Schweitzer Fachinformationen
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14
Den großen Erdgeschossplan vor sich ausgebreitet, beugt Johann Seitz sich vor und fährt mit dem Zeigefinger dem Verlauf des Hauptfluchtwegs nach. Ich betrachte seine Hände. Es sind schöne Hände. Kräftig und mit langen schlanken Fingern. Ich beobachte ihn wie ein Voyeur. Vorsichtig und aus den Augenwinkeln. Seine Augen sind blau und klar, an den Seiten sehe ich kleine Lachfältchen. Er gefällt mir. Auch das, was er anhat, gefällt mir. Jeans, ein weißes Hemd, ein Leinen-Sakko. Das Sakko hat er vor wenigen Minuten ausgezogen und über die Lehne des Nachbarstuhls gelegt.
»Der zweite Rettungsweg ist eigentlich nur in einem der beiden oberen Geschosse problematisch, weil wir da über Fenster gehen müssen, die so nicht anleiterbar sind. Die Alternative wäre eine Nottreppe nach außen. Das müsste ich noch einmal durchkalkulieren. Aber das ist die einzige Schwierigkeit. Ansonsten ist die Planung so weit fertig«, erklärt er seine Arbeit. Ich folge seinen Ausführungen und gebe mich interessiert, obwohl ich mehr damit beschäftigt bin, ihn unauffällig zu beobachten. Seine gebräunten Hände liegen jetzt ruhig auf dem auseinandergefalteten Plan. Er sieht mich an. Er lächelt. Gleich zu Beginn unseres Treffens hat er mir ein Kompliment gemacht: Diese Bluse steht Ihnen. Sie bringt Ihre sehr schönen Augen noch besser zur Geltung. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Art von Komplimenten mag, sie erscheinen mir normalerweise etwas durchsichtig. Aber nicht bei ihm. Ich lese Bewunderung in seinen Augen. Meine Gefühle sind in Aufruhr.
Um es für mich einfacher zu machen, hat er den Plan so gedreht, dass er für ihn auf dem Kopf steht. Jetzt wechselt er seine Position und setzt sich neben mich. Ich kann ihn jetzt, da er direkt neben mir sitzt, nicht mehr so gut anschauen, aber dafür steigt mir der feinherbe Duft seines Aftershaves in die Nase. Ich höre ihn, ich rieche ihn, ich fühle ihn. Ich fühle seinen Arm. Er liegt auf der Stuhllehne. Ich lege meinen Arm daneben, auf die Lehne meines Stuhls. Unsere Arme berühren sich. Ganz zart, kaum wahrnehmbar. Arm an Arm, Haut an Haut. Kleine erregende Wellen durchlaufen meinen Körper. Versuchsweise ziehe ich den Arm weg. Der Faden reißt. Unerträglich. Ich lege ihn wieder zurück. Er zeigt keine Regung, fährt mit seinen Erklärungen fort, und unsere Arme berühren sich. Unerträglich. Schön.
Schließlich faltet er den Plan geschickt zusammen und lehnt sich zurück. Er schaut mich jetzt sehr direkt und durchdringend an. »Möchten Sie noch einen Kaffee?«, fragt er.
»Ja, gern.«
Er ruft die Kellnerin. »Ich möchte bezahlen.«
Ich bin irritiert. Hat er mich nicht verstanden? »Ich wollte eigentlich sehr gern noch einen Kaffee«, versuche ich das scheinbare Missverständnis aufzuklären.
»Sie bekommen noch einen Kaffee. Einen Cappuccino, den Sie so schnell nicht vergessen. Ich bin bekannt für meinen Cappuccino.«
Was ist das? Eine Einladung zu sich nach Hause?
»Oder sind Sie in Zeitnot?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Dann vertrauen Sie mir. In Ordnung?«
Er steht auf und sieht mich abwartend an.
»Gut«, sage ich. »In Ordnung.«
Sein Auto, ein schwarzer Mercedes-Kombi, steht nur ein paar Meter vor uns am Straßenrand. Er öffnet mir die Tür auf der Beifahrerseite. Ich zögere.
»Wir fahren mit meinem Wagen, ich bringe Sie später wieder hierher zurück«, erklärt er. »Ich muss sowieso wieder in die Stadt.«
Also wohnt er nicht hier, denke ich und steige ein. Ich sitze mit beklommenem Gefühl neben ihm, meide seinen Blick und halte die Hände wie im Gebet geschlossen. Mein Herz trommelt, ich führe einen inneren Kampf. Was tue ich hier? Wo fahren wir hin?
Nach etwa zehn Minuten Autofahrt biegt Johann Seitz in einen unscheinbaren befestigten Waldweg, und kurz darauf stehen wir vor einem kleinen Haus auf einer sonnengefluteten Lichtung. Die Kulisse ist atemberaubend. Das Haus stört hier nicht, im Gegenteil. Die ganze Hausbreite wird von einer Holzveranda gesäumt, die wiederum mit unzähligen blühenden Topfpflanzen bestückt ist. In der Mitte steht eine alte, gedrechselte Holzbank.
Die Luft um uns ist klar und warm. Mit einem Seufzen lasse ich meinen Atem in den wolkenlos blauen Himmel aufsteigen und sehe ihn an.
»Das ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Wie kommt man denn zu so einem Schatz?«
»Am einfachsten, indem man ihn erbt. Mein Großvater war ein passionierter Jäger. Er hat das Haus gebaut.«
Die Intimität der Örtlichkeit, die Situation mit uns beiden hier unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Idylle um uns herum, das alles hat für mich einen ganz eigenen Zauber. Aber ich kann auch meine Beklommenheit nicht ganz verbergen. Er dagegen scheint ganz ruhig. Da ist keine Unsicherheit, als er die Tür des Hauses öffnet und auch keine Unsicherheit, als er hinter mir stehend fragt, ob ich den Cappuccino gleich möchte oder wir erst einen kleinen Rundgang durch das Haus machen sollen. Ich entscheide mich für den Rundgang.
»Also, hier unten sehen Sie den großen Wohnraum mit Küche.« An der Seite ist eine Tür. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Bad. Ich hab es vor wenigen Jahren selbst geplant und angebaut.« Ungefragt nimmt er meine Hand.
»Es sind italienische Fliesen. Jede einzelne ist sozusagen ein Unikat«, erklärt er, und ich höre den Stolz. Ich streiche mit den Fingerkuppen über das Waschbecken aus hellem Granit. »Das habe ich nach eigenem Entwurf von einem Steinmetz anfertigen lassen.«
Der Raum ist nicht besonders groß, aber durch die fast über die ganze Wandbreite gehende Fensterfront auf der einen und den riesigen Spiegel auf der anderen Seite wirkt er so. Gleichzeitig geben ihm die Dielen auf dem Fußboden eine heimelige Note.
Johann Seitz steht hinter mir und legt vorsichtig die Arme um mich. »Gefällt es dir?«
Ich kann nicht reden, nur nicken. Ich lege meinen Kopf zurück. Gegen seine Schulter. Er dreht mich um und schaut mich an. Ich lese die Frage darin und schließe meine Augen. Sanft streicht er mit seinem Finger über meinen Mund, eine sehr zarte Berührung, fast wie ein Windhauch. Als ich die Augen wieder öffne, ist sein Gesicht ganz nah. Nur wenige Zentimeter trennen unsere Lippen. Ich beuge mich ihm entgegen, und er küsst mich. Seine Lippen sind warm, sein Mund wandert weiter über meine Wange, bis zu meinem Ohr. Behutsam nimmt er mein Ohrläppchen zwischen die Lippen.
»Hmmm, du schmeckst gut. Und du riechst gut.« Jetzt werden seine Berührungen intensiver. Lust und Angst kämpfen in mir einen stummen Kampf. Er hält mich und hebt mich hoch. Er küsst mich wieder, streichelt mich. Hör auf, denke ich. Mach weiter. Er küsst meine Brust.
»Halt«, sage ich, »hör auf! Es geht nicht. Es geht nicht!«
Andreas atmet ruhig und gleichmäßig neben mir. Sein Schlaf ist tief und gesund. Er schnarcht nicht, und er spricht nicht, Albträume scheint er nicht zu kennen. Er legt seinen Kopf auf das Kissen, und nach spätestens zehn Minuten ist er in seiner Traumwelt.
Ich dagegen bin hellwach. Nach der ersten Aufregung hat sich das schlechte Gewissen eingestellt. Ich habe heute eine Grenze überschritten, zum ersten Mal in meinem Leben als Ehefrau. Das ist kein harmloser Flirt. Ich war mit einem fremden Mann intim. Und nicht nur das: Ich habe es genossen. Und kann an nichts anderes mehr denken, ich bin wie im Fieber.
Auf dem Heimweg habe ich noch am Einkaufsmarkt angehalten. Ich war aufgewühlt und konfus und doch so wunderbar lebendig. Ich habe eingekauft, wie ich es immer tue. Gemüse, Obst, Milch, gesunde Dinge für meine Familie. Dabei habe ich hierhin gelächelt und dorthin, flüchtige Bekannte und Nachbarn begrüßt und mich unauffällig auffällig verhalten. Ich war überhaupt nicht ich selbst. Aber niemand schien es zu bemerken.
Auch Andreas nicht. Als ich ihm am Abend ein Schnitzel vorsetzte, hat er es ohne erkennbare Veränderung und mit unverändert gutem Appetit verspeist.
Jetzt höre ich sein gleichmäßiges Atmen, spüre seine ruhige Präsenz, und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Was habe ich getan?
Andreas ist mit sich im Reinen, seine Welt ist klar und heil. Er lebt genau das Leben, das er leben möchte. Und ich bin ein Teil davon. Er liebt mich. Er liebt auch unsere Kinder, er liebt sogar seinen Job. Und vermutlich auch seinen Tennis-Club. Alles ist so, wie er es sich vorgestellt hat. Für ihn ist alles gut. Für ihn ist die Welt, so wie sie ist, gut. Aber meine Bedingungen sind doch die gleichen. Warum kann es dann für mich nicht auch so sein? Irgendwann spät in der Nacht gleite ich endlich in den Schlaf. Und schon ist er wieder da, der Traum, der mich quält. Ein nicht zu greifender Feind. Kurz vor Tagesanbruch werde ich von meiner Angst geweckt. Sie hat mich im Griff.
15
Das Büro ist völlig überheizt. Sonja ist erkältet und hat die Thermostate auf Höchsttemperatur gestellt. Ich verzichte auf Kaffee und hole mir stattdessen ein Glas Wasser. »Bleib doch zu Hause, wenn es dir so schlecht geht«, sage ich und meine es nur gut.
»Das geht nicht«, keift sie. »Wer soll sich denn um die Messevorbereitung kümmern?«
Sie hält sich für unentbehrlich, und ich lasse sie in dem Glauben. Mein Kopf ist mit anderen Dingen beschäftigt. Heute Morgen habe ich sofort den PC hochgefahren, weil ich auf eine E-Mail hoffte. Nichts. Auch kein Anruf. Ich weiß nicht, wie es weitergehen kann, aber so wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben. Das lässt mein aufgewühltes Gemüt nicht zu. Ich öffne ein...
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