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"Unsere Kinder und Enkel werden es einmal besser haben." Dieser Satz wurde in den vergangenen Jahrhunderten bis weit hinein in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sicherlich Tausende Male so oder ähnlich ausgesprochen. Er ist der Leitsatz einer optimistischen Welt. Heute, auf dem Weg in die Mitte des 21. Jahrhunderts, wird dieser Satz kaum jemandem leicht über die Lippen kommen. Der Optimismus, der aus ihm sprach, ist aufgebraucht.
Dennoch mag der Titel dieses Buchs sofort Widerspruch provozieren. Wenn man von einer postoptimistischen Gesellschaft spricht, dann behauptet man doch zugleich, dass es eine Zeit gegeben habe, in der Optimismus die vorherrschende Grundstimmung gewesen sei. Aber wann soll das gewesen sein? Am Ende der 1980er oder am Anfang der 1990er Jahre vielleicht, als die Menschen in den sogenannten sozialistischen Ländern in Ost- und Mitteleuropa die Diktaturen der kommunistischen Parteien abschüttelten und sich auf den Weg in Richtung Demokratie xe "Demokratie" und Freiheit machten? Sogleich kann man einwenden, dass sich Westeuropa und insbesondere die Bundesrepublik zu dieser Zeit in einer schweren Wirtschaftskrise befanden, die nur kurzzeitig durch Investitionen in den Aufbau Ost überdeckt werden konnte. Zudem war das letzte Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts vom schmerzhaften Zerfall der Sowjetunion und vor allem Jugoslawiens geprägt, beides verbunden mit blutigen militärischen Auseinandersetzungen wie dem ersten Tschetschenienkrieg von 1994 bis 1996, den verschiedenen Kriegen in den Ländern, die aus dem zerfallenen Jugoslawien entstanden waren, darunter vor allem der Kosovokrieg, in den die NATO 1999 aktiv eingriff.
Liegt die Zeit des Optimismus womöglich noch weiter zurück, lag sie vielleicht in den 1950er bis 1970er Jahren, als in der Bundesrepublik das Wirtschaftswachstum gefeiert wurde und auch in anderen Ländern des Westens ein wirtschaftlicher Aufschwung zu erleben war? Man kann dieser Verortung einer optimistischen Stimmung sogleich die militärische Konfrontation zwischen den großen Militärblöcken, den Vietnamkrieg, die Kubakrise, aber auch ökonomische Krisen, spätestens in den 1970er Jahren die Ölkrise und die Berichte an den Club of Rome, die von den Grenzen des Wachstums sprachen, das Waldsterben und die atomare Bedrohung entgegenhalten.
Und dennoch: Blickt man aus heutiger Perspektive auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, hat man den Eindruck, damals hätte es viele Gründe gegeben, einigermaßen optimistisch in die Welt zu blicken.
Genauer gesagt: Man könnte meinen, dass wir in der damaligen Zeit zumindest geglaubt haben sollten, dass wir optimistisch sein können. Denn wenn wir uns heute vergegenwärtigen, was wir vor rund einem halben Jahrhundert über die Welt gewusst haben, wenn wir uns etwa in die Situation Ende der 1960er Jahre zurückversetzen, dann kann man durchaus sagen: Damals sah die Welt wenigstens auf den ersten Blick ganz vielversprechend aus. Die Wissenschaften stürmten von einem Erfolg zum nächsten, die Menschen flogen zum ersten Mal in den Weltraum, gar zum Mond, Technik machte das Alltagsleben immer einfacher und angenehmer, die Medizin machte gewaltige Fortschritte, die das gesunde Leben verlängerten. Europa befand sich, trotz der militärischen Konfrontation, in der längsten Friedensperiode seit Menschengedenken. Im Vergleich der Systeme zeigte sich, dass das demokratische, freiheitliche System in Hinblick auf Wohlstand, Wissenschaft, Technik und Medizin den autoritären, diktatorischen Systemen überlegen war. Der Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Ost- und Mitteleuropa Ende der 1980er schien ein sicheres Zeichen dafür, dass die Attraktivität der freiheitlichen Demokratien schließlich auch dafür sorgen würde, dass es sich letztlich überall auf der Erde durchsetzen würde.
So war auch die populäre Kunst, soweit sie sich mit der Zukunft beschäftigte, von Optimismus geprägt. In den erfolgreichsten Filmen wurde ein Bild kommender Zeiten entworfen, in dem sich eine vereinte, friedliche, demokratisch verfasste Menschheit auf der Basis einer perfekt funktionierenden Technik in einer sauberen, oft geradezu sterilen Umwelt insbesondere der weiteren Erforschung des Weltraums und weit entfernter Planetensysteme widmet - auf der Erde waren in diesen Zukunftsentwürfen alle Probleme längst gelöst. Man denke etwa an die Filme der Star-Trek-Reihe. Vielleicht wird beim Blick auf solche Kunstgenres, in denen Utopien über das Leben in zukünftigen Zeiten formuliert werden, am besten deutlich, wie optimistisch wir in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gewesen sind - und wie wenig von diesem Optimismus geblieben ist. Für die Science-Fiction-Literatur Mitte des 20. Jahrhunderts konstatierte Andrew M. Butler, dass sie an die Möglichkeiten des Fortschritts glaubte, bei dem jede Erfindung dazu beitrug, die Menschheit zu befreien, und daran, dass, auch wenn technische Probleme auftauchten, eine neue Technologie diese sogleich lösen konnte.[1] Gefahren drohten der Menschheit in den epischen Werken dieser Jahrzehnte von außen, durch Aliens oder Meteoriten. Der technologische Fortschritt machte es aber immer möglich, diese Herausforderungen zu bestehen. Heutige Werke, die in die Zukunft schauen, sind Katastrophenepen, sie beschreiben eine von Krisen geschüttelte, existenziellen Gefahren ausgesetzte Gesellschaft, verroht, kriminell, die Zivilisation zerfallen und nur noch aus Geschichten der Alten bekannt. Cloud Atlas ist das wohl gelungenste Beispiel für ein Werk, das die Geschichte vom Fortschritt zum Besseren prinzipiell fragwürdig macht. Von einer wunderbar und reibungslos funktionierenden Technik ist nichts zu sehen, stattdessen begegnet uns etwa in Finch ein genialer Tüftler, der aus den Resten unserer Computer und Automaten Werkzeuge bastelt, mit denen er in einer unwirtlichen, dystopischen Umgebung halbwegs überleben kann. Von demokratischen Strukturen, freier Kultur und großer Wissenschaft fehlt in diesen Werken jede Spur.
Natürlich kann man mit einer gewissen Ironie sofort darauf hinweisen, dass der Optimismus, der vergangene Zeiten geprägt hat, schon damals fehl am Platze gewesen sei, dass er auf Illusionen über die tatsächliche Lage basierte. Man kann zu den bereits erwähnten Krisen und Verwerfungen, die all diese Jahrzehnte begleitet haben, hinzufügen, dass die Probleme, die uns heute eher düster und ängstlich, jedenfalls ohne großen Optimismus in die Zukunft schauen lassen, schon in diesen Jahrzehnten vorhanden waren, dass sie dort sogar ihre Wurzeln haben. Der menschengemachte Klimawandel wird bekanntlich durch den Ausstoß von Treibhausgasen verursacht, die vor allem durch die Verbrennung fossiler Energieträger entstehen, und damit durch jene Technik, die uns seit der Industrialisierung Bequemlichkeit und Freiheit gebracht hat. Die Globalisierung mit ihren weltweiten Verkehrs- und Warenströmen, die heute neben ihrem Beitrag zur Klimakatastrophe auch zur schnellen Verbreitung von Krankheiten und zur Abhängigkeit von aggressiven und autoritären Diktaturen beiträgt, hat ihre Wurzeln ebenfalls im optimistischen Fortschrittsdenken vergangener Jahrzehnte. Somit kann man sagen, dass es genau genommen auch schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts keinen Grund zum Optimismus gab und dass eine besonders weitsichtige, besonders realistisch denkende und urteilende Person schon damals eher sorgenvoll in die Zukunft geschaut haben dürfte. Und diese Stimmen hat es durchaus auch gegeben, man denke an Adornos kritische Reflexionen über den Fortschritt.[2]
Wie Bruno Latour, der Kritik an der Postmoderne entgegnet hat, "Wir sind nie modern gewesen",[3] könnte man also dem Gedanken, wir würden uns in einer postoptimistischen Gesellschaft befinden, entgegnen: "Wir sind nie optimistisch gewesen." Aber das ist eine Beurteilung aus heutiger Perspektive, aus dem Rückblick, in dem wir die Ursachen gegenwärtiger Probleme in den Entscheidungen der Vergangenheit sehen. Und wenn man ehrlich ist, hat es damals durchaus Grund zum Optimismus gegeben. Alles sprach dafür, dass selbst die größten Probleme, auch die sich anbahnenden Krisen, Konflikte und Katastrophen, mit einer wissenschaftlich-technischen Herangehensweise und einem zivilisierten politischen System, in dem starke und wirtschaftlich stabile freiheitlich-demokratische Gesellschaften die internationale Führungsrolle haben, bewältigt werden können. Es gab gute Beispiele dafür, dass Schwierigkeiten, die sich aus menschlicher Aktivität entwickelten, erkannt und bewältigt werden konnten. Als Beispiel sei nur das Verbot von FCKW-Treibhausgasen zum Schutz der Ozonschicht in den 1990er Jahren genannt. Es gab Hinweise, dass internationale Konflikte friedlich beigelegt werden könnten auf Basis einer rationalen Politik. All diese Erfahrungen gaben Grund für einen optimistischen Blick in die Zukunft, der mehr als bloße Illusion oder Selbsttäuschung war.
Von diesem Optimismus ist heute nichts geblieben. Seit etwa drei Jahrzehnten versucht die Menschheit, das Problem des menschengemachten Klimawandels zu lösen. Weder ist inzwischen Einigkeit darüber vorhanden, was konkret getan werden soll (abgesehen von der allgemeinen Einsicht, dass auf irgendeine Weise der Ausstoß von Treibhausgasen xe "Treibhausgase" reduziert werden muss), noch ist die internationale Politik dazu in der Lage, ein abgestimmtes Vorgehen zu implementieren, um konkrete Zielsetzungen zu erreichen. 2017 kam in den USA mit Donald Trump ein Präsident an die Macht, der die Überzeugung als Illusion entlarvte, demokratische...
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