Schweitzer Fachinformationen
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- Eines sage ich Ihnen gleich, schrie die Frau ins Telefon, mit der Polizei will ich nichts zu tun haben. Nichts! Nur damit das klar ist. Sie müssen dieses Gespräch auch nicht zurückverfolgen, weil ich stehe in einer öffentlichen Telefonzelle . Ja, so etwas gibt es noch!
- Woher haben Sie meine Nummer? Warum rufen Sie nicht im Kommissariat an? Groschen sah auf die Uhr, es war sieben Uhr morgens. Die weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung klang heiser und überdreht, so, als ob die Frau nachts nichts geschlafen und sich Mut für diesen Anruf angetrunken hätte.
- Um als Aktennotiz zu landen? Glauben Sie, ich weiß nicht, wie es bei Ihnen zugeht? Die kleinen Beamten würden das als lächerlich abtun. Aber Sie als Kommissar, Sie werden sich darum kümmern. Sie nehmen das ernst.
- Worum geht es denn?
- Entführung! Menschenraub! Am helllichten Tag, gestern um halb fünf in der Klagbaumgasse, sagte die verrauchte, leicht hysterisch klingende Stimme. Ich bin im Rubenspark gesessen . Kennen Sie? Vierter Bezirk, Wirtschaftskammer, Mittersteig, Caritas .
- Ist mir bekannt.
- Da sehe ich eine alte Dame, ich denke mir noch, die ist aber elegant, eine richtige Lady. Plötzlich kommt ein Auto, bremst, bleibt stehen, einer springt heraus und zerrt sie in den Wagen. Sie will schreien, aber der hält ihr den Mund zu. Sie will sich wehren, aber der ist stärker. Während ich noch überlege, um Hilfe schreien will, rauscht das Auto schon davon. Und das in Wien, wo es immer heißt, hier passiert nichts, Wien ist sicher. Pha! Da sieht man ja, wie sicher Wien ist. Sie werden mich jetzt für verrückt halten, aber ich habe die Gewalt gespürt, die Verzweiflung. Das war Kidnapping! Die Stimme machte eine Pause, so als ob ihr zu Bewusstsein gekommen wäre, dass dieses Wort hier nicht recht passte. Sie wartete auf eine Reaktion, aber als nichts kam, ergänzte sie: Das wollte ich Ihnen sagen. Man ist ja Staatsbürger. Man hat ja Pflichten. Verantwortung.
- Um die Autonummer muss ich Sie nicht fragen, antwortete Groschen. Aber was für ein Wagen war es?
- Was? Woher soll ich das wissen, krächzte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Es war dämmrig . Da wird ein Mensch entführt und Sie fragen nach dem Auto . ein sportliches Modell, aber kein Sportwagen, auch kein Cabrio, mehr so ein Angeberschlitten, aber älter . wie aus einem Walter-Matthau-Film.
- Tja, brummte Groschen, da gibt es viele. Solange wir keine Vermisstenanzeige haben .
- Sie nehmen mich nicht ernst?
- Keineswegs. Ich danke Ihnen sehr und verspreche, mich darum zu kümmern. Der Kommissar drückte den Verbindungsknopf. Er bekam ständig Hinweise von Menschen, die irgendwo irgendwie irgendwas gesehen hatten.
- Mit wem telefonierst du denn in aller Herrgottsfrüh, fragte seine Frau, nahm das Kaffeehäferl, das Groschen aus Gewohnheit an die Tischkante gestellt hatte, rückte es in die Mitte.
- Eine Wichtigtuerin, murmelte der Kommissar.
Groschen war missmutig. Er hatte eine Allergie auf sich selbst. Diesmal war es kein Nesselausschlag, der rote Quaddeln bildete und ihm mit starkem Jucken das Leben unerträglich machte, diesmal war es der Geruch. Seit Tagen bekam der Kommissar den seltsamen Geschmack nicht aus der Nase. Ein Geruch, der nach nichts Bestimmtem schmeckte und doch lästig war. Wenn er ihn seiner Frau beschrieb, sprach er von einem metallischen Kitzeln, als ob man mit der Zunge über polierten Stahl schleckte. Eine Mischung aus Autowerkstatt, Verwesung und abgestandener Luft.
- Das hast du jetzt davon, sagte seine Frau mit leichter Genugtuung. Du trinkst zu viel, schläfst zu wenig und ernährst dich falsch. Jetzt erlebst du einen Altersschub. Dir wachsen Haare auf der Nase, und die Sinne schwinden.
- Möglich, runzelte Groschen die Stirn. Möglich. Dabei wusste er genau, dieser Geruch war er selbst. Er konnte sich nicht riechen. Oder war es eine Ahnung seines nahen Endes? Kommissar Falt Groschen, ein großer und robuster Mensch, hatte Ängste, und er fürchtete den Tod, der ihn unvermittelt aus dem Leben reißen könnte. Er fürchtete ihn so sehr, dass diese Angst ihn lähmte. Nichts freute ihn mehr. Erst unlängst hatte der Fünfundvierzigjährige einige graue Haare auf dem Kopf entdeckt. Die kleinen Fältchen um die Augen traten deutlich hervor, sein Bauch nahm Formen an, und jedes Mal, wenn er in den Spiegel blickte, sah er die Züge seines Vaters. Groschen wusste, ein paar Jahre noch, und er war ein alter Mann. Unzufrieden, mürrisch und gequält wälzte er die schwärzesten Gedanken.
Selbst den Bettler, der sich neuerdings beharrlich auf seinem Weg zum Kommissariat postiert hatte, ignorierte er an diesem Morgen. Es war seine Frau gewesen, die diesem Mann vor Monaten ein paar Münzen gegeben hatte. Seither grüßte er den Kommissar jedes Mal frenetisch und strahlte ihn an wie ein Kind vor einem Spielwarengeschäft die Dinge in der Auslage. Manchmal warf ihm Groschen etwas Kleingeld in den Becher. Wenn er seinen Klingeltag hatte, auch mehr. Sogar wenn er ihn wie heute völlig ignorierte, lächelte der Bettler, entblößte seine goldenen und schwarzen Zähne und murmelte Segenswünsche:
- Alles Gute, auch für Frau, Gesundheit.
Eine Unruhe hatte den Kommissar erfasst, die er nicht zu deuten wusste. Alles schien zu seiner Beklemmung beizutragen, das nasse Herbstwetter, die Baustellen, der Donaukanal mit seinen Graffiti, die die Stadt zu einem Schulheft machten, sogar die Anrufe der Wichtigtuer - nur die Drohbriefe, die er seit Wochen bekam, spielten keine Rolle. Er hielt sie für harmlos, obwohl ihm darin ein langsamer, quälender Tod versprochen wurde. Darin war von Enthauptung die Rede, von einem Herausziehen der Zähne und Gedärme, von Kastration, Häutung und allerlei anderen unappetitlichen Behandlungen, die ihm der Briefschreiber ankündigte. Groschen tat diese Elaborate als Streiche ab, ja, er hielt es nicht einmal für notwendig, sie zum Erkennungsdienst zu bringen.
- Bitte! Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Der Kommissar zuckte zusammen. Er sah das schwarzgoldene Gebiss des Bettlers, ein zerfurchtes Gesicht mit gutmütigen braunen Augen. Und er fuchtelte mit irgendetwas, hielt es dem Kommissar entgegen. Ein abgegriffenes Briefkuvert.
- Das ich gefunden. Sie Polizei. Muss haben. Schauen.
Der Kommissar öffnete den Umschlag, nahm einen Reisepass und einen Führerschein heraus, ausgestellt auf eine alte Dame, deren Name ihm nichts sagte.
- Ist vielleicht passiert etwas, muss prüfen, sagte der Bettler.
- Ist gut. Groschen steckte den Umschlag ein. Ich trage ihn zum Fundbüro.
Im Kommissariat in der Vorlaufstraße war nichts los, das den übellaunigen Kommissar auf andere Gedanken hätte bringen können. Nur die tägliche Polizei-Routine. Eifersuchtsmorde, erschossene Einbrecher, Drogentote. Kupferdiebe waren unterwegs, die Kabelrollen von Baustellen entwendeten. In Simmering war ein deutsches Ehepaar samt seinem achtjährigen Sohn erschossen worden - ein Fall, bei dem die Polizei nicht weiterkam. Was wollten Touristen aus Detmold ausgerechnet in der Ignaz-Weigl-Gasse, einer Gegend, die so völlig abseits vom Schuss lag, dass sich dort nicht einmal ein Wiener hin verirrte?
Auf Groschens Schreibtisch türmten sich forensische Gutachten, Anfragen von Gefängnisdirektoren, Aufrufe der Polizeigewerkschaft. Einladungen zu Benefizveranstaltungen. Nichts Interessantes. Nichts, das ihn von seinem Geruch in der Nase ablenken konnte. Er war gereizt wie damals, als ihn der Nesselausschlag überfiel und seine Haut in die eines Krokodils verwandelte, was sich anfühlte, als ob er in Brennnesseln gebadet hätte.
Draußen verloren die verkrüppelten Bäume ihre letzten braunen Blätter, warme Föhnwinde wechselten sich mit Regenwolken ab, und der Himmel war verwaschen schmutzig, grau wie ein alter Blechnapf. Vorzeichen? Wofür? Groschen wusste, wenn er nicht aufpasste, bekam er eine veritable Herbstdepression. Die Aussicht auf fünf nasse, kalte und dunkle Monate bedrückte ihn fast noch mehr als die Angst vor einer jähen, unheilbaren Krankheit. Er hätte Lust gehabt, auf die Malediven oder in die Karibik zu fliegen, dafür aber fehlte ihm das Geld. Wegfahren wollte er, dieses durch und durch graue Wien mit seinen grauen Häusern, seinem grauen Himmel und seinen grauen Menschen hinter sich lassen, aber dafür fehlte ihm die Zeit, die Kraft, der Mut. Was, wenn sich die Schmerzen, die ihn einmal im Bauch und einmal im Kopf stachen, die einmal seine Nieren, einmal seine Hoden und dann wieder die Bauchspeicheldrüse betrafen, ihm Tumore und Metastasen versprachen, mehr waren als Einbildung? Dann wäre ihm weder in der Karibik noch auf den Malediven zu helfen. Lieber schleppte er sich durch den langen Tunnel einer dunklen, nassen Jahreszeit, der erst im nächsten Frühjahr enden würde. Lieber riskierte er, dass sich hinter den Drohbriefen doch echte Gefahr verbarg.
In den Gängen des Kommissariats unterhielten sich Inspektoren lautstark über die Fußballspiele des Wochenendes, stritten über Abseitstore, rote Karten und Elfmeter. Bürodiener karrten Akten durch die Gänge, und auf den Bänken wetzten unruhige Zeugen, die auf ihre Einvernahme warteten, Hosenböden wund.
- Wie geht's, Chef? Gordon Zwilling lächelte. Der kleine impulsive Inspektor mit den aschgrauen Haaren war guter Laune, strotzte vor Gesundheit und verschlang gerade eine Wurstsemmel. Was wusste der von Groschens Sorgen? Wahrscheinlich hatte er das Wochenende im Fitnessstudio verbracht und fühlte sich nun stark genug, um Wände...
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