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Ein Zufallsbefund (engl.: incidental finding, incidentaloma) in der Medizin ist eine Normabweichung (nicht Normvariante!), die bei einer klinischen, laborchemischen, humangenetischen, radiologischen oder anderen Untersuchung eines Patienten entdeckt wird, die aus nicht mit der Normabweichung zusammenhängenden Gründen indiziert war.
Letztlich muss bei den vielen heute zum Einsatz kommenden hochsensitiven, aber oft niedrig spezifischen Untersuchungsverfahren, zwangläufig mit "Zufallsbefunden" gerechnet werden, die nicht die ursprüngliche klinische Fragestellung beantworten. Deshalb wird von verschiedenen Autoren vorgeschlagen, statt des Begriffs "incidental finding" den Begriff "unsolicited finding" zu benutzen, was so viel bedeutet wie "ungesuchter" oder "nichtgesuchter", "unerwünschter" oder "ungebetener" Befund (Hastings et al. 2012 ? [3]). Dahinter steckt u.a. die Überlegung, dass Zufallsbefunde auch einen Krankheitswert haben können und damit zwangsläufig Fragen des Umganges mit ihnen aufwerfen (Beispiel: Entdeckung von klinisch asymptomatischen, aber metastasenverdächtigen Herden im Skelettszintigramm oder im Ganzkörper-MRT oder -CT).
Mit der Problematik ungebetener Befunde werden heute ganz besonders diejenigen medizinischen Disziplinen konfrontiert, die über ein großes methodologisches Arsenal verfügen. Dazu gehört neben der diagnostischen Radiologie insbesondere die Humangenetik, die immer größere Genomabschnitte mehr oder weniger routinemäßig sequenziert (next generation sequencing, NGS). Es verwundert nicht, dass man sich gerade in der letztgenannten Disziplin mit ethischen Fragen von "unsolicited findings" kritisch auseinandersetzt (Rigter et al. 2013 ? [5]).
In den meisten Fällen sind Zufalls-oder unerwünschte Befunde ohne klinische Bedeutung, d.h. ohne Krankheitswert. Wenn ihnen aber ein Krankheitswert zukommt, kann es aus semantischer Sicht besser sein, sie als Nebenbefunde (z.B. Fall 70, Kap. ? 6.9) zu bezeichnen. Manchmal werden aus Nebenbefunden allerdings auch Hauptbefunde.
In dieser der Skelettradiologie gewidmeten Monografie wollen wir aber traditionell sowohl ungebetene Befunde als auch Nebenbefunde unter dem Oberbegriff Zufallsbefunde subsumieren, was wir mit ihrem Entstehungsweg begründen: Sie werden in der Regel als asymptomatische Befunde zufällig bei einer radiologischen Untersuchung entdeckt.
Hinter Zufallsbefunden können
benigne Knochentumoren und tumorähnliche Läsionen,
Erkrankungen im Frühstadium,
Teile einer systemischen Erkrankung,
ungewöhnliche Normvarianten und vieles mehr stecken.
Zusammenfassend betrachtet definieren wir in diesem Buch einen skelettradiologischen Zufallsbefund folgendermaßen:
Ein Zufallsbefund ist eine nicht erwartete klinisch asymptomatische Normabweichung, die bei einer radiologischen Untersuchung eines Körperabschnitts aus nicht auf die Normabweichung bezogener Indikation entdeckt wird.
Von Berland et al. ? [1] wurde im Zusammenhang mit Zufallsbefunden bei der CT des Abdomens 2010 folgende Definition gegeben:
Incidental findings are "defined as findings that are unrelated to the clinical indication for the imaging examination performed."
Wenn man nun bei einer radiologischen Untersuchung aus anderem Grund einen nicht erwarteten Zufallsbefund entdeckt, der zu der Untersuchungsindikation zunächst keine Beziehung hat, ist dies ein Zufallsbefund. In dieser Situation sollten die ersten Fragen an den Patienten sein:
Ist Ihnen dieser Befund bekannt? Wenn ja, wie lange besteht er schon?
Wo sind Voraufnahmen zu bekommen?
Haben Sie von Seiten des Befunds Beschwerden und welche?
Es gibt insbesondere bei Knochentumoren und tumorähnlichen Läsionen erfahrungsgemäß Bilder unterschiedlicher Entitäten, die sich ähneln, ja manchmal fast identisch (isomorph) sind. So kann z.B. ein niedrig malignes Chondrosarkom (sog. atypisches Chondrom) in einem Röhrenknochen ein nahezu gleiches Röntgenbild (RÖ) oder CT hergeben wie ein harmloses Chondrom (s. Fall 96, Kap. ? 7.6). Die entscheidende Weichenstellung erfolgt allein über die Klinik:
Ist der Patient von der Läsion her symptomatisch, dann besteht der dringende Verdacht auf ein Chondrosarkom Grad I und es muss operativ behandelt werden.
Ist der Patient asymptomatisch, dann liegt ein Chondrom vor und der Fall ist abgeschlossen oder es wird ggf. eine Kontrolle empfohlen.
Grundsätzlich hat ein Patient ein Recht darauf zu erfahren, was der Radiologie bei einer Untersuchung gefunden hat. Man sollte aber andererseits wissen, dass der Patient grundsätzlich auch ein Recht darauf hat, es nicht zu erfahren (nach dem Motto: "Ich will das gar nicht wissen."). Der Radiologe kann sich nun an den zuweisenden Kollegen wenden, der den Patienten eventuell besser kennt und damit ggf. "berufener" ist, dem Betreffenden die radiologischen Befunde und Zufallsbefunde mitzuteilen und zu erklären. Das setzt allerdings voraus, dass der Kollege ausreichende Kompetenz besitzt, was im Falle eines skelettradiologischen Zufallsbefunds, z.B. von einem Internisten oder Allgemeinmediziner nicht unbedingt erwartet werden kann.
In der täglichen Praxis will der moderne und "aufgeklärte" Patient jedoch erfahrungsgemäß vom Radiologen informiert werden. Insbesondere, da er weiß oder sich denken kann, dass der Radiologe die Sicherheit und Bedeutung seiner diagnostischen Aussage besser kennt als ein nichtradiologischer zuweisender Kollege. Doch wieviel darf oder muss der Radiologe dem Patienten über einen Zufallsbefund sagen, wobei zu bedenken ist, dass eine "überladene" Aufklärung den Patienten verwirren und verängstigen kann? In jedem Fall sollte er den Patienten so informieren, dass dieser "internetsicher" ist, d.h. nicht durch oft oberflächliche oder gar falsche Informationen, die er später über seinen Zufallsbefund im Internet recherchieren kann, verwirrt wird. Schließlich kann von einem Nichtmediziner nicht erwartet werden, dass er das versteht, wozu der Arzt ein Studium von 6 Jahren und eine Facharztweiterbildung von weiteren 5 Jahren braucht!
Die folgenden Beispiele sollen diesen Balanceakt zwischen einer angemessen umfassenden Information des Patienten und einer "Panikmache" näher erklären:
Bei einem onkologischen Patienten wird anlässlich von Staging-Untersuchungen in einem Ganzkörper-MRT oder über ein Ganzkörperskelettszintigramm ein klinisch asymptomatisches Enchondrom in einem Femur entdeckt. Dazu muss man wissen, dass dies keine Rarität ist, sondern dass z.B. bei magnetresonanztomografischen Kniegelenksuntersuchungen in ca. 3% der Fälle ein Enchondrom als reiner Zufallsbefund im Femur gefunden wird, was es in die Nähe einer Normvariante rückt. Andererseits besitzen Enchondrome mit einem Längsdurchmesser von 3-7cm eine Wahrscheinlichkeit zu einer späteren malignen Transformation (in ein niedrig malignes Chondrosarkom) von 2-3%, bei einem Längsdurchmesser von 8-15cm von ca. 5% ? [2]. Für den Einzelfall besagen diese statistischen Aussagen natürlich nicht viel, doch was soll man dem Patienten nun sagen? Das wiederum hängt von seiner psychischen und intellektuellen Konstitution sowie seinem Alter ab:
Einem jüngeren ängstlichen Patienten (unter 40-45 Jahre) sollte der Radiologe empfehlen, sich den Tumor von einem erfahrenen orthopädischen Chirurgen auskürretieren zu lassen. Damit ist das Risiko einer späteren malignen Transformation weitestgehend aufgehoben.
Einem nicht ängstlichen Patienten kann hingegen empfohlen werden, den Tumor in 2 bis 3-jährigen Abständen klinisch-radiologisch zu kontrollieren. Der Radiologe sollte den Patienten auch darauf hinweisen, dass ein evtl. auftretender, belastungsunabhängiger Schmerz in der Tumorregion ein Alarmsignal ist und dass eine maligne Transformation nicht bedeutet, dass der Tumor metastasieren kann. Denn die Transformation erfolgt in der Regel in ein niedrig malignes Chondrosarkom (aktuelle Nomenklatur: atypisches Enchondrom), also einen Knochentumor, der nur ein lokales Problem darstellt.
In jedem Fall sollte der Radiologe den Patienten einem orthopädischen Chirurgen vorstellen, der...
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