Schweitzer Fachinformationen
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Der Zettel vom Paketdienst lag schon fünf Tage im Briefkasten. Es war die Woche zwischen Weihnachten und Neujahr, in der eigentlich niemand wirklich ernsthaft arbeitete, außer die unterbezahlten Zusteller der Paketdienste und freie Journalisten wie ich.
Vielleicht wäre ich an besagtem Tag vor Heiligabend sogar zu Hause gewesen, aber der Paketmann hatte wohl Besseres zu tun, als das üppige Paket meiner Mutter in den vierten Stock zu wuchten.
So wurde ein gelber Zettel als Wurfsendung verfasst, der besagte, dass Mutters Geschenk in einer der unzähligen Paketauffangläden Neuköllns zu finden sei. "Trozi-Markt Flughafen Str" stand da. Keine Hausnummer, kein Name, keine Öffnungszeiten. "Trozi-Markt Flughafen Str." Das war's. Das hieß in etwa: Helfen Sie sich selbst!
Hätte man den Paketmann ob der etwas spärlichen Informationsangabe zur Rede gestellt, hätte der wohl lapidar geantwortet: "Wieso? Gibt doch Internet."
Nach kurzer Suchmaschinen-Recherche ließ sich ein Trozi-Markt in der Neuköllner Flughafenstraße lokalisieren. Ich wohnte zwar selbst in der Flughafenstraße und das schon seit zwei Jahren, aber einen Trozi-Markt hatte ich bislang nicht bemerkt.
Da es Freitag war und die anstehende Arbeit im heimischen Büro durchaus aufgeschoben werden konnte, begab ich mich, mit Vorfreude auf Mutters Butterplätzchen ausgestattet, auf den Weg zu besagtem Markt, was immer für Produkte dort angeboten wurden.
Von meiner Wohnung an der Ecke Reuterstraße lief ich zunächst an einer Spielhalle vorbei, einem Spätkauf, einem Holzkohle-Grill-Imbiss, einem Secondhandladen, zahlreichen Trödelläden und einem Atelier, vor dem eine ältere Dame auf einem Stuhl saß, die ihre faltige und bunt geschminkte Haut in die Wintersonne hielt.
Schließlich erreichte ich die Dar-Assalam-Moschee und einige Häuser weiter auf der gegenüberliegenden Seite fand ich endlich das, wonach ich gesucht hatte: Trozi-Markt. Zumindest stand es auf dem Schild über der kleinen Ladenzeile. Der Rollladen des Schaufensters war unten, die Tür verschlossen und kein Licht drang aus dem Ladeninneren nach draußen. Freitagnachmittag war offenbar nicht die Haupteinkaufszeit für die Stammkundschaft des Trozi-Marktes.
Vorsichtig klopfte ich an der Scheibe des Ladens.
Nach kurzem Warten kam ein kleiner, untersetzter Mann Richtung Tür gewackelt, schloss sie auf und streckte mir seine rote Blumenkohlnase entgegen.
"Ja, bitte?"
"Hallo. Bei Ihnen wurde wohl ein Paket für mich abgegeben."
Dabei hielt ich ihm meinen Paketschein unter seine Nase.
"Ah ja. Kommen Sie, kommen Sie", sagte der Mann mit einem Akzent, den ich nicht zuordnen konnte.
Er lief schnellen Schrittes in den Laden, knipste das Licht an und stellte sich hinter den Tresen.
Im Laden gab es Wurstwaren, Konserven, Poster, T-Shirts und Platten von Schlagerstars, deren Namen ich zuvor noch nie gehört hatte: Nena Breda, Seka Aleksimovic und Svetlana Selarovic alias Sela. Letztere trug ein goldenes Kleid und hatte bei ihrer Oberweite sichtbar nachgeholfen, was sie zu einer Art Balkan-Dolly-Buster machte, wobei die Lippen nicht ganz so aufgespritzt wirkten. Jedenfalls sah sie so aus, als wäre sie eine sehr gute Kundin eines plastischen Chirurgen gewesen.
Während ich die Auslagen studierte, wühlte der kleine Besitzer mit der roten Blumenkohlnase unter seinem Tresen und schrie dann Richtung Nachbarraum irgendetwas in einer osteuropäischen Sprache, ehe er sich mir zuwandte.
"Womit kann ich helfen?", fragte er überfreundlich.
Etwas genervt erwiderte ich: "Wie bereits erwähnt, Sie haben ein Paket von mir angenommen." Dabei zeigte ich auf meinen Paketschein.
"Einen Moment, bitte", sagte der Mann und verschwand mit meinem Zettel nach nebenan.
Es dauerte lange, bis er wieder zurückkam, wobei er ein zusammengekniffenes Lächeln auf seinem Gesicht sitzen hatte.
Freundlich sagte er: "Bitte, kommen Sie. Ich kann Paket gerade nicht finden. Vielleicht können Sie helfen?"
Wortlos ging ich mit dem Mann in einen kleinen Flur hinter dem Verkaufsraum, der zu einer gelb gefliesten Küche mit angrenzender Speisekammer führte. Statt Lebensmittel lagerten dort zahlreiche Pakete. Schätzungsweise um die hundert.
"Bitte, wenn Sie schauen könnten?"
"Ja . okay", entgegnete ich zögernd und fing irgendwann an, mich durch die Zustellungen zu wühlen.
Offenbar hatte sich der Trozi-Markt auf die Annahme von Paketen spezialisiert, was den DHL-Mann wohl dazu veranlasste, seine Lieferungen direkt hier abzuladen. Zumindest vermutete ich das.
Die Suche gestaltete sich schwierig. Der Raum war staubig und schlecht beleuchtet. Ich konzentrierte mich vor allem auf die größeren Pakete, da Mutter gerne üppig verschickte.
Während ich herumwühlte und die Adressaten studierte, verschwand der Trozi-Markt-Besitzer nach nebenan, wo er ein Gespräch mit einem anderen Mann führte, der dort, dem Geruch nach zu urteilen, etwas kochte. Es roch nach fettiger Wurst, fettigem Gemüse und irgendwas fettigem Anderen.
Durch meine Suchaktion war die Luft in der Kammer mittlerweile komplett staubig.
Ich musste niesen.
"Alles in Ordnung?", fragte eine Stimme aus der Küche.
"Ja ja", antwortete ich.
Ich fand mein Paket nicht, und fragte mich, ob es denn überhaupt hier sei. Aber auf dem Zettel stand ja "Trozi-Markt", also musste es sich wohl hier befinden.
Meine Hände hatten sich inzwischen grau verfärbt von dem Dreck und dem Staub, der sich auf den Paketen festgesetzt hatte.
Langsam wurde ich ungeduldig.
Ich überprüfte Namen, legte Pakete zur Seite, begann Stapel zu machen, um mich in den hinteren Teil der Abstellkammer durchzuarbeiten, weil ich dort meine Sendung vermutete. Immerhin musste sie schon ein paar Tage hier gelegen haben.
"Alles in Ordnung?", schallte es abermals aus der Küche.
Vielleicht war dies ein Hilfsangebot.
Ich ging nach nebenan.
Dort traf ich wieder auf den kleinen Mann mit der Blumenkohlnase, der am Tisch saß und aus einer Kaffeetasse trank. Am Herd stand ein groß gewachsener tätowierter Mann mit Stiernacken. Er briet gerade etwas in einer Pfanne und beachtete mich nicht weiter.
"Na, haben Sie Ihr Paket gefunden?", fragte er.
"Noch nicht. Das Paket kam vor fünf Tagen hier an. Ich war nicht zu Hause."
"Aha", warf der Mann ein.
Ich guckte ihn fragend an.
"Dann liegt das wohl ganz hinten", meinte er.
"Habe ich mir gedacht", antwortete ich.
"Das kann etwas dauern. Setzen Sie sich doch." Dann erkundigte er sich: "Wollen Sie einen Kaffee?"
Ich zögerte.
Planmäßig wollte ich so schnell wie möglich das Paket finden und wieder zurück in meine Wohnung gehen. Dort warteten eine Buchrezension und ein Bericht über das Neuköllner Nachtleben für eine auflagenschwache Berliner Tageszeitung auf mich. Beides wollte ich auf jeden Fall bis heute Abend fertig geschrieben haben, damit mich am Silvesterwochenende keine weitere Arbeit plagte.
"Setzen Sie sich. Zeljko hier macht Ihnen Kaffee."
"Klar. Kein Problem", sagte Zeljko und drehte dabei leicht den Kopf in meine Richtung.
"Setzen Sie sich", forderte der kleine Mann mich erneut auf und als ich tat wie befohlen, sagte er: "Ich heiße Trozi."
"Hagedorn. Freut mich", entgegnete ich.
Zeljko goss tiefschwarzen Kaffee in eine riesige Kaffeetasse und reichte sie mir.
"Milch, Zucker?", fragte er.
"Ich trinke ihn schwarz. Danke."
"Schon gut", sagte er und widmete sich wieder der Zubereitung seines fettigen Essens.
"Zeljko und ich machen gerade Mittagessen. Es gibt Cevapcici mit Ajvar und Raznjici. Er kann das gut."
"Das glaube ich gern", sagte ich höflich und blickte dabei den kahlköpfigen Zeljko an, der den Anschein machte, als sollte man sich besser nicht mit ihm anlegen.
Er trug eine Armeehose und hatte seine Unterarme mit bedrohlich anstößigen Tattoos bemalen lassen. Er brachte geschätzte 100 Kilo auf die Waage. Sein Kopf war kahl rasiert und von seiner linken Backe reichte bis zur Schläfe eine lange Narbe. Kurzum: Zeljko sah zum Fürchten aus.
"Wollen Sie auch?"
"Äh. Ich glaube, ich muss mich wieder um mein Paket kümmern. Aber danke fürs Angebot und für den Kaffee."
Ich verschwand wieder im Paketraum und suchte weiter.
Es dauerte etwa weitere zehn Minuten, bis ich mich ans Ende des Raumes vorgearbeitet hatte. Von meinem Paket weiterhin keine Spur. Hansen, Hebisch, Henkel, Hirsch . alle waren sie da. Nur weit und breit kein Hagedorn. Ich stand kurz davor aufzugeben.
Was ich mich außerdem fragte: Wieso kam bei so vielen Paketen kein anderer mutmaßlicher Besitzer hier vorbei und wollte sein Paket abholen? Bei der Anzahl der Päckchen müsste es hier vor DHL-Kunden nur so wimmeln, doch war ich der Einzige an diesem Freitagnachmittag nach Weihnachten.
Ich ging wieder in die Küche.
Zeljko richtete das fettige Essen gerade an - auf drei Tellern.
Ich sah Trozi an.
Ganz beiläufig und ohne aufzublicken, sagte er: "Sie brauchen noch ein bisschen? Kein Problem. Essen Sie mit uns!"
Das Essen sah ganz okay aus und ich dachte, dass ich jetzt einen kleinen Imbiss vertragen könnte, weshalb ich sein Angebot annahm.
Es schmeckte ausgezeichnet.
Zeljko war offenbar ein Meister seines Fachs. Und als ich die Cevapcici in mich hineinschaufelte, bemerkte ich erst, wie viel Hunger ich hatte.
Herr Trozi lächelte. Er sah, wie es mir schmeckte.
"Er...
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