Schweitzer Fachinformationen
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Claudia Ruppert war mit dem Goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen. Im Alter von zehn Jahren hatte sie ihn an die Wand gepfeffert und gegen alles und jedes rebelliert: gegen die süßen Blümchenkleider von Oilily, in die man sie hineinzwang; gegen die Sonntagsfrisur, für die oben auf ihrem Kopf eine runde Wurst namens Dutt kunstvoll drapiert wurde; die geflochtenen Zöpfe für den Alltag mit den rosa Schleifchen. Das Frisurenproblem hatte sie mit zwei Scherenschnitten erledigt. Claudias Rebellion fand neue Ziele. Sie richtete sich gegen die Besuche im Beichtstuhl, wo ein feister Pfarrer sie über ihre Keuschheitsvergehen in die Inquisition nahm, bevor sie überhaupt wusste, was es mit der so genannten Unkeuschheit auf sich hatte. Später vermutete sie, dass sein Onanieren hinter dem getönten und mit Holz vergitterten Glas in diese Sündenkategorie fiel. Sie spürte seine Erregung, während er nachbohrte, ob sie unkeusche Taten begangen habe. Ihre Freunde suchte Claudia sich selbst aus. Meist wohnten sie im angrenzenden Arbeiterviertel, das in ihrer Heimatstadt Köln merkwürdigerweise direkt an den teuren Villenvorort Marienburg grenzte, in dem Claudia mit Hilfe einer häuslichen Hebamme das Licht der Welt erblickte. Die erwählten Freunde hießen manchmal Chantal oder Kevin, trugen rosa Leggings oder Trainingshosen und führten sie in die Gossensprache ein. Neugierig beobachtete Claudia die Wirkung der Besuche aus dem Arbeitermilieu auf ihre Eltern. Im Alter von 13 Jahren kreierte sie ihre eigene Mode. Eigenhändig zerrissene Jeans trug sie, lange bevor diese von Modedesignern mit gut platzierten ausgefransten Löchern zu sündhaft teuren Preisen feilgeboten wurden.
Claudia rüttelte an Zäunen, trat gegen verschlossene Türen, erhob den Kopf und wurde mindestens so oft einen Kopf kürzer gestutzt; sie brach lustvoll Regeln und weit lustvoller Herzen und war mehrfach an gebrochenem Herzen erstickt, hatte liebend die Liebe verflucht. Vergessen im Rausch gesucht. Von rasender Liebe betrunken, das Beste gesoffen. Auf Herzen gezielt und Herzen getroffen. Singend in den Abgrund geblickt. Bis zum Hals im Dreck versunken, zu den Sternen geschaut. Tausend Schlösser auf Sand gebaut, tausend Schlösser zerstört. Und niemals auf guten Rat gehört. Gott fluchend ins Gesicht gelacht. Gott, der niemals guckt. Was soll's! Weiter getaumelt, ziellos dem Ziel entgegen. Das war Claudia.
Claudias Familie waren die von Heidens, Privatbankiers seit 1793. Claudias Eltern starben bei einem Autounfall, da war sie 18, das jüngste von drei Kindern, ein Nachkömmling. Ihre Brüder Adrian und Boris waren zehn und zwölf Jahre älter. Warum ihre Eltern im Alphabet nicht weiterkamen und warum zwischen A, B und C so viel Zeit verstrich, erfuhren die Heiden-Sprösslinge nicht. Wahrscheinlich war C die Intelligenteste, trotzdem waren es Claudias zwei Brüder, die die Führung der Bank übernahmen. Es passierte nichts Dramatisches, irgendwie bröselte den jungen Erben das schöne alte Bankhaus unter den Fingern weg. Claudia studierte Finanzwirtschaft in London, wollte es ihren Brüdern beweisen, dass sie als Bankerin etwas taugte. Bevor sie ihren Master-Abschluss präsentieren konnte, war das Unternehmen in die Hände einer britischen Großbank übergegangen, und für die Tochter des Hauses gab es keinen Job mehr. Es blieb für alle Kinder genug übrig, um ein angenehmes Leben zu führen, aber das war nicht Claudias Lebensplan. Sie studierte Kunstgeschichte und wurde Journalistin, in der Hoffnung, dem Schönen und Wahren ans Licht zu verhelfen, zumindest ein Fünkchen Wahrheit aufblitzen zu lassen. Weil sie klug und gebildet war, nahmen die Öffentlich-Rechtlichen sie mit Begeisterung in ihren Funkhäusern auf. Die Linken in den Sendern missverstanden ihren Oppositionsgeist und versuchten, sie zu vereinnahmen. Claudia witterte die Ideologen, links wie rechts. Sie blieb ihrem Gewissen verpflichtet und ihrer Intelligenz, die ihr Vernunft erkennen half. In den zwischenmenschlichen Beziehungen versagte diese Fähigkeit zur Ratio manchmal. Es obsiegte die Rebellin oder die Leidenschaftliche, zum Beispiel bei der Wahl ihres Ehemannes. Zu einer wirklichen Wahl ihrerseits war es gar nicht gekommen.
»Du bist die Frau meines Lebens«, gestand ihr eines Nachts ein Mann in einer Berliner Bar. Sie waren sich auf einem dieser Kunstevents begegnet, die nach der Wiedervereinigung in Mitte und Kreuzberg aus der Erde sprossen. Claudia, die sich auf jedem Parkett bewegen konnte, traf auf den eher kleinbürgerlichen Stefan, den Museumsdirektor mit Einfluss in der Politik. Man munkelte, er berate die Staatsministerin für Kultur. Claudia und Stefan tranken ziemlich viele Aperol Spritz. Das gemeinsame Kind war so schnell unterwegs, dass der kluge, entschlossene Stefan und die intelligente, etwas unstete Claudia keine Chance hatten, sich kennenzulernen. Vielleicht war es auch so: Claudia hatte sich insgeheim, durch den frühen Verlust ihrer Eltern, nach einer eigenen Familie gesehnt. So was kann die Empfängnisbereitschaft einer Frau enorm erhöhen. Tochter Luise kam auf die Welt, und die Liebe zu ihr war so überwältigend, dass Claudia die ersten Haarrisse in der Beziehung zu ihrem Mann nicht bemerkte oder geschickt zukleisterte.
Sie waren das Glamourpaar in der Berliner Szene. Claudia, mit ihren fast 1,80 Metern, den grünen durchdringenden Augen, den feinen Gesichtszügen, in denen diejenigen, die genau hinschauten, Empfindsamkeit und Verletzlichkeit entdeckten. Sie überspielte das mit Humor, Aufmüpfigkeit und der Fähigkeit, Menschen mit bohrenden Fragen zu verunsichern. Sie war der bunteste unter den bunten Berliner Szenevögeln. Stefan, mit seinem kleinbürgerlichen Background, genoss die Abstrahlung dieser schillernden Frau, die jede Gesellschaft schmückte. Er liebte sie und bastelte gleichzeitig unermüdlich an seiner Karriere. Er wollte es sich, der Welt und vor allem seiner schönen Ehefrau beweisen. Zielstrebig steuerte er das Kanzleramt an, Staatssekretär für Kultur und Medien. Der Aufstieg führte über eine Parteizugehörigkeit, zumindest half das Parteibuch. Stefan hatte sich für das der SPD entschieden, bereits in Studentenzeiten.
»Links sein gehört zu meiner DNA. Ich bin in kleinen Verhältnissen aufgewachsen, ich weiß, wie es den kleinen Leuten geht.« So sprach er, während er sich bei Borchardt in der Französischen Straße ein paar Austern servieren ließ, natürlich auf Kosten des Steuerzahlers. »Ich werde in meinem ganzen Leben für eine gerechtere Welt kämpfen«, dozierte er, während die Auster seinen Hals hinunterrutschte. »Und du gehörst zu uns«, versuchte er seine Frau zu überzeugen, »nicht qua Geburt, aber dein Gewissen ist links verortet.«
»Die Linken wollen keine gerechte Welt, sie wollen eine Welt, in der sie Recht haben«, hatte Claudia sich gegen die Vereinnahmung gewehrt. »Und vor diesem Schlagwort der sogenannten >kleinen Leute< gruselte es mich. Deutschland, ein Volk der >kleinen Leute<, erinnert mich an Heinrich Manns Untertan.«
Stefan gelang der Sprung ins Kanzleramt.
Die Haarrisse wurden breiter und waren nicht mehr nur Haarrisse. Claudia tröstete sich mit einigen Affären. Stefan schaute weg oder merkte es nicht. Er liebte sie weiter. Sie brauchte ein paar Monate in der deutschen Hauptstadt, um zu erkennen, wie träge und zäh, wie entpolitisiert und totgemerkelt ihr Heimatland war. 16 Jahre Merkel hatte wie ein Sedativ auf die Bürger des Landes gewirkt.
Sie lernte Sandro Farinesi kennen. Was für ein verrückter Typ, Lebemann, Hasardeur. Die erste Hälfte seines Lebens hatte er als Bonvivant durchtänzelt, sich als Klatsch-Journalist bei einem Boulevard-Blatt durchgeschlagen, was ihn finanziell über Wasser hielt. Für alle darüber hinaus gehenden Kosten kamen Freunde auf, die sich gern mit dem unterhaltsamen italienischstämmigen Grafen amüsierten. Viele schmückten sich mit dem lässigen weltläufigen Conte. Farinesi lebte in Berlin vom Tratsch in der Politszene. Es war erstaunlich, wie offenherzig sich selbst hochrangige Politiker ihm gegenüber äußerten, wissend, dass ihre Plaudereien am nächsten Tag in der Zeitung verwurstet wurden. Manches Geheimnis erfuhr er in den Betten von einsamen Politikergemahlinnen oder Staatssekretärssekretärinnen. Manchmal fiel Farinesi kurzzeitig in Ungnade, aber - oh Wunder - bald tauchte er wieder auf in Begleitung der Politiker, die er gerade durch den Kakao gezogen hatte. Eines Tages war eine Veränderung mit dem Hallodri vor sich gegangen, ausgelöst durch den Tod einer guten Freundin, einer Gräfin Bentlow, angeblich ein Skiunfall. Man munkelte viel in Berlin: die Frau sei ermordet worden, sie sei dem Kanzler zu nahegekommen. Nachweisen konnte man dem Regierungschef nichts. Nun war Berlin, was Tratsch anging, ein Dorf, oder wie Sandro behauptete: »Die Welt ist ein Dorf und Berlin ist die Kneipe.« - Fakt war, dass der Kanzler einige Zeit später seinen Hut nehmen musste. Man hatte ihm eine Verwicklung in ungenehmigte Waffengeschäfte nachgewiesen. Sandro war involviert in diesen Skandal. Welche Rolle er gespielt hatte, wusste keiner genau, man spekulierte, klatschte und verdächtigte. Es war das, was Claudia auf dem Berliner Parkett zugeraunt bekam.
Claudia war Sandro öfter in der Bundespressekonferenz begegnet. Sie waren Kollegen, beide unabhängig genug, um die wirklich kritischen Fragen zu stellen. Manchmal preschte Sandro vor, manchmal war es Claudia, die den Regierungssprecher mit bohrenden Fragen nervte.
2019 trafen sie sich auf dem Bundespresseball. Großer Auftrieb im Hotel Adlon. Der Ball war nach seinen Hochzeiten in Bonn auch in Berlin ein großes...
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