Schweitzer Fachinformationen
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"HERR REIMER ZUR Information. Herr Reimer bitte."
Mit einem leisen Knacken verabschiedete sich die weibliche Stimme aus den Lautsprechern und machte wieder der typischen Berieselungsmusik Platz, die sie den ganzen Tag über spielten, bis der letzte Kunde Balkos Baumarkt mit einer Packung Dübel oder einem Sack Blumenende unter dem Arm verlassen hatte. Das war meist kurz nach zwanzig Uhr.
Bis dahin dauerte es allerdings noch. Wenn es nach Hannes ging, war das noch viel zu lange hin.
Hannes war Herr Reimer. Zumeist von halb acht in der Früh bis oftmals zwanzig Uhr am Abend. Danach wurde aus Herrn Reimer wieder Hannes. Ein ziemlich einfaches Prinzip, wenn man so wollte. Aber es war nicht immer einfach. Weder für Hannes noch für Herrn Reimer.
Die Durchsage hatte Annika gesprochen. Hannes versuchte schon seit geraumer Zeit, sie ins Bett zu bekommen. Aber sie zierte sich. Warum, wusste er nicht. Sie lebte allein. Vermutlich stand sie auf Frauen. Was für eine Vergeudung.
Seine Gedanken gingen durcheinander, als er sich in Bewegung setzte. Ein Kunde (älterer Mann mit Lesebrille, die ganz am Rand seiner Nasenspitze saß) versuchte ihn aufzuhalten. Der Kerl wollte sogar so weit gehen, ihn am Ärmel seines roten Baumarkt-Hemds zu zupfen, doch Hannes gelang es, einen Haken zu schlagen und dem Mann auszuweichen. Spießrutenlauf.
Auf halbem Weg kam ihm Kerstin entgegen. Ein halbes Jahr von ihrem Mann getrennt, zwei Kinder, von denen sie viel und oft erzählte und deren Namen sich Hannes vermutlich nie würde merken können. Er wusste nur, dass beide mit einem J anfingen.
"Nörgel-Seyfarth steht an der Info", sagte sie im Vorbeigehen. Sie drehte sich um, ihre dunklen Korkenzieherlocken wirbelten durcheinander. "Der sieht aus, als würde er dich grillen wollen. Viel Spaß, Reimer."
Sie drehte sich um und verschwand aus Hannes' Leben. Für immer. Nur wusste er das da noch nicht. Im Grunde war es auch nicht weiter wichtig. Bloß eine Randnotiz mitten im Strudel der Ereignisse, die kurz bevorstanden.
Hannes schwitzte. Das leichte Kopfdrücken, mit dem er heute Morgen schon viel zu früh aufgewacht war, hatte sich zu einem Dröhnen entwickelt, das inzwischen mit der Härte eines Schlagbohrers auf ihn einhämmerte (Abteilung Elektrogeräte, zweiter Gang links. Danke.)
Drei Aspirin, die er kurz nach der Mittagspause mit einem Eiersalat-Sandwich zu sich genommen und mit kaltem Kaffee runtergespült hatte, waren wirkungslos in seinen Eingeweiden verpufft.
Aus einiger Entfernung erkannte er den Informationstresen. Daneben befand sich der Aktions-Aufsteller mit dem Grillzubehör. Spieße, Gabeln, Grillzangen, Anzünder (fest und flüssig), sowie die ganze Palette an Einweg-Plastikschrott und Papierservietten. Die Krönung der Sonderaktion war die lebensgroße Pappfigur, die Lutz Nagel ins Leben gerufen hatte und die deswegen auch Lutz Nagel zeigte, in alberner Grillschürze vor dem neusten Gas Grill, in der einen Hand eine Grillzange mit goldbrauner Thüringer und die andere mit nach oben zeigendem Daumen schön präsent in die Kamera gehalten. Dazu strahlten die Sonne und das Lächeln der penibel gepflegten und auf Hochglanz polierten Schneidezähne des Baumarkt-Leiters.
Als Hannes den Pappaufsteller das erste Mal gesehen hatte (das war vor drei Tagen gewesen, er hatte das verdammte Ding sogar auspacken und aufbauen müssen), da hatte er das erste Mal in seinem Leben gespürt, wie einem allein vom Anblick einer Sache übel werden konnte. Erst recht, wenn man unerwartet darauf traf.
Ähnlich erging es ihm jetzt mit Seyfarth. Dr. Gerd-Günther Seyfarth. Hannes kannte kaum mehr von ihm als den Namen auf seiner Kundenkarte, die Seyfarth jedes Mal gönnerhaft über die Kasse reichte, wenn es ans Bezahlen ging.
Gut, etwas mehr an Informationen war schon bisher zu ihm durchgedrungen. Der Mann war früher ein bekannter Mediziner gewesen, stammte aus Hamburg und hatte sich hier oben im Flensburger Raum ein schmuckes Haus an der Ostsee gekauft. Unverbaubarer Meerblick, bis hinüber zur dänischen Küste. Einwandfrei.
Um eben dieses Haus war es ihm gegangen, als er vor ein paar Wochen das erste Mal hier aufgetaucht war, um über sein neustes Projekt zu sprechen. Den Wintergarten.
Seyfarth war mit ziemlich konkreten Vorstellungen hier aufgetaucht, von denen sich die meisten jedoch als nicht realisierbar erwiesen hatten. Anfangs hatte Nagel den Mann selbst beraten, Chefsache, bis er den Auftrag an seinen Mitarbeiter Hannes Reimer abgegeben hatte. Hannes vermutete dahinter eine Art Racheakt seines Vorgesetzten.
Nun gab es Kunden, die mit sich reden ließen, die auf die jahrelange Erfahrung eines versierten Mitarbeiters vertrauten, wenn der ihnen beispielsweise zum Legen von Fundamentplatten in ordentlicher Qualität riet. Nicht so Dr. Seyfarth.
Zur ersten echten Auseinandersetzung zwischen Hannes Reimer und Dr. Seyfarth war es gekommen, als es um die Trägerkonstruktion des Wintergartens ging.
Seyfarth war ein Mann, der alles auf einmal wollte. Einer, der groß dachte und meinte, es ließe sich alles mit Geld bezahlen.
So hatte er die Idee mit den gigantischen Glaselementen aufgebracht, die ihm und seinen Gästen aus Übersee einen ungehinderten (und streifenfreien) Blick nach Dänemark bescheren sollten.
Hannes hatte sich die Maße angesehen und kurz das Gewicht der Glasscheiben ausgerechnet (das Seyfarth bis dahin nicht interessiert hatte).
So war Hannes zu dem Schluss gekommen, dass für die Konstruktion das sogenannte Pfosten-Riegel-System zur Anwendung kommen müsse, um für das ganze Ding eine höhere statische Sicherheit zu gewährleisten.
Das fand Seyfarth vom Grunde her (Gott, wie Hannes diese Formulierung hassen gelernt hatte) nicht verkehrt. Jedenfalls exakt so lange, bis Hannes ihm erklärt hatte, dass bei dieser Technik zusätzliche Bauelemente eingefügt würden, die meisten davon allerdings in Augenhöhe.
"Das ist ein No Go!", war der zweite Satz gewesen, bei dem Hannes regelmäßig die Stirnader anschwoll, wenn Seyfarth ihn benutzte.
Nachdem sie sich über dieses Thema über eine halbe Stunde lang am Telefon angeschrien hatten und das Gespräch damit geendet hatte, dass Seyfarth seinen gesamten Auftrag zurückziehen wollte (das Fundament war zu diesem Zeitpunkt bereits gelegt), hatte Hannes schließlich eingelenkt und einer einfachen Rahmenbauweise zugestimmt. Etwas anderes war ihm nicht übrig geblieben, da Lutz Nagel nicht auf den Materialkosten für das Fundament sitzenbleiben wollte.
Das Ganze war jetzt zwei Wochen her, und der Wintergarten war vermutlich längst fertiggestellt. Bei Leuten wie Seyfarth konnte man allerdings nie wissen.
Als Hannes sich der Information näherte, drehte ihm der Doktor im Ruhestand den Rücken zu. In seiner linken Hand, die aus seinem beigefarbenen Sommerjackett herausragte, hielt er seine Kundenkarte, mit deren Kante er unablässig auf den Tresen klopfte, als würde er Achtelnoten auf der Snare Drum eines Schlagzeugs spielen.
Irgendwie wusste Hannes, dass etwas Unangenehmes bevorstand. Also tat er das, was er fast immer in solchen Situationen zu tun pflegte: Er stellte sich vor, wie es war, wenn er diese Situation hinter sich hatte. Wie es sein könnte, am Abend mit Niko und den anderen Jungs in Flensburg noch auf ein Pils an die Küste zu gehen. Dann würde er vielleicht noch einmal kurz an diese Situation denken, Seyfarth im Stillen zum Teufel wünschen und kurz über diese Angelegenheit lachen.
Allerdings würde dies alles nicht funktionieren. Nicht heute. Weil dies nicht Hannes' Tag war und erst recht nicht seine Woche.
Nur war niemand da, um ihm das zu sagen.
Hannes bemühte sich nicht um ein freundliches Gesicht, wie er es bei den meisten anderen Kunden getan hätte. Seyfarth stand nicht auf Freundlichkeiten, also konnten sie sich diesen Quatsch gleich schenken.
Er trat auf die Information zu. Und als ob Seyfarth einen eingebauten sechsten Sinn hatte, drehte er sich genau in diesem Augenblick um.
Hannes erkannte die feuerrote Schramme, die schräg über die Stirn des Mannes und Teile seiner rechten Wange verlief.
Seine goldgeränderte Brille saß eine Spur schiefer als sonst auf seiner Nase, weil offenbar wenigstens einer der Bügel verbogen war.
Als Seyfarth sein Gegenüber erkannte, verengte er seine Augen unmerklich.
Hannes blieb vorsichtshalber stehen. Er verkniff es sich, dem Mann einen guten Tag zu wünschen. So wie Seyfarth aussah, war sein Tag bereits im Eimer, und er würde alles daran setzen, dass es Hannes genauso erging.
"Sie sind erledigt, Reimer", presste der pensionierte Arzt über seine vollen Lippen. "Egal, wie gut Sie auch immer versichert sein mögen. Für diese Schweinerei mache ich Sie persönlich haftbar."
Der Mann hatte leise gesprochen. So leise, dass nicht einmal der wartende Kunde hinter ihm von seinem Vortrag Notiz genommen hatte.
Hannes blinzelte.
"Was?"
Seyfarths Gesicht zeigte kaum eine Regung. Er trippelte zwei Schritte vor, so dass Hannes das Rasierwasser des Mannes riechen konnte.
"Glauben Sie ja nicht, dass Sie damit durchkommen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie hier rausfliegen. Ich bin nur gekommen, um Ihnen das persönlich zu sagen."
Hannes spürte, wie sein rechter Mundwinkel zuckte. Das war etwas, das er nicht unter Kontrolle hatte. Etwas, dass sich einfach Bahn brach, wenn es mal wieder heißer herging.
"Vielleicht wären Sie so freundlich, mir erst mal zu erklären, was eigentlich passiert ist, bevor Sie mich öffentlich lynchen wollen."
Auch Hannes war nach außen...
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