Schweitzer Fachinformationen
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2.1 Literatur
Im religionssoziologischen Bereich steht ein eindrucksvoller Bestand an wissenschaftlicher Literatur zur Verfügung, von E. Durckheim bis M. Weber, Th. Luckmann, F.-X. Kaufmann, H. Knoblauch und P. Bourdieu, um nur einige zu nennen. Diese Arbeiten fragen nach der Entstehung von Religion und untersuchen mit der Religiosität von Menschen zusammenhängende Fragen unter verschiedenen Gesichtspunkten wie der Korrelation zu Alter, Geschlecht, Bildung, Beruf, Wohnort, soziale Herkunft usw.
Die eingehende theologische Befassung mit der Herz-Jesu-Verehrung ist an einer unübersehbaren Anzahl kirchlicher Publikationen und Fachwerke abzulesen, worauf im Rahmen dieser kulturwissenschaftlichen Untersuchung aber nicht näher eingegangen werden muss.
Auch die geschichtliche Entwicklung der Herz-Jesu-Verehrung ist Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen, unter denen besonders die bis ins 20. Jhdt reichenden von N. Busch ("Katholische Frömmigkeit und Moderne"), J. Moore ("Herz-Jesu-Verehrung in Deutschland"), M. Krammer ("Victor Braun 1825 - 1882") und dem Jesuiten L. Lies ("Gottes Herz für die Menschen") zu nennen sind. M. Haag hat den historischen Verlauf anhand des Herz-Jesu-Liedgutes nachgezeichnet. Auf Österreich bezogene Darstellungen finden sich beispielsweise bei M. Wiedenhorn ("Die Geschichte der Herz-Jesu-Verehrung in Österreich"), A. Coreth ("Liebe ohne Maß") und W. Paschke ("Landes- und Diözesanweihen an das Heiligste Herz Jesu").
Hingegen sind nur wenige kulturwissenschaftliche, geschweige denn Herz-Jesu-spezifische, Quellen unter volkskundlichen Vorzeichen zu finden. Ausnahmen bilden z. B. G. Korff (Herz-Jesu. "13 Dinge: Form, Funktion, Bedeutung" in einem Ausstellungskatalog sowie in "Heiligenverehrung in der Gegenwart"), J. Moore und in einem Teilbereich bei M. Haag.
2.2 Historische Entwicklung der Herz-Jesu-Verehrung
Die bis dahin nur privat geübte Herz-Jesu-Verehrung erhielt durch die Herz-Jesu-Visionen der Hl. Marguerite Marie Alacoque vom Salesianerinnen-Kloster in Paray-le-Monial einen mächtigen Auftrieb. In diesen Visionen wurde der Ordensschwester zwischen 1673 und 1675 aufgetragen, sich für die liturgische Feier des Herz-Jesu-Geheimnisses einzusetzen. Aber erst 1856 wurde unter Pius IX. "das Herz-Jesu-Fest auf die gesamte Kirche" ausgedehnt, Leo XIII. vollzog schließlich am 11. Juni 1899 "die Weihe der ganzen Menschheit an das Heiligste Herz Jesu."26 Entscheidend für die Kultausweitung wurden die Seligsprechung der später heilig gesprochenen M. M. Alacoque im Jahre 1864, aber auch Unterstützungsaktionen der Jesuiten: "Sie übernahmen es, die Herz-Jesu-Andacht theologisch zu legitimieren, sie im ultramontanen Sinn zu instrumentalisieren und bei Laien wie Klerikern zu popularisieren. [.] Da die Vereinszentrale in Innsbruck angesiedelt war, bereitete es den Jesuiten keine Mühe, das zu Beginn des (deutschen) Kulturkampfes über sie verhängte 'Berufsverbot' zu unterlaufen."27
Doch erst unter dem Einfluss der Herz-Mariä-Verehrung kam es in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts zu einer restaurativen Verstärkung jesuanischer Frömmigkeitsformen mit vermehrt sentimentalen, emotionalen und traditionalistischen Zügen. Ebertz spricht von "Organisierung der Massenreligiosität", Korff von "Formierung der Frömmigkeit", Gabriel von "Verkirchlichung der Volksreligion".28 In dieser Phase erfolgte 1844 die Gründung des Gebetsapostolates, der später bedeutsamsten "internationalen Herz-Jesu-Organisation". 29
In Österreich wurden die Offenbarungen an die Hl. M. M. Alacoque im 18. Jahrhundert vor allem durch die Volksmissionen der Jesuiten hoch gehalten. Der Herz-Jesu-Kult war zu diesem Zeitpunkt Ausdruck einer modernen Glaubenshaltung und wurde gegen die Jansenisten und deren religiösen Rigorismus ("Die Herz-Jesu-Verehrung stand an erster Stelle der verhassten 'Andachteleien' und wurde von den Jansenisten und Aufklärern in gleicher Weise abgelehnt"30) eingesetzt, als "pastorale Provokation und kalkulierter Kampfkult".31 Im Zeichen der josephinischen Aufklärung und der innerkirchlichen Auseinandersetzung mit dem Jansenismus wurden 1773 der Jesuiten-Orden und 1784 das Missionswerk aufgelöst und die Herz-Jesu-Verehrung von Joseph II. verboten. "Gerade diese Unterdrückung rief den Widerstand des Tiroler Volkes hervor, das in der Herz-Jesu-Andacht einen Teil seines lieb gewonnenen religiösen Brauchtums sah";32 1795 wurde der bereits tief im Volk verwurzelte Herz-Jesu-Kult wieder offiziell eingeführt und erhielt durch die Weihe des Landes an das Herz Jesu im erfolgreichen Abwehrkampf gegen die napoleonischen Truppen einen politisch motivierten Auftrieb. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert werden auf den Tiroler Bergen Herz-Jesu-Feuer entzündet; man nimmt an, dass diese "erfundene" Tradition möglicherweise an die im vorchristlichen Kult der Naturvölker wurzelnden Jahresfeuer anschließt.
"Zu den engagiertesten Kultrezipienten zählten die [.] Adelsfamilien. Die laikale 'Massenbasis' setzte sich vor allem aus Angehörigen der klein- und unterbürgerlichen Schichten zusammen [.]", vor allem aus ländlichen Bereichen.33
Allerdings wäre es, so Moore, ein Missverständnis, die Herz-Jesu-Verehrung nur als eine vom sog. "einfachen Volk" geübte Kultform zu sehen; es handelte sich vielmehr um eine weltweite Frömmigkeitsform, die "von offizieller kirchlicher Stelle normiert, propagiert und von aktiven Laien praktiziert - wenn auch nicht in allen Erscheinungsformentoleriert"34 wurde.
Zwar war unter gender-Aspekten der Herz-Jesu-Kult in erster Linie eine Angelegenheit der Frauen; die Feminisierung der Religion war ein generelles Phänomen des 19. Jahrhunderts, denn die Pflichten der Frau - einschließlich der religiösen Erziehung der Kinder - lagen im häuslichen Bereich. Aber mit der gegen 1900 zunehmend nationalen Orientierung vieler Katholiken wurde der Kult zu einer echten Männerandacht. Maskulinisierung und Nationalisierung bildeten zwei Seiten ein und derselben Medaille.35
Der deutsch-französische Krieg 1870/71 und der deutsche Kulturkampf trugen deshalb wesentlich zur Förderung der Herz-Jesu-Verehrung bei. Sie boten "[.] die Möglichkeit zur devotionalen Kanalisierung und Kompensation der Kriegserfahrung"36 durch Zuwendung der Bevölkerung zu religiösen Werten in Krisensituationen. "Besonders die Weiheveranstaltungen dienten dazu, das 'unbedingte Herrscherrecht' des Herzens Jesu zu propagieren und 'das soziale Königtum Christi' zu errichten."37
Da das Kriegsgeschehen von den Kirchenführern als Aufruf zu Buße und Umkehr interpretiert wurde, lag [.] eine "gemeinsame entscheidende Sühnetat" zum Herzen Jesu in Form einer öffentlichen Kollektivweihe38
in enger Verknüpfung von Kult und Krieg, von Sühne und Sieg nahe. Die Herz-Jesu-Verehrung hatte also "[.] im französischen und deutschen Katholizismus einen zusätzlichen Auftrieb durch die politische Aufladung im Zeichen der 'Erbfeindschaft'."39
Der Bau von Sacré Coeur gehört zu der Überzeugung in Frankreich, dass M. M. Alacoque durch die Verbindung von individueller mit kollektiver Frömmigkeit eine moderne, kirchenpolitisch angemessenere und deshalb der mystischen privaten Anbetung überlegene Form der Verehrung begründet hatte. Demgegenüber setzte Deutschland nach 1870/71 auf seine eigene, in der "altdeutschen Mystik" begründete und dadurch als echter und inniger bewertete Tradition, die der "Gemüthstiefe und Glaubenstreue" des deutschen Volkes besser entsprach.40
Der Kulturkampf schuf die Motivation, um nach dem Herz Jesu als religiösem Rettungsanker zu greifen: Nach außen festigte die Herz-Jesu-Verehrung die Abgrenzung zum ideologischen Gegner, nach innen wirkte sie systemstabilisierend durch mentale Integrationskraft undreligiöse Vereinigungen und Veranstaltungen: Denn laut Busch besaßen "[.] Kultformen, religiöse Symbole und Rituale einen wichtigen Stellenwert für die Ausprägung einer konfessionellen Kollektivmentalität [.]".41
Weitere starke Impulse erhielt die Herz-Jesu-Andacht durch die Opposition der katholischen Kirche zur Moderne von Technik und Industrie, die als "gottlos, fortschrittsbesessen,...
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