Schweitzer Fachinformationen
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Die Initialzündung für dieses Buch entstand aus einer Reihe von persönlichen Beobachtungen: In unserer Arbeit mit und in Unternehmen, sei es als Trainer, Berater oder Coach, stellten wir immer wieder fest, dass sich mehr Frauen als Männer für New Work interessieren. Und sich nicht nur dafür interessieren, sondern auch ein größeres Talent für »New Work-Kompetenzen« und die Entwicklung des entsprechenden »Mindsets« zu haben scheinen. Wir fragten uns: Ist New Work weiblich?
Die Antwort auf diese Frage können wir vorwegnehmen: Nein, New Work ist natürlich nicht weiblich. Aber New Work zu leben und mit anderen zu gestalten, fordert ein hohes Maß an Selbstführung und sozialen Kompetenzen. Nach den ersten Stunden unserer Recherche fiel uns bereits auf, dass es eine bisher nicht thematisierte Kluft zwischen unseren Vorstellungen von Männlichkeit und den Idealen von New Work gibt. Um nur ein paar zu nennen: Da waren die Forschungsergebnisse von Thomas Malone, die aufzeigen, dass die kollektive Intelligenz von Arbeitsgruppen mit der Anzahl der männlichen Mitglieder abnimmt, da Männer im Durchschnitt aufgrund ihrer Sozialisation geringere soziale Sensitivität aufweisen. Oder die verzerrte Selbstwahrnehmung von männlichen Führungskräften, die sich systematisch überschätzen und im Mittel schlechter abschneiden als ihre weiblichen Kolleginnen. Diese Kluft bildete gewissermaßen 14den Startpunkt für dieses Buch. Was wir beim Erforschen dieser Kluft fanden, ließ uns nicht mehr los. Wir begannen tiefer in die Thematik einzutauchen:
Haben andere Praktiker und Praktikerinnen1 ähnliche Erfahrungen gemacht? Was sagt die wissenschaftliche Forschung? Gibt es Studien, die unsere persönlichen Erfahrungen stützen oder eine neue, andere Perspektive eröffnen? Machen wir hier aus einer Mücke einen Elefanten?
Wir stießen bald auf das Thema traditionelle Männlichkeit als ein Set an Werten, Verhaltensweisen und anderen Identitätsvorgaben, die uns sagen, wie Männer »zu sein« haben. Wir waren überrascht, wie tief in uns als Einzelpersonen und breit in der Gesellschaft diese traditionellen Identitätsmuster wirken. Auch deshalb, weil wir in Schule, Studium, Beruf oder anderen Kontexten eigentlich nie etwas darüber gelernt haben. Wir bemerkten immer mehr, welche Erwartungen an Männlichkeit wir selbst bedienen und dass wir damit eigentlich oft nicht glücklich oder okay sind. Als wir im Laufe unseres eigenen Erkenntnisprozesses immer mehr erkannten, wo wir überall - rückblickend unnötig, aber oft alternativlos - hart zu uns selbst waren, fühlten wir uns manchmal ertappt. Wir spürten Traurigkeit, wenn wir bemerkten, wo es uns selbst immer wieder schwergefallen ist, über emotional bewegende Themen zu sprechen oder mit ihnen in Kontakt zu kommen. Und manchmal waren wir fassungslos, wenn wir wieder Neues über die weitreichenden Auswirkungen von traditioneller Männlichkeit erfuhren.
Nach vielen Gesprächen zwischen uns als Autorenteam, mit inspirierenden Gästen in unserem New Work Men Podcast und vielen anderen Menschen sowie der Recherche eines breiten Fundus an wissenschaftlichen Studien und praxisorientierten Initiativen konnten wir eine eindeutige Bilanz ziehen: Unsere - überwiegend unbewusst 15erlernten - Männlichkeitsbilder sind nicht nur schädlich für New Work und den Arbeitskontext, sondern auch für unsere eigene Gesundheit, unsere Fähigkeit, ein erfülltes Leben zu leben und liebevoll für uns selbst und andere bis hin zum Planeten Erde zu sorgen.
Die Fakten liegen auf dem Tisch: Wir Männer haben ein Problem. Und das Problem ist nicht das Mann-sein per se. Sondern wie sich Männlichkeit durch uns ausdrückt - wie wir Männlichkeit leben. Und als »Bonus-Problem« reden wir Männer nicht bzw. sehr wenig über unsere eigenen Schwierigkeiten. Es handelt sich also auch um ein Problem-Problem. Wir haben nicht nur ein Problem, sondern wir thematisieren auch insgesamt zu wenig eigene Herausforderungen, wodurch es besonders schwierig wird, in einen Lösungsraum zu gehen und uns weiterzuentwickeln. Was hier vielleicht noch etwas kompliziert klingt, wollen wir später im Buch genauer beleuchten. Und pragmatische Ansätze für Lösungen diskutieren und dazu einladen, diese individuell und gemeinsam umzusetzen.
Falls du noch etwas ungläubig bist, haben wir eine Zahl für dich: Fünf. Diese Fünf beschäftigte uns entlang des Schreibprozesses immer wieder. Sie ist für uns Ergebnis und gleichzeitig Ausdruck für das stille Leiden der Männer: Rund fünf Jahre leben wir Männer in Deutschland kürzer als Frauen.2 Warum? Ein kleiner Teil lässt sich genetisch erklären: Durch die zwei X-Chromosomen ist der weibliche Genpool, stark vereinfacht gesagt, etwas resilienter. Viel bedeutender sind jedoch der individuelle Umgang mit Belastungen und Stress, der Konsum von schädlichen Substanzen wie Alkohol und Zigaretten, das Maß an gesundheitsschädlichem Verhalten oder auch die Risikobereitschaft bis hin zu Suiziden. In all diesen Bereichen schneiden Frauen im statistischen Mittel mit Blick auf die Lebenserwartung (teils deutlich) besser ab. So erklärt sich der Unterschied in der Lebenserwartung letztlich vor allem aus der Gestaltung und Führung des eigenen Lebens. Etwas platt formuliert: Im direkten Vergleich kümmern wir 16Männer uns einfach (viel) schlechter um uns selbst als Frauen. Und, wie wir später aufzeigen werden, auch oft um andere und unser ökologisches Umfeld.
Man könnte es als Wahrnehmungslücke, vielleicht auch als Tabuthema bezeichnen; in jedem Fall als ein Phänomen, welches unserer Meinung nach nicht die nötige Aufmerksamkeit bekommt: das oftmals stille, emotionale Leiden der Männer selbst unter dem mentalen Korsett tradierter männlicher Normen. Die Autorin bell hooks3 beschreibt es treffend in einem ihrer Bücher: »Der erste Akt der Gewalt, den das Patriarchat4 von Männern verlangt, ist nicht die Gewalt gegen Frauen. Stattdessen verlangt das Patriarchat von allen Männern, dass sie sich auf Handlungen der psychischen Selbstverstümmelung einlassen, dass sie die emotionalen Teile ihrer selbst abtöten«5.
Es waren Zitate wie dieses und die Arbeiten vieler Pioniere und Vordenkerinnen, die uns schließlich inspirierten, durch diese »Brille« auf das Thema Männlichkeit allgemein und im Speziellen weiterhin im Kontext von New Work zu schauen. Ebenso wie eine Vielzahl persönlicher Erfahrungen der letzten Jahre, die uns berührt haben: Momente mit unseren männlichen Freunden, wo auf einmal die Maske gefallen ist und lang unterdrückte Gefühle zum Vorschein kamen. Situationen in Workshops, wo Männer den Mut hatten, andere Menschen hinter ihre eingespielte Fassade blicken zu lassen und dadurch mehr Verbundenheit entstand. Eigene Erfahrungen, bei denen in Seminaren für uns selbst spürbar wurde, wie limitierend Mann-sein sein kann und wie fantastisch (und auch immer wieder herausfordernd bis schmerzhaft) es sich anfühlen kann, mehr Gefühle zuzulassen. Es sind genau solche Situationen, in denen plötzlich eine emotionale 17Tiefe und Authentizität sichtbar wurde, verschollen geglaubte Bedürfnisse nach Nähe und Verbundenheit ihren Weg an die Oberfläche und in den Kontakt zu anderen Menschen gefunden haben, die eine tiefe Resonanz in uns ausgelöst haben.
Uns wurde immer klarer, dass dies nicht nur ein New Work-Buch mit dem Fokus »Männer in der Arbeitswelt« werden sollte, sondern insbesondere ein Buch über die innere Arbeit, die wir Männer mit und für uns selbst neu denken und machen dürfen. Wir wollten Antworten und Ansatzpunkte auf eine große Frage finden: Wie können wir Männer glücklicher werden und dabei nicht nur uns selbst, sondern auch die Entwicklung der Arbeitswelt retten?
Also Männer, die die Welt retten? Klingt das nicht nach überholtem männlichen Heldenmythos und Größenwahn? Ja und nein. Ja, weil es höchste Zeit ist, damit aufzuhören, Männer oder irgendeine Gruppe von Menschen in einer Weise zu glorifizieren, die andere Menschen und Gruppen abwertet. Und nein, weil wir davon überzeugt sind, dass eben auch wir Männer nicht nur die Verantwortung mittragen, sondern auch ein enormes Potenzial haben, die notwendige Transformation von Arbeit und Gesellschaft mitzugestalten. Wir haben diese Frage bewusst provokant gestellt, um genau an diesem Narrativ des handlungsstarken und wirkmächtigen Mann anzuschließen, es dann aber infrage zu stellen und dadurch Möglichkeiten für neue Männlichkeitsbilder zu entwickeln, die unserem Lebensglück, der Gemeinschaft und letztlich auch der Gesellschaft wirklich wirklich dienen können. Wir begeben uns daher mit diesem Buch auf die Suche nach lebensdienlichen Männlichkeiten.
Genug zu tun gibt es auf jeden Fall. Und wir wollen in diesem Buch nicht um den heißen Brei reden, sondern konkret und praktisch werden. Also: Bereit, auf diese Fragen neue Antwortmöglichkeiten zu finden?
1 Wir verwenden in diesem Buch für den Lesefluss entweder geschlechtsneutrale, beide oder wechseln offensichtlich zwischen den maskulinen und femininen Endungen. Wir sind uns bewusst, dass es Lesende gibt, die sich nicht eindeutig dem einen oder anderem Geschlecht zuordnen und möchten darauf hinweisen, dass wir in der Regel alle mit einbeziehen. Wenn explizit eine bestimmte Geschlechtsgruppe gemeint ist, wird die Endung kursiv dargestellt.
2 Angaben des statistischen Bundesamtes auf Basis der Daten 2020/2022; eine lesenswerte Aufarbeitung internationaler statistischer Daten finden sich hier: Dattani, S. & Rodés-Guirao, L. (2023). Why do women live longer than men?. Zugriff über OurWorldInData.org, abgerufen am 10. August 2024.
3 Der...
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