Schweitzer Fachinformationen
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Der Flug zu meinem ersten Einsatz landete mit zwei Stunden Verspätung. Am Flughafen in Rom erwartete mich am Ausgang des Terminals ein Fahrer mit schwarzem Anzug und Sonnenbrille. Das Schild mit meinem Namen hielt er am schlaff hängenden Arm. So stand er kopf. Wie mein Leben.
»Dr. Friedl?«, fragte er.
Mein freundliches Nicken erwiderte er mit einem genervten »Madonna Misericordia!« - Barmherzige Maria! -, drehte sich um, rief mir über die Schulter »Come!« zu, komm, und eilte voraus in die Tiefgarage.
Im Weiteren schwieg er, was mir gerade recht war, so konnte ich während der rasanten Fahrt in einem Kleinbus im Ferrari-Modus durch die Hügel der sonnigen italienischen Provinz meinen Gedanken nachhängen und der großen Frage: Was würde mich erwarten?
Hinter einer Bergkuppe erschien das Mittelmeer wie ein weit ausgebreiteter blauer Mantel, auf dessen Oberfläche schimmernde Wellen leichte Falten warfen, in die eine strahlende Sonne leuchtende Glitzersteine hineinwob. Ich empfand eine tiefe Freude ob dieses Wiedersehens, und es war genauso wie beim ersten Mal. Damals fuhr ich, gerade achtzehn Jahre alt und frisch verliebt, mit meiner Freundin in einem klapprigen Ford Fiesta nach Kroatien. Das Meer und ich . es war Liebe auf den ersten Blick, eine Beziehung, die bis heute anhält, und sie ist auch meine längste.
Einen groben Kontrast zu seiner blauen Erhabenheit und Schönheit bildete Civitavecchia, auf Deutsch »alte Stadt«, der wir uns nun näherten. Von alt war nichts zu sehen. Wie mir schien, hatte sie sich in der Neuzeit zu einer außerordentlich hässlichen Industrie- und Hafenstadt entwickelt. Dass ich hier eines Tages mein ganz persönliches Wunder erleben sollte, davon ahnte ich nichts. In einem zähen Strom aus Lastwagen und Bussen quälten wir uns vorbei an gewaltigen Gas- und Erdöltanks und schoben uns schließlich im Schritttempo über eine gigantische Betonpier von mehreren Kilometern Länge. Ein absurd hässliches Bollwerk aus Stahl und Zement, das den Hafen gegen das Tyrrhenische Meer abschirmt und dessen Mauer so hoch ist, dass sein blauer Glanz überhaupt nicht mehr zu sehen war. Im Inneren des Hafenbeckens festgemacht, lagen hintereinander acht »Raumschiffe« aus Stahl und Glas, so erschienen mir diese futuristischen schwimmenden Giganten. Wie Satelliten des Raumschiffs Erde, startklar aufgereiht in einem Weltraumbahnhof. Am Bug eines ozeanblauen Schiffs, das sich vergleichsweise zierlich im Vergleich zu den anderen Megapötten ausnahm und fast ein bisschen old fashioned erschien, stand in geschwungener Schrift: Mein Schiff 1. Eine elegante Lady alter Schule, weniger protzig, elegante Decks und ästhetische Linien, gekleidet Ton in Ton mit der Farbe des Meeres an diesem Tag. Ich fand sie auf Anhieb . schön! Während andere Schiffe lediglich den Schiffsnamen auf der Außenhaut trugen, zierten sie etliche Tattoos in Schreibschrift, von denen ich im Vorbeifahren einige erhaschte: Meerblick, Erlebnisse, Horizonte, Neuland, Erlebnisse . und Gelassenheit. Sie klangen wie ein Versprechen.
Mein schweigsamer Fahrer wendete scharf, stoppte, stieg aus, wuchtete meine Reisetasche aus dem Kofferraum, knallte sie auf die Pier, wies mit dem Kopf diffus Richtung Schiff und sagte »Go«. Dann brauste er davon. Wie bestellt und nicht abgeholt, stand ich auf dem Kai. Ich hatte Menschenmassen erwartet, doch alles, was sich vor der Mein Schiff 1 tummelte, war ein einsames Partyzelt. Darunter zwei Beine. Beim Näherkommen erkannte ich, dass sie zu einem Wachmann gehörten, der im Schatten hinter einem Pult döste. Ich fühlte mich wie in einem Italowestern. Es war früher Nachmittag und bestialisch heiß, die Luft flimmerte auf dem trostlosen Betonfundament. Hätte dieser Sheriff einen Cowboyhut aufgehabt und auf einer Mundharmonika die einsame Melodie des Liedes vom Tod gespielt, es hätte mich kein bisschen gewundert. War es meine überbordende Fantasie, die diesen alten Kinohit auf die Leinwand in meinem Gehirn zauberte, oder begann ich aufgrund von Wassermangel zu halluzinieren? Viel getrunken hatte ich noch nicht heute, die Zunge klebte mir am Gaumen.
Zögernd betrat ich das Partyzelt, langsam öffnete der Sheriff ein Auge. Ich wusste nicht, dass ich seine heilige Mittagsruhe störte, dass es auf dem Schiff eine inoffizielle Offiziersruhe gibt, in deren Schatten sich auch Nichtoffiziere gern entspannen. Die Arbeitstage beginnen für viele Crewmitglieder früh und dauern oft bis weit nach Mitternacht. Da braucht es eine anständige Mittagspause.
»Passport!«, forderte der Sheriff. Ich kramte ihn aus dem Handgepäck, er suchte meinen Namen in einer Liste. Anstelle eines Colts zog er mit der linken Hand einen Scanner aus seinem Gürtel und checkte mich ein. Mit der schnellen Rechten zückte er von der anderen Gürtelseite sein Handy, »jetzt doppelt bewaffnet«, plapperten meine trockenen Gehirnzellen, und sagte mit heiserer Stimme zu irgendwem: »The new Doc arrived«, der neue Doc ist da. Mich wies er an: »Wait«, warte.
Der Schweiß rann mir vom Nacken den Rücken hinab. Ich war völlig falsch gekleidet mit weißem Hemd und blauem Anzug und fühlte mich wie abgestandenes Kompott, das in der Hitze langsam zu gären anfing. Der Wachmann hatte sich wieder gesetzt, ließ mich nun allerdings trotz gesenkter Lider nicht mehr aus den Augen. Lag es daran, dass ich seiner Wasserflasche begehrliche Blicke zuwarf?
»Wo sind die Gäste?«, fragte ich ihn linkisch, um unser Kennenlernen ein bisschen aufzulockern. Er wies mit dem rechten Arm in eine unbestimmte Richtung hinter sich: »Roma«, das verstand ich. Das nachgeschobene »Aeroporto« bestand fast nur aus einem grollend gerollten R.
Unsere zarte Unterhaltung war damit wohl beendet. Da ich selbst kein Freund von großen Worten bin und chirurgisch-knappe Kommunikation bevorzuge, war mir das gerade recht, und ich nutzte die Gelegenheit, mich auf der Pier umzusehen.
Etwas weiter vorne hievte ein Kranwagen von fünf aufgereihten Sattelschleppern Stahlcontainer herunter, aus denen wiederum Gabelstapler emsig aufgetürmte Paletten herausholten und sie flink umeinander kurvend in der faszinierenden Choreografie eines Ameisenhaufens in die seitlichen Öffnungen der Mein Schiff 1 bugsierten. Ob da wohl was zu essen drin war? Allmählich meldete sich auch mein Magen, und ich fühlte mich nicht nur overdressed und ausgetrocknet, sondern auch unterzuckert.
Nach etwa zwanzig Minuten, in denen ich stehend saunierend dieses Spektakel beobachtete, kam eine junge Frau in Uniform mit zwei silbernen Streifen auf den Schultern zu mir. Crew Admin stand auf ihrem Namensschild in Brusthöhe. Ich reimte mir zusammen, dass sie der Personalabteilung des Schiffs angehörte.
»Hallo, du bist der neue Doc, richtig?«
Ich nickte.
»Ich bin Barbara, komm mit«, war ihre knappe Ansage, dann drehte sie sich ruckartig um 180 Grad und hastete über die Gangway aus Edelstahl zurück aufs Schiff. Ich versuchte, ihr zu folgen, was bei ihrem Tempo und mit der schweren Reisetasche, die ich hinter mir herschleppte, eine Herausforderung war. Ein freundliches Willkommen stellte ich mir anders vor, und zarte Zweifel beschlichen mich, ob meine Entscheidung, hier anzuheuern, richtig gewesen war. Würde die Mein Schiff 1 mein Schiff werden, oder war das Unternehmen Schiffsarzt dem Untergang geweiht?
Bevor ich endgültig das Schiff betrat, blieb ich für einen Moment stehen, sah an der steil über mir aufragenden Bordwand hoch und überlegte, ob ich umdrehen und gehen sollte. Vermutlich würde mir der Wachmann nicht in den Rücken schießen. Bei diesem Gedanken musste ich lächeln, ich fand das irgendwie witzig, und es half. Humor hilft fast immer.
Mit einem beherzten Schritt betrat ich das Schiff und landete in einer Art Vorraum. Barbara wartete nervös trippelnd, umwölkt von den ähnlich genervten Auren des Taxifahrers und des Wachmanns, und wuchtete dann energisch und mit vollem Körpereinsatz eine schwere Stahltür auf. Ich stand am Beginn eines endlos langen Korridors aus Stahl. Eine heftige Welle intensiver Gerüche brandete an meine Nasennerven, ein Gemisch aus Essen, chemischer Reinigung, den Völkern der Welt und Wagenschmiere. Türkisblaues Wasser und Tropenparadies duften anders. Hier dominierte olfaktorisch der Geruch harter Arbeit.
Im Schlingerkurs umschiffte ich Menschen vielerlei Hautfarben und Ethnien, die mir in turbulentem Gegenverkehr entgegenschwappten, während ich Barbara stromaufwärts folgte. Sprachen vieler Damen und Herren Länder vereinten sich zu einem kakofonen Grundrauschen und hallten vielfach von den Stahlwänden wider. Mir schien, ich hatte die große Weltenstraße betreten, bevölkert von Arbeitern im ölverschmierten Overall, Akrobaten und Artisten in Paradiesgewändern, Servicekräften in adretten Uniformen, dazwischen vereinzelt Offiziere in makellosen Hemden, deren Schultern mit Gold- und Silberstreifen dekoriert waren. Im Strom der vielen Eiligen flockten kleine Gruppen in Freizeitkleidung und Flipflops an den Füßen aus, die im Schlendergang langsam groovend in seitlichen Fluren verschwanden, die Namen trugen wie Orchid Road oder Millerntor und die ethnische und sprachliche Diversität auf diesem Schiff widerspiegelten. Am liebsten wäre ich selbst geflipflopt und hätte mir alles ganz genau angeschaut. Mit staunenden Kinderaugen drehte ich den Kopf in alle Richtungen und rannte frontal in Barbaras Rücken, die stehen geblieben war. Prüfend sah sie mich an, dann lächelte sie das erste Mal, als ahnte sie, was in mir...
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