Schweitzer Fachinformationen
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Eigentlich war ich in meinen jungen Jahren recht reiselustig. Aber ich hätte gut auf den Besuch einer Stadt verzichten können, die so gar nicht meiner Vorstellung vom Orient entsprach. Von den zahlreichen Bauten, die Alexandria zu einer der berühmtesten Städte der Antike gemacht hatte, waren nur sehr wenige übrig geblieben. Auf dem Gelände des Leuchtturms - immerhin eines der sieben Weltwunder - befand sich eine verfallene, islamische Zitadelle. Nur ein römisches Theater und eine ebenfalls römische Ehrensäule waren erhalten. Es war der dritte Tag unseres Aufenthaltes in Alexandria und noch immer fragte ich mich, was wir eigentlich hier verloren hatten. Schlecht gelaunt dachte ich an die Seereise, die ich hinter mich gebracht hatte. Zwar verfügte das Dampfschiff über eine - wenn auch mäßig ausgestattete - Bibliothek und einen Salon erster Klasse, aber Holmes hatte seine Kabine kaum verlassen, während meine Frau sich mit Mrs Wallace, der Gemahlin eines redseligen Majors im Ruhestand, angefreundet hatte. Die anderen Passagiere waren größtenteils Touristen sowie englische Beamte und Offiziere auf dem Weg zu ihrem Einsatzort, die abends auf Königin Victoria anstießen, um sich dann über Pferde und Hunde zu unterhalten.
Alles hatte damit begonnen, dass mich eine Woche zuvor eine Depesche meiner Frau Violetta erreicht hatte, in der sie ihr Eintreffen in der maltesischen Hauptstadt La Valetta1 ankündigte. Ich war auf Klagen und Vorwürfe wegen meiner langen Abwesenheit von zu Hause gefasst gewesen, aber es war ganz anders gekommen.
»Ich wollte schon immer nach Ägypten fahren. Da es dich nun einmal nach Malta verschlagen hat, sollten wir doch die Gelegenheit beim Schopf packen und weiterfahren«, hatte sie mir freudestrahlend erklärt, kaum dass der Gepäckträger ihren Koffer in die Mietkutsche geladen hatte. »So trifft es sich gut, dass Mortimer Hopper2 ägyptische Artefakte in sein Sortiment aufnehmen möchte. Er hat mir sogar einige Empfehlungsschreiben an Ausgräber und einheimische Händler mitgegeben .«
»Du meinst wohl an Grabräuber und ihre Komplizen! Mister Hopper kennt bestimmt keine seriösen Archäologen«, hatte ich erbost ihren Redeschwall unterbrochen. »Hat er dir wenigstens einen Vorschuss gezahlt?«
»Nein, aber wir erhalten eine Provision für die Kunstwerke, die wir für ihn erwerben.«
Ich hatte schon den Mund zum Widerspruch geöffnet, als Holmes unverhofft sagte, dass er uns gerne begleiten würde. Angeblich interessierte er sich für altägyptische Mumifizierungstechniken. Doch ich vermutete eher, dass er sich langweilte.
Und so waren Holmes und nun ich auf dem Weg zu Doktor Trevor Jones, einem englischen Archäologen, der sich dauerhaft in Alexandria niedergelassen hatte. Während der Überfahrt hatte ich mich auf reich verzierte, orientalische Bauten gefreut, aber in Alexandria herrschte offenbar ein völlig europäischer Lebensstil. Irritiert beäugte ich durch das Droschkenfenster moderne Straßenzüge mit Gasbeleuchtung, vornehmen Läden, Kaffeehäusern, Hotels und Theatern. Wie ich meinem Reiseführer entnahm, war das Stadtzentrum durch den Aufstand des Ahmad Urabi Pascha arg heimgesucht worden, was die vielen modernen Bauten erklärte3. Die Stadt, etwa so groß wie Florenz4, war aber viel hektischer. Kein Wunder, dass die anderen Touristen auf unserer Fähre gleich nach Kairo weitergereist waren.
Wir überquerten den langgestreckten Mehmed Ali-Platz5, der von prächtigen Gebäuden wie dem Justizpalast und der anglikanischen Markus-Kirche gesäumt wurde. Die Grünanlage in seiner Mitte wurde von dem ehernen Reiterdenkmal Mehmed Ali Paschas dominiert, des ersten Khediven von Ägypten. Dann fuhren wir durch weitere breite Prachtstraßen, bis unsere Droschke endlich vor einem schmucken Haus anhielt, das genauso gut in Genua hätte stehen können. Später erfuhr ich, dass viele Gebäude von italienischen Architekten mit so klangvollen Namen wie Francesco Mancini, Pietro Avoscani und Alfonso Maniscalco entworfen worden waren.
Holmes begutachtete ein paar Sekunden lang schweigend das zweistöckige Gebäude, bevor er zum Eingang schritt. Ich zog am Klingelzug, und die Tür öffnete sich so schnell, als hätte man uns sehnsüchtig erwartet. Dieser Eindruck wurde jedoch vom blasierten Auftreten eines kleinen, mageren Dieners widerlegt. Die ausgebeulten Knie seines fadenscheinigen, ehemals schwarzen Anzugs ließen vermuten, dass sein Träger auch bei den Grabungen aushalf.
»Mister Sven Sigerson und Mister David Tristram«, stellte Holmes uns vor. »Man erwartet uns.«
»Doktor Jones empfängt gerade einen anderen Besucher«, kam die barsche Antwort zurück, und ich befürchtete schon, unverrichteter Dinge umkehren zu müssen.
Aber der Diener geleitete uns in das Bibliothekszimmer. Ich konnte es einen Augenblick lang nicht fassen, wen ich dort antraf: Der ominöse Gast war ausgerechnet Major Wallace. Breitbeinig saß er auf einem mit geblümtem Chintz bezogenen Sessel, ihm gegenüber thronte ein kräftiger Mann, der etwas kleiner, aber nicht schlanker als der Offizier war. Tiefe Falten durchfurchten die Haut seines von der Sonne geröteten Gesichts. Oder hatte auch der Alkohol seinen Beitrag dazu geleistet? Doktor Jones entsprach jedenfalls nicht gerade meiner Vorstellung von einem Archäologen. Ein blasses, vergeistigtes Männlein hatte ich erwartet, keinen korpulenten Trunkenbold.
Vor den beiden Männern standen auf einem niedrigen Tisch einfache Gläser. Die dazugehörige Flasche wartete bereits halb geleert auf einem Büfett aus Teak-holz, das mit kleinen Fotos in Silberrahmen dekoriert war. Darüber hing das Porträt eines mürrischen, alten Mannes, dessen Dogge ihm verblüffend ähnelte. Die anderen drei Wände wurden von Regalen aus Mahagoni eingenommen, darin gebundene Ausgaben antiker Autoren, archäologische Fachliteratur und Zeitschriften. Die Bücherschränke wurden bekrönt von echten und weniger echten Marmorbüsten unterschiedlicher Qualität.
»John! Könnten Sie .«, begann der Hausherr, ohne uns zu begrüßen, und ich hoffte, dass er uns wegschicken wollte. Aber er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn der Offizier fiel ihm ins Wort.
»Schön Sie wiederzusehen, Mister Sigerson«, rief er jovial durch den Raum. »Guten Tag, Mister Tristram, wo haben Sie denn Ihre reizende Gattin gelassen?«
»Sie ist mit Bekannten nach Kairo gefahren. Wir folgen ihnen in ein paar Tagen.«
»Meine bessere Hälfte ist im Hotelzimmer geblieben, da sie Kopfschmerzen hat«, kam der Major meiner Gegenfrage zuvor. »Ich kenne die Gentlemen von der Fähre«, erklärte er dann dem konsternierten Hausherrn sein ansonsten befremdliches Verhalten und machte zu allem Überfluss auch noch eine einladende Geste. »Aber setzen Sie sich doch!«
Trotz dieser Aufforderung hätte ich mich am liebsten dezent zurückgezogen. Aber Holmes ließ sich nicht vom finsteren Gesicht des Archäologen abschrecken, sondern nahm auf einem der geblümten Sessel Platz. Obwohl ich mich noch immer unerwünscht fühlte, blieb mir nichts anderes übrig, als es ihm gleichzutun. Der Diener trat mit einem Tablett an den Tisch, kredenzte uns Sherry in billig aussehenden Gläsern und schenkte den anderen beiden Männern nach.
»Ich würde meine Frau ja nicht mit irgendwelchen Bekannten durch die Weltgeschichte reisen lassen«, bemerkte unser Gastgeber, nachdem er an seinem Glas genippt hatte.
Empört wollte ich darauf hinweisen, dass es sich um ein gesetztes Ehepaar mittleren Alters handelte, als sich Doktor Jones' Gesicht zu einem Grinsen verzog.
»Das ist wohl auch der Grund, warum ich niemals geheiratet habe«, verkündete er leicht beschwipst.
Major Wallace stieß einen gleichermaßen amüsierten wie tadelnden Laut aus. Dann lehnte er sich mit dem Glas in der Hand behaglich in seinen Sessel zurück.
»Ihrer Gemahlin hätte Alexandria sicher gefallen. Schließlich bilden Ihre Landsleute hier die größte Ausländerkolonie«, wunderte er sich.
»Mit Italienern kann sie in Florenz jeden Tag sprechen«, entgegnete ich belustigt. »Aber sie wollte schon immer die Pyramiden sehen.«
Trotz des belanglosen Plaudertons, dessen wir uns bedienten, lag eine gespannte Atmosphäre im Raum.
»Wo waren wir noch gerade stehen geblieben?« Major Wallace griff sich grübelnd an die Stirn, bevor er seine eigene Frage beantwortete. »Jetzt fällt es mir wieder ein. Ich wollte mich danach erkundigen, wie lange Sie meine Landkarte noch benötigen.«
Sofort wich alle Farbe aus dem wettergegerbten Gesicht des Hausherrn....
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