Schweitzer Fachinformationen
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Frausein ist eine Daueraufgabe.
Geld, Energie, Zeit, Macht - von Frauen wird mehr verlangt.
Eine pointierte Analyse, die zeigt, wie es gerechter gehen könnte. Frauen verdienen weniger und zahlen mehr: für Produkte und Dienstleistungen, die speziell für Frauen vermarktet werden, für Menstruation und Verhütung, für Geburten und für Care Arbeit. Doch das ist längst nicht alles. Die patriarchalen Strukturen verlangen Frauen noch ganz andere Mehrkosten ab: Zeit, Einfluss, Energie. Diese Schieflage muss behoben werden.
Lea Joy Friedel analysiert die gesellschaftlichen Verhältnisse messerscharf und mit Humor, erzählt von Fallstricken, Erfolgen und vom Backlash. Sie wischt den Staub von den Strukturen und zeigt, was es braucht für eine faire Arbeitsteilung und eine gerechte Gesellschaft für alle.
Die Zeit, in der ich im Kindergarten arbeitete, brachte mir so einige Sinnkrisen ein. Zum ersten Mal erlebte ich, wie Kinder von Erwachsenen auf eine Geschlechtsidentität gepolt werden. Und vor allem merkte ich, wie unsere eigenen Überzeugungen sich durch Lernmuster in den Köpfen der Kinder einpflanzten.
Wir Erzieher*innen programmierten die Kinder täglich mit unserer Sprache und belohnenden Worten für geschlechtsspezifisches Auftreten. Obwohl ich mir darüber bewusst war, tat ich mich schwer, mich anders zu verhalten. Kam ein Mädchen mit einem neuen Kleid oder einer schönen Frisur morgens an, sagten wir: "Du siehst aber süß aus", "Was für ein schönes Kleid" und "Wie eine Prinzessin". Wir hoben unsere Stimmen, um weich zu klingen, während wir bei Jungs tiefere und aggressivere Töne anklingen ließen, wenn wir bemerkten "cooles Shirt", "fetzige Frisur" und "ein richtiger kleiner Mann".
Als ich eines Tages neben ein paar der Mädchen auf dem Spielplatz saß und diese wieder Pläne gegen die Jungen ausheckten, fragte ich eins von ihnen: "Woher weißt du denn, dass du ein Mädchen bist?"
"Mädchen haben lange Haare", entgegnete mir die fünfjährige Emma spontan.
" Jungs können aber doch auch lange Haare haben", wandte ich ein.
Sie überlegte. Dann nickte sie und sagte: "Aber Mädchen haben eine Scheide."
Ihre Definition schien auf den ersten Blick recht eindeutig. Im Gegensatz zu Emma konnten so einige Kinder aus dem Kindergarten, in dem ich arbeitete, nicht beantworten, warum sie sich abgesehen von der Länge ihrer Haare einem gewissen Geschlecht zuordneten. Trotzdem war ihnen ihre Geschlechtszugehörigkeit enorm präsent und wichtig für alle möglichen Tätigkeiten, sogar unabdingbar für die ganz persönliche, individuelle Identität. Sie spielten täglich das Spiel "Mädchen gegen Jungs", bei dem sie sich in nach Geschlecht geordneten Gruppen gegenseitig ihre Kräfte bewiesen. Abgesehen davon spielten Mädchen fast nur mit Mädchen und Jungs fast nur mit Jungs, und das bereits im Alter von zwei bis fünf Jahren. Selbst wenn hin und wieder ein Junge und ein Mädchen Gemeinsamkeiten feststellten, was Herkunft, Sprache oder Spielpräferenzen anbelangte, waren sie doch nie so richtig enge Freunde. Ich weiß, dass es auch andere Beispiele gibt. Aber speziell bei meiner Gruppe fragte ich mich, was das Geschlecht so elementar bedeutend macht, dass es alle von uns in zwei Kategorien spaltet.
Nirgendwo zeigte sich mir die frühe Programmierung auf binäre Geschlechteridentitäten so deutlich wie in der Kommunikation mit unseren Kindern.
Kein Mädchen wurde je "kleine Frau" von uns genannt, aber jeder Junge "kleiner Mann". Ein Mädchen wird kleingehalten und für gutes Aussehen belohnt. Ein Junge wird künstlich groß gemacht und soll schon früh sportliche Leistungsfähigkeit beweisen oder cool sein, also wortwörtlich "kühl sein". Er soll möglichst bald alles verlieren, was weich, niedlich oder lieb wirken könnte. Denn diese Eigenschaften werden, wie alle Abweichungen von den genannten Erwartungen, je nach individuellem Lebensumfeld früher oder später bestraft.
Binäre Geschlechtsmodelle werden auf Menschen angewendet, um sie zu unterscheiden und zu klassifizieren. Männer repräsentieren in vielen Sprachen den Menschen selbst, zum Beispiel im Französischen, in dem l'homme sowohl den Mann als auch den Menschen bezeichnet. Frauen werden immer geschlechtlich markiert wahrgenommen, Männer jedoch als der Standard, quasi als das Mensch-Modell. Frauen sind das Partikulare, das sich am Mann, am Universellen messen lassen muss und das durch die Abweichung davon definiert wird.1
Dieses binäre Klassifikationssystem schließt alles aus, was sich außerhalb der jeweiligen geschlechtlichen Strukturen befindet. Menschen, die nicht eindeutig zugeordnet werden können, fliegen aus der binären Matrix raus. Dabei geht es nicht nur um körperliche Unterschiede. Judith Butler unterscheidet in ihrem Buch Das Unbehagen der Geschlechter das soziale Geschlecht (gender) vom biologischen Geschlecht (sex).2 Sie wollte in ihrer Untersuchung herausfinden, wie es weltweit zu einer patriarchalen Machtstruktur der Repression und Ungerechtigkeit kam.
Die kulturellen Normen für das vermeintlich typisch weibliche oder männliche Verhalten entstehen lediglich durch einen gesellschaftlichen Konsens, der durch Rituale und performative Äußerungen immer wieder aufs Neue hergestellt wird. Durch Sprache formen und interpretieren wir unsere Realität, sie ist ein entscheidender Faktor, um dem Individuum seine Rolle im Kollektiv zuzuweisen. Dadurch, dass wir manche Dinge tun oder nicht, zum Beispiel dass wir als Frau Lippenstift tragen und uns die Nägel lackieren als Mann aber nicht, bestätigen wir immer wieder die Rituale, auf denen unsere binäre Realität aufbaut. Das soziale Geschlecht ist demnach ein Konstrukt, das auf diesen Traditionen, Verhaltensweisen und Sprachkonventionen basiert. Das Individuum ist dem normativen Körperbild sowie den akzeptierten Geschlechterrollen ausgeliefert, weil es die Grenzen des kulturell definierten Korsetts nicht oder zumindest nicht ohne gesellschaftliche Missachtung sprengen darf. Das kann man an prominenten Verstößen gegen die Erwartung an Geschlechterrollen sehr gut beobachten. Wenn beispielsweise ein Fußballstar offen homosexuell ist, führt das bei einem Großteil der Öffentlichkeit zu Verwirrung, Ablehnung oder gar Hass. Das bedeutet, gesellschaftlich festgelegte Geschlechterrollen sind für jeden Menschen eine Art Verhaltensregel, damit wir sozial akzeptiert werden.
Meist wird das soziale Geschlecht des Kindes bereits vor der Geburt bestimmt, wenn sich das biologische zu erkennen gibt. Dem Fötus wird daraufhin sofort die zukünftige Geschlechterrolle zugeschrieben, gespickt mit toxischen Erwartungen, Hoffnungen und Anforderungen. Kleidung und Spielzeug werden nach geschlechtsspezifischen Vorstellungen ausgewählt, was Farbe und Interessengebiet angeht. Zudem wird anhand des Geschlechts über zukünftige Verhaltensweisen des Kindes fantasiert. Eltern melden ihre männlichen Neugeborenen in Fußballclubs an und kleben den weiblichen Babys Schleifen an den Kopf.
Nach Butler wäre jedoch die Aussage "Es ist ein Mädchen!" bei der Geburt eines Kindes kein Fakt, der zu diesem Zeitpunkt wahr oder falsch sein kann. Der Begriff "Mädchen" ruft einen Strauß an Verhaltensnormen und gesellschaftlichen Erwartungen auf, deren Erfüllung noch aussteht. Er hat damit also eine traditionell-kulturelle Bedeutung und muss erst performativ erfüllt werden. Natürlich leugnet Butler nicht, dass es biologische Geschlechtsmerkmale gibt, die bei den meisten Menschen eindeutig männlich oder weiblich sind. Der wichtigere Punkt hier ist, dass die Einteilung in binär-geschlechtliche Kategorien eine Reihe von Pflichten und Verboten aufruft, die bereits Babys aufgezwungen werden.
Während ich das schreibe, befindet sich die Gesellschaft schon längst wieder auf einem regressiven Kurs, der sich von Butlers kritisch hinterfragender Philosophie Ende des letzten Jahrhunderts abwendet und sich erneut an die klassisch-traditionellen Rollenbilder klammert.
Ich kenne viele Leute in meinem Umfeld, die immer noch behaupten, dass sich die Geschlechter von Geburt an in ihren Voraussetzungen so stark voneinander unterscheiden, dass nicht nur der Körper, sondern auch das gesamte geschlechtstypische Sozialverhalten vorprogrammiert ist.
Seitdem ich selbst Kinder habe, merke ich, wie häufig Leute Geschlechteridentitäten auf Ungeborene, Säuglinge und Kinder projizieren. Wenn meine Töchter ihre geliebten rosafarbenen Prinzessinnenkleider anziehen, höre ich immer wieder, dass sie ja typische Mädchen seien. Wenn sie ihre Dino- und Pirat*innenkostüme tragen, wird nichts dazu gesagt oder es herrscht häufig sogar eine seltsame Stille. Es ist, als würde es diese Leute beruhigen, wenn sich Kinder den Erwartungen anpassen, die ihrem biologischen Geschlecht entsprechen. Alles andere wird als der Samen für Verwirrung, Chaos und Anarchie bewertet.
Der Kapitalismus profitiert von diesen Denkmustern und bietet geschlechtsspezifische Kleidungsstücke und Spielzeuge an. Gerade das Angebot für Kinder wird brutal nach Geschlecht sortiert und organisiert ganze Abteilungen stereotyp nur für Jungen und Mädchen. Irgendwann hat die Industrie Kinder als Mittel zum Profit erkannt und den Konsumwillen wohlmeinender Eltern ausgenutzt, wodurch er sich noch potenziert hat. Denn die Unterteilung der Baby- und Kleinkindprodukte in männlich und weiblich hat den Markt verdoppelt. Inzwischen gibt es sogar Bikinis für Babys und Kleinkinder sowie Tangas für achtjährige Mädchen. Der Bikini soll primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale verdecken. Dabei ist er zugleich eine Dezimierung des Badeanzugs, damit mehr Haut gezeigt wird. Bikinis kennzeichnen die Babys und Kleinkinder also nicht nur als weiblich, sondern sexualisieren ihre Körper, schon weit bevor die körperliche Transformation durch die Pubertät beginnt.
Rosa und Blau sind an sich nicht das Problem, solange sie kein Muss sind, sondern eine Option bleiben, solange über die stereotype Farbzuteilung reflektiert wird und man die Farbwahl nicht am biologischen Geschlecht festmacht. Im Endeffekt geht es nie um Farben und Kleidung, sondern um die Basis, auf der Entscheidungen getroffen werden. Entscheide ich mich für oder gegen Rosa, weil ich will oder weil...
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