Schweitzer Fachinformationen
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Ge-Walti-ge Jahre
«Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine schützende Hand über mir.»
(Psalm 139,5)
Während meiner ganzen Schulzeit lebten wir in Moosseedorf. Als Alleinerziehende sorgte unsere Mutter selbst für den Unterhalt, da unser Vater seine finanziellen Verpflichtungen (Alimente) uns Kindern gegenüber nicht oder nur ganz selten wahrnahm. Obwohl sie durch den Sozialdienst Unterstützung erhalten hätte, war sie zu stolz, von der «Fürsorge» abhängig zu sein - quasi eine sogenannte «Sozi» zu sein. Damals galt es noch als eine Schande, wenn man Hilfe beim Staat holen musste. Leider erkannte sie einen wichtigen Aspekt nicht: dass sie durch eine finanzielle Entlastung eigentlich mehr Zeit für uns Kinder gehabt hätte und wir nicht so oft auf uns allein gestellt gewesen wären. Oder vielleicht wollte sie das ja auch nicht. Sie arbeitete deshalb zu hundert Prozent als Bürofachkraft in der Zentralküche der Migros-Genossenschaft im Nachbardorf. Während der Mittagspause half sie am Buffet oder an der Kasse der großen internen Kantine aus. Mein Bruder und ich radelten jeden Mittag nach dem Unterricht mit dem Velo nach Schönbühl, um dort das Mittagessen einzunehmen und dann wieder zurück in die Schule oder zu einer Nachbarin, bis Mami Feierabend hatte. Unsere kleine Schwester hatte einen Platz in der Migros-Kinderkrippe. Zu dieser Zeit gab es praktisch noch keine Kindertagesstätten für Alleinerziehende und berufstätige Eltern. Die Migros schaffte mit diesem Angebot für ihre Angestellten ein Novum, welches für meine Mutter zur hilfreichen Entlastung betreffend der Kinderbetreuung wurde. Auch Thomas und ich besuchten diese Krippe ein bis zwei Jahre, bevor wir mit der Schule starteten.
Als ich ca. sieben Jahre alt war, betrat Walti als Mamis neuer Lebenspartner die Bühne unseres bis dahin recht ruhigen und friedlichen Familienlebens und zog bei uns ein. Während den nächsten zehn Jahren erlebten vor allem mein Bruder und ich durch ihn viel Schmerzliches an verbaler und körperlicher Gewalt.
Mami antwortete einmal auf meine Frage, weshalb sie denn so lange bei ihm geblieben sei, dass sie es als Paar eigentlich ganz gut miteinander gehabt hätten - wenn ihm da nicht ständig wir drei Geschwister in die Quere gekommen wären. Er war es nicht gewohnt mit Kindern umzugehen und in seinen Augen waren wir nur Störenfriede. Freundliche oder ermutigende Worte hörten wir nie aus seinem Mund. Da Mami morgens jeweils früh zur Arbeit ging und wir erst aufstanden, wenn sie bereits außer Haus war, erlebte sie selten, wie böse sich Walti uns Kindern gegenüber verhielt. Ein aus seiner Sicht falsches Wort oder Fehlverhalten unsererseits reichte aus, um seinen Jähzorn zu entfachen. Er fing jeweils an, uns lauthals mit den schlimmsten Schimpfworten zu betiteln, steigerte dann die Lautstärke und sich selbst in ein unkontrollierbares Verhalten, welches meistens damit endete, dass Thomas oder ich eine schallende Ohrfeige erhielten oder er uns mit seinem großen Siegelring eine saftige Kopfnuss verpasste - wir mussten immer jämmerlich weinen. Nicht nur wegen der erlebten Gewalt, sondern weil wir einfach nicht verstehen konnten, was wir falsch gemacht hatten. Walti war außerdem ein penetranter Ordnungsfanatiker - richtig krankhaft. Unsere Wohnung war stets in einem sauberen und ordentlichen Zustand. Wir Kinder erhielten im Haushalt viele Aufgaben zugeteilt und ab der siebten Klasse (13-jährig) war ich unter anderem verantwortlich für die gesamte Wäsche. Das hieß: schmutzige Wäsche sortieren, waschen, aufhängen oder in den Tumbler legen, Waschküche nach Gebrauch wischen und feucht aufnehmen, die trockene Wäsche zusammenfalten oder je nachdem bügeln und abschließend in die diversen Schränke wegräumen. Auch mussten mein Bruder und ich jeden Samstag das Treppenhaus wischen und feucht aufnehmen. Wir lernten früh, wie ein Haushalt geführt wird. Geschadet hat uns dies sicher nicht, aber wir kannten niemanden, der so viel helfen musste wie wir. Und wehe, wenn Walti nach der Arbeit nachhause kam, wir vor dem Fernseher saßen und er irgendwo ein Tröpfchen Wasser in der Küchenspüle vorfand. Dann war nicht mehr gut Kirschen essen mit ihm. Sobald er abends zur Haustüre hereinkam, breitete sich unter uns sogleich eine angstvolle, angespannte Stimmung aus und wir hielten den Atem an, weil wir wussten, dass es sicher nicht lange dauern würde, bis er aufgrund von etwas Banalem ausflippen würde. Obwohl wir uns immer die größte Mühe gaben, seinen hohen Qualitätsansprüchen zu genügen, fand er natürlich fast täglich irgendwo ein Krümelchen oder Stäubchen herumliegen, das ihn störte und ihm einen triftigen Grund gab, laut loszuschimpfen, den Fernseher auszuschalten und uns entweder in unsere Zimmer zu schicken oder den Staubsauger in die Hand zu drücken. Mit der Zeit waren wir dermaßen eingeschüchtert, dass wir uns vor lauter Angst immer duckend an ihm vorbeischlichen, da er total unberechenbar war im Schläge verteilen. Wenn wir Mami jeweils weinend davon erzählten oder sie nach Feierabend seine Wutausbrüche mitbekam, meinte sie häufig nur: «ihr müsst ihn halt nicht so provozieren .»
In ihrer Generation war es völlig normal und üblich, dass Schläge mit zur Erziehung gehörten. Viele Jahre später, als ich selbst Mutter war, rügte sie mich oft, dass ich viel zu geduldig und lieb mit meinen Kindern sei und sie schon längstens zugeschlagen hätte, denn ein «Chlapf»4 im richtigen Moment habe schließlich noch nie jemandem geschadet. Ach Mami - du hast leicht reden. Wenn ich rückblickend an ihrer harten Haltung herum studiere, kann ich einerseits schwer nachvollziehen, weshalb sie nicht mehr Empathie für uns Kinder übrighatte, sie aber andererseits auch etwas besser verstehen, da sie es ja nie anders erlebt und gelernt hatte. Für sie war es einfach normal so - und damit basta. Schon lange weiß man, dass verbale und körperliche Gewalt in den zarten Kinderseelen unvorstellbare Traumata hinterlassen, welche großen Einfluss auf bestimmte Verhaltensweisen nehmen, und sogar psychische Auswirkungen haben können.
Damals war unsere Mutter sicher auch in einer Zwickmühle gefangen: wenn sie sich auf die Seite von uns Kindern stellte, sank die Stimmung zwischen ihr und Walti während einer Woche auf den Gefrierpunkt und wenn sie zu ihm hielt, wurden wir wütend und weinten, weil wir nicht verstehen konnten, dass sie diese Ungerechtigkeiten tolerierte und manchmal sogar uns beschuldigte. Ganz oft hatten die beiden unseretwegen Streit, was uns dann aber auch wieder nicht recht war. Denn wenn Mami nach einer lauten Auseinandersetzung mit Walti in ihrer Not dann weinend ins Schlafzimmer lief und die Türe laut hinter sich zuknallte, wollten wir die Sache irgendwie wieder gut machen. Wir klopften dann leise an die Türe und schlichen uns schuldbewusst an ihr Bett, um sie zu trösten. Aber sie wimmelte uns nur grob ab und schickte uns raus, worauf wir uns weinend ins Kinderzimmer verkrochen. Ich fand es immer sehr schlimm, Mami weinen zu sehen und musste dann auch immer weinen - ich kam mir jeweils ganz verloren vor und mein Empfinden fühlte sich so an, wie wenn der Fels, der Mami für uns war, völlig ins Wanken geraten ist und nun alles auseinanderzubrechen drohte. Was Mami rückblickend als großen Fehler erkannte, war, dass sie sich von Walti nach kurzem Zusammenleben zum Kauf einer Eigentumswohnung überreden ließ. Die Freude über unsere schöne neue Wohnung war nur von kurzer Dauer, denn Mami erkannte bald einmal, dass sie dadurch relativ verbindlich an Walti gebunden war. Dieser Umstand hinderte sie lange daran, die Beziehung mit ihm zu beenden.
Ein überaus heftiges Erlebnis werde ich nie vergessen: Thomas war etwa zwölfjährig, als er wieder einmal als Sündenbock für irgendetwas hinhalten musste. Ich stand wie erstarrt in unserem gemeinsamen Kinderzimmer und hielt herzklopfend den Atem an, als ich wahrnahm, dass es in der Küche anfing zu eskalieren. Ohnmächtig musste ich mit anhören, wie Walti zornig schreiend auf ihn einschlug und die flehentlichen Bitten meines Bruders, damit aufzuhören, im lauten Geschrei von Walti und Thomas' Weinen untergingen. Gedemütigt und heftig weinend stolperte er nach einer Weile ins Zimmer und seine Wut auf Walti war dermaßen groß, dass er zielstrebig den Kleiderschrank öffnete und sein heimlich verstecktes illegales Luftgewehr herausholte. Fest entschlossen und noch immer von heftigem Schluchzen geschüttelt stotterte er nur noch: «Ich bringe ihn um - ich bringe ihn um - ich bringe ihn um!» Sooo viel angestaute Wut hat sich in diesem Moment aus seiner Seele entladen. In diesem Moment kam mir ein tragischer Unfall in den Sinn, von dem uns Mami einmal erzählt hatte: einer ihrer Schulkollegen hatte als junger Bursche sein geladenes Luftgewehr in der Hand und...
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