Kapitel 1:
Womit habe ich das verdient?
Nachmittags doppelter Margarita in Harry's Muncheteria mit Belle. »Notier' dir das für Montag, den 15. Oktober«, sagte sie, als wir überlegten, wo wir uns zum Essen treffen sollten. Ich war den Laden ziemlich leid, aber sie bestand darauf, daß wir uns in unserer Stammkneipe trafen. Belle setzt immer ihren Kopf durch.
»Merkst du schon was?« fragte Sal, Kellner extraordinaire und allseits umschwärmter Traumtyp, und zeigte auf meinen Drink.
»Nicht soviel, wie ich mir wünschen würde«, sagte ich.
»Also, ich bin bloß benebelt«, sagte Belle. Sal wandte sich zum Gehen. Belle rief ihn zurück. »Entschuldige, Sal-Darling. Ich wollte dir nur sagen, was für einen la Job du heute machst. Die Drinks könnten nicht besser schmecken.« Belle kicherte auf ihre chic-schrille Art. »Du siehst heute süß aus, Sal. Ich liebe deine entzückenden Lippen. Hinreißender Mund, findest du nicht, Wanda? Auf deine Unterlippe, Sal-Baby, und auf all die glücklichen Frauen, die noch daran lutschen dürfen.« Belle nahm einen Schluck. »Skol.«
Ist schon eine Weile her, daß Belle das gesagt hat. Müssen inzwischen schon ein paar Stunden sein.
Die Midtownmittagstischler drängelten sich in Harry's Muncheteria, auf der Flucht vor dem Gehämmere und Getöse der Endlosbaustelle 44. Straße. Sämtliche Tische waren übersät mit angebrannten Pommes, Bierpfützen und vollen Aschenbechern. Leben in der Raucherzone. Ein paar Männer warfen verstohlene Blicke zu unserem Tisch rüber. Ich konnte nicht erkennen, ob sie mir oder Belle galten. Als sich ein weiteres Dutzend blauer Anzüge in den Laden schoben, kam Sal zurück. Er stellte einen Tequila mitten auf meinen Teller und kräuselte seinen ach so entzückenden Mund. »Geht das aufs Haus, Sal?« fragte Belle. »Ist das für sie? Und was ist mit mir? Krieg' ich keinen?«
Sal, der Stoiker, erwiderte freundlich: »Du kommst schon so klar.«
Was soll ich sagen? Kellner mögen mich. Taxifahrer sogar noch mehr.
Belle trank meinen Tequila. Sie tupfte sich den Mund ab und fragte: »Sonderst du irgendein magisches Hormon oder so was ab? Was ist es - die Titten? Mein Gott, du bist nicht mal hübsch.« Sie biß auf die Zitronenscheibe. »Nicht, daß du nicht attraktiv wärst. Du hast zweifellos diesen animalischen Sex-Appeal, der so Typen wie Sal anmacht. Du bist nur halt keine strahlende Schönheit. Du weißt, was ich meine. In dieser Stadt braucht man strahlende Schönheit.« Sie blies geräuschvoll den Rauch aus und schüttelte sich eine blonde Strähne aus der Stirn.
Habe ich schon erwähnt, daß Belle eine strahlende Schönheit ist? Sie hat den 100-Pro-Look: glatte blonde Haare, im Nacken zusammengesteckt, Wangenknochen, mit denen man Brot schneiden könnte. Belle schwingt immer mit den Hüften, selbst in der Schlange vor dem Bankschalter. Sie ist schlank - ihr Verhängnis. Sie sehnt sich danach, hager zu sein. Sie geht dreimal die Woche im Health-and-Racket-Club schwimmen, um ihre Figur zu halten. Aber sie hat keine Titten, worüber sie oft klagt. Ich habe zu meinen Titten auch keine besondere Zuneigung. Aber aus dem entgegengesetzten Grund.
Ich sagte: »Schau, Belle, nicht, daß ich deine Wertschätzung meiner physischen Abnormitäten nicht zu würdigen wüßte - wirklich, deine Ausführungen waren äußerst erhellend, aber ich muß gleich ins Büro zurück.« Ich habe eine eigene Detektei, Do-It-Right-Ermittlungen. Ich trage eine Waffe - eine 22er mit permuttbeschlagenem Griff. Nicht viel mehr als eine Luftpistole, aber angeblich sind große Männer schon von kleineren Kugeln getötet worden. Belle nennt sie ein wunderliches Zubehör. Ich nenne sie Mama.
Sie sagte: »Die knarrenschwingende Schnüfflerin muß hinaus auf die Jagd. Wie prickelnd.«
»Immerhin jage ich für dich«, gab ich zurück. Belle ist eine Klientin und jemand, der Freunde braucht. Sie kommt etwa einmal im Monat mit einem neuen Beschattungsjob; gewöhnlich will sie, daß ich ihrer neuesten Obsession nachspüre. In diesem Monat heißt sie Johann - ein Schwede mit einem Schwanz so lang wie seine Haare. Zu sagen, er sei attraktiv, wäre eine Beleidigung. Ich sagte: »Ich habe eine Info für dich.«
»Ach, was du nicht sagst«, sagte sie. »Wie lange hängst du jetzt schon an diesem Fall? Drei Wochen? Typisch Wanda.« Belle ließ ihr Chanel-Armband kreisen. Sie sagte: »Du und Termine, ihr standet schon immer auf Kriegsfuß. Besonders, als du für mein Magazin gearbeitet hast. Vielleicht hättest du dir besser irgendwo einen Job als Fulltime-Terminverschlepperin gesucht, statt Privatschnüfflerin zu werden.«
»Ich krieg' die Sache schon hin.«
»Fleiß, Wanda-Darling, ist der Schlüssel zum Erfolg.«
»Dein Johann steckt in irgendeiner abartigen Geschichte«, sagte ich.
»So wie bei Philip Roth, oder so wie bei Henry Miller?«
»Eher Charles Bukowski.«
»Es fällt mir schwer, das zu glauben.«
Ich sagte: »Vielleicht kennst du ihn nicht so gut.«
»Er hat mir gestern abend einen Heiratsantrag gemacht. Und ich hab' ja gesagt. Alles, was dazu angetan sein könnte, mein Wohlbehagen zu beeinträchtigen, wäre mir jetzt nicht allzu willkommen.« Belle schlug die Augen nieder und jagte eine ausgelutschte Zitronenscheibe mit einer Gabel um den Rand ihres Tellers herum.
Ich sagte: »Wohlbehagen bedeutet nicht, dumm rumzuhocken, wenn du nicht weiter als bis zu deinen Titten gucken kannst. Was in deinem Fall nicht allzuweit ist.«
»Mußt du so vulgär sein?«
Das Problem mit den Diskussionen über Belles ausschweifendes Leben ist, daß ich es nie zurück ins Büro schaffe, ohne sie zuvor auf einem tränenreichen Trip zum Damenklo zu begleiten. Sicher, sie ist so tough wie jede Selfmade-Frau, aber innendrin ist sie Pudding. Sie ließ die Gabel auf ihren Teller fallen und klemmte den Kopf zwischen die Hände, wobei sie mit dem Ellenbogen um ein Haar ihren dritten Margarita umkippte. Belles Zeichen dafür, daß sie Hilfe brauchte. Ich falle jedesmal darauf herein und bekomme Mitleid mit ihr Ich sagte: »Komm, Belle, ist schon okay. Bitte, heul jetzt nicht. Du weißt, ich kann's nicht haben, wenn du weinst.«
Sie sagte: »Das hat Johann gestern nacht auch zu mir gesagt.« Scheiße. Das öffnete die Schleusen. Belle hat mir mal gesagt, daß sie als Frau in ihrer Position (die normalerweise eine auf dem Bauch liegende ist) tun und lassen kann, was sie will. Was mit einschließt, daß sie vögeln kann, was oder wen immer sie will. Ich werde nie begreifen, wie sie es schafft, so erfolgreich zu bleiben in Anbetracht ihrer emotionalen Sturmfluten. Wie sie so erfolgreich geworden ist - nun, das ist eine andere Geschichte.
Belle klemmte ihre Nase zwischen Daumen und Zeigefinger, wobei sie um ein Haar ihren Ärmel ins Ketchup getunkt hätte. Sie schien nicht empfänglich für einen Moment stillen Trostes an unserem Tisch. Sie machte ihr Geräusch: ein seelenvolles Ausstoßen von Luft, das mich an den Gesang der Buckelwale erinnerte, den ich auf Kanal 13 gehört hatte. Was jetzt folgte, war die Wiederaufführung von unzähligen unserer vergangenen Mittagessen. Ich faßte sie beim Ellenbogen und führte sie zur Damentoilette. Hysterische, chic angezogene Frauen, die zehnmal soviel verdienen wie ich, sind nicht meine Vorstellung von prächtiger Unterhaltung. Besonders nicht, wenn es sich um Belle handelt. Ich kann nicht vertragen, sie so zu erleben, da ich meistens (wenn sie sich nicht aufführt wie Königin Hormonia) ein wirklich großer Fan von ihr bin. Aber aus Angst, sonst die Rechnung bezahlen zu müssen, mußte ich ihr helfen. Ich manövrierte sie in unser Porzellan-und-Kachel-Refugium, und sie hängte sich über das lange Waschbecken.
Sie schniefte. Sie schluchzte. Sie atmete tief. Ich dachte, sie würde ohnmächtig werden. Ich legte den Kopf mitfühlend auf die Seite und zupfte ein paar braune Papierhandtücher aus dem Spender. Ich legte sie behutsam neben ihren sich windenden Körper. Melodrama à la Belle. Nach dem hundertsten Mal hört es auf, amüsant zu sein. Ich setzte mich auf eines der Klos, stellte meine Handtasche vor die Tür, damit sie nicht zufiel, steckte mir eine Zigarette an, streichelte Mama, um meine Nerven zu beruhigen, und wartete auf Details.
Sie sagte: »Der Typ ist einfach zuviel für mich.«
Ich sagte: »Erzähl mir, was passiert ist, Belle.«
Sie sagte: »Er hat mich stundenlang gefickt.«
Ich sagte: »Stundenlang?«
Sie sagte: »Ja. Stunden und nochmals Stunden. Er wollte einfach nicht aufhören, selbst als ich ihn darum bat. Ich bin x-mal gekommen - ich bin mir vorgekommen wie eine Epileptikerin.« Sie zuckte ein bißchen, um es zu demonstrieren. »Ich glaube, ich sehe nicht besonders attraktiv aus, wenn ich komme. Albern, ich weiß. Wie könnte ich nicht attraktiv aussehen?«
Wo sie recht hat, hat sie recht. Selbst mit verschmiertem Lippenstift und schwarzen Heulspuren auf den Backen sah sie noch toll aus. Sie sagte: »Er hat mich gefickt, als wolle er ins Guinness-Buch der Rekorde. Ich war dem Tod so nahe wie noch nie vorher in meinem Leben. Er hat mir mehr über Sex beigebracht, als ein Greenwich-Mädchen jemals wissen sollte. Und ich hab's geliebt. Ich hab' ihn geliebt. Und ich hab's ihm gesagt. Ich hab' ihm gesagt, daß ich ihn liebe.« Zucken, Krümmen. Buckelwalimpressionen.
Ich fragte: »Was hat er gesagt?«
Sie sagte: »Er hat gesagt, daß er mich auch liebt.«
»Und wo liegt dann das Problem?« Ich wich aus. Nach dem, was ich über den Schweden herausgekriegt hatte, hielt ich es nicht für möglich.
Sie sagte: »Ich hab's bloß gesagt, weil ich nicht wußte, wie ich ihn sonst davon hätte abhalten...