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Die Polizei war bereits im Morgengrauen ausgerückt und hatte sämtliche Zufahrtsstraßen in der Osloer Innenstadt gesichert. Wenig später hatten sich die ersten Demonstranten eingefunden. Lautstark Parolen brüllend, hatten sie sich zunächst vor dem Dom versammelt und waren anschließend langsam in Richtung Storting, dem Parlamentssitz, gezogen. Die Polizisten beobachteten die friedlich demonstrierenden Massen genau, sahen die verschiedenen Banner, die sie in die Höhe reckten. »Safe Antarctica« stand auf etlichen geschrieben, »Rettet die Antarktis«, und »Ingen utnyttelse av Antarktis«, »Keine Ausbeutung der Antarktis«. In ebenso vielen Sprachen wurden die Parolen gerufen, die der eisige, in diesem Jahr bereits früh einsetzende Herbstwind durch die Gassen trieb. Ganze Schwärme gelber Blätter wurden von den Ästen geweht und fielen auf die Kapuzen und Mützen der Demonstranten. Der Platz vor dem Storting war nicht annähernd groß genug, um den Massen, die der Osloer Polizeipräsident später auf etwa zwanzigtausend schätzte, genügend Platz zu bieten.
Die lautstarken Proteste der Umweltaktivisten und besorgten Bürger drangen bis ins Parlamentsgebäude und hallten gedämpft durch die Flure. Im Inneren von Saal H war davon allerdings nichts zu hören. Die dicken Türen schirmten die Vertreter der dreiundfünfzig Unterzeichnerstaaten, die zur Antarktiskonferenz zusammengekommen waren, von den Rufen der Umweltschützer komplett ab. Kein Laut der immer stärker werdenden Sprechchöre von den Straßen durchbrach die Stille, als Gunnar Hansen, der norwegische Umweltminister, ans Rednerpult trat.
Niels Andersson, CEO von Euroil, machte sich letzte Notizen auf der Kladde mit dem Emblem der norwegischen Regierung, während Gunnar Hansen die Konferenz eröffnete und allen für ihr Kommen dankte. Die Anwesenheit sämtlicher Vertreter hatte auch Niels Andersson erstaunt, hätte er doch erwartet, dass neben den neunundzwanzig stimmberechtigten Staaten nur wenige weitere Länder Abgesandte schicken würden, die dann eher eine Beobachter-, allenfalls eine Beraterrolle innehatten. Wie viele auch immer anwesend waren, er würde sie alle für seine Sache gewinnen können, da war er sich sicher. Von seinem Platz in der dritten Reihe aus musterte er die Regierungsvertreter. Viele lauschten andächtig ihrem norwegischen Kollegen. Der australische Umweltminister schien jedoch mehr von dem Emblem der norwegischen Regierung vor ihm auf dem Tisch angetan zu sein als von der Rede.
»Ich denke, wir sind uns einig, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Natürlich will niemand von uns das Ökosystem der Antarktis gefährden. Nichts läge mir oder meiner Regierung ferner, als diesem essenziellen Rückzugsraum so vieler Spezies Schaden zuzufügen. Allerdings müssen auch die Interessen der Menschen, unserer Bevölkerung, gewahrt werden.« Gunnar Hansen schaute aufmerksam in die Runde. Er registrierte vereinzeltes Nicken aus den Reihen der Anwesenden. Er wollte seine Eröffnungsrede dafür nutzen, die Lage zu sondieren und Verbündete für sein Anliegen zu gewinnen. Die zügige Einberufung der Konferenz und die Fischfarm-Krise in den letzten Wochen hatten ihm keine Zeit für strategische Treffen vor der Konferenz gelassen. Die Regierungen der anderen Unterzeichnerstaaten hatten sich allesamt vor der Presse bedeckt gehalten, hatten angegeben, dass sie erst die Konferenz abwarten wollten, bevor sie sich öffentlich äußerten. Kein schlechtes Zeichen für Gunnar Hansen.
»Die Lage hat sich in den letzten Jahren dramatisch geändert. Die großen Zuwanderungsströme aus dem Ausland, immer kältere Winter und steigende Wohnungspreise machen ein entschiedenes Handeln unabdingbar.« Er hielt kurz inne, um seine Worte wirken zu lassen. »Deshalb sehen wir es als unsere Pflicht, den Antarktisvertrag zu überdenken.«
Zufrieden sah er aus den Augenwinkeln, dass der russische und der japanische Außenminister sich leicht nickend Notizen machten. Auch der US-amerikanische Umweltminister schien an einer Neuverhandlung des Antarktisvertrags Interesse zu haben. Die drei waren es aber auch nicht, die ihm in den letzten Nächten den Schlaf geraubt hatten. Vielmehr machte sich Gunnar Hansen Gedanken über die Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten. Sie hatten in der vorigen Woche eine Vorverhandlung gehabt, sich aber nicht auf eine gemeinsame Abschlusserklärung einigen können. Traditionell war die EU jedoch dafür bekannt, eher im Sinne des Umweltschutzes zu handeln, statt ökonomisch zu denken. Es war von grundlegender Wichtigkeit, die Zweifler in den nächsten Stunden von seiner Position zu überzeugen.
»Wenn die Belange der Natur und die menschlichen Interessen wirkungsvoll miteinander vereint werden sollen, ist eine nachhaltige Lösung für die Nutzung der Ressourcen in der Antarktis unerlässlich.«
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, machte er erneut kurz eine Pause. Sein Blick verharrte auf den Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten. Wären die Bedenken hinsichtlich des Umweltschutzes erst einmal ausgeräumt, stünde dem wohl wichtigsten Projekt seiner politischen Laufbahn nichts mehr im Weg. Bei dem Gedanken daran fingen seine Finger an zu kribbeln. Traditionell war der Posten des Umweltministers nicht gerade prädestiniert dafür, sich einen Namen zu machen. Aber wenn ihm dieses Projekt gelang, dann würde er Geschichte schreiben! Seine innere Aufregung ließ er sich jedoch nicht anmerken, er strahlte nichts als professionelle Ruhe aus. Schließlich war er Vertreter des norwegischen Volkes und musste die Würde seines Amtes wahren, zumindest nach außen.
»Und da wir die Antarktis auch für künftige Generationen erhalten wollen, treten wir für eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen in der Antarktis ein, die es uns erlaubt, den Lebensstandard der jetzigen Bevölkerung langfristig zu sichern.«
Die Ankündigung kam nicht überraschend. Obwohl in der offiziellen Einladung lediglich von einem Überdenken des bestehenden Vertrages die Rede gewesen war, war allen Anwesenden klar, was hier wirklich ausgehandelt wurde. Bei diesem Treffen würde es darum gehen, welche Seite stärker war - die Staaten, die an Norwegens Seite in eine moderne Zukunft gehen wollten, oder die Staaten, die den Fortschritt aus Angst vor Veränderung verhindern wollten. Gunnar Hansen war bereit, harte Verhandlungen zu führen, um sein Ziel zu erreichen. Mit entschlossener Miene machte er Platz am Rednerpult für Niels Andersson.
Auf den Zuschauerrängen oberhalb des Plenums hatten sich zahlreiche Pressevertreter aus aller Welt versammelt. Die Reden wurden dort von einem beharrlichen Tastengeklicke begleitet, das nur abschwoll, wenn auch am Rednerpult eine Pause eintrat. Die Journalisten tippten unermüdlich Notizen in ihre Notebooks, um ihre Artikel und News schnellstmöglich in die Welt hinauszuschicken. Bjarne Dahl fiel dabei aus der Reihe, er hielt seine Gedanken ausschließlich in einem kleinen, ledergebundenen Notizbuch fest. Seit Beginn seiner Karriere weigerte er sich, wichtige Notizen auf einem Notebook festzuhalten. Sein Chef und seine älteren Kollegen amüsierte das - ausgerechnet der Jüngste unter ihnen verweigerte sich der modernen Technik. Aber Bjarne hatte während des Studiums von genug Fällen von Hackerangriffen auf Journalisten und Magazine gehört, um beständig auf der Hut zu sein. Bis jetzt hatte er sich zu seiner großen Enttäuschung jedoch noch keine Notizen gemacht, die irgendjemand hätte hacken wollen. Seit er vor zwei Jahren direkt nach dem Studium bei der Tageszeitung Dagsavisen in der Redaktion Natur und Umwelt angefangen hatte, schrieb er hauptsächlich Artikel über die Wildtiere Norwegens. Auch wenn er es durchaus für wichtig erachtete, die norwegische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass Bienen für das Überleben der Menschen essenziell waren, hatte er sein Studium damals mit anderen Ambitionen begonnen. Bjarne hatte seinem Redakteur zwei Geschichten mit Potenzial vorgeschlagen, einen Insiderbericht über den Antibiotika-Einsatz in Fischfarmen - ein Thema, das vor wenigen Wochen der Konkurrent Aftenposten veröffentlicht hatte, was einen Skandal nach sich gezogen hatte, der bis in Regierungskreise vorgedrungen war - und einen Bericht über den illegalen Handel mit Wolfspelzen ins osteuropäische Ausland. Beide Exposés waren von seinem Chef mit höflichen, aber bestimmten Worten abgelehnt worden.
Nun war Bjarne jedoch an etwas wirklich Wichtigem dran. Er konnte förmlich spüren, wie sich die Stimmung im Raum änderte, während die Umweltminister der Unterzeichnerstaaten den Ausführungen von Niels Andersson lauschten. Bjarne versuchte, die Minister im Auge zu behalten, um keine ihrer Reaktionen zu verpassen. Die Vertreter Deutschlands, Frankreichs und der Niederlande saßen allerdings mit dem Rücken zu ihm, sodass er sich allein mit dem zweifelnden Ausdruck des dänischen Umweltministers zufriedengeben musste.
Bjarne machte sich eifrig Notizen, um später jedes Detail ausgiebig zu recherchieren und einen Weg zu...
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