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Was hat Religion mit Wirtschaft zu tun? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen diesen beiden Bereichen der Gesellschaft? Antworten auf diese Fragen fallen sehr vielfältig aus, da die Verbindungen komplex und verflochten sind. Deswegen ist es wichtig, zuerst zu klären, was mit Religion und was mit Wirtschaft gemeint ist.
In diesem Lehrbuch werden Religion und Wirtschaft als zwei ausdifferenzierte gesellschaftliche Teilsysteme verstanden. Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch die zunehmende Differenzierung von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gesundheit, Recht, Religion, und anderen Feldern aus; es handelt sich hierbei um jeweils separate Teilsysteme oder Handlungssphären, die nach eigenen Logiken und Rationalitäten funktionieren ( Kapitel 2.1 und 2.2). Diese Perspektive beruht auf der vom deutschen Soziologen Niklas Luhmann entwickelten Systemtheorie, in die wir hier nur oberflächlich einführen können. Luhmann geht von sozialen Teilsystemen als Kommunikationssysteme aus, die sich jeweils einem bestimmten Gegenstand bzw. einer bestimmten Aufgabe widmen; dies ist ihre gesellschaftliche Funktion.
Die Aufgabe des Teilsystems Religion sei die Bewältigung von Kontingenz, d. h., Erklärungen dafür zur Verfügung zu stellen, warum die Welt so ist, wie sie ist, und nicht anders (Luhmann 2002). Das Teilsystem Religion beziehe sich in seiner Kommunikation dabei auf den binären Code Immanenz/Transzendenz - es verweise also auf das, was beobachtbar, greifbar, bekannt (immanent) sei, aber auch auf das, was unbeobachtbar, un(be)greifbar, unbekannt (transzendent) sei. Zum Beobachtbaren und Greifbaren gehören z. B. religiöse Rituale und Artefakte; man denke an hinduistische Pujas, aufwendige Tempelrituale mit ihren Götterstatuen, Öllampen, Opfergaben und vielem mehr. All diese Dinge verweisen jedoch auf das Unbeobachtbare, Unbekannte, Transzendente im hinduistischen Glaubenssystem, also die Vielzahl von Göttern und Göttinnen, an welche die Anhänger glauben und welche sie verehren. Religion ist in dieser Perspektive überall auffindbar, wo mit immanenten Mitteln auf das Transzendente verwiesen wird - mit anderen Worten, wo über die Unterscheidung zwischen Transzendenz und Immanenz kommuniziert wird. Wie wir in diesem und im folgenden Kapitel für Einsteiger in die Religionswissenschaft erläutern, geht es dabei nicht um Werturteile über Religion oder über den Wahrheitsgehalt verschiedener Religionen; diese Fragen sind religiöse und theologische und können nur von Religionen selbst, nicht aber der Wissenschaft, beantwortet werden. Aus differenzierungstheoretischer Sicht gehen wir von Religion als gesellschaftlichem Teilsystem aus, das durch Kommunikation über Immanenz und Transzendenz, über das Beobachtbare und das Unbeobachtbare, Kontingenzbewältigung leistet.
Religion
Religion ist ein gesellschaftliches Teilsystem, das durch die Kommunikation über das Immanente und das Transzendente Kontingenzbewältigung leistet.
Die Wirtschaft ist mit Luhmann ebenfalls ein aus Kommunikation bestehendes soziales Teilsystem, das seinerseits mit dem Lösen wirtschaftlicher Probleme betraut ist (Luhmann 1994). Der binäre Code des Teilsystems Wirtschaft lautet Zahlung/Nichtzahlung - es verweist also auf finanzielle Transaktionen (bzw. andere Formen des Austauschs). Das Bezahlen an der Supermarktkasse und die monatliche Überweisung eines bestimmten Betrags auf ein Sparkonto gehören also gleichermaßen zum Teilsystem Wirtschaft wie ein spontaner Kauf auf dem Flohmarkt und das Überziehen des Girokontos vor Monatsende; Letzteres ist ein Beispiel für Nichtzahlung, da nicht genug Geld auf dem Konto vorhanden ist und die Bank einspringen muss. Wirtschaft finden wir in dieser Perspektive also immer dort vor, wo es um Finanz- und Warentransaktionen geht, ob seitens großer DAX-Konzerne oder im mittelalterlichen Marktsetting. Wichtig ist dabei, dass das Teilsystem Wirtschaft nicht auf die Mikroebene, also einen einzigen Haushalt oder ein Unternehmen, zu beschränken ist, sondern auf der Makroebene das Wirtschaften ganzer Gesellschaften ausmacht (s. Kapitel 3.1 zur Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroökonomie).
Wirtschaft und Ökonomie
Wirtschaft ist ein gesellschaftliches Teilsystem, das durch die Kommunikation über Zahlung bzw. Nichtzahlung das Lösen wirtschaftlicher Probleme zur Aufgabe hat.
Wir verwenden in diesem Lehrbuch die Bezeichnung "Ökonomie" für die Wirtschaftswissenschaft, die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Wirtschaft beschäftigt. Wenn wir nicht auf die Disziplin, sondern auf ihren Gegenstand verweisen, sprechen wir von der Wirtschaft.
In der Systemtheorie Luhmanns sind Teilsysteme selbstreferentiell, d. h. auf sich bezogen; sie reduzieren Komplexität durch Abgrenzung zur Umwelt. Gleichzeitig beeinflussen sie sich im Zuge der eigenen Entwicklung aber gegenseitig. Als Beispiel können wir den Wandel von Tauschhandel hin zu Geldtransaktionen im Teilsystem Wirtschaft nehmen. Als im Laufe der Geschichte monetäre, d. h. auf Geld beruhende, Zahlungssysteme den Tauschhandel ablösten, hatte dies auch auf andere gesellschaftliche Teilsysteme eine Auswirkung. Religiöse Akteure waren zunehmend auf das Erwirtschaften von Geld als Einkommen angewiesen, um sich finanzieren zu können, d. h. Gebäude und Ländereien, aber natürlich auch Personal zu unterhalten. Eine Tempelanlage, eine Synagoge, eine Kirche oder eine Moschee ist eine religiöse Organisation, gleichzeitig macht sie aber auch eine wirtschaftliche Einheit aus. In welchem Teilsystem, ob Religion oder Wirtschaft, sie sich zu einem gegebenen Zeitpunkt bewegt, hängt vom Gegenstand der Kommunikation ab. Geht es um Seelenheil im Jenseits, also um eine Art von Kontingenzbewältigung, haben wir es mit Religion zu tun. Geht es um das Begleichen von Rechnungen und das Vermeiden von unnötigen Kosten und sogar Schulden, haben wir es mit dem Teilsystem Wirtschaft zu tun.
Grundlegende Begriffe: Organisation und Institution
Eine Organisation ist eine bestimmte Sozialform, also ein Rahmen, innerhalb dessen Individuen agieren (zu Sozialformen s. Kapitel 6.1.2). Organisationen sind hierarchisch gegliederte Sozialverbände, die Mitglieder sachlich einbeziehen und von formalisierten Interaktionsregeln geprägt sind.
Der amerikanische Ökonom Douglass C. North definiert Institutionen als die "Spielregeln" einer Gesellschaft (1990). Damit sind formelle und informelle Handlungsbeschränkungen gemeint. Auf diesen sehr breiten Institutionenbegriff kommen wir in diesem Lehrbuch immer wieder zurück, insbesondere, wenn wir von religiösen Institutionen sprechen.
Die Unterscheidung zwischen dem Teilsystem Religion und dem Teilsystem Wirtschaft ist freilich eine analytische - in der Realität sind es oft dieselben Menschen bzw. dieselben Organisationen, die zwischen beiden (und anderen Teilsystemen) kommunikativ hin- und herwechseln. Die analytische Trennung zwischen Religion und Wirtschaft ermöglicht es uns, relativ genau festzulegen, worauf wir mit den Begriffen "Religion" und "Wirtschaft" jeweils verweisen. Das wiederum erleichtert die Untersuchung der empirischen Realität. Stellen wir uns als Beispiel eine christliche Kirche vor, vor deren Pforten eine große Anzahl an Menschen Almosen erbittet, weil sie aufgrund niedriger Löhne und steigender Lebenskosten in zunehmender Armut lebt. Im Sinne des religiösen Gebots der Nächstenliebe müsste die Kirche den Bittstellern ihren theologischen Dogmen der Barmherzigkeit gemäß helfen. Gleichzeitig sieht sie sich mit der Tatsache konfrontiert, dass sie selbst über begrenzte Ressourcen verfügt und auf eine stabile finanzielle Basis angewiesen ist, um zu überleben und auch in Zukunft für ihre Mitglieder da zu sein. Aus systemtheoretischer Perspektive wird an dieser Stelle deutlich, wo wir es mit Religion und wo wir es mit Wirtschaft zu tun haben: Die Spannungen zwischen den Eigenlogiken der beiden Teilsysteme, Kontingenzbewältigung im Teilsystem Religion einerseits ("Wie kann den Bittstellern der Grund für ihre Armut theologisch erklärt und ihnen im Sinne des Glaubens geholfen werden?") und Lösung von Wirtschaftsproblemen im Teilsystem Wirtschaft andererseits ("Wie kann das Überleben der Kirche gesichert werden, um langfristig zu bestehen?") sind ersichtlich. Da die Kirche in dieser Sichtweise zwangsläufig Teil beider Teilsysteme ist, kann es keine absolut zufriedenstellende Lösung, sondern nur einen Kompromiss geben (z. B. die geistig-emotionale Betreuung der Bittsteller statt finanzieller...
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