Schweitzer Fachinformationen
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Die Julisonne hat die riesige Halle im Laufe des Tages in einen Glutofen verwandelt. Dicht an dicht stehen die großen Plastikbassins. Leise Musik erfüllt den schummrigen Raum. Aleke Dönnerschlach knipst das Licht an und wirft einen Blick auf das Thermometer an der Wand. Achtundzwanzig Grad. Die Luftfeuchtigkeit ist kaum auszuhalten. Sie schwitzt in ihrem wasserdichten Arbeitsoverall und streicht sich die Schweißperlen von der Stirn. Wie schön wäre es jetzt am Strand, im leichten Seewind. Mit dem Rad braucht sie keine zehn Minuten bis dorthin. Doch ihr Pflichtbewusstsein ist stärker. Aleke schlüpft durch den schweren Streifenvorhang in die angrenzende Halle. Sofort ist es kühler. Erst gestern hat sie zusammen mit Reent die Störweibchen in die Becken mit dem wärmeren Wasser umgesetzt, die Fische sollen glauben, im sibirischen Frühling zu sein.
Vorsichtig klettert Aleke über die Umrandung ins Wasser. Mit gekonntem Griff packt sie ein über einen Meter langes Weibchen und fixiert es in ihrer Armbeuge. Die Stirn ist grau gefärbt. Ein gutes Zeichen. Sanft streicht Aleke über die weicher gewordene Bauchdecke des Störs. «Bald ist es so weit», flüstert sie dem Fisch liebevoll zu.
Plötzlich rumst es.
Ob Reent schon zurück ist? Sie wirft einen Blick auf die Uhr. Nein, er und seine Kumpels werden noch beim Schlickschlittenrennen sein. Wahrscheinlich haben sie noch nicht mal mit dem Aalsprint angefangen.
Die Hallentür fällt mit lautem Krachen ins Schloss. Aleke zuckt zusammen.
«Hier bist du! Hab ich's mir doch gedacht», hört sie eine Stimme am anderen Ende der Halle. «Ich wollte nicht versäumen, dir noch persönlich zur Hochzeit zu gratulieren.»
Ungebetene Gäste während der Arbeit sind Aleke ein Graus. Aber sie möchte nicht unhöflich sein. «Danke. Das ist lieb. Ich hatte mich schon gewundert, dass du nicht beim Polterabend warst.» Sie streicht weiter über den Bauch des Störs. «Leider passt es im Moment nicht so gut. Ich kontrolliere gerade, wie weit die Weibchen sind - und vor allem ihre Eier.»
«Ich will dich gar nicht lange stören. Aber wenigstens kurz anstoßen möchte ich mit dir. Guck, ich hab alles mitgebracht. Prosecco und Granatapfellikör, den magst du doch so gern.»
Ein Korken knallt.
«Auf deine Zukunft.»
Ergeben nickt Aleke und lässt den Stör mit einer zärtlichen Bewegung wieder ins Wasser gleiten. Dann dreht sie sich um und greift lächelnd nach dem Glas. Das hätte sie nicht tun sollen.
Aufgekratzt braust Reent Dönnerschlach in seinem alten, silbergrauen VW Caddy über die Landstraße am Deich entlang nach Hause. Eigentlich wollte er dieses Jahr seine Teilnahme bei der Schlickschlittenrennen-Wältmeisterschaft in Greetsiel absagen, aber Aleke hat ihn überredet. Und es hat echt wieder riesigen Spaß gemacht, den Schlitten unter dem Gejohle von Hunderten von Zuschauern über das Watt zu schieben. Aus aller Herren Länder haben sich verkleidete Gruppen eingefunden. Henners Schwester Clara hat sich richtig viel Mühe mit dem Nähen ihrer Kostüme gegeben - sie sind dieses Jahr als «Die Daltons» in gestreifter Sträflingskleidung angetreten. Es wäre auch Rudi, Henner und Sven gegenüber unfair gewesen, sie zu versetzen. Aber anschließend mitfeiern wollte er dann doch nicht, zum Glück hatten seine Teamkollegen dafür Verständnis.
«Klar, geh du man zu deiner jungen Frau», hat Rudi mit einem Augenzwinkern gesagt. Reent hat seine schlammverkrusteten Schuhe in die Plastikwanne auf der Ladefläche und sich selbst hinters Steuer geschmissen und war losgebraust. Warum mit Umziehen aufhalten? Die Sitze sind ja durch eine Folie geschützt.
Rasant prescht er die Auffahrt der Fischfarm hoch und springt aus dem Auto. Er schnappt sich die Schuhe und öffnet die Tür des alten Bauernhauses.
«Aleke! Ich bin wieder da!» Keine Antwort. Dann wird sie wohl noch bei den Fischen sein. Das trifft sich gut, er wollte drüben sowieso unter die Dusche. Der Bodenablauf in Halle 1 ist dafür ausgelegt, auch mal größere Mengen Dreck aufzunehmen. Aleke würde ihm die Hölle heiß machen, wenn er so schlickverschmiert ins Bad ginge.
Reent marschiert hinüber zur Halle. «Hey, unsere Mannschaft ist Dritter geworden!», ruft er, kaum hat er die schwere Tür geöffnet. Keine Antwort. Er sieht sich um. Aber auch hier ist Aleke nicht. Eigenartig. Vielleicht ist sie bei dem schönen Wetter doch zum Strand gefahren. Dennoch drückt er den schweren Plastikvorhang beiseite und wirft einen Blick zu den Becken. Keine Spur von seiner Frau. Er will gerade wieder gehen, als er die Pfütze vor dem hintersten Bassin sieht. Hoffentlich ist da kein Leck! Zielstrebig steuert er das Becken an und stutzt, als er etwas Grünes danebenliegen sieht. Alekes Overall. Was hat das zu bedeuten? Reent kommt nicht dazu, weiter nachzudenken, denn ein dunkler Schatten im Fischbecken erregt seine Aufmerksamkeit. Schlagartig verschwindet jede Farbe aus seinem Gesicht.
Rudolf Hieronymus Bakker, kurz Rudi genannt und seines Zeichens Dorfpolizist in Esens und Neuharlingersiel, lümmelt auf dem Beifahrersitz und beißt herzhaft in die Bratwurst, die er sich auf der Festwiese in Greetsiel gekauft hat. «Hmm . lecker.» Ketchup läuft ihm über das Kinn.
«Papa!»
«Nun hör mal auf, Sven. Bloß weil du unter die Vegetarier gegangen bist, werde ich doch wohl noch essen können, was mir schmeckt.»
Sven grummelt etwas hinter dem Lenkrad, ist dann aber still, und sie gondeln gemütlich in Rudis alter Ente nach Neuharlingersiel zurück. Henner, Rudis bester Freund seit Kindesbeinen und der Postbote des Ortes, sitzt auf der Rückbank. Er hat seine Bratwurst bereits verputzt und gönnt sich zum Runterspülen ein Ostfriesenbräu. Neidisch hört Rudi das Ploppen des Verschlusses. Er selbst darf erst zu Hause ein Bierchen zischen, für elterliche Begleitfahrer gilt die Nullkommanull-Grenze. Rudi hat zwar schon direkt nach dem Staffellauf-Schlickrennen ein Jever getrunken, aber das zählt nicht. Das war gegen den Durst.
Es ist heute aber auch eine Hitze! Rudi wischt sich den Schweiß von der Stirn. «Das haben wir dieses Jahr echt super gedeichselt!», sagt er und ist immer noch wild begeistert von ihrer Leistung beim Schlickschlittenrennen.
«Wir sind förmlich übers Watt geflogen!», jubelt Sven, während Henner nur ein einsilbiges «Jo» von sich gibt.
«Und das, obwohl wir nicht geübt haben.» Sven kann seine Begeisterung überhaupt nicht bremsen.
«Übt ja keiner.» Henner bleibt weiter einsilbig. Rudi weiß, dass sein Freund das Schaukeln im Fond der Ente nicht gut verträgt. Aber es nützt nichts, Sven muss Fahrpraxis kriegen. Auch wenn Henners Magen rebelliert.
«Wir waren so klasse! Habt ihr gesehen, wie schwer sich das Wikinger-Team aus Bensersiel getan hat?», sagt Rudi, um seinen Freund abzulenken.
«Jo», brummt Henner.
In diesem Moment ertönt die Fanfare von Rudis Handy. Unwillig zieht er sein Telefon aus der Tasche seiner sauberen Jeans. Anders als Reent haben sie in Greetsiel alle noch geduscht, mit schlickverschmierten Klamotten setzt sich bei ihm nämlich keiner ins Auto.
«Bakker.»
«Hier ist Reent», hört er die atemlose Stimme seines Teamkollegen.
«Na, was hat Aleke gesagt?», röhrt Rudi fröhlich in den Hörer. «Sie ist ja jetzt mit einem Fast-Wältmeister verheiratet. Da ist sie bestimmt bannig stolz!»
«Rudi . ich . hab Aleke im Fischbecken gefunden.» Entsetzen schwingt in Reents Stimme mit. «Sie trieb zwischen den Stören. Nur im BH.»
Rudi runzelt die Stirn. «Warum geht Aleke denn halbnackt ins Becken?»
«Aleke . sie ist tot», stammelt Reent.
Augenblicklich entgleisen Rudi alle Gesichtszüge. «Ach du Scheibenkleister!»
«Ich hab sie rausgezogen. Aber zu spät.» Reent wird mit jedem Wort leiser.
«Scheiße.» Rudi ist fassungslos. «Reent, bist du sicher? Ruf lieber noch den Arzt.»
«Rudi . sie lebt nicht mehr.»
«Gut. Ich meine, nicht gut. Besser, ich informiere die Kollegen in Wittmund. Lass alles so, wie es ist. Ich bin gleich da.» Aus dem Handschuhfach holt er das Polizeiblinklicht, klappt das Fenster der Ente hoch, setzt das Blaulicht auf das Rolldach und hält es fest. «Gib Gas, Sven. Wir sind im Einsatz.»
Das lässt sich sein Sohn nicht zweimal sagen.
Eine halbe Stunde später steht Rudi mit der Rolle Absperrband unter dem Arm neben Reent. Richtig kläglich sieht der in dem verdreckten gelb-schwarzen Anzug der Daltons aus.
«Die Kollegen müssten gleich hier sein», sagt Rudi beinahe entschuldigend und schaut auf Aleke, die neben dem Becken liegt. Kein Zweifel, sie ist tot. Das hat auch der Notarzt bestätigt. Gemeinsam gehen sie vor die Halle und warten auf das Eintreffen der Kripo.
«Du hast bestimmt kein Foto gemacht, als du sie im Becken hast schwimmen sehen, oder?», fragt Rudi wenig hoffnungsvoll. Reent schüttelt den Kopf und sieht Rudi an, als wäre der nicht recht bei Trost.
«Natürlich nicht!», sagt er empört. «Ich bin gleich ins Wasser und hab sie rausgeholt.»
«Schon gut.» Rudi drückt Reent die Rolle Flatterband in die Hand. «Sperr du damit mal vorn den Eingang ab. Ich geh wieder rein und mach die ersten Aufnahmen.»
Reent nickt ergeben und stiefelt mit der Rolle los, als zwei Fahrzeuge mit Blaulicht auf den Hof fahren. Die Türen des Bullis werden aufgeschoben, und die Kollegen der KTU springen heraus. Routiniert ziehen sich die Kriminaltechniker ihre Einwegschutzanzüge an. Kriminalhauptkommissar Haueisen und...
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