Schweitzer Fachinformationen
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An der Roten Hohl setzte Werner Altmeier den Blinker und verließ die L 503. Die asphaltierte Straße hinauf zum Großen Letzberg schlängelte sich durch ein Spalier majestätischer Eichen und Buchen, deren weit ausladende Äste ein dichtes Blätterdach bildeten. Altmeier öffnete das Seitenfenster und sog in tiefen Zügen die kühle, würzige Waldluft ein.
Schade, dass mein Urlaub schon vorüber ist, dachte er wehmütig.
Nach einer Wegkehre tauchte aus einem Meer wabernder Dunstschleier eine triste, aschgraue Betonburg auf. Umrahmt vom sattgrünen Spätsommerlaub wirkte sie wie eine bleiche Totenmaske der modernen Architektur. Die neben einer breiten Treppe postierten Fahnen mit ihren blauen Friedenstäubchen tupften die einzigen Farbkleckse auf das deprimierende Einheitsgrau. Das Friedenspädagogische Institut, kurz FPI, gehörte zur Universität und beherbergte neben dem Lehrstuhl für Kritische Erziehungswissenschaft und anderen sozialwissenschaftlichen Fakultäten ein gewerkschaftsnahes Lehrerfortbildungsinstitut.
Werner Altmeier atmete schwer. Na ja, was soll’s, da muss ich nun wohl oder übel durch, sagte er sich. Zum Glück sind es ja nur noch knappe drei Jahre bis zu meinem Ruhestand. Und die kriege ich auch noch irgendwie rum.
Wie immer war sein Auto das erste auf dem Parkplatz. In alter Gewohnheit stellte er seinen frisch polierten 5er-BMW direkt neben die für die Direktorin reservierte Parkfläche. Kein einziger Mitarbeiter des FPI fuhr einen BMW oder ein anderes deutsches Nobelfabrikat. Die meisten kutschierten mit Autos aus fernöstlicher Produktion oder mit einem alten Volvo durch die Gegend.
Der Hausmeister hatte dafür nur verständnisloses Kopfschütteln übrig. Obwohl er keiner Gewerkschaft angehörte, war es für ihn eine patriotische Bürgerpflicht, mit dem Kauf eines deutschen Autos inländische Arbeitsplätze zu sichern. Wogegen die Institutsmitarbeiter, die weitaus mehr verdienten als er, allesamt ausländische Fabrikate benutzten. Und das, obwohl fast alle in der GSP, der Gewerkschaft sozialistischer Pädagogen, organisiert waren.
So etwas konnte verstehen, wer wollte, er jedenfalls nicht.
Werner Altmeier umklammerte den Türholm seines Autos, zog den schlaksigen Körper vom Fahrersitz und schraubte sich ächzend in die Höhe. Aufgrund seines hoch aufgeschossenen, hageren und leicht nach vorn gebeugten Oberkörpers erinnerte seine Erscheinung ein wenig an Karl Valentin.
Mit einem routinierten Griff fischte er eine Zigarette aus seiner Jackentasche und zündete sie an. Als er tief inhalierte, schwebte sein Blick hinüber zu den hohen Buchen und Eichen, deren Spitzen von der Sonne angestrahlt wurden, wogegen das Institutsgelände noch im Schatten lag.
Seine Augen hakten sich an dem großen ›Rauchen verboten‹-Schild fest, das er auf Anordnung der Leiterin neben dem Treppenaufgang hatte anbringen müssen. Hämisch grinsend blies er den Qualm genau in diese Richtung, wodurch die Beschilderung einen Augenblick lang hinter einer Rauchwolke verschwand.
Für ihn zählte das absolute Rauchverbot nicht. Er schmauchte in seinem Büro unverdrossen weiter und beobachtete schadenfroh die Institutsmitarbeiter, die sich bei Wind und Wetter vor dem Zaun versammelten, um ihrer Nikotinsucht zu frönen.
Werner Altmeier lauschte noch eine Weile dem Morgenkonzert, mit dem die Waldvögel den neuen Tag begrüßten, dann sperrte er sein Auto zu und trottete zum Seitentrakt des Instituts, in dem sein Büro und die Hausmeister-Werkstatt angesiedelt waren.
In aller Seelenruhe trank er seinen Kaffee, schmökerte in der Bild-Zeitung und paffte munter drauflos. Um 7.10 Uhr begab er sich auf seinen obligatorischen Inspektionsgang.
Zuerst schloss er im Gebäude die Türen auf, dann stattete er dem großen Konferenzzimmer einen kurzen Besuch ab und schaute im Sekretariat nach dem Rechten. Anschließend ging er nach draußen und steckte sich zur Belohnung für seinen ersten Dienstgang eine weitere Zigarette an. Genüsslich schmauchend beobachtete er eine Schar Elstern, die sich laut schnatternd am Waldrand eine wilde Verfolgungsjagd lieferten.
Doch mit einem Mal verdüsterte sich seine Miene.
Ich hab nicht mehr die geringste Lust auf diesen öden Hausmeisterjob, hörte er eine Stimme in seinem Kopf sagen, als er die Treppen zum Parkplatz hinunterstieg.
Auf der untersten Stufe blieb er stehen. Die Augen in seinem verkniffenen Gesicht leuchteten urplötzlich auf.
Ich glaube, ich werde mich morgen früh krankmelden, entschloss er sich spontan zu einer Urlaubsverlängerung.
Voller Vorfreude rieb er sich die Hände. Anschließend kickte er einen Kieselstein hinüber zu den Elstern, die daraufhin krächzend in die Höhe stoben.
Sollen die doch sehen, wie sie ohne mich klarkommen, diese arroganten Akackdemiker. Die meinen ja eh immer, sie wüssten und könnten alles besser. Diese elenden Klugscheißer!, schimpfte er in Gedanken. Die Herrschaften Akackdemiker kennen unsereins sowieso nur, wenn sie etwas von einem wollen.
»Du, Werner, könntest du nicht mal kurz kommen? –Werner, das müsste unbedingt heute noch erledigt werden«, äffte er seine Auftraggeber nach.
Mich konnten die noch nie mit ihrem aufgesetzten ›Alle duzen alle‹-Gedöns blenden. Nichts als billige Show! Meint ihr denn wirklich, ich weiß nicht, was ihr über Menschen meines Schlages tatsächlich denkt? Altmeier, du bist nur ein kleiner Hausmeister, der sowieso nichts kapiert – deshalb: Störe unsere Kreise nicht! Ja, ja, die Intelecktuellen. Das Wort kommt garantiert von ›lecken‹. Diese Klugscheißer lecken nämlich Wissen und Weisheit auf. Und zwar egal, wo sie sind – und wenn’s in der Kläranlage ist.
Schmunzelnd zog der Hausmeister seines Weges. Nach 50 Metern erreichte er die Westfassade des quadratischen Gebäudekomplexes. Mit Sorgenfalten auf der Stirn betrachtete er eine Außenjalousie, die während der Institutsferien aus der Verankerung gerissen worden war.
Gedankenversunken schlenderte er um die triste Betonburg herum. Hinter der Cafeteria kroch ihm plötzlich ein beißender, süßlicher Geruch in die Nase. In seinen 30 Dienstjahren hatte er schon mehrmals verendete Tiere auf dem ringsum von Wald umgebenen Friedenspädagogischen Institut entdeckt. Meist waren sie in den Maschendrahtzaun geraten und hatten sich darin so unglücklich verfangen, dass sie sich nicht mehr aus eigener Kraft aus dieser tödlichen Falle hatten befreien können.
Diesmal stieg ihm der eigentümliche Geruch jedoch nicht aus Richtung der Umzäunung in die Nase, sondern er kam eindeutig von der Rückfront des Cafeteriagebäudes. Das konnte er sich leicht erklären.
»Verfluchte Marder!«, schimpfte er in Anbetracht seiner Privatfehde mit den kleinen Raubtieren, die sich vor einigen Jahren die Mineralfasermatten der Deckendämmung als Familienquartiere ausgesucht hatten.
»So eine Sauerei«, zischte Werner Altmeier, im Hinblick auf die Tatsache, dass er für die Beseitigung des Tierkadavers verantwortlich war.
Obwohl, wenn ich ab morgen krank bin, interessiert mich diese ganze Chose ja eigentlich gar nicht mehr, dachte er schadenfroh. Er rieb sich die Hände. Das können dann ja diese Theoriefuzzis erledigen. Ein bisschen Praxis schadet denen überhaupt nicht.
Aber da er von Natur aus ein ausgesprochen neugieriger Mensch war, wollte er noch schnell vor der Ankunft des ersten Mitarbeiters der Sache auf den Grund gehen. Also öffnete er mit seinem Generalschlüssel die Tür zum Untergeschoss des Gebäudes und betrat den Flur des unfreundlichen, ausgekühlten Betonbunkers.
»Boa«, stöhnte er angewidert auf.
Der penetrante Gestank war schlichtweg unerträglich. Reflexartig presste er ein Taschentuch auf Nase und Mund. Er wollte gerade auf dem Absatz kehrtmachen, als er die Schmeißfliegen bemerkte, die etwa drei Meter von ihm entfernt auf der weißen Tür einer Einzeltoilette herumkrabbelten.
Im Klo?, wunderte er sich. Normalerweise bauen Marder oder Siebenschläfer ihre Nester doch unmittelbar an der Fassade, damit sie bei Gefahr schnell in den Wald flüchten können.
Angewidert verscheuchte er die Schmeißfliegen und sperrte die Toilettentür auf. Was er nun zu Gesicht bekam, ließ ihn auf der Stelle zur Salzsäule erstarren: Direkt vor ihm auf dem Boden entdeckte er eine tote Frau. So als ob sie sich gerade übergeben würde, saß sie mit dem Po auf den Fersen. Ihr Oberkörper war nach vorn gebeugt und der von Fliegen umschwirrte Kopf hing in die Toilettenschüssel hinein.
Altmeier schüttelte sich und stürmte panikartig aus der Totengruft hinaus ins Freie. Auf einer Mauer sank er nieder. Wie ein Lungenkranker zog er pfeifend Atemluft ein. Mit zittrigen Fingern fischte er sein Handy aus der Jackentasche und tippte die Notrufnummer der Polizei.
Als Kriminalhauptkommissar Wolfram Tannenberg und der Rechtsmediziner Dr. Rainer Schönthaler eine gute halbe Stunde später am FPI eintrafen, herrschte oben auf dem Großen Letzberg ein regelrechter Belagerungszustand. Vor dem Zaun hatten sich inzwischen circa 100 Studenten und Dozenten eingefunden. Obwohl uniformierte Polizeibeamte die einzige Zufahrt zum Institutsgebäude abgesperrt hatten und sich wirklich alle Mühe gaben, einen Korridor freizuhalten, dauerte es einige Zeit, bis Tannenberg endlich den Parkplatz erreichte.
Im Telegrammstil informierte Kriminalhauptmeister Krummenacker den Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission über die bisherigen Erkenntnisse der Schutzpolizei. Danach konnte die...
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