost zu spenden wusste und die Lebenshilfe wichtiger nahm als eigene Machtausübung, die Dynamik zu der je größeren Barmherzigkeit Gottes, auch gegenüber Kirchengeboten, göttlichen Geboten überhaupt und Drohungsinhalten. Das aber konnten nur ichstarke Hauptamtliche in der Seelsorge, die sich selbst nicht auf das pastorale Regelwerk reduziert wissen wollten und das entsprechende Selbstbewusstsein hatten und haben, darüber hinauszugehen. Solche Dynamik zur Gnade hatte manchmal sogar etwas Kriminalisiertes und Unerlaubtes an sich, weshalb der Klerus versucht war, hier die Schotten dichtzuhalten. Die Gnade erschien als Ausnahme, nicht als Regel. Die Wenn-dann-Struktur wurde davon wenig berührt, allenfalls im Ernst- und Extremfall touchiert. Nur im Sterbefall, in articulo mortis, sind fast alle Schotten offen! Warum nicht immer gleich?
Längst ist eine neue hermeneutische Situation entstanden und zu verfolgen: die maximale Gnade nicht nur auf den Extremfall zu beschränken, sondern den Menschen von Geburt an die unbegrenzte, unbedingte Gnade zu eröffnen und von daher die Pastoral gestaltet sein zu lassen. Also nicht von der Erfüllung der Wenndann-Struktur zur Gnade als Verdienst, und selten als Gnade darüber hinaus, sondern von der unendlichen Gnade her zu den dann von daher ermöglichten leidverhindernden Ressourcen und Freiheits-Verantwortungen.
In der Geschichte der Pastoralmacht gab es also die seelsorgerliche Unterbrechung der regelgeleiteten Verwaltung der Gnade, nämlich wenn gute priesterliche Seelsorger zu den moralisierenden Bedingungen dann immer wenigstens noch dazugesagt haben, dass man alles am Ende der Gnade Gott überlassen darf, wo am Ende die Barmherzigkeit Gottes dann doch größer gesehen wird als die Wohlverhaltens- und Zugehörigkeitskriterien zum registrierbaren religiösen Heil. Es ist die Grundstruktur, die auch bei Jesus in seiner Begegnung mit dem reichen Jüngling zum Vorschein kommt (vgl. Mk 10,17-27): nämlich erstens, dass vom Bild des Nadelöhrs gesehen kein reicher Mensch in den Himmel kommt, dass aber, wenn Gott als Subjekt des Handelns in den Blick kommt, von ihm her wieder alles in die Richtung der je größeren Gnade möglich und die Rettung gegeben ist. Diese Gnade ist immer offen für ein Drittes, etwas, was bisherige Gegensätze überwindet, nicht im binären Entweder-oder zuhause ist, denn jedes Entweder-oder schafft für eine Seite Nachteile, wenn dieses Oder ausgegrenzt und degradiert wird.
Während bisher solche Öffnungen des Kolonialen und Identitären in biblischen Narrativen eher übergangen oder als Trostpflaster vernachlässigt wurden, weil der jeweils erste Teil des Narrativs übergewichtig blieb, auch weil damit sozial gesehen besser operiert werden konnte und kann, gilt es nun, diese Öffnungen programmatisch aufzufassen und gegen ihren Vortext zu stemmen, mit ihrer gegen den Vortext von Gott her gesehen universaleren Heilsbedeutung. Diese Wende verbindet sich mit einer Spiritualität, die schon immer in den Kirchen und vor allem in ihren mystischen Anteilen von großer Bedeutung war und ist, nämlich mit der Doxologie,1 in der die Menschen Gott immer größer sein lassen als sich selbst, mit der Anbetung, als ihre eigenen Grenzen, ihre eigenen Vorstellungen und Unmöglichkeiten.
Die im engeren Sinn theologische Begründung und Ermöglichung postkolonialer Perspektiven und Einstellungen ist jedenfalls eine Gottesvorstellung, in der alles Gute, was man in Gott glauben oder phantasieren will, für alle Menschen bereitsteht, unbegrenzt, bedingungslos und für alle Zeit.
Christian Geyer hat in der FAZ Magnus Striet vorgeworfen, Gott dem säkularen Freiheitsdenken zu unterwerfen. Er zitiert Striet: "dass kein Gott akzeptiert werden könne, der nicht freiheitsachtsam ist und Autonomie will".2 Und Geyer schreibt weiter: "Ist das noch der Gott der Zehn Gebote, der hier antitheologisch diszipliniert werden soll?"3 Geyer verwechselt hier Gottes Anderssein-Dürfen uns gegenüber mit seinem Recht, den Menschen gegenüber Befehle aussprechen zu dürfen, die die Menschen widerspruchslos erfüllen müssen.
Alternativ ist diese Kommunikationsform absolut nicht! Sie ist sattsam als Unterdrückung bekannt! Im Horizont zeigt sich dann ein Sklavenhalter-Gott, dem man folgen muss, um die entsprechenden Gratifikationen zu bekommen (siehe unten Kap. 2.1.3 und 3.2.2). Gerade dies ist umgekehrt ein Zugriff auf die Autonomie Gottes selbst, der sich dann diesem Bedingungsverhältnis auch selbst zu unterwerfen hat....
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