Schweitzer Fachinformationen
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Es stehen die Falschen vor dem Altar!«
Louisa tat so, als hätte sie das Flüstern in der Kirchenbank schräg hinter sich nicht gehört. Sie konzentrierte sich weiter auf das Geschehen im vorderen Teil der Dorfkirche, wo die Hochzeitszeremonie vor dem mit roten Rosen geschmückten Altar stattfand. Niemandem gönnte sie dieses Glück mehr als Clara.
Ihre Schwester wirkte mit ihrer eleganten Hochsteckfrisur, dem schulterfreien Hochzeitskleid aus weißer Spitze und dem dezenten Make-up wie eine völlig andere Person als die Clara, die ungeschminkt und voller Moskitostiche, mit löchriger Cargo-Wanderhose und raspelkurzem Pixieschnitt vor etwas über einem Jahr von ihrer Weltreise zurückgekommen war.
Die Sommersonne schien durch die bunten Kirchenfenster und warf schimmernde, farbige Lichtkegel auf die Wände. Dicht gedrängt saßen und standen über neunzig Menschen in der kleinen Dorfkirche mit ihren sechzig Sitzplätzen. Bei den meisten Gottesdiensten war das Kirchenschiff ungefähr zur Hälfte gefüllt, doch bei Hochzeiten, wenn zum gesamten Dorf auch noch einige Auswärtige kamen, wurde es eng. Clara und Manuels Gedanke, auf eine größere Kirche auszuweichen, war auf so viel Widerstand gestoßen, dass sie diese Möglichkeit schnell verworfen hatten.
Die Wärme des Spätsommers, die auch im Innern der Kirche zu spüren war, intensivierte den Blütenduft der Sonnenblumen, die die Kirchenbänke schmückten.
Louisa wollte die Fassung bewahren, aber nun kamen ihr doch die Tränen. Ihre ein Jahr jüngere Schwester heiratete! Am liebsten wäre Louisa aufgestanden und nach vorn gegangen, um Clara zu umarmen. Mit Manuel hatte sie einen Partner an ihrer Seite, der sie immer unterstützen würde, wohin die Stürme des Lebens die beiden auch noch trieben, da war sich Louisa sicher. Sie konnte sich keinen besseren Mann für Clara vorstellen.
»Eine Zumutung, diese Show«, flüsterte Anton nun von schräg hinten, dabei lehnte er sich so weit vor, dass Louisa seinen Atem am Hals spürte. »Wie kannst du nur so still dasitzen und zusehen? Wir beide hätten da vorn stehen, vor allen die Ringe tauschen und uns lebenslange Treue versprechen sollen .«
Louisa war es gewohnt, die Nerven zu bewahren, anders könnte sie ihre Arbeitstage vor einer Horde Grundschulkinder, die manchmal unruhiger waren als ein Sack voller Flöhe, nicht überstehen. Auch wenn es noch so turbulent zuging im Klassenzimmer - Louisa blieb ruhig. Nun stellte sie sich vor, sich umzudrehen und Anton eine Ohrfeige zu versetzen. Ihre Beziehung zu ihm war beendet, doch auch nach all den Monaten weigerte er sich, diese Tatsache anzuerkennen. Er war der Ansicht, sie müsste nur zur Vernunft kommen, um zu begreifen, dass er ihr Traummann war. Manchmal konnte sie darüber lachen, manchmal fand sie es tragisch. Doch nun gelang es ihr nur mit Mühe, ihre Wut beiseitezuschieben.
»Geh einfach raus, wenn du es nicht schaffst, dich mit den beiden zu freuen«, sagte jemand aus den hinteren Bänken zu Anton. »Du hättest gar nicht kommen sollen!«
»Schon gut, schon gut!«
Anton lehnte sich wieder zurück, sodass der kühle Atemzug aus ihrem Nacken verschwand, doch noch immer spürte Louisa, wie sein Blick auf sie gerichtet war, wie er sich in ihren Rücken bohrte. Wenigstens war Anton nun still.
Bei den Liedern, die sie gemeinsam sangen, war seine Stimme nicht zu hören. Louisa schob das Bild beiseite, wie er während des Singens mit verkniffenem Mund hinter ihr stand und sich bemühte, seine Enttäuschung unter Kontrolle zu bringen. Sicher wäre es besser gewesen, er hätte keine Einladung bekommen oder hätte sich zumindest ans andere Ende des Kirchenschiffs gesetzt. Doch so gut man sich in einer Großstadt aus dem Weg gehen konnte - in einem kleinen Eifeldorf funktionierte das nicht. Niemand wurde ausgeschlossen, das war ein ungeschriebenes Gesetz.
Louisa schloss für einen Moment die Augen. Den Text von I Won't Give Up kannte sie auswendig, liebte diesen Song genauso wie ihre Schwester, sodass sie nicht auf den Liedzettel schauen musste. Sie sog den Duft der Sonnenblumen und der Rosen tief ein, spürte die Wärme des Sonnenlichts, die von der Seite kam und die im Kirchenschiff selbst an den heißesten Sommertagen nie unangenehm wurde. Langsam traten die Gedanken an Anton in den Hintergrund, sodass sie seine Anwesenheit gar nicht mehr wahrnahm.
Hier ging es auch nicht um sie und ihn, sondern um Clara und Manuel. Mochten die beiden gemeinsam glücklich werden! Nichts wünschte sich Louisa mehr.
Neben Manuel, der knapp über zwei Meter maß und durch seine schlanke Statur und in seinem schwarzen Anzug noch größer wirkte, erschien Clara klein, obwohl sie in der Abiturklasse damals das größte aller Mädchen gewesen war. Der Fotograf aus der Stadt hielt sich im Hintergrund, er verwendete kein störendes Blitzlicht, doch immer wieder war ein leises Klacken von verschiedenen Standpunkten aus zu hören.
Beim Schlusslied Dir gehört mein Herz, das Manuel ausgesucht hatte, schienen alle Stimmen in der kleinen Kirche zu einer Einheit zu verschmelzen. Sogar Anton sang mit. Louisa stellte sich vor, wie der Klang sich auch außerhalb des Kirchenschiffs ausbreitete, wie er vom Wind über das Dorf, über Wiesen, Äcker und Wälder getragen wurde, über die Maare hinweg, wie die Melodie zwar für menschliche Ohren unhörbar wurde, aber noch immer vorhanden war.
Als der letzte Ton verklungen war, blieben alle still auf ihren Plätzen sitzen. Es war so ruhig - niemand räusperte sich, niemand flüsterte etwas, sodass Louisa ihren eigenen Atem hörte.
Erst als der Organist mit einer klassischen Fuge von Bach begann, diese aber dann immer moderner interpretierte und mit der linken Hand einen Beat entstehen ließ, der an ein Schlagzeug erinnerte, als die Töne die Rückenlehne hinter Louisa in Schwingungen versetzten und sie die Musik als Kribbeln am Rücken spürte, standen alle um sie herum auf. Doch Louisa blieb sitzen. Clara war so umringt von Gratulanten, dass es eine Unmöglichkeit war, zu ihr vorzudringen. So wartete Louisa, bis sich die Kirche geleert hatte, um noch einmal innezuhalten und ein paar Minuten allein zu sein, um den wundervollen Moment noch einmal in sich nachklingen zu lassen, bevor sie zur Feier am Rosenhof dazustieß.
Sie mochte die Stille in diesem Kirchenraum, der durch die vielen bunten Fenster und das weiche Licht immer etwas Freundliches hatte. Es gab keine gruselig-grausamen Heiligenfiguren wie in den Kirchen der Nachbardörfer, keinen Jesus, der gequält am Kreuz hing, sondern nur ein schlichtes Holzkreuz über dem Altar.
»Louisa?«
Louisa zuckte von der Stimme direkt neben ihr zusammen. Erst jetzt bemerkte sie ihren ehemaligen Klassenkameraden Hannes, der sich zu ihr gesetzt hatte. Nun trug er nicht mehr das festliche Messgewand, das er sich für die Trauung übergezogen hatte, sondern saß in schwarzer Jeans und weißem T-Shirt neben ihr.
»Du hast mich erschreckt!« Sie lachte über sich selbst und ihre heftige Reaktion.
»Willst du nicht mit zur Feier auf den Rosenhof kommen?« Er legte eine Hand auf ihren Rücken.
»Natürlich feiere ich mit! Was denkst du denn?« Sie lächelte Hannes an. »Jetzt mach nicht so ein sorgenvolles Gesicht. Mir geht es gut!«
Er musterte sie weiterhin so intensiv, dass Louisa den Kopf schüttelte.
»Wirklich!«, sagte sie. »Ich brauche keinen Seelsorger. Und die Sache mit Anton, die wird sich erledigen. Irgendwann muss er ja merken, dass ich mit der Beziehung abgeschlossen habe. Du kennst ihn doch, weißt, wie stur er sein kann. Er verträgt es nun mal nicht, wenn es einmal nicht nach seinem Kopf geht.«
»Auch wenn du keinen Seelsorger brauchst - vielleicht tut es dir gerade gut, wenn dir einfach jemand zuhört, ein Freund.«
»Ich weiß gar nicht, warum mich alle wie ein rohes Ei behandeln.« Louisa verschränkte die Arme vor dem Körper. »Anton ist derjenige, der mit der Trennung nicht klarkommt. Er saß schräg hinter mir, konnte sich seine bissigen Kommentare nicht verkneifen. Klar, noch vor einem Jahr haben alle damit gerechnet, dass er und ich heiraten. Aber manchmal glaubt man, dass etwas Liebe ist, dabei sind es nur ganz andere Bedürfnisse, die erfüllt werden wollen. Ich muss erst wieder meine eigene Basis finden. Weißt du, was ich meine?«
Hannes nickte.
»Clara hat es in der Hinsicht einfacher. Sie wusste immer, was sie wollte, und hat ihr Ding durchgezogen. Die Weltreise. Dann die Renovierung des Rosenhofs. Jetzt die Heirat mit Manuel. Sie geht ihren Weg. Ich dagegen . Zwei Jahre lang bin ich nur für meine Großeltern da gewesen. Anton hat mir sehr geholfen, das stimmt. Aber zum Heiraten . Es wäre ein Fehler gewesen. Erst mal freue ich mich noch immer jeden Tag, dass ich wieder unterrichte. Mit all den Kids um mich herum ist keine Zeit für Grübeleien!« Louisa fiel auf, dass sie sich nun doch einiges von der Seele geredet hatte. Hannes hatte recht gehabt: Es tat gut, über all das zu sprechen, was sich bei ihr angestaut hatte. »Aber jetzt genug der tiefschürfenden Gespräche. Auf zum Rosenhof, zu den anderen. Lass uns feiern gehen!«
Bevor sich Louisa im Rosenhof in den Trubel stürzte, in das Getümmel im Garten, ging sie zuerst die Treppe hoch in den zweiten Stock. Hier war ihr Reich. Die zwei Zimmer mit Bad waren ihre Schutzzone. Jedes Mal, wenn sie die Stufen nach oben lief, war sie wie von einem schützenden Kokon umgeben. Besonders liebte sie das ehemalige Schlafzimmer ihrer Großeltern, das dank Clara einen neuen Parkettboden bekommen hatte und zusätzlich ein großes Panoramafenster, das einen Blick über das Dorf, die Felder...
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