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Frankfurter und Ben-Chorin haben nicht nur den Memoiren selbst, sondern auch den einzelnen Kapiteln jeweils sinngebende Zitate vorangestellt, die eine deutende Perspektive beabsichtigen. Auf der Titelseite des Manuskripts sind dies zwei biblische Zitate und ein literarisches: »Du sollst das Böse ausrotten aus deiner Mitte .« aus Deuteronomium 13:6 und »Gedenke, was dir Amalek11 angetan hat .« aus Deuteronomium 25:17 sowie »Wer niemals um seiner Rasse willen gehasst wurde, kann das nicht begreifen .« aus Die vierzig Tage des Musa Dagh des österreichischen Schriftstellers Franz Werfel aus dem Jahr 1933, das sich mit dem Genozid an den Armeniern beschäftigt.12 Die Zitate, die sowohl verständniserweckend, selbstbestimmt als auch rechtfertigend in Bezug auf das Attentat auf Wilhelm Gustloff wirken, widerspiegeln Frankfurters Selbstbild und -verständnis. Dabei wird deutlich, dass sich Frankfurters Buch in erster Linie an eine jüdische Leserschaft richtete, die diese Hinweise sicherlich einordnen und verstehen konnte. Diesen Zitaten folgt eine Widmung: »Dem Andenken meines Vaters Rabbi Dr. Mosche Frankfurter, seligen Andenkens, der mit den sechs Millionen Opfern meines Volkes fiel.«13 Diese Widmung verdeutlicht, unter welchen Gegebenheiten Frankfurter seine Memoiren verfasste: Bis auf seine Geschwister war beinahe seine gesamte Familie ermordet worden.
Die Memoiren sind in einem literarischen Stil verfasst, der auf den Germanisten und Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin zurückzuführen ist. Sie enthalten sowohl religiöse Verweise als auch Zitate aus der Literatur, teilweise programmatisch zu verstehende Werke, in denen es um Tyrannenmord, Gerechtigkeit, Recht und Unrecht geht, wie Schillers Wilhelm Tell oder Kleists Michael Kohlhaas.
Die Memoiren erschienen im Februar 1948 im Verlag Am Oved unter dem Titel »Nakam«, hebräisch für Vergeltung oder Rache. In der Palestine Post vom 16. April 1948 wurde das Buch unter dem Titel David and Goliath besprochen. Der Verfasser Dov Vardi schrieb in seiner Rezension, dass die Perspektive Frankfurters »extremely sincere« und Frankfurter mehr ein »Dostoievskian hero, suffering and tormented« sei, als ein »unhesitating arm of vengeance«. Er hob besonders Frankfurters moralische Zweifel hervor, die ihn bezüglich des begangenen Mordes gequält hätten, und dass er durch den Mord anstelle des Gebots »Du sollst nicht morden« ein neues, höheres Gebot geschaffen habe: »Thou Shalt Live«.14
Bei der Lektüre der Memoiren ist zu beachten, dass es sich nicht um ein Tagebuch handelt, das Frankfurter parallel zu seinem Leben verfasst hatte, sondern um eine rückblickende Einordnung und Sinngebung nach Kriegsende mit dem Wissen um das Geschehen nach dem Attentat auf Gustloff im Februar 1936. Frankfurter hatte durch den Lauf der Geschichte Recht erhalten und erzählte seine Geschichte aus dieser Perspektive. Dies zeigt sich beispielsweise daran, wenn er immer wieder versucht, sein Leben mit Ereignissen der Zeitgeschichte in Verbindung zu bringen, so beispielsweise seine Verlegung vom Gefängnis in Chur nach Orbe und zurück, die er auf den Tag der Kapitulation Belgiens bzw. den Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion legt. Entsprechend sind Frankfurters Memoiren ein subjektives Stück Geschichte, sein eigener Blick auf sein Leben.
Die Struktur der unpublizierten deutschsprachigen Memoiren wurde für die hebräischen Publikationen nur teilweise übernommen, weshalb hier kurz darauf eingegangen werden soll. Frankfurters Lebenserinnerungen wurden bisher nur auf Hebräisch in ihrer Ganzheit veröffentlicht; in anderen Sprachen lediglich in Ausschnitten. Frühe Bemühungen unmittelbar nach Frankfurters Auswanderung, die Memoiren auf Deutsch im Zürcher Carl Posen Verlag oder auf Jiddisch in der amerikanischen Zeitung Der Tog zu veröffentlichen, verliefen im Sande.
Bereits erwähnt wurde die erste Veröffentlichung der Memoiren aus dem Jahr 1948, die den Titel Nakam trug.15 Der Untertitel Paraschat haHitnakschut beSochen-haNazim Gustloff lässt sich mit »Die Affäre um das Attentat auf den Naziagenten Gustloff« übersetzen. Das Buch umfasst 217 Seiten, aufgeteilt in zwölf Kapitel, versehen mit insgesamt drei Bildern (David Frankfurter, sein Vater Rabbiner Moritz Frankfurter und ein Bild von Frankfurter während des Prozesses in Chur) sowie einem Vorwort von Schalom Ben-Chorin. Das Buch erschien in der Reihe Schacharut, die sich primär an Jugendliche richtete und eine sozialistisch-zionistische erzieherische Absicht hatte.
Eine Neuveröffentlichung des hebräischen Manuskripts erfolgte nach Frankfurters Tod im Jahr 1984 unter dem Titel Rischon haLochamim baNazim (»Der erste Kämpfer gegen die Nazis«) im Verlag Reschafim.16 Diese Ausgabe wurde mit weiteren Texten ergänzt; so mit einem ausführlichen Vorwort des Geschichtsprofessors Joseph Nedava der Universität Tel Aviv und mit dem Vorwort von Schalom Ben-Chorin, das bereits in der Ausgabe von 1948 abgedruckt war. Im Anhang folgen weitere Dokumente: ein Epilog aus Emil Ludwigs David und Goliath17, zwei Briefe von Bekannten aus der Schweiz (des Theologieprofessors Thomas Willi und von Rachel Anliker) an Frankfurters Frau Bruria sowie ein Nachruf von Jonathan Arnon über David Frankfurter: »An meinen Freund, der von uns gegangen ist«. Das Buch umfasst 188 Seiten und mehrere Bilder.
Umschlag der zweiten hebräischen Veröffentlichung von Frankfurters Memoiren, 1984, Foto: Sabina Bossert
Interessant ist die Betitelung der beiden Bücher. Die erste Ausgabe, die noch viel direkter unter dem Eindruck der Schoa stand, wurde Nakam, Vergeltung/Rache, genannt. Dies unterstreicht die Einordnung des Attentats auf Wilhelm Gustloff als Reaktion Frankfurters auf die Anfänge der nationalsozialistischen antijüdischen Politik in Deutschland. Ob es einen Zusammenhang bei der Auswahl des Buchtitels und der Gruppe »Nakam« um Abba Kovner gab, ist unklar. 1945 schloss sich eine Gruppe von rund 50 jungen Überlebenden der Schoa zusammen und fasste den Plan, sich an sechs Millionen Deutschen zu rächen. Die Gruppe firmierte unter dem Akronym »DIN«, hebräisch für »Gericht«, wobei die einzelnen Buchstaben für Dam Israel Notar stehen: »Das Blut Israels erinnert sich«. Gemeinhin wurde die Gruppe jedoch unter »Nakam« bekannt.18 Der Titel der Neuauflage nach Frankfurters Tod hingegen, Der erste Kämpfer gegen die Nazis, verortete seine Tat viel deutlicher in der Geschichte des jüdischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus, indem sie als Anfangspunkt einer Reihe von Widerstandsaktionen platziert wurde.
Tatwaffe von David Frankfurter, 1930er Jahre, Pistole Kaliber 6.35, Kantonspolizei Graubünden
In weiteren Sprachen wurden Frankfurters Lebenserinnerungen bisher nur in Ausschnitten veröffentlicht. Die US-amerikanische Monatszeitschrift Commentary veröffentlichte 1950 eine auszugsweise Übersetzung ins Englische unter dem Titel I kill a Nazi Gauleiter. Memoir of a Jewish Assasin.19 Commentary ist eine 1945 vom American Jewish Committee gegründete Zeitschrift, die sich mit Meinungen und zeitgeschichtlichen Themen befasste. Für Commentary wurde der deutsche Originaltext in Ausschnitten - der gesamte Artikel ist knapp acht Seiten lang - von Ralph Manheim übersetzt. Der Text beginnt mit dem Kauf des Revolvers in Bern und endet mit der Festnahme Frankfurters und seiner ersten Nacht in Untersuchungshaft. Den wenigen Publikationen20, die zumindest am Rande die Sicht Frankfurters miteinbezogen, diente diese Version als Grundlage. Frankfurter bezeichnete die Übersetzung als »unzulänglich«.21
Eine Übersetzung von Ausschnitten aus den Memoiren in der Semana Israelita, Buenos Aires, wurde ohne Erlaubnis der Rechteinhaber Frankfurter und Ben-Chorin publiziert. Ben-Chorin bevollmächtige in dieser Sache seine Schwester Jeanne Bachmann, die bereits 1933 nach Argentinien ausgewandert war, damit, die Rechte gegenüber der Semana Israelita wahrzunehmen und gegen die Zeitschrift wegen des unautorisierten Abdrucks und der »unzulängliche[n] Rückübersetzung aus der amerikanischen Zeitschrift 'Commentary'«22 vorzugehen. Über Bachmann verlangten Frankfurter und Ben-Chorin von dem Magazin eine Entschädigung, boten aber gleichzeitig an, auf die Entschädigung zu verzichten, wenn der Verlag bereit wäre, das Buch in seiner Gesamtheit zu drucken. Aus den Quellen ist nicht ersichtlich, wie sich die Angelegenheit weiterentwickelt hat.
Auf Deutsch bestehen zwei Publikationen, in denen Auszüge aus dem deutschsprachigen Originalmanuskript veröffentlicht wurden. In der Zeitung Jediot Chadaschot23, die sich an...
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