Süßholzraspeln
"Drei, zwei, eins - Sprung! Weiterreiten, Charlotte. Bein ran, drüber; sehr schön, das klappt ja schon viel besser", lobte mich Ingrid. "Euer Rhythmus ist viel sauberer", sie war neben uns mitgegangen, als wir durch die Kombination aus Steil und Oxer geritten waren.
"Man spürt es auch", ich strahlte, als ich Pharos Hals klopfte.
"David", wandte sich Ingrid nach einem erfreuten Lächeln an meinen Freund. "Angaloppieren und an den blau-weißen Steilsprung", forderte sie ihn auf und gehorchte sofort.
Während ich Pharo abritt, schaute ich meinem Freund dabei zu, wie er lässig über die Hindernisse ritt. Er und Lupita hatten in den letzten zwei Wochen wirklich viel gelernt und hatten Fortschritte gemacht. Jedes Mal nach der Reflexion, wenn Jonelle und Ingrid ihn und sein Pferd gelobt hatten, bedankte sich David dafür, dass ich ihn mitgenommen hatte. Ich sagte jedes Mal, dass ich das gerne gemacht habe und weil ich ihn liebe. Daraufhin hatte er mich bis jetzt immer geküsst.
"Charly?", wurde ich aus den Gedanken gerissen.
"Was?" Ich schreckte zusammen.
"Kommst du nachher mit zum Strand? Louis will schwimmen gehen", Maxim sah mich erwartungsvoll an.
"Gerne. Soll ich David auch fragen?" Ich schaute kurz zu meinem Freund, der Lupita gerade durch eine dreifache Kombination sprang. Ihr Ritt war flüssig.
"Gerne", er nickte. Dann wurde auch Maxim aufgerufen und ich trabte Pharo noch ein wenig am langen Zügel um den Parcours herum.
Nach dem Training führten wir die Pferde in den Stall, um sie dort abzusatteln und im Anschluss auf die Koppel zu bringen. Pharo tat das regelmäßige Training hier gut und auch Alaska genoss die Pausen zwischen den Einheiten.
"Ich finde, man sieht, dass ihr viel trainiert. Du und Lupita werdet von Training zu Training immer besser. Ihr macht richtige Fortschritte", meinte ich zu David, als wir den Stalleingang erreichten. Alaska wieherte uns entgegen.
"Echt? Danke, Lotte. Das macht mich wirklich glücklich, dass du das sagst", David nahm meine Hand und warf mir einen Kussmund zu.
"Es ist bloß die Wahrheit. Und es macht mich glücklich, wenn ich dich glücklich sehe", ich drückte ihm einen Kuss auf den Mund, dann blieb ich vor Pharos Box stehen. Der Schimmel begann sofort damit, meine Tasche, die an der Box hing, nach etwas Essbarem abzusuchen, während wir absattelten.
"Hey, ihr zwei", sagte plötzlich jemand hinter uns und mir blieb mein Lächeln im Hals stecken, als ich Yasmin und Isabelle erkannte. Sie kamen mit ihren Pferden direkt hinter uns her. Yasmin lächelte sogar, als sie uns sah. "David, du bist heute echt gut geritten", sagte sie dann zu meinem Freund und lächelte ihm lobend zu.
"Ähm, danke", etwas verwirrt lächelte er zurück. "Du machst auch Fortschritte mit ihr", David deutete auf Halleluja.
"Danke", sie lächelte und warf Isabelle einen nicht deutbaren Blick zu. Ich hatte keine Möglichkeit mehr, darüber nachzudenken, denn in dem Moment hörten wir leise Stimmen in der Stallgasse reden.
"Wenn ich es dir doch sage", sprach jemand auf Englisch. "Hab die von 'ner sicheren Quelle, also stimmen die auch." Das war eine Frauenstimme, die ich nicht kannte. Sie war tief und charakteristisch, aber dennoch kam kein dazugehöriges Gesicht in mein Gedächtnis.
"Ist ja gut, ich glaub dir ja", erwiderte jemand anderes und ich erkannte sofort Joshua. "Sieht gut aus. Was meinst du?"
Es knisterte kurz. "Millionenschwer. Das ist der Sprung zur Freiheit, mein Lieber!"
"Was reden die da?", wollte Yasmin wissen, aber ich unterbrach sie mit einer schnellen Handbewegung.
Leise beugte ich mich zu den anderen rüber. "Das weiß ich nicht und ich hab auch - ehrlich gesagt - nicht mal eine Idee. Fest steht nur, dass das der seltsame Stallhelfer war." Ich zuckte ratlos die Schultern.
"Findest du das Gespräch etwa verdächtig?", wollte David wissen.
"Schon. Millionenschwer und sichere Quelle sind für mich Alarmbegriffe", ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er sollte ja aufhören, mir das schon wieder auszureden!
"Das mag sein", David seufzte. "Aber jetzt mach dir keinen Kopf mehr darum, du siehst ja schon Gespenster. Lass uns lieber chillen. Maxim hat mich gefragt, ob wir mit an den Strand gehen", David schnappte sich meine Hand, als ich Alaskas Halfter vom Haken nahm.
"Mich auch", erwiderte ich grinsend und holte Alaska und Pharo aus den Boxen. David lief mit Lupita vor und wir machten uns mit unseren Pferden auf den Weg zur Koppel.
"Na, dann? Worauf warten wir noch?" Er küsste mich abenteuerlustig und ich musste lachen. Mein Freund war doch einfach der Beste!
***
"Ich kann noch gar nicht glauben, dass wir in drei Wochen schon wieder zurückfliegen und bereits in zwei Wochen das Abschiedsturnier ist", sagte Maxim, der mit geschlossenen Augen unter der Sonnenbrille auf seinem Badetuch lag, die Hände hinterm Kopf verschränkt, und sich sonnte.
"Das kann ich auch noch nicht glauben", erwiderte ich. "Die erste Woche hat sich ja regelrecht hingezogen und nun ist es schon wieder fast vorbei", ich richtete mich auf und warf einen Blick auf David, der aufstand und sich den Sand von den Beinen klopfte.
"Ich geh schwimmen, kommt einer mit?", fragte er in die Runde.
"Ja, ich", ich erhob mich ebenfalls und dann packte mich David, hob mich hoch und rannte mit mir auf den Armen ins Wasser. "David! Nein, nicht!", schrie ich noch, bevor er mich in die kalten Fluten fallen ließ.
"Was ein Gentleman", rief Louis hinter ihm her und lachte, als David ihm zuwinkte.
"Mensch", ich spukte das salzige Wasser aus, das mir in der Hektik in den Mund gespült worden war.
"Ich liebe dich", meinte David und küsste mich auf die mit Salz überzogenen Lippen.
"Ich dich doch auch. Aber noch viel mehr, wenn du mich langsam ins Wasser gleiten gelassen hättest." Ich schlang grinsend meine Arme um seinen Nacken und unsere nasse Haut glitt aneinander. Es fühlte sich unglaublich aufregend an. In diesem Moment tauchten die anderen um uns herum auf und platschten laut ins Wasser. Louis tunkte Jana unter, die das gar nicht lustig fand.
"Ich finde dich richtig hot in diesem Bikini", flüsterte David mir ins Ohr und ich musste verlegen kichern.
"Und ich", ich packte meinen Freund am Bund seiner Badehose, "fand die hier von Anfang an total heiß. Schon damals, im Waldsee", gestand ich und spielte an der Schleife herum, mit der die Badehose um seine Hüften festgeschnürt worden war.
"Könnt ihr mal aufhören mit dem Süßholzraspeln? Das ist ja echt sau anstrengend, euch dabei zuzuhören", beschwerte sich Jana, die sich auf eine Luftmatratze gelegt hatte.
"Hör doch weg", ich spritzte sie mit Wasser nass.
"Es ist Dauerbeschallung", kicherte Bonnie und ich packte grinsend ihre Luftmatratze und versetzte ihr einen solchen Ruck, dass sie im Wasser landete. "Hupps!", machte Bonnie noch, dann war sie in der Tiefe verschwunden und tauchte prustend auf.
"Ach, es ist wie Zuckerwatte essen, euch zuzusehen", fand Louis und packte sich Jana von der Luftmatratze.
"Anscheinend nicht für alle", ich warf ihnen einen grinsenden Blick zu.
"Mir ist kalt. Wollen wir zurück?", schlug Maxim vor und wir waren alle einverstanden. So trockneten wir uns schnell ab, packten die Sachen zusammen und radelten mit den Fahrrädern zurück zum Gestüt. Dort angekommen, begegnete uns Peter, der wissen wollte, wie uns der Lehrgang bis jetzt gefiel.
"Mir macht es total Spaß", gab ich zu. "Ich hab das Gefühl, dass sowohl ich als auch meine beiden Pferde jeden Tag ein bisschen mehr lernen." Ich lächelte glücklich.
Peter Kuhn erwiderte das Lächeln erfreut. "Das ist schön zu hören. Es bestätigt mich, wenn ich mitkriege, dass der Lehrgang für die Teilnehmer von Vorteil ist."
Auch die anderen konnten nur Positives berichten; dass wir von dem geklauten Pferd wussten und Louis mehr als eindeutig die Augen und Ohren offenhielt, ließen wir weg. Wir wollten Peter nicht unnötig verunsichern.
"Wollen wir die Pferde reinholen?", schlug ich vor, als wir die Fahrräder zurückgegeben hatten. Die Zeit war bereits fortgeschritten - gleich würde es Abendessen geben.
"Wäre eine gute Idee", fand Louis und nickte. Also tapsten wir in unseren Badeklamotten herüber zur Koppel und suchten unsere Pferde. Pharo kam mir wiehernd entgegen, als er uns kommen sah und Alaska folgte Lupita und Karibik Girl.
"Hey, ihr zwei!" Ich fing meine vierbeinigen Freunde ein und brachte sie zurück in den Stall. Pharo beschnupperte meine nassen Haare, die wahrscheinlich nach Salz rochen.
"Masterpiece hat richtig an Muskulatur gewonnen", fand Louis, als er das Pferd seines Freundes genauer betrachtete.
"Findest du echt? Ich sehe sowas überhaupt nicht bei ihm", erwiderte Maxim schüchtern.
"Ja, das finde ich." Louis grinste und nahm Maxims Hand, als wir hinüber zum Haus gingen. Dass uns Joshua seltsame Blicke hinterherwarf, bemerkte keiner von uns .
***
Beim Duschen hatte ich dank David total die Zeit vergessen und musste mich mit halb nassen Haaren in den Speisesaal zum Abendessen setzen. Mein Freund hatte nur doof gekichert, als ich ihm die Schuld daran gegeben hatte, bevor er mich geküsst hatte.
"Ich hab einen riesigen Kohldampf", nuschelte Bonnie, als sie sich die Spagetti in den Mund...